TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/10 I406 2119287-3

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Veröffentlicht am 10.08.2020
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Entscheidungsdatum

10.08.2020

Norm

BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
GVG-B 2005 §2 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §8a Abs1
VwGVG §8a Abs2

Spruch

I406 2119287-3/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH als Mitglied der ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 01.04.2020, Zl. XXXX

A)

I. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen,

II. beschlossen:

der Antrag auf Verfahrenshilfe im Umfang der Eingabegebühr wird gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer stellte am 19.06.2019 seinen dritten Asylantrag. Mit angefochtenem Bescheid vom 01.04.2020 schränkte das BFA gemäß § 2 Abs. 4 GVG-B 2005 die ihm bisher gewährte Versorgung ein und sprach aus, dass ihm das Taschengeld für den Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.09.2020 nicht gewährt werde (Spruchpunkt I). Weiters wurde einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt II). Der Beschwerdeführer habe mehrmals grob gegen die Hausordnung verstoßen, indem er zweimal, und zwar am 22.03.2020 und am 24.03.2020, in einen Raufhandel verwickelt gewesen sei.

2.       Beschwerdehalber wird vorgebracht, es sei zu den beiden Vorfällen gekommen, weil der Beschwerdeführer provoziert worden sei. Er sei schriftlich ermahnt worden und habe sich seither wohlverhalten. Eine fortgesetzte und nachhaltige Gefährdung der Aufrechterhaltung der Ordnung sei nicht gegeben, sodass sich die Maßnahme als unverhältnismäßig erweise und das spezialpräventive Ziel auch mit einem gelinderen Mittel erreichbar sei. Weiters beantragte der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang der Eingabegebühr von € 30,-- und verwies dazu darauf, er könne diese Gebühr nicht entrichten, weil ihm das Taschengeld gestrichen worden sei. Er legte ein ausgefülltes und unterschriebenes Vermögensbekenntnis bei.

3.       Beschwerde und Bezug habender Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 22.05.2020 vorgelegt.

4.       Am 25.05.2020 und am 17.06.2020 wurde dem Bundesverwaltungsgericht eine Meldung sowie ein Abschlussbericht über einen weiteren Vorfall vom 23.05.2020 in der Grundversorgungseinrichtung mit Beteiligung des Beschwerdeführers übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Drittstaatsangehöriger und stellte am 19.06.2019 seinen dritten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am selben Tag wurde er in die Grundversorgung des Bundes aufgenommen.

Der Beschwerdeführer war ab 07.11.2019 in der Betreuungsstelle XXXX untergebracht.

Am 22.03.2020 gegen 21:55 Uhr verhielt sich der Beschwerdeführer in der Betreuungseinrichtung aggressiv gegenüber einer Mitarbeiterin der XXXX sowie gegenüber der Asylwerberin B.S. und ihren beiden Töchtern. Er versuchte, nachdem er verbal auf B.S. losgegangen war, mehrfach, diese mit seiner Hand zu schlagen und traf dabei ihre Tochter N.S., die dadurch zu Boden fiel. B.S. wurde mit ihren beiden Kindern zur Abklärung eventueller Verletzungen mit der Rettung in das LKH XXXX eingeliefert, wo sie eine Nacht stationär aufhältig waren. Eine Wegweisung des Beschwerdeführers unterblieb.

Am 24.03.2020 gegen 13:05 Uhr missachteten der Beschwerdeführer und die Asylwerberin B.S. die Hausordnung, indem sie sich lautstark beschimpften und tätlich aufeinander losgingen. Es kam zu keinen Verletzungen. Die Situation konnte erst durch die herbeigerufene Polizei beruhigt werden.

Am 23.05.2020 gegen 19:10 Uhr kam es zwischen dem Beschwerdeführer und B.S. neuerlich zu einem Streit und einer tätlichen Auseinandersetzung, wobei der Beschwerdeführer mit Fäusten auf B.S. einschlug und sie zumindest einmal trat. B.S. erlitt ein – als leichte Verletzung einzustufendes – stumpfes Bauchtrauma und wurde von der Rettung in das LKH XXXX auf die Unfallambulanz gebracht. Ein der B.S. zur Hilfe kommender Asylwerber erlitt durch den Vorfall eine Ablösung eines Zehennagels. Ein weiterer schlichtend eingreifender Asylwerber wurde auf den Rücken geschlagen, aber nicht verletzt. Die einschreitenden Polizeibeamten sprachen gegen den Beschwerdeführer gemäß § 38a SPG ein 14-tägiges Betretungsverbot bzw. Annäherungsverbot aus. Der Beschwerdeführer wurde aus der Grundversorgung entlassen und dem Quartier XXXX zugewiesen.

Durch sein Verhalten hat der Beschwerdeführer gegen die Hausordnung Punkt 1A und Punkt 1B verstoßen, welche lauten:

„1. Allgemeines:

A.)      Der Aufenthalt in der Betreuungseinrichtung erfordert von allen Bewohnern im gemeinsamen Interesse ein großes Maß an gegenseitiger Rücksichtnahme. Jedes störende oder Anderen unzumutbare Verhalten ist zu unterlassen. Jede Handlung, die zu einer Gefährdung der Gesundheit oder Sicherheit Anderer führt, ist untersagt; fremdes Eigentum ist zu respektieren und pfleglich zu behandeln. Ein korrekter Umgangston getragen von gegenseitigem Respekt wird erwartet.

B.)      Den zur Aufrechterhaltung des Betriebs notwendigen Anweisungen des Personals der Betreuungseinrichtung sowie der Behördenvertreter ist Folge zu leisten. Bei Störung des Hausfriedens oder einer drohenden Störung sind das Personal der Betreuungseinrichtung sowie die Behördenvertreter befugt, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit zu treffen.“

Dem Beschwerdeführer war die Hausordnung bekannt.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus dem vorgelegten Akt des BFA und gerichtlichen Abfragen der Register Fremdenregister, ZMR und Register der Grundversorgung.

Die belangte Behörde hat ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens sowie die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen zusammengefasst. Der Beschwerde ist nichts zu entnehmen, was diese infrage stellen würde.

In der Beschwerde wird moniert, die Behörde habe ihre Ermittlungspflicht verletzt, da die Entscheidung ohne persönliche Anhörung des Beschwerdeführers erlassen worden sei. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass dem Beschwerdeführer mit der Aufforderung zur Erstattung einer schriftlichen Stellungnahme ausreichend Gelegenheit eingeräumt wurde, seinen Standpunkt darzulegen. Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie erfolgte kein persönlicher Kontakt mit dem Beschwerdeführer. Angesichts der eindeutigen Sachlage wäre selbst unter Berücksichtigung aller zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Fakten für den Beschwerdeführer kein günstigeres Ergebnis zu erwarten, sodass der belangten Behörde nicht vorgeworfen werden kann, ihre Ermittlungspflicht verletzt zu haben. Auch in der Beschwerde setzte der Beschwerdeführer der Beurteilung des BFA nichts Konkretes entgegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

I. Abweisung der Beschwerde

3.1. Rechtsgrundlagen:

3.1.1.  § 2 Grundversorgungsgesetz - Bund 2005 - GVG-B 2005 lautet:

§ 2. (1) Der Bund leistet Asylwerbern im Zulassungsverfahren Versorgung in einer Betreuungseinrichtung des Bundes (§ 1 Z 5). Darüber hinaus sorgt der Bund im gleichen Ausmaß für Fremde, deren Asylantrag im Zulassungsverfahren
1.         zurückgewiesen oder
2.         abgewiesen wurde, wenn der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, solange ihr diese nicht wieder zuerkannt wird,

bis diese das Bundesgebiet verlassen, solange sie in einer Betreuungseinrichtung des Bundes untergebracht sind. Bei Führung von Konsultationen gemäß der Dublin – Verordnung oder bei zurückweisenden Entscheidungen gemäß § 5 AsylG 2005 können im Einvernehmen mit der jeweils zuständigen Stelle des betroffenen Bundeslandes, Fremde in Betreuungseinrichtungen des betroffenen Bundeslandes untergebracht werden und von diesen versorgt werden. § 6 Abs. 1 gilt sinngemäß.

(2) Asylwerbern und sonstigen Fremden nach Abs. 1 ist möglichst frühzeitig der Ort mitzuteilen, an welchem ihre Versorgung geleistet wird. Bei der Zuteilung ist auf bestehende familiäre Beziehungen, auf das besondere Schutzbedürfnis alleinstehender Frauen und Minderjähriger und auf ethnische Besonderheiten Bedacht zu nehmen.

(3) Die Grundversorgung gemäß Abs. 1 ruht für die Dauer einer Anhaltung.

(4) Die Versorgung von Asylwerbern und sonstigen Fremden gemäß Abs. 1, die
1.         die Aufrechterhaltung der Ordnung durch grobe Verstöße gegen die Hausordnung der Betreuungseinrichtungen (§ 5) fortgesetzt oder nachhaltig gefährden oder
2.         gemäß § 38a Sicherheitspolizeigesetz – SPG, BGBl. Nr. 566/1991 aus der Betreuungseinrichtung weggewiesen werden
3.         innerhalb der Betreuungseinrichtung einen gefährlichen Angriff (§ 16 Abs. 2 und 3 SPG) gegen Leben, Gesundheit oder Freiheit begangen haben und aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie werden einen weiteren solchen begehen,

kann von der Behörde eingeschränkt, unter Auflagen gewährt oder entzogen werden. Diese Entscheidung darf jedoch nicht den Zugang zur medizinischen Notversorgung beschränken.

(5) Die Grundversorgung von Asylwerbern und sonstigen Fremden gemäß Abs. 1, die wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung verurteilt worden sind, die einen Ausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 darstellen kann, kann eingeschränkt, unter Auflagen gewährt oder entzogen werden. Abs. 4 letzter Satz gilt.

(6) Der Entscheidung, die Versorgung nach Abs. 4 oder 5 einzuschränken oder zu entziehen, hat eine Anhörung des Betroffenen, soweit dies ohne Aufschub möglich ist, voranzugehen. Die Anhörung des Betroffenen ist insbesondere nicht möglich, wenn er zwar zur Anhörung geladen wurde, jedoch zu dieser nicht erscheint oder wenn sein Aufenthalt unbekannt ist.

(7) Die Handlungsfähigkeit und die Vertretung von Minderjährigen in Verfahren nach diesem Bundesgesetz richtet sich nach § 10 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012.

Art. 6 der Grundversorgungsvereinbarung - Art. 15a B-VG lautet:
(1) Die Grundversorgung umfasst:
1.         Unterbringung in geeigneten Unterkünften unter Achtung der Menschenwürde und unter Beachtung der Familieneinheit,
2.         Versorgung mit angemessener Verpflegung,
3.         Gewährung eines monatlichen Taschengeldes für Personen in organisierten Unterkünften und für unbegleitete minderjährige Fremde, ausgenommen bei individueller Unterbringung gemäß Art. 9 Z 2,
4.         Durchführung einer medizinischen Untersuchung im Bedarfsfall bei der Erstaufnahme nach den Vorgaben der gesundheitsbehördlichen Aufsicht,
5.         Sicherung der Krankenversorgung im Sinne des ASVG durch Bezahlung der Krankenversicherungsbeiträge,
6.         Gewährung allenfalls darüberhinausgehender notwendiger, durch die Krankenversicherung nicht abgedeckter Leistungen nach Einzelfallprüfung,
7.         Maßnahmen für pflegebedürftige Personen,
8.         Information, Beratung und soziale Betreuung der Fremden durch geeignetes Personal unter Einbeziehung von Dolmetschern zu deren Orientierung in Österreich und zur freiwilligen Rückkehr,
9.         Übernahme von Transportkosten bei Überstellungen und behördlichen Ladungen,
10.         Übernahme der für den Schulbesuch erforderlichen Fahrtkosten und Bereitstellung des Schulbedarfs für Schüler,
11.         Maßnahmen zur Strukturierung des Tagesablaufes im Bedarfsfall,
12.         Gewährung von Sach- oder Geldleistungen zur Erlangung der notwendigen Bekleidung,
13.         Kostenübernahme eines ortsüblichen Begräbnisses oder eines Rückführungsbetrages in derselben Höhe und
14.         Gewährung von Rückkehrberatung, von Reisekosten sowie einer einmaligen Überbrückungshilfe bei freiwilliger Rückkehr in das Herkunftsland in besonderen Fällen.

(2) Die Grundversorgung kann, wenn damit die Bedürfnisse des Fremden ausreichend befriedigt werden, auch in Teilleistungen gewährt werden.

(3) Fremden, die die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Unterkunft durch ihr Verhalten fortgesetzt und nachhaltig gefährden, kann die Grundversorgung gemäß Abs. 1 unter Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 2 eingeschränkt oder eingestellt werden. Das gleiche gilt im Anwendungsfall des § 38a SPG.

(4) Durch die Einschränkung oder Einstellung der Leistungen darf die medizinische Notversorgung des Fremden nicht gefährdet werden.

(5) Fremde gemäß Art. 2 Abs. 1 können mit ihrem Einverständnis zu Hilfstätigkeiten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Unterbringung und Betreuung stehen, herangezogen werden.

3.1.2.  Nach der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen („Aufnahmerichtlinie“ – Neufassung) sorgen die Mitgliedstaaten unter anderem dafür, dass die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet (Art. 17 Abs. 2). Zur Einschränkung oder zum Entzug der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen führt Art. 20 Abs. 4 der Richtlinie aus, dass die Mitgliedstaaten Sanktionen für grobe Verstöße gegen die Vorschriften der Unterbringungszentren und grob gewalttätiges Verhalten festlegen können. Gemäß Abs. 5 werden Entscheidungen über die Einschränkung der Leistungen oder über Sanktionen jeweils für den Einzelfall, objektiv und unparteiisch getroffen und begründet. Die Mitgliedstaaten gewährleisten in jedem Fall Zugang zur medizinischen Versorgung und gewährleisten einen würdigen Lebensstandard für alle Antragsteller.

3.1.3.  Nach relevanter Rechtsprechung des EuGH wird dort die Notwendigkeit der Garantie eines menschenwürdigen Lebens für Antragsteller betont. Hinsichtlich drohender Obdachlosigkeit bei Überlastung des Aufnahmesystems wurde in Saciri gesagt, dass Asylwerber notfalls mit Geldleistungen in die Lage zu versetzen sind, eine Unterkunft zu finden, gegebenenfalls auf dem privaten Wohnungsmarkt (siehe dazu EuGH, 27.02.2014, C-79/13, Saciri und andere, RZ 42). In Abdida, einem Fall, der die Anwendung der Rückführungs-RL betraf, meinte der EuGH weiter, dass mit einer jedenfalls zu gewährenden medizinischen Notversorgung die Notwendigkeit der Befriedigung der Grundbedürfnisse von Betroffenen mitzulesen sind (EuGH, 18.12.2014, C-562/13, Abdida, RZ 60). Im Lichte der Rechtsprechung von Cimade weist die Neufassung der Aufnahmerichtlinie im oben zitierten Art. 20 Abs. 5 bereits darauf hin, dass auch bei Einschränkungen oder beim Entzug von Leistungen aus der Aufnahme ein (menschen-) würdiger Lebensstandard zu gewährleisten ist (siehe bei Interesse EuGH, 27.09.2012, C-179/11, Cimade und GISTI).

3.1.4.  Der VwGH führte in einem Erkenntnis in einem Fall, in dem Grundversorgung nach § 3 Abs. 1 Z 3 GVG-B entzogen worden war, aus, dass eine solche Entscheidung aufgrund der besonderen Situation der betreffenden Person zu treffen sei; dabei sei insbesondere zu untersuchen, ob der Ausschluss eine besonders bedürftige Person betreffe, und das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu berücksichtigen (siehe zu diesen Aussagen VwGH, 19.04.2012, 2012/01/0026; Anwendung mutatis mutandis auf den gegenständlichen Fall).

3.1.5   Zur Frage, ob ein „ein grober Verstoß gegen die Hausordnung“ iSd § 2 Abs. 4 Z 1 GVG-B vorliegt, lässt sich den Materialien entnehmen (55 stPNR XXII. GP, 114), dass das der Fall ist, wenn der Verstoß „geeignet ist, das Zusammenleben der Betreuten erheblich zu stören – wobei auch auf die besonderen Bedürfnisse von Kleinkindern oder traumatisierten Rücksicht zu nehmen sein wird – oder sonst die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Betreuungseinrichtung erheblich erschwert – wie etwa die mutwillige erhebliche Beschädigung eines Einzelzimmers durch den dort untergebrachten Betreuten“. Für ein Verhalten, das für eine erhebliche Störung abstrakt geeignet ist, wird demnach vorausgesetzt, dass es die Aufrechterhaltung der Ordnung erheblich erschwert.

3.2 Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall

Die belangte Behörde hat ein ordentliches Verfahren mit einer Anhörung des Beschwerdeführers und unter ausreichender Begründung ihrer Entscheidung durchgeführt.

Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Entscheidung des BFA bereits zwei Mal in tätliche Auseinandersetzungen verwickelt und hat sich dabei aggressiv verhalten.

Er hat die vom BFA festgestellten Verstöße gegen die Hausordnung, und zwar betreffend das geforderte Maß an gegenseitiger Rücksichtnahme, betreffend die Befolgung der notwendigen Anweisungen des Personals der Betreuungseinrichtung und der Behördenvertreter, und betreffend die Gefährdung der Sicherheit der anderen Bewohner der Betreuungseinrichtung nicht substantiiert bestritten.

Hinzu kommt ein weiterer Vorfall vom 23.05.2020, der den Ausspruch eines Betretungsverbotes und eines Annäherungsverbotes gemäß § 38a SPG sowie die Zuweisung des Beschwerdeführers zum Quartier EAST Ost unstet zur Folge hatte.

Bereits die beiden ersten Auseinandersetzungen sind ausreichend, eine fortgesetzte und nachhaltige Gefährdung der Aufrechterhaltung der Ordnung durch grobe Verstöße zu begründen. Dieser Eindruck wird durch das Hinzukommen des neuerlichen Vorfalles vom 23.05.2020 bestätigt.

Dem Beschwerdevorbringen, wonach sich die Maßnahme als unverhältnismäßig erweise, mit der schriftlichen Ermahnung vom 25.03.2020 das Auslangen gefunden werden hätte können und sich der Beschwerdeführer seither wohlverhalten habe, kann somit nicht gefolgt werden.

Demnach wurde die Aufrechterhaltung der Ordnung der Betreuungseinrichtung im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 1 GVG-B erheblich, fortgesetzt und nachhaltig erschwert.

Die Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme, wonach er provoziert worden sei und Kind seiner Kontrahentin Schmutz auf ihn geworfen habe, verdeutlicht, dass beim Beschwerdeführer keinerlei Einsicht oder Reue gegeben ist.

Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass es sich bei dem Kind, von dem laut Beschwerdeführer die Provokationen ausgingen, um ein zweijähriges Kleinkind handelt.

Mit dem Versuch, seine Tat zu begründen, ist somit für den Beschwerdeführer nichts gewonnen; vielmehr offenbart der Rechtfertigungsversuch, von einem zweijährigen Kind provoziert worden zu sein, schon für sich alleine die sehr spezielle Psyche des Beschwerdeführers.

Durch die polizeiliche Wegweisung am 23.05.2020 gemäß § 38a SPG wurde zusätzlich auch der Tatbestand des § 2 Abs. 4 Z. 2 GVG-B verwirklicht.

Zweifellos ist gerade in einer Aufnahmestelle, in der es aufgrund von allfälliger quantitativer Überlastung und aufgrund der unterschiedlichen Nationalitäten der Bewohner zu latenten Spannungen kommen kann, eine Pönalisierung von Gewaltanwendung gegenüber anderen Mitbewohnern angezeigt.

Auch muss die Wirkung der Sanktion berücksichtigt werden, nämlich die Einschränkung der Gewaltanwendung unter den Bewohnern der Betreuungseinrichtung.

Im Ergebnis war die ausgesprochene Einschränkung der Grundversorgung in Form eines Entzuges des Taschengeldes für die Dauer eines halben Jahres verhältnismäßig; es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

II. Zur Abweisung des Antrages auf Verfahrenshilfe

Zum Antrag auf Verfahrenshilfe im Umfang der Eingabegebühr ist zu prüfen, ob die Voraussetzung vorliegt, dass die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, was gemäß § 8a Abs. 2 VwGVG, soweit dort nichts Anderes bestimmt ist, nach der ZPO zu beurteilen ist, namentlich § 63 Abs. 1 ZPO zur Definition des notwendigen Unterhalts. Nach dieser Bestimmung ist als notwendiger Unterhalt derjenige anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt.

Angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer nunmehr von der Grundversorgungsstelle XXXX betreut wird und seine Versorgung weiterhin sichergestellt ist, vermag die Bezahlung von 30 Euro Eingabegebühr den notwendigen Unterhalt nicht zu beeinträchtigen.

Der Antrag auf Verfahrenshilfe war daher gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG abzuweisen.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

In Hinblick darauf, dass im gegenständlichen Fall für das Bundesverwaltungsgericht der Sachverhalt geklärt erscheint, sich für das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf seine rechtliche Beurteilung keine weiteren Ermittlungserfordernisse ergeben, und keine Partei die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage zur Verhältnismäßigkeit der Einschränkung von Leistungen aus der Grundversorgung auf eine ständige Rechtsprechung der Höchstgerichte bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Insoweit die angeführte Judikatur des Verwaltungs- und des Verfassungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

aggressives Verhalten aufschiebende Wirkung - Entfall Betretungsverbot Eingabengebühr Einschränkung Ermahnung Gefährdung der Sicherheit gelinderes Mittel Grundversorgung Hausordnung Rauferei Verfahrenshilfeantrag Verhältnismäßigkeit Versorgungsanspruch Wiederholungsgefahr Wiederholungstaten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I406.2119287.3.00

Im RIS seit

11.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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