TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/29 W154 2236340-1

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Veröffentlicht am 29.10.2020
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Entscheidungsdatum

29.10.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
FPG §76 Abs3
VwG-AufwErsV §1 Z3
VwG-AufwErsV §1 Z4
VwGVG §35 Abs3

Spruch

W154 2236340-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2020, Zahl: 389535905/200030195, sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 17.10.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 3 FPG wird festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

III. Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG i.V.m. § 1 Z. 3 und Z. 4 VwG-AufwErsV hat der Beschwerdeführer dem Bund Aufwendungen in Höhe von € 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde über den Beschwerdeführer (BF) gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der Bescheid wurde dem BF am 17.10.2020 durch persönliche Übergabe zugestellt.

Die belangte Behörde stützte die Fluchtgefahr dabei auf § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG und bezog des Weiteren ein, dass der BF mehrfach wegen Gewalt- und Vermögensdelikten rechtskräftig verurteilt worden sei sowie sich durch Untertauchen den Behörden entzogen habe. Der Sicherungsbedarf sei aufgrund des Gesamtverhaltens des BF zu bejahen gewesen. Verhältnismäßigkeit und Haftfähigkeit des BF stünden der Anhaltung in Schubhaft ebenfalls nicht entgegen. Die Anordnung eines gelinderen Mittels sei aufgrund der Mittellosigkeit des BF sowie in Anbetracht des vertrauensunwürdigen Verhaltens des BF in der Vergangenheit zu versagen gewesen.

Gegen den Bescheid, die Schubhaftanordnung sowie die fortdauernde Anhaltung in Schubhaft erhob der BF durch seine bevollmächtigte Vertretung am 23.10.2020 Beschwerde und begründete diese insbesondere mit dem Nichtvorliegen von Fluchtgefahr. Dies wurde damit begründet, dass die gesamte Kernfamilie und erweitere Familie des BF im Bundesgebiet wohnhaft sei. Darüber hinaus werde der BF durch Bekannte/Freundin finanziell unterstützt. Diesbezüglich wurde eine Frau näher benannt, bei der sich der BF im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft auch anmelden dürfe. Der BF habe im Verfahren auch mehrfach vorgebracht, freiwillig aus dem Bundesgebiet ausreisen zu wollen. Des Weiteren macht die Beschwerde Begründungsmängel im bekämpften Bescheid geltend und bestreitet, dass die Verhältnismäßigkeit im vorliegenden Fall nicht gegeben sei. Selbst bei Vorliegen von Fluchtgefahr hätte die Behörde die Sicherung der Abschiebung auch ohne Schubhaft in eventu durch ein gelinderes Mittel (Meldeverpflichtung, Unterkunftnahme in der Wohnung der „Lebensgefährtin“) erreicht werden können.

In der Beschwerde wurde beantragt, den bekämpften Bescheid zu beheben und auszusprechen, dass die Anordnung der Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft rechtswidrig erfolgt seien. In eventu wurde die Anordnung eines gelinderen Mittels beantragt. Des Weiteren wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes sowie die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt.

Am 23.10.2020 legte die belangte Behörde die Verwaltungsakten vor und erstattete in Folge eine Stellungnahme. Darin führte sie im Wesentlichen aus:

„Bemerkungen zum Verfahren:

?        Der Beschwerdeführer ist in Schubhaft.

?        Bf stellte Antrag auf Asyl am 03.10.2006.

?        Abweisung vom 12.06.2007 wg. Unglaubwürdigem Fluchtvorbringen des Vaters des Bf.

?        Zuerkennung subsidiärer Schutz durch Unabhängigen Bundesasylsenat vom 23.01.2008 da dem Vater des Bf wegen der Sicherheitslage in Tschetschenien subs. Status zuerkannt worden sei

?        Beschwerde an VwGH betr. Nichtzuerkennung Asylstatus – Aufhebung mit Erkenntnis vom 30.03.2010

?        Fortgesetztes Verfahren vor dem Asylgerichtshof u. Zurückziehung der Beschwerde zum Internationalen Schutz - Bescheid Bundesasylamt vom 12.06.2007 rechtskräftig

?        Jeweils Verlängerung Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter – zuletzt mit Bescheid vom 22.01.2016 verlängert bis zum 23.01.2018

?        Aberkennungsbescheid subs. Schutz v. 20.12.2017 gem. § 9 Abs. 1 AsylG 2005 und Rückkehrentscheidung sowie Erlassung eines auf die Dauer von 10 Jahren befristeten Einreiseverbotes - rk. 16.11.2019 nach Zurückziehung der Beschwerde BVwG zu Zeichen W234 2184025 nach Durchführung Verhandlung v. 01.03.2019 – s. Niederschrift in Beilage - Beschluss v. 29.11.2019

Gegen den Beschwerdeführer besteht eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung iVm einem auf die Dauer von 10 Jahren befristeten Einreiseverbot.

Der Beschwerdeführer wurde am 24.04.2020 nach Verbüßen seiner Freiheitsstrafe aus der JA Stein entlassen. Eine Kontaktaufnahme mit der ha. Behörde seitens des Bf unterblieb und wurde der Bf. im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle am 16.10.2020 festgenommen. Die Abmeldung an der vorherigen Meldeadresse des Bf. erfolgte am 05.08.2020 – nach den Angaben des Bf in seiner Einvernahme vom 17.10.2020 durch seinen Vater. Bis zu diesem Abmeldezeitpunkt war der Bf nach seinen eigenen Angaben nicht an dieser Adresse wohnhaft. Da der Beschwerdeführer danach auch keinen Kontakt zu den österreichischen Behörden suchte, um zumindest seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort oder eine Kontaktadresse zu nennen, steht unzweifelhaft fest, dass er sich seit seiner Entlassung im Verborgenen aufgehalten und dem behördlichen Zugriff entzogen hat.

Die von der Beschwerdeführervertretung nunmehr namhaft gemachte Meldemöglichkeit bei einer subsidiär Schutzberechtigten ukrainischen Staatsbürgerin vermag keine ausreichende Gewähr dafür zu bieten, dass sich der Bf künftig der ha. Behörde entgegen seinem bisher gezeigten Verhalten zur Verfügung halten würde. Es wurde in der Beschwerde auch nicht behauptet, dass der Bf dort Unterkunft nehmen können würde, sondern dies lediglich eine Meldegelegenheit durch die verheiratete, von der Beschwerdeführervertretung namhaft gemachten ukrainischen Staatsbürgerin sei.

Die BfV führt in der Beschwerde an, dass diese namhaft gemachte ukrainische Staatsbürgerin sowohl die Kosten der Beschwerde aus Eigenem getragen hätte, als auch den Bf in der Schubhaft besucht hätte. Hierzu ist zu bemerken, dass in der Anhaltedatei ein einziger Besuch vermerkt ist, welcher allerdings deckungsgleich mit dem Einbringungsdatum der Beschwerde durch den VMÖ (BfV) ist.

In der niederschriftlichen Einvernahme vom 17.10.2020 konnte der Bf die Adresse des Vaters benennen, wo er allerdings nach seiner Entlassung aus der JA Stein nicht Unterkunft genommen hatte, die Wohnadresse seiner Mutter, welche sich nach seinen Angaben vom Vater getrennt hatte, konnte er nicht benennen. Darüber hinaus gab er an, dass es ihn auch nicht interessiere, wo seine Eltern leben würden, da er „…sein eigenes Leben habe …“. Der soziale Kontakt zu seinen im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen ist wenig ausgeprägt bzw. als nicht mehr bestehend zu beurteilen und vermag aus dem bloßen Vorhandensein von Familienangehörigen kein Ansatzpunkt dafür gefunden werden, dass sich der Bf künftig der Behörde zur Verfügung halten würde.

Der Sicherungsbedarf gründet sich also nicht im Fehlen von Familienangehörigen, sondern der durch den Bf in seiner Einvernahme, als auch in seinem Verhalten zum Ausdruck gebrachten mangelnden familiären und sozialen Verankerung. Der Beschwerdeführer tauchte nach Entlassung aus der JA unter und lebte im Verborgenen – dieses Risiko des Untertauchens besteht nach wie vor.

Das bisherige Verhalten des Bf war zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft in Betracht zu ziehen. Neben dem zum Zeitpunkt der Prüfung der Sicherungsmaßnahme bisher bereits vorliegenden Aufenthalt im Verborgenen, war die frühere, massive Delinquenz in ergänzender Gesamtbetrachtung insoferne zu würdigen, als das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich durch diese Delinquenz vergrößert werden kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Der Beschwerdeführer wurde mehrmals strafrechtlich verurteilt und wird durch das Verbüßen der Strafe weder die mangelnde Vertrauenswürdigkeit des Bf geheilt, noch das öffentliche Interesse an der baldigen Durchsetzung einer Abschiebung dadurch verringert.

In der niederschriftlichen Einvernahme vom 17.10.2020 tat der Bf sein fragwürdiges Verhältnis zur österreichischen Rechtsordnung ebenfalls erneut kund, indem er angab, dass es „… mit den Gesetzen nicht so leiwand sei. In Tschetschenien geht es harmonischer zu.“

In Gesamtwürdigung des bisher gezeigten Verhaltens des Bf und den entsprechenden Angaben in der Einvernahme ergibt sich eine Gesamteinstellung des Bf zur österreichischen Rechtsordnung, welche die Vertrauenswürdigkeit des Bf maßgeblich erschüttert. In weiterer Beilage wird die Verhandlungsniederschrift vom 01.03.2019 vor dem BVwG zu Zeichen W234 2184025 übermittelt, welche ein einschlägiges Gesamtbild des Bf. vermittelt.

Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann immer nur dann verhältnismäßig sein, wenn mit dem der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist.

Der Beschwerdeführer wurde am 23.10.2020 aus dem Stande der Schubhaft der russischen Botschaft zur Erlangung eines Reisedokumentes bzw. Heimreisezertifikates vorgeführt und ist nach diesem Botschaftstermin mit der Erlangung eines entsprechenden Dokumentes begründet in Kürze zu rechnen, da der Bf. eindeutig identifiziert worden war.

Der Bf. war nie – abgesehen von einer kurzfristigen Lehrlingstätigkeit für den Zeitraum 02/2017 – 03/2017 – erwerbstätig und verfügt über keine Barmittel.

Die nunmehrige Bekundung zur freiwilligen Ausreise, welche legal erst nach Erlangen eines Ersatzreisedokumentes möglich sein kann, ist lediglich dem misslichen Umstand der Festnahme des Bf am 16.10.2020 sowie der Kenntnis über eine bevorstehende Abschiebung geschuldet.

Die Haftfähigkeit des Beschwerdeführers wurde amtsärztlich überprüft. Eine grundsätzliche Haftunfähigkeit wurde in der Beschwerde auch nicht behauptet.“

Am Ende der Stellungnahme beantragte die belangte Behörde die Abweisung der Beschwerde sowie den Ersatz der verzeichneten Kosten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist somit Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, seine Identität steht fest.

Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 20.12.2017 wurde dem BF der mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 23.01.2008, Zl. 309.250-3/3E-XV/52/07, zuerkannt Status des subsidiär Schutzberechtigen gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die dem BF mit Bescheid vom 22.01.2016, Zl. 389535905-3004736, erteilte befristete Auftragsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.). Darüber hinaus wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 4 FPG 2005 ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den BF erlassen (Spruchpunkt VII.). Mit Schriftsatz vom 17.01.2018 erhob der BF Beschwerde gegen diesen Bescheid. Mit Schriftsatz vom 26.11.2019 zog der BF diese Beschwerde durch seine zur Vertretung bevollmächtige Rechtsberatungsorganisation zurück mit der Begründung, die beschwerdeführende Partei befinde sich in Strafhaft und wolle eine Entlassung gemäß § 133a StVG beantragen, wofür die Rechtskraft des im angefochtenen Bescheid verfügten Einreiseverbotes Voraussetzung sei. Die Zurückziehung der Beschwerde gehe auf einen Wunsch der beschwerdeführenden Partei zurück. Am 26.11.2019 habe in der Justizanstalt ein ausführliches Beratungsgespräch zwischen Rechtsberater und beschwerdeführender Partei stattgefunden. In diesem Gespräch sei die beschwerdeführende Partei bei ihrem Beschluss geblieben, die Beschwerde zurückziehen zu wollen. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.11.2019, W234 2184025-1/22E, wurde das Beschwerdeverfahren wegen Zurückziehung der Beschwerde eingestellt.

Am 23.12.2019 stellte der BF in der Justizanstalt Stein einen Folgeantrag. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2020 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 23.12.2019, Zl. 389535905 – 200031707 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Der BF weist folgende strafgerichtlichen Verurteilungen auf:

01) LG F.STRAFS.WIEN 152 HV 69/2016f vom 17.08.2016 RK 17.08.2016

§§ 142 (1), 143 (1) 2. Fall StGB § 15 StGB

§ 15 StGB § 105 (1) StGB

§ 142 (1) StGB § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 08.06.2016

Freiheitsstrafe 3 Jahre, davon Freiheitsstrafe 2 Jahre, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

Jugendstraftat

zu LG F.STRAFS.WIEN 152 HV 69/2016f RK 17.08.2016

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 10.12.2016, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

LG WR.NEUSTADT 044 BE 223/2016x vom 18.11.2016

zu LG F.STRAFS.WIEN 152 HV 69/2016f RK 17.08.2016

Zuständigkeit gemäß § 179 Abs. 1 STVG übernommen

LG F.STRAFS.WIEN 185 BE 288/2016z vom 16.12.2016

zu LG F.STRAFS.WIEN 152 HV 69/2016f RK 17.08.2016

Bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe wird widerrufen

LG F.STRAFS.WIEN 153 HV 21/2017f vom 19.04.2017

zu LG F.STRAFS.WIEN 152 HV 69/2016f RK 17.08.2016

Probezeit des bedingten Strafteils verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG F.STRAFS.WIEN 153 HV 21/2017f vom 19.04.2017

zu LG F.STRAFS.WIEN 152 HV 69/2016f RK 17.08.2016

Aufhebung der Bewährungshilfe

LG F.STRAFS.WIEN 152 HV 69/2016f vom 27.04.2017

zu LG F.STRAFS.WIEN 152 HV 69/2016f RK 17.08.2016

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 26.03.2019

LG F.STRAFS.WIEN 153 HV 21/2017f vom 27.03.2019

02) LG F.STRAFS.WIEN 153 HV 21/2017f vom 19.04.2017 RK 19.04.2017

§ 15 StGB § 105 (1) StGB

§ 142 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 26.03.2017

Freiheitsstrafe 18 Monate

Jugendstraftat

Vollzugsdatum 26.09.2018

03) LG F.STRAFS.WIEN 162 HV 114/2017y vom 06.12.2017 RK 06.12.2017

§ 142 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 25.03.2017

Freiheitsstrafe 10 Monate

Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG F.STRAFS.WIEN 153 HV 21/2017f RK

19.04.2017

Jugendstraftat

Vollzugsdatum 26.01.2020

04) BG NEUNKIRCHEN 026 U 26/2019i vom 23.09.2019 RK 27.09.2019

§ 127 StGB

§ 83 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat 23.04.2018

Freiheitsstrafe 3 Monate

Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum 24.04.2020

Der BF ist mittellos, er ging bislang - bis auf eine Schnupperlehre als Koch und Schlosser - keiner legalen Beschäftigung in Österreich nach. Der BF war bis 05.08.2020 an der Wohnadresse seines Vaters behördlich gemeldet und wurde von diesem abgemeldet. Danach weist der BF keine behördliche Meldung mehr auf und war über Monate hindurch bis zu seiner Festnahme am 17.10.2020 untergetaucht und für die Behörden nicht greifbar. Er besitzt gegenwärtig keine aufrechte Meldeadresse, an der er sich für die Behörde bereithalten kann. Der BF ist familiär und sozial kaum verankert.

Die Vertrauenswürdigkeit des BF ist insgesamt beeinträchtigt.

Der BF ist haftfähig.

Am 23.10.2020 wurde der BF aus dem Stand der Schubhaft der russischen Botschaft zur Erlangung eines Reisedokumentes bzw. Heimreisezertifikates vorgeführt. Aufgrund der Identifizierung des BF ist mit der Erlangung eines entsprechenden Dokumentes in Kürze zu rechnen.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den vom BFA im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Dass der BF nicht österreichischer Staatsbürger ist, ergibt sich aus einer IZR Abfrage.

Das Vorliegen einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot für den BF ergibt sich aus dem Verfahrensakt und wird auch in der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen.

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF in Österreich ergeben sich aus einer Anfrage an das Strafregister, aus dem Verfahrensakt und dem Gerichtsakt zur Zahl: W234 2184025-1/22E.

Die Feststellung hinsichtlich Mittellosigkeit und mangelnder familiärer und sozialer Verankerung des BF in Österreich ergibt sich aus den expliziten Aussagen des BF in dessen Einvernahme vor dem BFA am 17.10.2020. So gab der BF an, nicht zu wissen, wo seine Mutter gegenwärtig wohne, da sich seine Eltern getrennt hätten. Er habe sein eigenes Leben, so der BF explizit. Sein Vater wohne im 3. Bezirk unter einer näher bezeichneten Adresse. Der BF gab an, ledig zu sein und heiraten zu wollen, aber dazu müsse er nach „Russland“, von hier aus gehe das nicht, so der BF wörtlich. Dass der BF in Österreich außer während der Strafhaft bislang keiner (legalen) Beschäftigung nachgegangen ist, ergibt sich ebenso aus dessen expliziter Aussage in Einvernahme vor dem BFA am 17.10.2020.

Die Feststellung betreffend die amtliche Wohnsitzmeldung des BF ergibt sich zum einen aus einer Anfrage an das Zentrale Melderegister und zum anderen aus der Aussage des BF in der Einvernahme am 17.10.2020.

Die beeinträchtigte Vertrauenswürdigkeit des BF ergibt sich zum einen aus seinen zahlreichen strafgerichtlichen Verurteilungen, aus denen eindeutig abzuleiten ist, dass der BF nicht gewillt ist, sich an die Rechtsordnung in Österreich zu halten, zum anderen aus dem Untertauchen des BF, um für die Behörden nicht greifbar zu sein, zumindest seit der Abmeldung seines Wohnsitzes durch seinen Vater am 05.08.2020, was ebenso als Indiz für die mangelnde Vertrauenswürdigkeit des BF gewertet werden kann. Insbesondere da der BF, wie in der Beschwerde ausgeführt wird, über eine Bekannte verfügt, die laut Ausführungen in der Beschwerde durchaus bereit ist, den BF aufzunehmen. Warum die Freundin den BF nicht bereits früher bei sich aufgenommen hat, führt die Beschwerde nicht aus. Auch daraus ist eine mangelnde Kooperationsbereitschaft des BF den Behörden gegenüber ersichtlich, wenn der BF erst im Stand der Schubhaft Wohnmöglichkeiten aufzuzeigen beginnt und diese nicht schon davor in Anspruch nimmt.

Es haben sich keine Anzeichen ergeben, wonach beim BF Haftunfähigkeit vorliegen würde. Dies hat der BF in seiner Einvernahme am 17.10.2020 auch nicht behauptet. Darüber hinaus ist es notorisch, dass im Falle gesundheitlicher Probleme eine engmaschige gesundheitliche Kontrolle im Rahmen der Schubhaft durchgeführt wird. Falls Haftuntauglichkeit eintritt, wäre der BF jedenfalls sofort zu enthaften.

Die Feststellung zur Einleitung des Verfahrens zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates bzw. die Vorführung des BF vor die russische Botschaft bzw. die Identifizierung des BF ergibt sich aus der Stellungnahme des BFA vom 27.10.2020.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

„§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

Zu Spruchteil A)

Zu Spruchpunkt I. (Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft):

3.2. Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann immer nur dann verhältnismäßig sein, wenn mit der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist. Ergibt sich, dass diese fremdenpolizeiliche Maßnahme innerhalb der Schubhafthöchstdauer nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden bzw. ist – wenn sich das erst später herausstellt – umgehend zu beenden (VwGH 28.08.2012, 2010/21/0517; 19.04.2012, 2009/21/0047).

3.3. Zur Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und der Anhaltung in Schubhaft seit 17.10.2020:

Die „Fluchtgefahr“ ist in Österreich in § 76 Abs. 3 FPG (wie oben unter 3.2. wiedergegeben) gesetzlich definiert.

Die belangte Behörde begründete die festgestellte Fluchtgefahr zum einen mit § 76 Abs. 3 Z 1 FPG. Der BF war durch sein Untertauchen für die Behörde nicht greifbar und hat so versucht, seine Abschiebung zu umgehen bzw. zu behindern, weshalb der belangten Behörde diesbezüglich nicht entgegenzutreten war.

Des Weiteren stützte sich die belangte Behörde auf § 76 Abs. 3 Z 2 FPG. Zum Zeitpunkt der Inschubhaftnahme war der BF nicht mehr zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Das BFA ist im bekämpften Bescheid zu recht von § 76 Abs. 3 Z 2 FPG ausgegangen

Die belangte Behörde begründete die festgestellte Fluchtgefahr auch mit § 76 Abs. 3 Z 9 FPG. Dabei ist die belangte Behörde vom Fehlen einer Verankerung des BF in Österreich ausgegangen. Demgemäß ist der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen. Wie das Verfahren ergeben hat, kommt das Bundesamt dabei zutreffend zum Ergebnis, dass es für substanzielle gefestigte familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet zum Zeitpunkt der Schubhaftanordnung keinen stichhaltigen Hinweis gab. Zum anderen stützte sich die belangte Behörde auf die Vertrauensunwürdigkeit des BF, die sich nicht zuletzt aus dessen Missachtung der österreichischen Rechtsordnung und dessen unkooperativen Verhalten den österreichischen Behörden gegenüber manifestiert. Daraus haben sich ein erhöhtes Risiko des Untertauchens sowie ein erhöhter Sicherungsbedarf ergeben.

Die belangte Behörde kam zutreffend zu der Auffassung, dass der BF über keine substantiellen Bindungen in Österreich verfügt, auf Grund welcher anzunehmen sein könnte, dass er sich bis zur Abschiebung den Behörden nicht entziehen werde.

Auf Grund dieser Erwägungen ging das Bundesamt zutreffend davon aus, dass im Falle des BF insgesamt Fluchtgefahr in einem die Anordnung der Schubhaft rechtfertigenden Ausmaß besteht.

3.4. Auf Grund der festgestellten Fluchtgefahr konnte auch nicht mit der Anwendung gelinderer Mittel das Auslangen gefunden werden:

Dem Bundesamt ist darin beizupflichten, dass sich im Falle des BF weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen, dies bereits aufgrund mangelnder Vertrauenswürdigkeit des BF wie oben ausgeführt.

Überdies gab es bei Anordnung der Schubhaft keine erkennbaren Hinweise auf eine Haftunfähigkeit des BF.

Das erkennende Gericht geht auch davon aus, dass die angeordnete Schubhaft bereits aufgrund der massiven Straffälligkeit des BF sowie des Untertauchens des BF in der Vergangenheit das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt.

Aufgrund des Ermittlungsverfahrens lässt sich aus derzeitiger Sicht erkennen, dass die belangte Behörde um eine zügige Außerlandesbringung des BF bemüht ist.

Aus diesen Gründen ist die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid und die Anhaltung in Schubhaft ab 17.10.2020 abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II. (Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft):

Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Die Voraussetzungen nach § 76 Abs. 3 Z 1, 2 und 9 FPG liegen weiterhin vor.

Für die Durchsetzung einer – realistisch möglichen - Rückkehrentscheidung (Abschiebung) ist die Anwesenheit des BF erforderlich. Es ist angesichts seines bisherigen Verhaltens jedoch davon auszugehen, dass er sich dem behördlichen Zugriff durch Untertauchen entziehen würde, sollte sich eine Gelegenheit dazu bieten. Da er zudem über keine feststellbaren (legalen) beruflichen und gefestigten familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfügt, ist nicht ersichtlich, was den BF im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft von einem Untertauchen abhalten sollte.

In Zusammenschau mit den obigen Ausführungen besteht damit aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kein Zweifel, dass im gegenständlichen Fall eine zur Anordnung einer Schubhaft hinreichende Fluchtgefahr seitens des BF gegeben ist.

Im Falle des BF kann daher auch weiterhin aufgrund seines bereits geschilderten Vorverhaltens mit der Verhängung gelinderer Mittel nicht das Auslangen gefunden werden.

Es liegt somit auch die geforderte „ultima-ratio-Situation“ für die Anordnung der Schubhaft vor und erweist sich diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch als verhältnismäßig. Von der Möglichkeit einer Abschiebung im Rahmen der gesetzlichen Fristen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt auszugehen. Hinweise für eine Haftunfähigkeit des BF sind im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen.

Es ist daher gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG auszusprechen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des BF in Schubhaft vorliegen.

Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.

Aus der Aktenlage haben sich zudem keine Zweifel an der Haftfähigkeit ergeben, wobei diesbezügliche Probleme auch in der Beschwerde nicht thematisiert worden sind.

Zum Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen:

Maßnahmenbeschwerden kommt gemäß § 22 VwGVG keine aufschiebende Wirkung zu. Soweit die Beschwerde dadurch die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides bzw. die Rechtswidrigkeit der angewandten Bestimmungen darzutun versucht, geht sie ins Leere, da die Voraussetzung für die Verhängung der Schubhaft – das Vorliegen von Fluchtgefahr und zwingende öffentliche Interessen – den Voraussetzungen für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (zB § 64 Abs. 2 AVG) bzw. Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung (§ 13 Abs. 3 VwGVG) oder die Erlassung von Mandatsbescheiden (§ 57 Abs. 1 AVG) entspricht und die auf Schubhaftverfahren anzuwendende Bestimmung des § 22a Abs. 3 BFA-VG – wie auch die dem Verfahren VfSlg. 19.215/2010 zugrunde liegende Bestimmung – im Hinblick auf Beschwerdeführer, die sich in Schubhaft befinden, den rechtsstaatlichen Anforderungen (vgl. VfSlg. 17.340/2004) durch die für diesen Fall sehr kurze Entscheidungsfrist des § 22a Abs. 2 BFA-VG von einer Woche Rechnung trägt, die im Übrigen den Fristen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entspricht (vgl. § 17 Abs. 1 Z 2 BFA-VG, § 18 Abs. 5 BFA-VG). Dass der Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid aufschiebende Wirkung zukommen müsse, hat dementsprechend bislang weder der Verfassungsgerichtshof (VfSlg. 17.340/2004) noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR 26.07.2011, Fall M ua., Appl. 41.416/08 = newsletter 4/2011, 235) gefordert; dies ist auch in Art. 15 Abs. 2 lit. b RL 2008/115/EG (anders etwa als in Art. 13 leg.cit.) nicht vorgesehen.

Zu Spruchpunkt III. (Kostenbegehren):

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Dem Beschwerdeführer gebührt als unterlegener Partei daher kein Kostenersatz (ein solcher wurde im Übrigen in der Beschwerde auch nicht beantragt), die belangte Behörde hat als (vollständig) obsiegende Partei Anspruch auf Kostenersatz im beantragten Umfang.

Zu Spruchteil B) (Unzulässigkeit der Revision):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Dies ist im gegenständlichen Fall nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Einreiseverbot Fluchtgefahr Kooperation Kostenersatz Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Untertauchen Verhältnismäßigkeit Vertrauensperson

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W154.2236340.1.00

Im RIS seit

14.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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