TE OGH 2020/11/19 5Ob222/19m

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Veröffentlicht am 19.11.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. DI K***** A*****, 2. A***** A*****, beide vertreten durch Mag. Claudia Vitek, Rechtsanwältin in Wien, gegen die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ ***** KG ***** als Antragsgegner, darunter 1. Mag. P***** Z*****, vertreten durch die Nemetz & Nemetz Rechtsanwalts-KG in Wien, 5. Dr. S***** Z*****, 6. Dr. C***** H*****, beide vertreten durch Dr. Diethard Schimmer, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 16 Abs 2 iVm § 52 Abs 1 Z 2 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. Oktober 2019, GZ 38 R 24/19i-211, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 10. November 2018, GZ 4 Msch 26/13v-200, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichts wird aufgehoben und diesem wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der 5. Antragsgegnerin und des 6. Antragsgegners aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Parteien sind (bzw waren zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts) die Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft in Wien. Mit den Miteigentumsanteilen des Erstantragstellers ist Wohnungseigentum an der Wohnung 10 mit Terrasse und Galerie verbunden, mit jenen des Zweitantragstellers das Wohnungseigentum an der Wohnung 9 mit Terrasse und Galerie. Die Wohnungen 9 und 10 wurden im Zug eines Dachbodenausbaus geschaffen. Wohnungseigentümerin dieser beiden Wohnungseigentumsobjekte war damals noch die Rechtsvorgängerin der Antragsteller, die R***** GmbH.

Die erste Bewilligung zum Dachbodenausbau hatten die damaligen schlichten Miteigentümer des Hauses bereits im Jahr 1996 erwirkt. Von dieser wurde in weiterer Folge allerdings kein Gebrauch gemacht. Im Jahr 2004 begründeten die damaligen Miteigentümer Wohnungseigentum. Eigentümer der Mindestanteile, die mit Wohnungseigentum an den geplanten Dachgeschosswohnungen verbunden waren, wurden die Rechts-(vor-)vorgänger der Antragsteller. Im der Begründung des Wohnungseigentums zugrunde liegenden Übergabs- und Wohnungseigentumsvertrag vom 18. 10. 2004 hielten die Vertragsparteien fest, dass der Ausbau des Dachgeschosses noch nicht erfolgt sei und die Festsetzung der Nutzwerte „aufgrund der Baubewilligungen für die beiden Wohnungen im Dachgeschoß top 9 und top 10“ erfolgte.

Im Jahr 2008 unterfertigten die damaligen Mit- und Wohnungseigentümer einen neuen Einreichplan für den geplanten Dachbodenausbau (Einreichplan vom 9. 10. 2008). Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien, MA 37, vom 2. 10. 2009 wurde die Baubewilligung für den zweigeschossigen Dachgeschosszubau zur Schaffung der zwei Wohnungen 9 und 10 erteilt.

Im Jahr 2012 wurde mit dem Dachgeschossausbau begonnen. Die Bauführung wich dabei in mehreren Punkten von der Baubewilligung und dem damit bewilligten Einreichplan ab.

Mit Antrag vom 16. 5. 2013 begehrte die R***** GmbH als damalige Wohnungseigentümerin der Wohnungen 9 und 10 die Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu den Abänderungen beim Ausbau der Dachgeschosswohnungen Nr 9 und 10 gemäß dem zur Herstellung des baubehördlichen Konsenses notwendigen ersten Auswechslungsplan zu ersetzen. Nachdem sich in diesem Verfahren herausgestellt hatte, dass der Einreichplan, zu dem die Zustimmung der übrigen Mit- und Wohnungseigentümer ersetzt werden sollte, nicht mit den durchgeführten Arbeiten übereinstimmte, legte die R***** GmbH einen zweiten Auswechslungsplan vor.

Mit Kaufverträgen vom 23. 1. 2015 erwarben die (nunmehrigen) Antragsteller die fertiggestellten Wohnungen. Die R***** GmbH gab als ursprüngliche Antragstellerin bekannt, dass sie ihre Miteigentumsanteile an den Erst- und den Zweitantragsteller verkauft hat, der Erst- und der Zweitantragsteller erklärten, dem Verfahren beizutreten und den Antrag aufrecht zu erhalten.

Die Antragsteller schlossen mit den übrigen Miteigentümern – mit Ausnahme der 5. Antragsgegnerin und des 6. Antragsgegners – eine Vereinbarung, aufgrund derer diese den ersten Auswechslungsplan unterfertigten. Zuletzt beantragten die Antragsteller daher in ihrem Hauptbegehren, die Zustimmung (nur mehr) der 5. Antragsgegnerin und des 6. Antragsgegners „zu den Änderungen gemäß dem Auswechslungsplan (Zweite Abweichung) dort rot eingezeichnet“ zu ersetzen. Die Antragsteller erhoben zudem ein Eventualbegehren auf Ersetzung der Zustimmung sämtlicher Antragsgegner

a) zur Änderung der Dachflächenfenster, straßenseitig und hofseitig in den Wohnungen top-Nr 9 und 10 (gemäß Auswechslungsplan [Zweite Abweichung]),

b) zum Einbau der zweiflügeligen eingebauten Fenster an der Lichthofwand an der Nordseite in der Wohnung top-Nr 10 und in der Küche der Wohnung top-Nr 9,

c) zur Verkleinerung des Lichthofs/Lüftungsschachtes (gemäß Auswechslungsplan [Zweite Abweichung]),

d) zur Ausführung des Terrassenaufbaus der Terrassen in der Wohnung top-Nr 9 und 10 in der Stahlkonstruktion (gemäß Auswechslungsplan [Zweite Abweichung]), und

e) zur Errichtung der Stiegen in den Wohnungen top-Nr 9 und 10 jeweils an den Wänden, und zwar in der Wohnung top-Nr 9 an der Trennwand zur Wohnung top-Nr 10 und in der Wohnung top-Nr 10 an der Trennwand zur Wohnung top-Nr 9 (gemäß Auswechslungsplan [Zweite Abweichung]).

         Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren statt.

         Aufgrund der Baubewilligung aus dem Jahr 2009 sei nur zu beurteilen, ob die davon abweichenden Maßnahmen die Voraussetzungen des § 16 Abs 2 WEG erfüllen. Die Voraussetzungen der Z 1 dieser Bestimmung lägen vor. Die von der 5. Antragsgegnerin und dem 6. Antragsgegner behauptete Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen [allein] durch die Abweichungen sei zu verneinen. In eng verbauten städtischen Gebieten bestünde von vielen Wohnungen oder Stiegenhäusern aus eine Einsichtmöglichkeit in andere Objekte. Es stehe daher niemandem ein schutzwürdiges Interesse auf die „Uneinsehbarkeit“ seiner Wohnräume zu. Die geänderte Situierung der Stiegen führe nicht zu einer höheren Lärmentwicklung. Eine gewisse Geräuschentwicklung im Mehrparteienhaus sei unvermeidlich. Dass die Beeinträchtigung nun höher sein solle als bei einem der aufrechten Bewilligung entsprechenden Ausbau, hätten die Antragsgegner auch nicht vorgebracht. Ob und wann eine Sanierung des Daches notwendig sein werde, sei nicht absehbar, außerdem hätten sich die Antragsteller zur Sanierung auf ihre Kosten bis 2029 verpflichtet.

Die Verkehrsüblichkeit der Änderungen iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG sei zu bejahen. Zur Wohnraumschaffung seien in Wien in den letzten Jahrzehnten zunehmend Dachböden ausgebaut worden. Der Ausbau zur Schaffung großzügiger lichtdurchfluteter Wohnungen sei häufig zur Steigerung des Wohn- und des Verkehrswerts erfolgt. Die geänderte Ausführung der Fenster sei durchaus mit jener in vielen anderen Häusern vergleichbar und als verkehrsüblich zu beurteilen. Dass die Anbringung einer von der Baubehörde vorgeschriebenen Wärmedämmung am neu errichteten Teil der Lichthofwand verkehrsüblich sei, stehe außer Zweifel.

         Den Antragstellern sei außerdem ein wichtiges Interesse an diesen Änderungen zuzubilligen. Die Wichtigkeit des Interesses iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG sei in Relation zum Ausmaß der Inanspruchnahme allgemeiner Teile zu beurteilen. Der Terrassenaufbau in der bewilligten Form hätte einen weit größeren Eingriff in die Bausubstanz notwendig gemacht. Eine über die ursprüngliche Baubewilligung hinausgehende Inanspruchnahme allgemeiner Teile des Hauses sei durch die nun angebrachte Stahlgitterkonstruktion nicht erfolgt. Auch die Verlegung und Vergrößerung der Küchen hätten keine weiteren allgemeinen Teile in Anspruch genommen, sondern es sei lediglich darauf abgestellt worden, dass diese ausreichend groß und sehr gut belichtet seien. Die Verlegung der Stiegen sei ebenfalls mit keiner Inanspruchnahme allgemeiner Teile verbunden; sie sei erfolgt, damit die Räume besser genutzt werden könnten.

         Das Rekursgericht gab dem Rekurs der 5. Antragsgegnerin und des 6. Antragsgegners Folge und wies die Anträge (Haupt- und Eventualantrag) ab.

Dem Einreichplan, der der Baubewilligung vom 2. 10. 2009 zugrunde liege, hätten sämtliche damaligen Mit- und Wohnungseigentümer zugestimmt. Die Abweichungen, zu denen die Antragsteller nunmehr die Zustimmung begehrten, seien auch bei deren Gesamtbetrachtung nicht derartig gravierend, dass der gesamte Dachgeschossausbau einer Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 16 Abs 2 WEG zu unterziehen wäre.

         Die zu beurteilenden baulichen Maßnahmen seien mit Ausnahme der Stiegen, die jeweils im Inneren der beiden Wohnungen errichtet seien, jeweils eine Änderung an einem Wohnungseigentumsobjekt unter Inanspruchnahme allgemeiner Teile der Liegenschaft. Diese baulichen Maßnahmen müssten also entweder der Übung des Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen. Die Behauptungs- und Beweislast für eine dieser zusätzlichen Voraussetzungen trage der änderungswillige Wohnungseigentümer.

Wenn sich die Verkehrsüblichkeit nicht aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebe, habe der dafür behauptungs- und beweispflichtige Wohnungseigentümer diese durch konkrete Tatsachen darzulegen und entsprechende Beweisanträge zu stellen. Ein solches ausreichendes, konkretes Vorbringen zur Verkehrsüblichkeit hätten die Antragsteller jedoch nicht erstattet. Mit ihrem Vorbringen zum wichtigen Interesse behaupteten die Antragsteller, soweit sich dieses überhaupt konkret auf ihr Wohnungseigentumsobjekt bezogen habe, bloß die Zweckmäßigkeit und/oder die Verbesserung des Wohn- und Verkehrswerts ihres Wohnungseigentumsobjekts. Das reiche nach der Rechtsprechung nicht. Daher sei bereits aufgrund des Vorbringens weder eine Verkehrsüblichkeit noch ein wichtiges Interesse an der geplanten Änderung nach § 16 Abs 2 Z 2 WEG gegeben. Auf die Voraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 1 WEG komme es somit gar nicht an.

Da der Antrag als Gesamtänderung zu beurteilen sei, sei schon deshalb der gesamte Antrag abzuweisen. Es könnten nicht einzelne Änderungen herausgegriffen werden und etwa bloß Teile der beantragten Änderung ohne weiteres wegen Fehlens der Voraussetzungen abgewiesen werden. Eine Teilbarkeit des Antrags im Sinn des möglichen Zuspruchs eines „Minus“ scheitere hier jedenfalls auch daran, dass keine Fassung eines Eventualbegehrens mit entsprechendem Tatsachenvorbringen vorliege, wonach einzelne Teile des Änderungsbegehrens allenfalls gesondert betrachtet hätten werden können.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsteller mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung abzuändern und den Sachbeschluss des Erstgerichts wiederherzustellen. Hilfsweise stellen sie einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

Die 5. Antragsgegnerin und der 6. Antragsgegner beantragten in der vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurück- oder abzuweisen. Die anderen Mit- und Wohnungseigentümer haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Beurteilung des Rekursgerichts, der Antrag sei nicht teilbar und die einzelnen Änderungen seien daher nicht gesondert zu beurteilen, korrekturbedürftig ist. Er ist aus diesem Grund auch – im Sinn des Aufhebungsantrags – berechtigt.

         1.1. Für die Beurteilung, ob eine Maßnahme eine genehmigungspflichtige Änderung iSd § 16 Abs 2 WEG bewirkt, ist auf den bestehenden Zustand des betreffenden Objekts abzustellen. Prüfmaßstab ist dabei der aktuelle rechtmäßige Bestand. Es ist also ein Rückgriff auf den aufrechten vertraglichen Konsens der Mit- und Wohnungseigentümer erforderlich. Nur Maßnahmen, die von diesem „ursprünglichen“ Konsens nicht erfasst sind, fallen unter § 16 Abs  2 WEG (5 Ob 55/19b).

1.2. Das Wohnungseigentum wurde hier auf Basis des Übergabs- und Wohnungseigentumsvertrags vom 18. 10. 2004 und somit zu einem Zeitpunkt begründet, als der Dachgeschossausbau zwar mit einer nicht näher bestimmten Baubewilligung behördlich genehmigt, aber noch nicht durchgeführt war. Die damalige später nicht ausgenutzte Baubewilligung lag offenbar auch dem Nutzwertgutachten und dem Wohnungseigentumsvertrag zu Grunde. Dieser ursprüngliche Konsens, auf dessen Basis Wohnungseigentum begründet wurde, ist in diesem Verfahren unklar geblieben.

1.3. Die erst im Jahr 2012 begonnenen Baumaßnahmen zur Herstellung der beiden Wohnungseigentumsobjekte Wohnung 9 und Wohnung 10 beruhen allerdings ohnedies nicht auf diesem ursprünglichen Konsens, sondern auf einer (neuen) Baubewilligung aus dem Jahr 2009. Dem dieser Baubewilligung zu Grunde liegenden Einreichplan vom 9. 10. 2008 haben alle damaligen Mit- und Wohnungseigentümer zugestimmt. In der vorliegenden Konstellation bildet daher der diesem Plan entsprechende Bauzustand den maßgeblichen vertraglichen Konsens. Das ist der aktuelle rechtmäßige Bestand und damit der Prüfmaßstab für die Beurteilung, ob eine Bauabweichung eine Änderung iSd § 16 Abs 2 WEG bewirkt.

2.1. Ausgehend davon prüfte das Rekursgericht in einem ersten Schritt, ob die von dem Einreichplan vom 9. 10. 2008 abweichende Bauausführung dazu führte, dass der gesamte Dachgeschosszubau der neuerlichen Zustimmung aller Mit- und Wohnungseigentümer bedarf. Es verneinte dies, weil die Abweichungen nicht gravierend genug seien.

2.2. Das Rekursgericht nimmt dabei auf die Rechtsprechung Bezug, wonach lediglich eine gravierende Änderung von Baumaßnahmen, denen die übrigen Wohnungseigentümer ursprünglich zugestimmt haben, einer neuerlichen Zustimmung der Wohnungseigentümer bedarf (5 Ob 55/19b , vgl RIS-Justiz RS0127250). Eine gravierende Änderung liegt (nur) vor, wenn die dann tatsächlich durchgeführte Maßnahme eine derart erhebliche Abweichung aufweist, dass sie keine Identität mit der vereinbarten Bauführung mehr aufweist (vgl 5 Ob 143/11g). Hingegen kann eine ergänzende Vertragsauslegung ergeben, dass geringfügige Änderungen, insbesondere solche, die ihre Ursache in einer notwendigen Anpassung an tatsächliche bauliche Gegebenheiten hatten, von der ursprünglichen Zustimmung gedeckt sind (5 Ob 55/19b).

         2.3. Nach der Beurteilung des Rekursgerichts sind hier die Abweichungen im Zug der Bauausführung nicht so gravierend, dass es einer neuerlichen Zustimmung der Wohnungseigentümer für das gesamte Bauvorhaben bedürfe. Die Genehmigungsfähigkeit dieser Änderungen sei daher auf Basis des grundsätzlich bewilligten Bauvorhabens zu prüfen. Damit bringt das Rekursgericht implizit seine Auffassung zum Ausdruck, dass die Abweichungen auch nicht so geringfügig sind, dass sie von der ursprünglichen Zustimmung gedeckt sind.

3.1. Vorfrage für diese Qualifikation als zustimmungsbedürftige Änderung ist, ob die vom Antrag erfassten Bauabweichungen als Gesamtheit oder als einzelne Änderungen gesondert zu beurteilen sind. Gleiches gilt (im Fall der Qualifikation als zustimmungsbedürftige Änderung) für die Beurteilung der in § 16 Abs 2 WEG normierten negativen und positiven Voraussetzungen.

         3.2. Mehrere bauliche Veränderungen sind grundsätzlich in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen und nicht für sich zu beurteilen (5 Ob 38/19b mwN). Eine Einordnung der einzelnen Änderungen in die Kategorien der Z 1 und Z 2 des § 16 Abs 2 WEG und deren gesonderte Beurteilung allein nach den jeweils für die einzelne Kategorie aufgestellten Erfordernissen ist also in der Regel nicht zielführend (5 Ob 38/19b; RS0083309 [T2]). Die gesonderte Beurteilung einzelner Änderungen ist (nur) zulässig, wenn diese in keinem untrennbaren Zusammenhang stehen. Das trifft zu, wenn die angestrebten Maßnahmen objektiv voneinander trennbar sind und der änderungswillige Wohnungseigentümer, der die Ersetzung der Zustimmung zu den einzelnen trennbaren Änderungen begehrt, eindeutig zum Ausdruck bringt, auch an einer teilweisen Stattgebung interessiert zu sein (5 Ob 38/19b mwN; RS0083040).

3.3. Die Teilbarkeit eines Antrags und die Möglichkeit des Zuspruchs eines „Minus“ setzt in der Regel eine präzise Fassung von Eventualbegehren mit jeweils entsprechendem Tatsachenvorbringen voraus (5 Ob 185/09f). Maßgeblich ist dabei der objektive Erklärungswert der entsprechenden Prozesshandlung. Es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Prozesszwecks und der dem Gericht und Gegner bekannten Prozess- und Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Der objektive Erklärungswert ist zwar stets nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und wirft daher im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage auf. Grobe Fehlbeurteilungen sind vom Obersten Gerichtshof aber aufzugreifen (5 Ob 63/18b mwN).

3.4. Das Rekursgericht vertrat die Auffassung, es könne nicht einzelne Änderungen herausgreifen und bloß Teile der beantragten Änderung wegen Fehlens der Voraussetzungen abweisen. Die Teilbarkeit des Antrags und der Zuspruch eines „Minus“ scheitere nämlich jedenfalls daran, dass keine Fassung eines Eventualbegehrens mit entsprechendem Tatsachenvorbringen vorliege, wonach einzelne Teile des Änderungsbegehrens allenfalls gesondert betrachtet hätten werden können. Das gelte „beispielsweise“ für die veränderte Situierung der Stiegen im Inneren der Wohnungen. Da der Antrag als Gesamtänderung zu beurteilen sei, sei [wegen des Fehlens der Voraussetzungen für Teile des Änderungsbegehrens] der gesamte Antrag abzuweisen gewesen. Diese Beurteilung ist im Hinblick auf die Aktenlage, die Formulierung der einzelnen Eventualbegehren und das Vorbringen der Antragsteller dazu korrekturbedürftig. Das Rekursgericht hat in seinem Aufhebungsbeschluss im ersten Rechtsgang dem Erstgericht aufgetragen, „der Antragstellerin im zweiten Rechtsgang Gelegenheit zu geben, zu den Voraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 2 WEG zu sämtlichen Änderungen ein ausdrückliches Vorbringen zu erstatten, zumal die verschiedenen Änderungen auch unabhängig von einander bestehen können und ihre Genehmigungsfähigkeit daher von verschiedenen Faktoren abhängt und auch unterschiedlich beurteilt werden kann“. In Reaktion darauf brachten die Antragsteller im zweiten Rechtsgang vor, sie hätten „im Zug der Ausführung des (bewilligten) Bauvorhabens mehrere Änderungen vorgenommen, wobei die einzelnen Änderungen für sich alleine zu beurteilen sind und nicht in ihrer Gesamtheit“. Zugleich modifizierten die Antragsteller ihren Antrag und formulierten einen Eventualantrag, mit dem sie für einzeln angeführte Abweichungen gesondert die Ersetzung der Zustimmung der Antragsgegner begehren.

3.5. Anhaltspunkte dafür, dass die von den Antragstellern auf mehrere Teilbegehren aufgeteilten Maßnahmen bzw Maßnahmengruppen objektiv nicht voneinander zu trennen sind, gibt es nicht. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass für die Entscheidung über das Eventualbegehren die von den einzelnen Teilbegehren erfassten Bauabweichungen jeweils gesondert zu beurteilen sind.

4.1. Die Teilbarkeit des Antrags hat gerade in der hier vorliegenden Konstellation einer abweichenden Bauausführung nicht nur zur Konsequenz, dass die einzelnen Bauabweichungen für sich in die Kategorien der Z 1 und Z 2 des § 16 Abs 2 WEG einzuordnen und nach den jeweiligen Erfordernissen zu beurteilen sind. Auch schon die Beurteilung, ob angesichts deren Geringfügigkeit nicht ohnedies eine zustimmungsfreie Änderung vorliegt, hat sich in diesem Fall auf die einzelnen Bauabweichungen zu beziehen.

4.2. Abweichungen bei Bauarbeiten an allgemeinen Teilen nehmen zwar denknotwendig allgemeine Teile „in Anspruch“. Sind aber diese Bauabweichungen so gering, dass sie als bagatellhaft zu werten sind, kommt es auf die in § 16 Abs 2 WEG normierten negativen und positiven Voraussetzungen nicht an. So wurde etwa in dem der Entscheidung 5 Ob 55/19b zugrunde liegenden Fall das Fenster in die Außenmauer zum Lichthof nicht, wie im genehmigten Bauplan mittig, sondern um ca 17 bis 27 cm versetzt eingebaut. Darin erkannte der Senat keine relevante (zustimmungspflichtige) Abweichung.

4.3. Geringfügige Abweichungen von der (von den Wohnungseigentümern bewilligten) Bauführung bedürfen wie bagatellhafte Veränderungen im Allgemeinen zwar an sich materiell-rechtlich keiner (weiteren) Zustimmung. Das führt aber im Außerstreitverfahren nach § 16 Abs 2 iVm § 52 Abs 1 Z 2 WEG jedenfalls im Fall eines nachvollziehbaren Rechtsschutzinteresses nicht zur Abweisung des Antrags. Im Hinblick auf den Gegenstand und Zweck dieses Verfahrens und dessen Bedeutung für die Rechtsverhältnisse im Wohnungseigentum ist bei Vorliegen der sonstigen Erfolgsvoraussetzungen zur Klarstellung ein positiver Sachbeschluss geboten (vgl 5 Ob 40/18w).

5.1. Sind die Bauabweichungen hier – wie die Antragsteller behaupten – in ihrer Gesamtheit oder einzeln als geringfügig anzusehen, kommt es auf die Voraussetzungen des § 16 Abs 2 Z 2 WEG nicht an. Insoweit würde der vom Rekursgericht herangezogene Grund für die Abweisung des Antrags (des Haupt- und/oder des Eventualbegehrens) daher nicht tragen. Um zu dieser Frage abschließend Stellung nehmen zu können, bedarf es allerdings gesicherter und ausreichend konkreter Feststellungen zu Art und Ausmaß der Bauabweichungen.

5.2. Die 5. Antragsgegnerin und der 6. Antragsgegner haben in ihrem Rekurs (auch) die Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige Tatsachenfeststellungen infolge unrichtiger Beweiswürdigung geltend gemacht. Als Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügten sie mehrere Stoffsammlungsmängel, unter anderem den Umstand, dass sich die Entscheidung auf einen Plan beziehe, der erst nach Aufnahme des Sachverständigenbeweises vorgelegt worden und entgegen der Ansicht des Erstgerichts nicht mit dem im vorangegangenen Beweisverfahren geprüften Plan ident sei. In diesem Zusammenhang rügten sie außerdem die Unzulässigkeit der Änderung des Antragsbegehrens. Mit ihrer Beweisrüge fochten die Rekurswerber zahlreiche Feststellungen im Zusammenhang mit einzelnen Bauabweichungen an.

5.3. Das Rekursgericht hat – ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht – diese Rekursgründe nicht geprüft und sich auch mit den weiteren Ausführungen zum Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht auseinandergesetzt. Sein Sachbeschluss ist daher aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an dieses zurückzuverweisen.

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Erst mit der endgültigen Sachentscheidung sind die gebotenen Billigkeitserwägungen möglich.

Textnummer

E130260

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00222.19M.1119.000

Im RIS seit

15.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.04.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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