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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde 1.) des V, 2.) der Y, 3.) der mj. D, und 4.) des mj. E, alle in B, die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer vertreten durch den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin, diese vertreten durch Mag. G, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 9. Dezember 1996, Zl. Ia 370-112/95, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 9. Dezember 1996 wurde der Antrag des Erstbeschwerdeführers vom 6. März 1995 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft "gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985", BGBl. Nr. 311 (StbG), und die Anträge der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien auf Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft vom 6. März 1995 "gemäß §§ 16, 17 und 18 StbG" abgewiesen.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Erstbeschwerdeführer habe den ununterbrochenen Hauptwohnsitz seit 1. Juli 1974 in Österreich nachgewiesen. Nach seinen Angaben halte er sich bereits seit 1971 in Österreich auf. Von 1971 bis 1974 sei jedoch keine Anmeldung erfolgt. Er sei seit 2. August 1987 mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer seien die minderjährigen, aus dieser Ehe entstammenden Kinder.
Der Erstbeschwerdeführer sei am 1. Mai 1985 vom Gendarmerieposten L wegen Vergehens der Körperverletzung angezeigt worden, da er im Zuge eines Streites einem Kontrahenten mit einem Messer Schnitte an der linken Wange und am linken Unterarm zugefügt habe. Das Verfahren sei vom Bezirksgericht D in Anwendung des § 12 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz (JGG) eingestellt worden. Er sei im Sommer 1986 vom Gendarmerieposten D wegen
13 Einbruchsdiebstählen (Aufbrechen der Münzbüchsen an Zeitungsständen), 5 Diebstählen aus Pkw"s und wegen eines Leergutdiebstahls angezeigt worden. Das Landesgericht F habe ihn mit Urteil vom 2. Oktober 1986 für schuldig erkannt, diese Verbrechen und Vergehen begangen zu haben. Gemäß § 13 JGG sei der Ausspruch über die verwirkte Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorläufig aufgeschoben worden. Der Erstbeschwerdeführer sei außerdem von der Bezirkshauptmannschaft B wie folgt rechtskräftig bestraft worden:
"Bescheid vom 5.10.1994, Zl. X-25895-1994, wegen Übertretungen nach den §§ 20 Abs. 2 und 99/3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 1.150,-- (Geschwindigkeitsüberschreitung);
Bescheid vom 4.7.1995, Zl. X-15585-1995, wegen Übertretung nach § 103 Abs. 2 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 200,--;
Bescheid vom 10.1.1996, Zl. X-32952-1995, wegen Übertretungen nach den §§ 9 Abs. 1 und 99/3 lit. a StVO zu einer Geldstrafe von S 600,--;
Bescheid vom 11.6.1996, Zl. X-11231-1996, wegen Übertretungen nach den §§ 24/1 lit. a und 99/3 lit. a StVO zu einer Geldstrafe von S 300,--."
Bei den gerichtlich strafbaren Handlungen habe es sich um massive, vorsätzlich begangene Verstöße, sowohl gegen die körperliche Sicherheit als auch gegen fremdes Vermögen gehandelt. Besonders verwerflich sei auch die überaus hohe Anzahl der Angriffshandlungen. Aufgrund des jugendlichen Alters seien die Bestimmungen des JGG zur Anwendung gelangt. Die strafbaren Handlungen lägen zwar schon lange zurück, von 1994 bis 1996 habe der Erstbeschwerdeführer aber neuerlich viermal rechtskräftig durch die Bezirkshauptmannschaft B bestraft werden müssen. Dies zeige, daß er immer wieder gegen die Rechtsordnung verstoßen habe. Die Handlungen, die zu den letzten drei genannten Verwaltungsstrafen geführt hätten, habe er außerdem gesetzt, nachdem er bereits um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft angesucht habe. Die Schwere der gerichtlich strafbaren Taten (Attacke mit einem Messer bzw. Aufbrechen von Münzbüchsen), vor allem aber die Häufigkeit der gerichtlich strafbaren Fakten und jetzt erneut die Bestrafungen durch die Bezirkshauptmannschaft B zeigten, daß der Erstbeschwerdeführer offensichtlich nicht gewillt sei, die österreichische Rechtsordnung zu beachten. Dieses Verhalten lasse den Schluß zu, daß er "möglicherweise auch in Zukunft wesentliche, zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Sicherheit sowie öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften mißachten" werde. Es könne derzeit nicht davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu bilden. Er erfülle daher die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG nicht.
In eventu begründete die belangte Behörde, selbst im Falle, daß nicht vom Fehlen einer Verleihungsvoraussetzung auszugehen wäre, käme gemäß § 11 StbG in Ausübung des der Behörde im § 10 StbG eingeräumten freien Ermessens bei Berücksichtigung des Umstandes, daß der Beschwerdeführer nach langjährigem Aufenthalt in Österreich weitgehend integriert sei, und der von ihm begangenen Straftaten die Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht in Betracht, weil das das öffentliche Interesse verletzende strafbare Verhalten des Beschwerdeführers schwerer wiege als der langjährige Aufenthalt mit der damit verbundenen Integration.
Da die Erstreckung der Verleihung nur gemeinsam mit der Verleihung selbst erfolgen könne, seien auch die Erstreckungsanträge der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien abzuweisen gewesen.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Erstbeschwerdeführer rügt die Verletzung des Parteiengehörs, ihm sei nach dem durchgeführten Ermittlungsverfahren keine Gelegenheit gegeben worden, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Abgesehen davon, daß dem Erstbeschwerdeführer mit Schreiben vom 21. Dezember 1995 und vom 18. Juni 1996 von der belangten Behörde Gelegenheit geboten wurde, in den Einbürgerungsakt Einsicht und zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen, dies vom Erstbeschwerdeführer aber nicht wahrgenommen wurde, bestreitet der Erstbeschwerdeführer weder die Richtigkeit der im angefochtenen Bescheid von der belangten Behörde angeführten strafbaren Handlungen noch bringt er in sachverhaltsmäßiger Hinsicht vor, was er im Verwaltungsverfahren vorgebracht hätte, sodaß - ungeachtet der Frage, ob der behauptete Verfahrensmangel überhaupt vorliegt - der Erstbeschwerdeführer jedenfalls die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dargetan hat. In inhaltlicher Sicht weist der Beschwerdeführer darauf hin, daß er sich seit 1986 wohlverhalten habe. Er habe elf Jahre lang unter Beweis gestellt, daß er der Republik Österreich gegenüber bejahend eingestellt sei und imstande sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Daran könnten die drei Übertretungen nach der Straßenverkehrsordnung bzw. eine Übertretung nach dem Kraftfahrgesetz nichts ändern, diese seien "eher geringfügiger Natur". In seinem Falle wäre eine positive Zukunftsprognose geboten. Zudem überwögen die aus seiner sozialen Integration sowie dem Aufenthalt seiner Gattin und seiner Kinder in Österreich resultierenden persönlichen und familiären Interessen die öffentlichen Interessen, weshalb auch eine Ermessensentscheidung im Sinne des § 11 StbG zu seinen Gunsten hätte erfolgen müssen.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG darf die österreichische Staatsbürgerschaft einem Fremden nur dann verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet. Bei der gemäß der angeführten Gesetzesstelle vorzunehmenden Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, welches durch das sich aus den von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt ist, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluß rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit erlassene Vorschriften mißachten. Dies ist - neben gerichtlich strafbaren Handlungen gegen die körperliche Unversehrtheit oder des Vermögens anderer - auch bei Verstößen gegen Schutznormen, die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienen, der Fall (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1997, Zl. 96/01/0694). Bei der auf dem Gesamtverhalten beruhenden Beurteilung der Persönlichkeit des Verleihungswerbers sind auch getilgte Verurteilungen zu berücksichtigen. Die belangte Behörde weist zu Recht darauf hin, daß die strafbaren Handlungen der Jahre 1985 und 1986 wegen ihrer Art, vorsätzlichen Tatbegehung und deren Häufigkeit grundsätzlich den Schluß darauf zulassen, daß der Erstbeschwerdeführer die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG nicht erfülle. Daran kann der Umstand nichts ändern, daß das erste Gerichtsverfahren in Anwendung des damals auf den Beschwerdeführer zutreffenden JGG eingestellt wurde, bzw. das zweite Gerichtsverfahren mit einem Schuldspruch ohne Strafe endete.
Zwar wendet der Beschwerdeführer grundsätzlich zu Recht ein, daß diese strafbaren Handlungen bereits elf Jahre zurückliegen. Er übersieht aber, daß auch Verwaltungsübertretungen, so sie die oben genannten Bedingungen erfüllen, in eine das Gesamtverhalten beurteilende Prognose im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG einzubeziehen sind. Zumindest die Bestrafung nach den §§ 20 Abs. 2 iVm 99 Abs. 3 lit. a StVO (Geschwindigkeitsüberschreitung), aber auch nach den §§ 9 Abs. 1 iVm 99 Abs. 3 lit. a StVO (Überfahren bzw. Befahren einer Sperrlinie bzw. Sperrfläche) erfolgte wegen Übertretung einer Schutznorm, die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs diente und ist nicht - wie der Erstbeschwerdeführer vermeint - "von eher geringfügiger Natur". Da sich der Erstbeschwerdeführer sohin nach der strafgerichtlichen Verurteilung nicht wohlverhalten in dem Sinne hat, daß er überhaupt keine strafbare Handlung mehr begangen hätte, ist es nicht rechtswidrig, daß die belangte Behörde aus seinem Gesamtverhalten den Schluß gezogen hat, der Erstbeschwerdeführer werde möglicherweise auch in Zukunft wesentliche, zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Sicherheit sowie öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften mißachten.
Der Erstbeschwerdeführer bringt vor, er stelle keinesfalls eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit dar. Damit verkennt der Erstbeschwerdeführer den Inhalt der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG. Denn im Gegensatz zu etwa das Aufenthaltsrecht von Fremden in Österreich regelnden Vorschriften, welche darauf abstellen, daß bestimmte Tatsachen vorliegen müssen, aufgrund derer die Annahme gerechtfertigt sei, daß ein Fremder die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden werde (vgl. z.B. § 10 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz), enthält § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG die Formulierung, daß der Einbürgerungswerber Gewähr (d.h. nach Duden, Wörterbuch der deutschen Sprache: Sicherheit, Bürgschaft) dafür bieten müsse, daß er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet. Das StbG normiert damit einen gegenüber dem Einbürgerungswerber strengeren Maßstab als das Fremdengesetz. Tathandlungen, welche eine konkrete Gefährdungsprognose im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht zuließen, können durchaus den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG erfüllen.
Die belangte Behörde geht daher zu Recht davon aus, daß sie dem Erstbeschwerdeführer, welcher sich nach Begehung schwerer gerichtlicher Straftaten längere Zeit wohlverhalten hat, jedoch anschließend verwaltungsstrafrechtlich zu ahndende Handlungen zuschulden kommen ließ, in Hinsicht auf § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG entgegenhält, daß er keine Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bilden.
Liegt aber eine Verleihungsvoraussetzung nicht vor, so bleibt kein Raum für das - erst bei Erfüllung aller in § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 StbG normierten Voraussetzungen - einsetzende Ermessen des § 11 StbG. Aus diesem Grund braucht auf die Eventualbegründung der belangten Behörde und die dagegen erhobenen Einwendungen nicht eingegangen zu werden.
Da die unter den Voraussetzungen des § 16 StbG (für die Ehegattin) und des § 17 StbG (für die Kinder) zu gewährende Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 18 StbG nur gleichzeitig mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft und nur mit demselben Erwerbungszeitpunkt verfügt werden darf, hat die belangte Behörde auch die Anträge der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien auf Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft zu Recht abgewiesen.
Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997010123.X00Im RIS seit
20.11.2000