Entscheidungsdatum
06.11.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W60 2178715-2/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über den Antrag von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2020, W60 2178715-1/28E, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens auf internationalen Schutz beschlossen:
A)
Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Der nunmehrige Antragsteller, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 03.10.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Bei der Erstbefragung am 28.11.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er aus der Provinz Balkh stammen würde, der Volksgruppe der Tadschiken angehören würde und sunnitischer Moslem wäre. Er wäre verheiratet. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, er hätte für eine Menschenrechtsorganisation gearbeitet. Wegen seiner Tätigkeit wäre er von den Taliban bedroht worden. Ein Arbeitskollege des Beschwerdeführers wäre von den Taliban gefangen genommen und nach 20 Tagen enthauptet worden. Die Taliban hätten ihren eigenen Geheimdienst und würden jede Person ausfindig machen können. Aus Angst um sein Leben wäre er geflüchtet.
3. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 19.07.2017 von Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden „belangte Behörde“) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer legte Beweismittel vor.
Er gab zusammengefasst an, dass er in Mazar-e Sharif geboren worden wäre und dort gelebt hätte. Seine Eltern, drei Schwestern und ein Bruder würden noch in Afghanistan leben. 2014 hätte er geheiratet. Auch seine Ehefrau würde sich in Afghanistan aufhalten. Der Beschwerdeführer hätte zwölf Jahre lang die Schule besucht. Er hätte im Betrieb seines Vaters mitgeholfen und für eine Hilfsorganisation gearbeitet.
Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, er hätte für eine Menschenrechtsorganisation namens „ XXXX “ gearbeitet. Diese Organisation hätte Solarenergieequipment verteilt und auch – nach Überschwemmungen – Hütten errichtet. Der Beschwerdeführer hätte das Solarenergieequipment verteilt. Er wäre mit vier Kollegen im Auto unterwegs gewesen, als sie am 05.02.2015 von bewaffneten Taliban angehalten, gefesselt und mit verbundenen Augen mitgenommen worden wären. Die Taliban hätten mit den afghanischen Behörden Kontakt aufgenommen und diese aufgefordert, drei sunnitische Frauen frei zu lassen. Im Gegenzug hätten der Beschwerdeführer und seine Kollegen freigelassen werden sollen. Sollte den Forderungen nicht entsprochen werden, würden der Beschwerdeführer und seine Kollegen getötet werden. Da die Regierung bis zum 19.02.2015 nichts unternommen hätte, wäre ein Kollege namens MOKHTAR von den Taliban hingerichtet worden. Die Taliban hätten dann ein weiteres Mal mit den Behörden Kontakt aufgenommen. Mit Hilfe der Ältesten der Region und der Vorgesetzten ihrer Organisation hätten die Behörden nachgegeben, und die drei Frauen freigelassen. Im Gegenzug wären der Beschwerdeführer und seine Kollegen am 26.02.2015 freigekommen. Während der Gefangenschaft hätten ihn die Taliban täglich verprügelt und hätten Informationen über die Organisation und die Aufgabengebiete der Organisation in Erfahrung bringen wollen. Nach seiner Freilassung hätten die Taliban Flugblätter mit den Namen des Beschwerdeführers und seiner Kollegen verteilt und sie gewarnt, nicht weiter für die Organisation zu arbeiten, ansonsten würden sie getötet werden. Aufgrund dieser Drohung hätte der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, dass ihn die Taliban aufgefordert hätten, als Informant für sie zu arbeiten. Er hätte diese Forderung aber ignoriert.
4. Mit Bescheid vom 28.10.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Die belangte Behörde stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).
5. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.07.2018 und Übermittlung aktueller Länderberichte im Rahmen des Parteiengehörs am 15.05.2020 mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2020, W60 2178715-1/28E, als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass der nunmehrige Antragsteller im Herkunftsstaat keiner individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung - etwa durch die Taliban wegen seiner in der Folge nicht mehr ausgeübten Tätigkeit für eine Hilfsorganisation- ausgesetzt war, oder im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer solchen ausgesetzt wäre.
Im Rahmen der Beweiswürdigung wurde mit näherer Begründung ausgeführt, dass dem Antragsteller im Hinblick auf sein primäres Fluchtvorbringen und die vorgelegten Beweismittel (Bedrohung wegen der behaupteten Entführung durch die Taliban und anschließende Erhalt von Drohbriefen) kein Glauben geschenkt wurde.
Eine Rückkehr des Antragstellers in seine Herkunftsprovinz Balkh, konkret in seine Heimatstadt Mazar-e Sharif wurde vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde, er über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, gesund ist und über eine zwölfjährige Schulausbildung, Universitätsbesuch in Mazar-e Sharif samt Berufserfahrung im Betrieb seines Vaters und einer Hilfsorganisation verfügt. Trotz gewisser Integrationsbemühungen erachtete das Bundesverwaltungsgericht die Bindung des nunmehrigen Antragstellers zu Afghanistan für deutlich intensiver als jene zu Österreich. Mit näherer Begründung wurde dargetan, dass eine Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers keinen unzulässigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstellen würde.
Den im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes enthaltenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsland wurden insbesondere die Informationen im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019 inkl. Kurzinformationen vom 18.05.2020 sowie in den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 und den EASO Country Guidance Afghanistan vom Juni 2019 zugrunde gelegt.
6. Das Bundesverwaltungsgericht wurde am 04.09.2020 seitens des Verfassungsgerichtshofes in Kenntnis gesetzt (Vorabinformation), dass das beim Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 06.08.2020, W260 2178715-1/28E, rechtskräftig abgeschlossene Verfahren ebendort anhängig ist.
7. Der Antragsteller stellte mit undatierter Eingabe, beim Bundesverwaltungsgericht, eingelangt am 02.10.2020, den auf § 69 Abs. 1 Z 2 AVG gestützten Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2020, W260 2178715-1/28E, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens.
8. Am 14.10.2020 wurde persönlich am Bundesverwaltungsgericht eine Vollmacht der nunmehrigen Vertreterin des Beschwerdeführers zur Vorlage gebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der oben unter I. dargestellte und sich vollständig aus dem vorliegenden Verwaltungsakt sowie dem vorliegenden hg. Vorakt ergebende Verfahrensgang wird festgestellt.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den hg. Vorakt des Antragstellers und den nun vorgelegten Beweismitteln, welche dem verfahrensgegenständlichen Antrag beigelegt wurden.
Die festgestellten Tatsachen ergeben sich zweifelsfrei aus dem bisherigen Verfahrensgang und der Aktenlage.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung des Wiederaufnahmeantrages:
3.1. § 32 VwGVG lautet wie folgt:
"Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn
1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder
3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
..."
3.2. Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens ist, dass die das seinerzeitige Verfahren abschließende Entscheidung mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr anfechtbar, also formell rechtskräftig ist. Die Zulässigkeit und auch die Erhebung von Rechtsmitteln bei den Höchstgerichten hindern, selbst wenn der Beschwerde oder der Revision aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, nicht den Eintritt der formellen Rechtskraft (VwGH 16.09.1980, 1079/79; 23.02.2012, 2010/07/0067; 28.02.2012, 2012/05/0026).
Entscheidungen eines Verwaltungsgerichtes werden mit ihrer Erlassung rechtskräftig.
Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2020 wurde mit seiner Zustellung am 07.08.2020 rechtskräftig.
Daran ändert auch die derzeitige Anhängigkeit einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshofes nichts, worüber das Bundesverwaltungsgericht am 04.09.2020 seitens des Verfassungsgerichtshofes in Kenntnis gesetzt wurde.
Da die Sachlage aufgrund der Aktenlage als erklärt erscheint, konnte eine mündliche Erörterung der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.
Im vorliegenden Fall liegen keine widersprechenden prozessrelevanten Behauptungen vor, die es erforderlich machen würden, dass sich das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien verschafft.
Vielmehr ist die hier zu beantwortende Frage, ob ein Wiederaufnahmegrund iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG vorliegt, rechtlicher Natur.
Ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde Antragsteller auch nicht gestellt. Dem Entfall der Verhandlung stehen im Ergebnis weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen (vgl. VwGH 07.08.2017, Ra 2016/08/0140).
3.3. Der Antragsteller stellte mit undatierter Eingabe, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 02.10.2020, den auf § 69 Abs. 1 Z 2 AVG gestützten Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2020, W260 2178715-1/28E, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens.
Ausgehend von der Einlassung des Antragstellers, wonach er erst Ende September 2020 Kenntnis über die nunmehr vorgelegten Beweismittel, welche ihm von seiner Mutter aus Afghanistan postalisch übermittelt worden seien, erlangt habe, ist die in hier richtigerweise anzuwendenden Bestimmung des § 32 Abs. 2 VwGVG geforderte Frist von zwei Wochen ab Kenntniserlangung des Wiederaufnahmegrundes erfüllt, weshalb der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als rechtzeitig eingebracht anzusehen ist.
3.4. In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 der Beilagen, XXIV. GP) wurde festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen aufgrund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.
In diesem Sinne sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 28.06.2016, Ra 2015/10/0136, aus, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet sind und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden kann.
3.5. Der gegenständliche Antrag zielt darauf ab, das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2020 rechtskräftig abgeschlossene Verfahren aufgrund neuer Tatsachen bzw. Beweismittel iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG wiederaufzunehmen.
Nach ständiger - auf § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG übertragbarer - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG nur auf solche Tatsachen d.h. Geschehnisse im Seinsbereich (vgl. VwGH 15.12.1994, 93/09/0434; 04.09.2003, 2000/17/0024) oder Beweismittel, d.h. Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen (vgl. VwGH 16.11.2004, 2000/17/0022; 24.04.2007, 2005/11/0127), gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten.
Es muss sich also um Tatsachen und Beweismittel handeln, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde ("nova reperta"), nicht aber um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel ("nova producta" bzw. "nova causa superveniens").
Neu entstandene Tatsachen, also Änderungen des Sachverhalts nach Abschluss des Verfahrens, erübrigen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, weil in diesem Fall einem Antrag auf der Basis des geänderten Sachverhalts die Rechtskraft des bereits erlassenen Bescheides nicht entgegensteht.
Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung über einen Asylantrag eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag (auf internationalen Schutz) zu stellen (vgl. dazu VwGH 19.02.1992, 90/12/0224 ua; 25.10.1994, 93/08/0123; 25.11.1994, 94/19/0145; 18.12.1996, 95/20/0672; 07.04.2000, 96/19/2240; 20.06.2001, 95/08/0036; 17.02.2006, 2006/18/0031).
3.6. Aus dem vorliegenden Wiederaufnahmeantrag geht zusammengefasst vor, dass das Bundesverwaltungsgericht bei Berücksichtigung der vom Antragsteller nun beigebrachten Beweismittel wie einer Kopie des Dienstausweises der Hilfsorganisation XXXX und einer Anzeigebestätigung samt Übersetzung, welche der Vater des Beschwerdeführers nach dessen Ausreise, konkret im Jahr 1399 (entspricht dem Jahr 2020), erstattet hätte, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Erkenntnis gekommen wäre.
Dem kann nicht gefolgt werden:
3.6.1. Die vom Beschwerdeführer in Übersetzung vorgelegte Anzeigebestätigung wurde erst nach Abschluss des hg. Verfahrens vom Vater des Beschwerdeführers erstattet.
Es liegt somit eine vorgebrachte Sachverhaltsänderung vor, die nach der Entscheidung über den Asylantrag des Einschreiters vom 30.10.2015 neu eingetreten ist. Es wäre sohin kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag (auf internationalen Schutz) zu stellen.
3.6.2. Der Antragsteller bringt im verfahrensgegenständlichen Antrag vor, dass das Gericht die Tätigkeit des Antragstellers für eine humanitäre Organisation als nicht glaubwürdig erachtete und legt eine Kopie seines Dienstausweises der Organisation „ XXXX “ vor.
Aufgrund dieses Beweismittels wäre nunmehr deutlich, dass er richtigerweise sehr wohl für diese Organisation in der Provinz Faryab gearbeitet und einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgesetzt gewesen sei. Bei entsprechender Würdigung dieses Beweismittels wäre das Gericht zu dem Schluss gelangt, dass dem Antragsteller im Vorverfahren der Status des Asylberechtigten zu gewähren gewesen sei, insbesondere auch, da nun seine Familie verbal bedroht und auch körperlich gegen seinen Vater vorgegangen worden sei, was die Anzeigebestätigung belegen würde. Es sei jedoch noch unklar, wer die Täter gewesen seien, es werde jedoch angenommen, dass diese Täter Verbindungen zu den Taliban hätten.
3.6.3. Auch dieses Vorbringen ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht geeignet, dem Wiederaufnahmeantrag zu begründen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat entgegen dem Vorbringen des Antragstellers in den Feststellungen und der Beweiswürdigung des Erkenntnisses vom 06.08.2020 ausgeführt, dass der Beschwerdeführer für eine Hilfsorganisation gearbeitet hat, verneinte jedoch eine damit im Zusammenhang stehende Bedrohung oder Suche durch die Taliban.
Auch der nunmehr vorgelegte Dienstausweis und die Anzeigebestätigung führen auch bei Würdigung zu keinem anderen Ergebnis, zumal sich das Bundesverwaltungsgericht in der Beweiswürdigung auch mit der im Vorverfahren vorgelegten Arbeitsbestätigung auseinandergesetzt hat (vgl. Erkenntnis vom 06.08.2020, W260 2178715-1/28E, Seite 23), eine Bedrohung durch die Taliban als nicht glaubwürdig erachtete, zumal der Beschwerdeführer auch seine Tätigkeit für die Hilfsorganisation vor seiner Ausreise eingestellt hatte.
Eine nun hervorgekommene Bedrohung durch die Taliban kann selbst bei Wahrunterstellung der Anzeigebestätigung nicht erkannt werden, zumal, wie es der Antragsteller selbst ausführt, unklar ist, wer den angeblichen körperlichen Angriff auf seinen Vater und die verbalen Bedrohungen ausgesprochen haben soll.
Der Antragsteller führt in seinem Antrag unter Punkt 1. weiters aus, dass er die Stadt Mazar-e Sharif, entgegen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes, lediglich 1-2 mal besucht hätte. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden, hat der Beschwerdeführer doch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 27.07.2018 auf die Frage wo er 12 Jahre lang die Schule besucht hat, angegeben, dass er in Mazar-e Sharif die Schule besucht hat (vgl. Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 27.07.2018, GZ W260 2178715-1/9Z, Seite 10). Eine Relevanz dieses scheinbaren Wiederspruches ist aus Sicht des erkennenden Richters nicht gegeben und erübrigt sich eine mündliche Erörterung zu diesen Ausführungen.
3.7. Da die Sachlage aufgrund des vom Antragsteller in seinem Wiederaufnahmeantrag erstatteten Vorbringens in Verbindung mit den vorgelegten Beweismitteln als geklärt erscheint, konnte eine mündliche Erörterung der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.
Im vorliegenden Fall liegen keine widersprechenden prozessrelevanten Behauptungen vor, die es erforderlich machen würden, dass sich das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien verschafft. Vielmehr ist die hier zu beantwortende Frage, ob ein Wiederaufnahmegrund iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG vorliegt, rechtlicher Natur.
3.8. Der Antrag auf Wiederaufnahme des im Spruch genannten Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht war sohin als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
neu entstandene Tatsache nova producta Voraussetzungen Wiederaufnahme Wiederaufnahmeantrag WiederaufnahmegrundEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W260.2178715.2.00Im RIS seit
14.01.2021Zuletzt aktualisiert am
14.01.2021