TE Lvwg Erkenntnis 2020/11/30 LVwG-2020/45/1894-3

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Veröffentlicht am 30.11.2020
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Entscheidungsdatum

30.11.2020

Index

L92007 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Tirol;
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

MSG Tir 2010 §17 Abs1
MSG Tir 2010 §30 Abs2
ZustG §9 Abs3

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Dr.in Stemmer über die Beschwerde 1. des Herrn AA und 2. der Frau BB, beide vertreten durch Rechtsanwalt CC, Adresse 1, **** Z, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Z vom 20.07.2020, Zl ***, betreffend eine Angelegenheit nach dem Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG), nach Beschwerdevorentscheidung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Z vom 19.08.2020, Zl ***, aufgrund des Vorlageantrages,

zu Recht:

1.       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Z vom 20.07.2020, Zl ***, wurden über Mindestsicherungsantrag vom 20.07.2020 den Beschwerdeführern im Zeitraum 01.08.2020 bis 31.08.2020 Leistungen nach dem Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG) zuerkannt – konkret gemäß §§ 5 und 9 TMSG Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe des jeweils vollen Richtsatzes von Euro 516,-- sowie gemäß § 6 TMSG Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfes in Höhe von Euro 502,--. Für eine Weitergewährung der Mindestsicherung über August 2020 hinaus wurden die Beschwerdeführer mittels Auflage aufgefordert und ermahnt, eine außergerichtliche bzw schriftliche Vereinbarung von Unterhaltszahlungen ihrer beiden Kinder (samt Unterschrift) in Kopie vorzulegen. Ergänzend führte die belangte Behörde aus, dass der Sohn der Beschwerdeführer ein sehr hohes Einkommens von Euro 2.108,19 habe und daher Unterhaltszahlungen erst ab Euro 250,-- von Seiten der Behörde akzeptiert würden. Da die Tochter ein geringeres Einkommen erhalte (Euro 1.100,--) würden Unterhaltszahlungen von ca Euro 100,-- akzeptiert. Falls die Beschwerdeführer dieser Auflage nicht nachkommen sollten, würde als nächster Schritt die Auflage ergehen, den Unterhalt beim Bezirksgericht geltend zu machen.

Gegen diesen Bescheid haben die beiden Beschwerdeführer, beide rechtfreundlich vertreten, firstgerecht Beschwerde erhoben und darin im Wesentlichen ausgeführt, dass die Aufnahme von Auflagen nach dem TMSG nicht zulässig sei. Die Verpflichtung, eine außergerichtliche bzw schriftliche Vereinbarung von Unterhaltszahlungen ihrer beiden Kinder beizubringen sei von Gesetzes wegen nicht vorgesehen und damit gesetzlich unzulässig. Unzulässig sei es des Weiteren, den beiden Beschwerdeführern anzudrohen, als nächsten Schritt die Auflage zu erteilen, den Unterhalt gegenüber ihren beiden Kindern beim Bezirksgericht geltend zu machen. Eine Auflage sei nach allgemeinem Verwaltungsrechtsverständnis eine pflichtbegründende Nebenbestimmung eines an sich begünstigenden Verwaltungsaktes, die auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen gerichtet sei. In rechtstechnischer Hinsicht bedeute dies, dass die bescheidmäßig verfügte Begünstigung mit einer speziellen Belastung verknüpft werde. Wesentlich sei, dass der Verwaltungsakt auch dann rechtswirksam werde, wenn die Auflage nicht erfüllt werde. Die Aufnahme von Nebenstimmungen in einen Bescheid sei zufolge des Legalitätsprinzips nur dort zulässig, wo solche im Gesetz ausdrücklich vorgesehen sei. Die Einhaltung der gegenständlichen Auflage könne im Fall der Nichtbefolgung ebenso wenig erzwungen werden wie die angedrohte Aufforderung zur Geltendmachung des Unterhaltes beim Bezirksgericht. Da eine Auflage als solche auch vollstreckbar sein müsse, um als solche Aufnahme in einen Bescheid finden und Gültigkeit erlangen zu können, sei die Beifügung der hier beanstandeten Auflage schon aus diesem Grund unzulässig und habe zu entfallen. Zudem sei sie vom TMSG nicht gedeckt. Es könne keinesfalls so sein, dass die Hilfesuchenden auf der Grundlage der Bestimmungen des § 30 TMSG iVm § 1 Abs 5 TMSG und des § 17 Abs 1 TMSG dazu verbunden seien oder gar verpflichtet werden könnten, Schritte gegen Verwandte zu setzen, die gemeinhin als moralisch verwerflich anzusehen und im sozialen Kontext verpönt seien. Es sei in der Regel sowohl Eltern als auch Kindern nicht zumutbar, einen Prozess gegen Angehörige anzustreben. Vor Gericht zu gehen und die eigenen Eltern bzw die eigenen Kinder auf Unterhalt zu klagen, bedeute in den meisten Fällen, die zwischenmenschliche Beziehung zu diesen zur Gänze zu gefährden bzw diese doch langfristig und in erheblichem Maße zu beeinträchtigen. Dies gelte umso mehr, wenn die Hilfesuchenden aus einem Land stammten, in dem eine Klage der Eltern gegenüber den Kindern aufgrund der besonderen Bedeutung der familiären Strukturen ebenso ausgeschlossen sei wie eine Klage der Kinder gegenüber den Eltern. Auf die Frage der Zumutbarkeit einer solchen Rechtsverfolgungspflicht sei seitens der belangten Behörde überhaupt nicht eingegangen worden. Eine Prüfung der konkreten Lebensverhältnisse der beiden Beschwerdeführer und ihrer Familienangehörigen habe gegenständlich nicht stattgefunden. Bei der Frage der Zulässigkeit der bekämpften Auflage handle es sich nach Ansicht der beiden Beschwerdeführer um eine reine Rechtsfrage, sodass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung für entbehrlich erachtet werde. Die Beschwerdeführer stellten abschließend den Antrag, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass die im Spruch enthaltene Auflage an die beiden Beschwerdeführer ersatzlos aufgehoben wird.

Mit Beschwerdevorentscheidung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Z vom 19.08.2020, Zl ***, wurde die angefochtene Auflage betreffend die beiden Beschwerdeführer wie folgt abgeändert: „Für eine Weitergewährung der Mindestsicherung über August 2020 hinaus, werden Sie aufgefordert und ermahnt, eine schriftliche Vereinbarung über Unterhaltszahlungen an Sie und Ihre Ehefrau, Frau BB, in angemessener Höhe mit Ihren beiden Kindern, Herrn DD und Frau EE, zu treffen und vorzulegen. Falls Sie dieser Auflage nicht nachkommen sollten, ergeht als nächster Schritt die Auflage an Sie, den Unterhalt beim Bezirksgericht geltend zu machen.“ Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 21.08.2020 anlässlich einer Vorsprache bei der belangten Behörde persönlich ausgehändigt. Er hat diese Entscheidung nachfolgend seinem Rechtsvertreter in dessen Kanzlei übergeben (vgl Eingabe vom 25.11.2020, OZ 2).

Mit Schriftsatz vom 26.08.2020 haben die beiden Beschwerdeführer, vertreten durch ihren Rechtsanwalt, fristgerecht einen Vorlageantrag gemäß § 15 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) gestellt.

Zur Klärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes wurde Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den verwaltungsbehördlichen Akt sowie in den verfahrensgegenständlichen Akt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol und den Akt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol zu Zahl ***. Von der Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs 4 VwGVG abgesehen werden. Laut dieser Bestimmung kann, soweit durch Bundes- und Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtsache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Artikel 6 Abs 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, noch Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Keine Partei hat einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt. Die Beschwerdeführer wurden in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides darauf hingewiesen, dass sie in der Beschwerde die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung beantragen können. Sie haben keinen derartigen Antrag gestellt und in der Beschwerde ausgeführt, dass gegenständlich allein eine Rechtsfrage zu behandeln sei, sodass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung für entbehrlich erachtet werde. Für das Landesverwaltungsgericht steht der Sachverhalt aufgrund der vorliegenden Aktenlage fest und ist dieser nicht strittig.

II.      Sachverhalt:

Der am xx.xx.xxxx geborene Beschwerdeführer und die am xx.xx.xxxx geborene Beschwerdeführerin sind österreichische Staatsbürger. Sie wohnen in einer Mietwohnung in **** Z. Beide beziehen laufend Leistungen der Mindestsicherung (bislang ohne Kürzungen). Am 13.07.2020 hat der Beschwerdeführer sowohl für sich als auch für die Beschwerdeführerin den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Mindestsicherung gestellt.

Das Ehepaar hat zwei Kinder, den am xx.xx.xxxx geborenen Sohn DD sowie die am xx.xx.xxxx geborene Tochter EE. Beide Kinder, ebenfalls österreichische Staatsbürger, sind erwerbstätig. Der Sohn arbeitet Vollzeit an der Universität Z und bezieht ein durchschnittliches Einkommen von Euro 2.459,56 (monatliches Einkommen von 2.108,19*14/12). Die Tochter ist bei der FF beschäftigt und bezieht dort ein durchschnittliches Einkommen von Euro 1.238,94 (monatliches Nettoeinkommen von Euro 1.061,95*14/12). Seit dem 01.08.2020 ist sie zusätzlich geringfügig bei der GG beschäftigt und verdient dort Euro 436,43. Beide Kinder leben jeweils alleine in einem Haushalt im selben Haus wie die Beschwerdeführer und haben keine sonstigen familiären Verpflichtungen oder Unterhaltszahlungen zu leisten. Die Beschwerdeführer haben ihre Kinder in der Vergangenheit immer unterstützt.

III.     Beweiswürdigung:

Dieser Sachverhalt ergibt sich in unzweifelhafter Weise aus der dem Landesverwaltungsgericht vorliegenden Aktenlage und ist im Übrigen nicht strittig. Dass der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag für sich und seine Ehegattin (die nunmehrige Beschwerdeführerin) gestellt hat, ergibt sich aus seinem Vorbringen in der Beschwerde.

Die festgestellten Einkommen der Kinder ergeben sich aus im Akt einliegenden Bezugsnachweisen. Dass beide Kinder keine sonstigen familiären Verpflichtungen oder Unterhaltszahlungen zu leisten haben und die Beschwerdeführer ihre Kinder immer unterstützt haben, ergibt sich aus der im angefochtenen Bescheid angeführten persönlichen Vorsprache vom 14.08.2020, die im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels nicht bestritten wurde. Darüber hinaus haben die Beschwerdeführer kein weiteres Vorbringen erstattet, aus dem sich sonstige Verpflichtungen der beiden Kinder bzw allfällige Ermittlungsansätze in dieser Hinsicht ergeben würden.

IV.      Rechtslage:

Die verfahrensgegenständlich relevanten Bestimmungen des Tiroler Mindestsicherungsgesetzes (TMSG), LGBl Nr 99/2010 idF LGBl Nr 138/2019, lauten wie folgt:

㤠1

Ziel, Grundsätze

[…]

(4) Leistungen der Mindestsicherung sind so weit zu gewähren, als der jeweilige Bedarf nicht durch den Einsatz eigener Mittel und Kräfte sowie durch Leistungen Dritter gedeckt werden kann. Dabei sind auch Hilfeleistungen, die nach anderen landesrechtlichen oder nach bundesrechtlichen oder ausländischen Vorschriften in Anspruch genommen werden können, zu berücksichtigen.

(5) Mindestsicherung ist unter möglichst geringer Einflussnahme auf die Lebensverhältnisse des Mindestsicherungsbeziehers und seiner Familienangehörigen zu gewähren. Sie soll den Mindestsicherungsbezieher zur Selbsthilfe befähigen und so eine nachhaltige Beseitigung der Notlage ermöglichen.

[…]

§ 17

Verfolgung von Ansprüchen gegenüber Dritten

(1) Vor der Gewährung von Mindestsicherung hat der Hilfesuchende öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Ansprüche auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen gegen Dritte zu verfolgen, soweit dies nicht offensichtlich aussichtslos oder unzumutbar ist.

(2) Mindestsicherung ist unbeschadet der Verpflichtung nach Abs 1 als Vorausleistung zu gewähren, wenn der Hilfesuchende bis zur tatsächlichen Durchsetzung seiner Ansprüche anspruchsberechtigt im Sinn dieses Gesetzes ist. Die unmittelbar erforderliche Bedarfsdeckung ist jedenfalls zu gewährleisten.

§ 19

Kürzung von Leistungen

(1) Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 5 kann gekürzt werden, wenn der Mindestsicherungsbezieher

[…]

c)       seine Ansprüche gegenüber Dritten nicht in zumutbarer Weise verfolgt,

[…]

Die Kürzung ist der Höhe nach mit 66 v. H. des jeweiligen Mindestsatzes nach § 5 begrenzt; sie darf nur stufenweise vorgenommen werden. Eine Kürzung aufgrund der Nichterbringung eines Erfolgsnachweises nach lit. f oder g darf nicht erfolgen, wenn dem Mindestsicherungsbezieher die Erbringung dieses Nachweises insbesondere aufgrund seines Alters, seines physischen oder psychischen Gesundheitszustandes oder seines Bildungsstandes nicht möglich oder zumutbar ist.

[…]

§ 30

Bescheide, Erledigungen

[…]

(2) Ist über die Gewährung von Leistungen der Mindestsicherung im Verwaltungsweg zu entscheiden, so ist ein Bescheid jedenfalls zu erlassen, wenn

a)       die Leistung nicht oder nicht vollständig gewährt wird oder

b)       der Antragsteller dies begehrt.

Andernfalls kann die Behörde von der Erlassung eines Bescheides absehen. In diesem Fall kann die Erlassung eines Bescheides innerhalb eines Jahres vom Tag der Mitteilung der Entscheidung an verlangt werden. Bescheide sind schriftlich zu erlassen. Bescheide können befristet, mit Auflagen oder unter Bedingungen erlassen werden, soweit dies zur Erreichung des Zieles und zur Durchsetzung der Grundsätze der Mindestsicherung (§ 1) erforderlich ist.

[…]“

V.       Erwägungen:

1. Zur Zustellung

Beide Beschwerdeführer haben im gegenständlichen Verfahren Beschwerde durch einen Rechtsanwalt erhoben. Die verfahrensgegenständliche Beschwerdevorentscheidung vom 19.08.2020 wurde allerdings nicht gegenüber dem Rechtsvertreter erlassen, sondern dem Beschwerdeführer persönlich anlässlich einer Vorsprache übergeben. Eine Nachfrage des Landesverwaltungsgerichts vom 16.11.2020 (OZ 1) hat ergeben, dass der Beschwerdeführer die Entscheidung nachfolgend dem Rechtsvertreter in dessen Kanzlei übergeben hat (OZ 2).

Im Fall des Bestehens einer wirksamen Vollmacht hat sich die Behörde an den Vertreter zu wenden, also alle Verfahrensakte mit Wirkung für die Partei diesem gegenüber zu setzen. Dem Bevollmächtigten sind alle Schriftstücke bei sonstiger Unwirksamkeit zuzustellen und dieser ist als Empfänger zu bezeichnen (vgl VwGH vom 27.05.2009, 2009/21/0014; VwGH vom 28.08.2008, 2008/22/0607). Überdies gilt: Beruft sich ein Rechtsanwalt gemäß § 8 Abs 1 RAO auf die ihm erteilte Vollmacht, so zeigt er damit der Behörde auch die für die betreffende Sache erteilte Zustellvollmacht an, ohne dass es noch einer besonderen Erwähnung oder eines urkundlichen Nachweises derselben bedürfte (vgl ua VwGH vom 25.10.1994, 94/14/0104).

Ist eine Person, für die das zuzustellende Dokument inhaltlich bestimmt ist (Empfänger im materiellen Sinn), durch eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person vertreten, so ist deren Kanzlei ausschließliche Abgabestelle. In einer solchen Konstellation ist der berufsmäßige Parteienvertreter Empfänger (im formellen Sinn) nach § 2 Z 1 ZustG. Die Beschwerdeführer waren im anhängigen Verfahren wie festgestellt durch einen Rechtsanwalt vertreten. In Widerspruch zu § 9 Abs 3 ZustG wurden jedoch in der Zustellverfügung des angefochtenen Bescheides die Beschwerdeführer als Empfänger (im formellen Sinn) nach § 2 Z 1 ZustG genannt und der Bescheid dem Beschwerdeführer bei einer persönlichen Vorsprache ausgehändigt. Eine Heilung des Zustellmangels gemäß § 9 Abs 3 ZustG tritt nur dann ein, wenn dem Zustellbevollmächtigten das konkrete Dokument im Original tatsächlich (körperlich) zukommt (vgl VwGH 11.11.2013, Zl 2012/22/0120, mit Hinweisen auf die Judikatur). Das ist im konkreten Fall durch die Übergabe in der Kanzlei des Rechtsvertreters erfolgt, sodass der Zustellmangel iSd § 9 Abs 3 ZustG geheilt ist.

2. Zur Sache

Die beiden Beschwerdeführer bekämpfen mit der verfahrensgegenständlichen Beschwerde ausschließlich die ihnen erteilte Auflage, Unterhaltsansprüche gegenüber ihren Kindern zu verfolgen. Verfahrensgegenständlich war somit ausschließlich diese Auflage, im Übrigen – insbesondere hinsichtlich der zuerkannten Mindestsicherungsleistungen – ist der Bescheid in Rechtskraft erwachsen.

Grundsätzlich gilt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Beisetzung einer Nebenbestimmung eines Verwaltungsaktes nur dann zulässig ist, wenn dies das Gesetz bestimmt. Eine Auflage kommt daher nur dann in Frage, wenn dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen oder mit dem Sinn der zu treffenden Hauptentscheidung in untrennbarer Weise verbunden ist oder dem Antrag der Partei entspricht (vgl ua VwGH 27.02.2020, Ra 2019/10/0032 mwN).

Gemäß § 30 Abs 2 TMSG können Bescheide befristet, mit Auflagen oder unter Bedingungen erlassen werden, soweit dies zur Erreichung des Zieles und zur Durchsetzung der Grundsätze der Mindestsicherung (§ 1) erforderlich ist. Das TMSG sieht somit die gesetzliche Möglichkeit einer Auflage vor – unter der Einschränkung, dass dies zur Erreichung der Ziele und Grundsätze des TMSG (§ 1) erforderlich ist. § 1 TMSG normiert in seinem Abs 4 den dem gesamten Mindestsicherungsrecht innewohnenden Grundsatz der Subsidiarität: Demnach sind Leistungen der Mindestsicherung so weit zu gewähren, als der jeweilige Bedarf nicht durch den Einsatz eigener Mittel und Kräfte sowie durch Leistungen Dritter gedeckt werden kann.

§ 17 Abs 1 TMSG normiert hinsichtlich der in § 1 Abs 4 TMSG angeführten „Leistungen Dritter“, dass vor der Gewährung von Mindestsicherung der Hilfesuchende öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Ansprüche auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen gegen Dritte zu verfolgen hat, soweit dies nicht offensichtlich aussichtslos oder unzumutbar ist. Zu diesen privatrechtlichen Ansprüchen gehören jedenfalls auch allfällige Unterhaltspflichten aus dem Bereich Familienrecht: Beim Unterhaltsanspruch von Eltern gegen Kinder gemäß § 143 ABGB [Anmerkung nunmehr § 234 ABGB] handelt es sich um einen privatrechtlichen Anspruch auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen im Sinn von § 17 Abs. 1 TMSG. Einen solchen Anspruch hat ein Hilfesuchender daher zu verfolgen, soweit das nicht offensichtlich aussichtslos oder unzumutbar ist. (vgl VwGH 23.10.2012, 2011/10/0201).

Vor diesem Hintergrund hat das Landesverwaltungsgericht Tirol in seiner Judikatur klargestellt, dass in diesem Zusammenhang die Vorschreibung einer Auflage, diesen Anspruch iSd § 17 Abs 1 TMSG geltend zu machen, im Lichte des § 30 Abs 2 TMSG grundsätzlich zulässig ist (vgl LVwG Tirol vom 12.06.2019, LVwG-***; vgl in diesem Zusammenhang überdies LVwG-***).

Umstände, die eine Verfolgung der Ansprüche aussichtslos oder unzumutbar machen würden, sind im anhängigen Verfahren nicht zutage getreten. Beide Kinder verfügen wie festgestellt über regelmäßige Einkommen. Die Beschwerdeführer haben keine sonstigen Verpflichtungen der Kinder vorgebracht und angegeben, dass sie selbst ihre Kinder in der Vergangenheit immer unterstützt haben. Dem Vorbringen der Beschwerdeführer, dass sie aus einem Land stammten, in dem eine Klage der Eltern gegenüber den Kindern aufgrund der besonderen Bedeutung der familiären Strukturen ausgeschlossen sei, ist die österreichische Rechtslage, die gegenständlich zur Anwendung gelangt, entgegen zu halten. Zudem sind sowohl die beiden Beschwerdeführer als auch ihre beiden Kinder österreichische Staatsbürger. Das Landesverwaltungsgericht Tirol verkennt nicht, dass eine Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegenüber Kindern für Eltern schwierig ist und eine gewisse familiäre Belastung darstellt. Nichts desto trotz hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass derartige Ansprüche geltend zu machen sind. Insofern kann von einer offensichtlichen Unzumutbarkeit im Sinne des § 17 Abs 1 TMSG nicht gesprochen werden. Inwiefern die Verfolgung unterhaltsrechtlicher Ansprüche von vornherein aussichtslos wäre, wurde von den Beschwerdeführern in ihrer Beschwerde nicht näher dargetan und kann auf Grundlage des vorgelegten Aktes auch nicht erkannt werden.

Im Ergebnis war daher die Vorschreibung der Auflage auf Grundlage des § 30 Abs 2 TMSG gerechtfertigt, da sie dem Ziel der Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips gemäß § 1 Abs 4 TMSG dient und den Beschwerdeführern gleichzeitig nochmals ausdrücklich ihre Verpflichtungen nach dem Mindestsicherungsgesetz – konkret jene zur Verfolgung von Ansprüchen gegenüber Dritten nach § 17 Abs 1 TMSG – aufzeigt.

Im Übrigen werden die Beschwerdeführer auch durch die Vorschreibung der Auflage nicht zu einem Tun oder Unterlassen verpflichtet, das über die ihnen bereits gesetzlich auferlegten Obliegenheiten hinausgeht. Der Auflage kommt damit keine weitere normative Bedeutung zu, wären die Beschwerdeführer doch selbst bei ihrer Übertretung nicht anders gestellt als wenn diese den Beschwerdeführern nicht auferlegt worden wäre – dies zumal im vorliegenden Fall eine Kürzung der Ansprüche im Sinne des § 19 Abs 1 lit c TMSG tatsächlich noch nicht erfolgt ist. Insofern ist für das Landesverwaltungsgericht auch eine konkrete Beschwer durch die erteilte Auflage nicht ersichtlich.

VI.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr.in Stemmer

(Richterin)

Schlagworte

Zulässigkeit einer Auflage;
Unterhaltsansprüche gegenüber Kindern gerichtlich zu verfolgen;
Verfolgung nicht offensichtlich aussichtlos oder unzumutbar

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2020.45.1894.3

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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