Entscheidungsdatum
20.08.2020Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
W279 2232360-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX .1996, Staatsangehörigkeit Marokko, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.04.2020, Zl. 1262861608/200351582, sowie gegen die Anhaltung in Schubhaft seit 22.04.2020 zu Recht:
A)
Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und, dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 07.03.2020 aus Italien kommend mit dem Zug ins Bundesgebiet ein.
Der Beschwerdeführer wurde am 08.03.2020 bei der Einreise nach Deutschland von den deutschen Behörden angehalten und es wurde ihm die Einreise nach Deutschland verweigert. Er wurde daraufhin den österreichischen Behörden übergeben.
Bei der Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.03.2020 gab der Beschwerdeführer an, dass er keine Reisedokumente besitze. Er habe nach Deutschland reisen wollen, um dort Arbeit zu suchen. Nun wolle er aber wieder zurück nach Italien zu seiner Familie, die aus Vater, Mutter, einem Bruder und einer Schwester bestehe, allesamt wohnhaft in Florenz. Er habe eine Ehefrau, namens XXXX , ebenfalls wohnhaft in Florenz. Seine Ehefrau sei schwanger. Er habe seinen Aufenthaltstitel für Italien zu Hause vergessen, er müsse nur noch die Verlängerung desselben abholen. In Österreich habe er keinerlei Anbindungen und keinen Wohnsitz.
Im Anschluss an die Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer ein Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 08.03.2020 ausgefolgt, mit dem er vom Ergebnis der Beweisaufnahme in der Angelegenheit „beabsichtigte Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung bzw. Erlassung einer Rückkehrentscheidung“ verständigt wurde und ihm dazu Parteiengehör gewährt wurde. Mit dem Schreiben wurde dem Beschwerdeführer auch ein Fragenkatalog zur Beantwortung innerhalb von 14 Tagen übermittelt.
Am 09.03.2020 wurde der Beschwerdeführer um 00:45 Uhr in einem internationalen Reisezug von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Rahmen einer gemischten Streife mit der italienischen Polizei neuerlich einer Kontrolle unterzogen; der Beschwerdeführer konnte abermals keine Reisedokumente vorweisen.
Bei der neuerlichen Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.03.2020 führte der Beschwerdeführer aus, er sei auf dem Weg nach Florenz gewesen, er sei gesund und wiederholte, keine Anknüpfungspunkte zu Österreich zu haben.
Eine Anfrage bei den italienischen Behörden am 09.03.2020, ob der Beschwerdeführer in Italien behördlich bekannt und zum Aufenthalt berechtigt sei, erbrachte unter dem vom Beschwerdeführer angegebenen Namen keinen Treffer.
Mit Mandatsbescheid des BFA vom 09.03.2020 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Mit Verfahrensanordnung vom gleichen Tag wurde ihm ein Rechtsberater für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Mit Schreiben vom gleichen Tag wurde dem Beschwerdeführer im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung Parteiengehör zum Ergebnis der Beweisaufnahme gewährt und wiederum ein Fragenkatalog zur schriftlichen Beantwortung innerhalb von 14 Tagen übermittelt.
Am 13.03.2020 wurde vom BFA bei der marokkanischen Botschaft in Wien die Ausstellung eines Heimreisezertifikats für den Beschwerdeführer beantragt.
In der Folge meldete sich Frau XXXX , geboren am XXXX 1987, StA. Marokko, beim BFA und gab an, die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers zu sein und von ihm ein Kind zu erwarten. Sie übermittelte der Behörde unter anderem ein Foto einer am 03.07.2017 abgelaufenen italienischen Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers.
Eine neuerliche Anfrage bei den italienischen Behörden mit den übermittelten Unterlagen ergab, dass der Beschwerdeführer in Italien unter dem Namen „ XXXX , geb. XXXX 1999, StA Marokko“ bekannt sei. Eine Aufenthaltsberechtigung (Permesso) sei mit 03.07.2017 abgelaufen. Der Beschwerdeführer habe kein neues gültiges Permesso und sei zum Aufenthalt in Italien nicht mehr berechtigt.
Frau XXXX übermittelte am 16.04.2020 dem BFA eine Kopie eines am 17.04.2017 abgelaufenen marokkanischen Reisepasses des Beschwerdeführers. Die Kopie des Reisepasses wurde in der Folge vom BFA mit Schreiben vom 18.05.2020 der marokkanischen Botschaft übermittelt.
Am 20.04.2020 um 18:00 Uhr wurde der Beschwerdeführer in das LKH Graz II (Psychiatrie) eingeliefert und dort stationär aufgenommen. Er wurde wegen Haftunfähigkeit um 18:15 aus der Haft entlassen.
Aufgrund eines Festnahmeauftrages des BFA vom 21.04.2020 wurde der Beschwerdeführer nach seiner Entlassung aus der stationären Behandlung im LKH Graz II am Vormittag des 22.04.2020 erneut festgenommen.
Mit Mandatsbescheid vom 22.04.2020 wurde über den Beschwerdeführer abermals gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Mit Verfahrensanordnung vom gleichen Tag wurde ihm wiederum ein Rechtsberater für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Der Beschwerdeführer wird seitdem in Schubhaft angehalten.
Mit Bescheid vom 28.05.2020, dem Beschwerdeführer zugestellt am 02.06.2020, wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig sei, sowie gegen ihn gemäß § 53 Abs. 3 FPG ein auf die Dauer von ein Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde dem Beschwerdeführer nicht gewährt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, mit Schriftsatz vom 19.06.2020 Beschwerde, welche dem Bundesverwaltungsgericht vom BFA mit Schreiben vom 23.06.2020 vorgelegt wurde. Die Beschwerde langte am 29.06.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde zu GZ I409 2232495-1 protokolliert. Im Zeitpunkt der gegenständlichen Schubhaftentscheidung ist das Beschwerdeverfahren zur Rückkehrentscheidung offen und der Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht keine aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Gegen den Mandatsbescheid vom 22.04.2020 erhob der Beschwerdeführer die Schubhaftbeschwerde vom 25.06.2020, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, dass im vorliegenden Fall weder Fluchtgefahr noch Verhältnismäßigkeit der Haft vorliege. Die belangte Behörde habe die Verhängung der Schubhaft auf § 76 Abs. 3 Z 1 und Z 9 FPG gestützt, habe aber nicht näher ausgeführt, inwieweit der Beschwerdeführer mangelhaft am Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme mitgewirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgangen oder behindert habe. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer der Behörde zeitnah seinen Reisepass vorgelegt habe, deute auf eine Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers hin. Inwieweit der Beschwerdeführer das Verfahren behindert habe, führe die Behörde nicht an. Seitens des Beschwerdeführers liege keine Umgehung oder sonstige Behinderung des Verfahrens vor. Zudem gelte der Vorrang des gelinderen Mittels. Im Falle des Beschwerdeführers kämen gelinderen Mittel in Betracht, nämlich eine periodische Meldepflicht oder eine Unterkunftnahme in bestimmten Räumlichkeiten. Der Bescheid enthalte zu dieser Frage nur wenige allgemein gehaltene Sätze; entsprechende Ausführungen oder Begründungen seien im Bescheid nicht zu finden. Auch durch die mangelnde Prüfung der gelinderen Mittel erweise sich die Schubhaft als unverhältnismäßig. Auch sei der Behörde die lange Schubhaftdauer anzulasten. Gegen den Beschwerdeführer sei bereits am 09.03.2020 ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung eingeleitet worden, erst am 28.05.2020 sei gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen worden. Die Dauer der Schubhaft sei daher jedenfalls auch unverhältnismäßig. Beantragt wurde die Behebung des Bescheides samt Ausspruch, dass die Anordnung der Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft in rechtswidriger Weise erfolgte, der Ausspruch, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers nicht vorliegen, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Einvernahme des Beschwerdeführers, insbesondere zur Klärung seiner Kooperationsbereitschaft, zum Beweis des Nichtvorliegens eines Sicherungsbedarfs und zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anordnung eines gelinderen Mittels, und der gesetzmäßige Kostenersatz. Anzumerken ist, dass die mündliche Verhandlung auch für die Einvernahme „des beantragten Zeugen“ beantragt wurde, im Schriftsatz jedoch niemand als Zeuge benannt wird.
Die belangte Behörde legte am 26.06.2020 den Verwaltungsakt vor, gab eine Stellungnahme ab und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen bzw. als unzulässig zurückzuweisen, gemäß § 22a BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, und den Beschwerdeführer zum Ersatz näher genannter Kosten zu verpflichten.
Das BVwG bestätigte mit Erkenntnis W180 2232360-1/11E vom 02.07.2020 die Rechtmäßigkeit der Schubhaftnahme und die weitere Anhaltung in Schubhaft.
Da der BF sich nun beinahe vier Monate in Schubhaft befindet, ist die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft nach §22a Abs. 4 BFA-VG verfahrensgegenständlich.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person:
1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Marokkos und führt den im Spruch genannten Namen. Seine Identität steht nicht fest. In Italien führte er den Namen XXXX , geboren am XXXX .1999. Er ist nicht österreichischer Staatsbürger, sohin Fremder im Sinne des FPG.
1.2. Er ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.
1.3. Der Beschwerdeführer hat keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
1.4. Der Beschwerdeführer verfügt nicht über einen Aufenthaltstitel in Österreich.
1.5. Der Beschwerdeführer verfügt über kein Aufenthaltsrecht in Italien. Eine Aufenthaltsberechtigung ist mit 03.07.2017 abgelaufen. Eine neue Aufenthaltsberechtigung wurde nicht ausgestellt.
1.4. Der Beschwerdeführer ist in Österreich unbescholten.
1.5. Der Beschwerdeführer leidet an keinen nennenswerten gesundheitlichen Einschränkungen.
1.6. Über den Beschwerdeführer wurde am 09.03.2020 erstmals die Schubhaft verhängt. Nach einer Haftentlassung am 20.04.2020 wird der Beschwerdeführer nunmehr seit 22.04.2020 in Schubhaft angehalten.
Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Schubhaft:
2.1. Gegen den Beschwerdeführer wurde am 08.03.2020 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet.
Nunmehr liegt mit Bescheid des BFA vom 28.05.2020, dem Beschwerdeführer zugestellt am 02.06.2020, eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem auf ein Jahr befristeten Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer vor. Dieser Bescheid wurde vom Beschwerdeführer in Beschwerde gezogen, das Beschwerdeverfahren ist beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Der Beschwerde wurde vom BFA die aufschiebende Wirkung aberkannt, das Bundesverwaltungsgericht hat im Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung der Beschwerde nicht die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
2.2. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikats seitens der marokkanischen Botschaft wurde am 13.03.2020 beantragt. Am 15.04., 19.05. und 15.06. urgierte das BFA die Ausstellung eines HRZ bei der marokkanischen Botschaft.
2.3. Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat Marokko (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne der Anhaltung in Schubhaft) besteht weiterhin. Die schrittweise Rücknahme der Restriktionen im Zusammenhang mit Covid-19 ist bereits angelaufen – für den internationalen Luftverkehr ist sie in einigen Wochen oder Monaten zumindest in einem reduzierten Ausmaß (das Abschiebungen ermöglicht) zu erwarten.
2.3. Der Beschwerdeführer ist haftfähig.
Zum Sicherungsbedarf und zur familiären/sozialen/beruflichen Komponente:
3.1. Der Beschwerdeführer versuchte am 08.03.2020 ohne Reisedokument von Österreich aus nach Deutschland einzureisen. Gegen ihn wurde am gleichen Tag vom BFA ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet. Bereits am Folgetag versuchte der Beschwerdeführer illegal nach Italien auszureisen.
3.2. Der Beschwerdeführer ist nicht kooperativ.
3.3. Der Beschwerdeführer war vom 12.06., 08:50 Uhr bis 13.06.2020, 16:30 Uhr in Hungerstreik.
3.4. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keinerlei familiäre, soziale oder berufliche Anknüpfungspunkte.
Er hat in Österreich keinen gesicherten Wohnsitz. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine ausreichenden finanziellen Mittel zur nachhaltigen Existenzsicherung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Akt des BFA, den Akt des Bundesverwaltungsgerichts zu GZ I409 2232495-1, in das Strafregister, in das zentrale Melderegister sowie in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.
2.1. Zur Person:
Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass der Beschwerdeführer bislang kein gültiges Dokument zum Nachweis seiner Identität vorgelegt hat. Seine Identität steht daher nicht fest. Es wurde dem BFA jedoch ein Foto eines abgelaufenen marokkanischen Reisepasses des Beschwerdeführers übermittelt, die Staatsangehörigkeit zum Königreich Marokko scheint daher evident zu sein. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer nicht Staatsangehöriger Marokkos ist, sind nicht hervorgekommen.
Dass der Beschwerdeführer nicht österreichischer Staatsbürger und nicht Asylberechtigter oder subsidiär Schutzberechtigter ist sowie in Österreich über keinen Aufenthaltstitel verfügt, gründet das Gericht auf den Verwaltungsakt und ist unstrittig. Das gilt auch für die Feststellung, dass der Beschwerdeführer keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.
Dass der Beschwerdeführer in Italien nach Ablauf einer bis 03.07.2017 befristeten Aufenthaltsberechtigung über kein Aufenthaltsrecht verfügt, ergibt sich aus den entsprechenden Anfragebeantwortungen des Polizeikooperationszentrums für Österreich, Italien und Slowenien im Verwaltungsakt. Dem ist die Beschwerde auch nicht entgegengetreten; die Beschwerde räumt ein, dass das Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers in Italien abgelaufen ist.
Dass der Beschwerdeführer in Österreich unbescholten ist, ergibt sich aus einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister.
Die Feststellung zum Gesundheitszustand stützt das Gericht auf die diesbezüglichen Aussagen des Beschwerdeführers in den Einvernahmen am 08. und 09.03.2020. Der Beschwerdeführer gab an, keine gesundheitlichen Probleme zu haben. Der Beschwerdeführer wurde am 20.04.2020 von einer Polizeiärztin aufgrund einer Psychose (Paranoia) für haftunfähig erklärt und stationär im LKH Graz II Psychiatrie aufgenommen, nach seiner Entlassung aus der stationären Behandlung am 22.04.2020 erfolgte eine neuerliche Untersuchung durch einen Amtsarzt, der den Beschwerdeführer als haftfähig erklärte. Aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres betreffend die mit 22.04.2020 beginnende, laufende Schubhaft ergeben sich in der Folge keine Anhaltspunkte dafür, dass beim Beschwerdeführer gesundheitliche Probleme vorliegen.
Die Daten zur ersten und zur laufenden Schubhaft ergeben sich aus dem Verwaltungsakt.
2.2. Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Schubhaft:
Die Feststellungen zum gegen den Beschwerdeführer geführten und mittlerweile erstinstanzlich abgeschlossenen Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt des BFA, die Feststellungen zum Beschwerdeverfahren aus dem Gerichtsakt zu GZ I409 2232495-1.
Die Beantragung der Ausstellung eines Heimreisezertifikates bei der marokkanischen Botschaft ist dem Verwaltungsakt des BFA zu entnehmen, ebenso die laufenden Urgenzen.
Die realistische Möglichkeit der Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat ergibt sich zunächst aus der grundsätzlich problemlosen Zusammenarbeit mit den Vertretungen und Behörden des Königreiches Marokko. Abschiebungen dorthin fanden bis zum „Lockdown“ im Marz regelmäßig statt. Regelmäßig muss diesen ein Ermittlungsverfahren im Herkunftsstaat vorangehen, weil die Betroffenen kein Personal- oder Reisedokumente vorweisen können. Dies gilt auch im Falle des Beschwerdeführers, der ohne gültiges Reisedokument nach Österreich eingereist ist. Dieses Ermittlungsverfahren dauert üblicherweise einige Monate. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erscheint die Ausstellung eines HRZ in wenigen Monaten, jedenfalls aber innerhalb der gesetzlichen Höchstdauer einer Anhaltung in Schubhaft als realistisch. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass der zwischen Mai und Juli bereits wieder initiierte internationale Luftverkehr (nicht zwingend der allgemeine Reiseverkehr) weiter intensiviert wird und vermehrt Abschiebungen möglich sein werden. Entsprechende Ankündigungen von Regierungen und Fluglinien wurden in den letzten Monaten veröffentlicht und sind notorisch.
Die bestehende Haftfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung zur laufenden Schubhaft ab 22.04.2020, aus der sich keine Anhaltspunkte für eine Haftuntauglichkeit ergeben haben. Ein Auszug aus der Anhaltedatei wurde am 13.August 2020 eingeholt.
2.3. Zum Sicherungsbedarf und zur familiären/sozialen/beruflichen Komponente:
Die Feststellungen zum illegalen Einreiseversuch des Beschwerdeführers nach Deutschland und zum kurz später erfolgten, ebenso illegalen Ausreiseversuch nach Italien ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Die Beschwerde ist dem auch nicht entgegengetreten.
Dass der Beschwerdeführer nicht kooperativ ist, ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer am Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht mitgewirkt hat. Nach Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.03.2020 und Ausfolgung eines Schreibens des BFA zum Parteiengehör im eröffneten Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme hielt sich der Beschwerdeführer der Behörde nicht zur Verfügung, sondern versuchte sofort, sich nach Italien abzusetzen. Damit kommt eine mangelnde Bereitschaft, mit der Behörde zu kooperieren, überdeutlich zum Ausdruck. Die mangelnde Kooperationsbereitschaft zeigt sich auch darin, dass der Beschwerdeführer im Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme der zweimaligen Aufforderung der Behörde, einen Fragenkatalog schriftlich zu beantworten, nicht nachgekommen ist. Schließlich zeigt sich die mangelnde Kooperationsbereitschaft auch darin, dass der Beschwerdeführer – wenn auch nur für einen relativ kurzen Zeitraum – in den Hungerstreik trat. Wenn die Beschwerde vorbringt, auf eine Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers deute der Umstand hin, dass er während laufender Schubhaft die Kopie eines (abgelaufenen) Reisepasses vorgelegt habe, so kommt dem im Vergleich zu seinem Verhalten, das er am Beginn des Verfahrens und noch auf freiem Fuß befindlich gezeigt hat, nämlich sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme durch Ausreise nach Italien entziehen zu wollen, kein maßgebliches Gewicht bei der Beurteilung seiner Kooperationsbereitschaft zu. Im Übrigen erfolgte die Vorlage dieser Kopie durch Frau XXXX . Selbst wenn man darin ein kooperatives Verhalten des Beschwerdeführers sieht, wird dieses durch den späteren Hungerstreik des Beschwerdeführers wieder entscheidend relativiert.
Die Angaben zum Hungerstreik ergeben sich aus der Anhaltedatei.
Dass der Beschwerdeführer über keinerlei familiäre, sozialen und beruflichen Anknüpfungspunkte in Österreich verfügt, ergibt sich aus seiner Einvernahme am 08.03.2020 und wurde in der Beschwerde nicht bestritten. Das gilt auch für die Feststellung, dass der Beschwerde keinen Wohnsitz in Österreich hat.
Eine nachhaltige Existenzsicherung ist aufgrund der in der Anhaltedatei ausgewiesenen Geldreserven in der Höhe von € 0,00 nicht zu erblicken. Einer Selbsterhaltungsfähigkeit steht entgegen, dass der Beschwerdeführer in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgehen kann.
2.3. Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen:
Von einer Anberaumung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die geklärte Sachlage Abstand genommen werden.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch
3.1.1. §§ 76 und 77 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten auszugsweise:
Schubhaft (FPG)
„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
Gelinderes Mittel (FPG)
§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.
(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.
(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;
(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird
(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.
(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.
(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.
(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.
Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)
§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde
3.1.2. Zur Judikatur:
Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).
Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).
Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).
3.1.3. Der Beschwerdeführer besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Ziff. 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (Vorliegen eines Sicherungsbedarfes, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft) – möglich ist.
3.1.4. Im vorliegenden Fall liegt eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.
3.1.5. Es wurde bereits ein Heimreisezertifikatsverfahren eingeleitet. Es liegen keine Gründe vor, die eine Abschiebung des Beschwerdeführers innerhalb der höchstmöglichen Schubhaftdauer unmöglich erscheinen lassen.
3.1.6. Im vorliegenden Fall geht das Gericht auch weiterhin von Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG aus.
Es haben sich keine Änderungen im Vergleich zum Vorerkenntnis W180 2232360-1/11E ergeben, die die gegenständliche Fluchtgefahr und den Sicherungsbedarf relativieren würden.
3.1.7. Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich weder sozial noch familiär verankert. Er hat keine Verwandten oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich. Er ist beruflich nicht verwurzelt, ist finanziell nicht abgesichert und hat auch keinen eigenen gesicherten Wohnsitz.
Das Bundesamt hat das Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats bereits eingeleitet und zuletzt am 17.07.2020 urgiert. Ein konkreter Abschiebetermin ist zwar noch nicht absehbar, von einer Abschiebung innerhalb der Schubhafthöchstdauer ist aber auszugehen.
Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers kommt daher ein geringerer Stellenwert zu, als dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen – insbesondere an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung – zumal der Beschwerdeführer bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass er die österreichische Rechtsordnung missachtet und im Verfahren auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er dieses Verhalten in Zukunft ändert.
3.1.8. Die COVID-Situation gestaltet sich derzeit so, dass die Austrian Airlines den Flugbetrieb wiederaufgenommen hat. Eine zeitnahe Abschiebung des Beschwerdeführers ist daher wahrscheinlich. Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen ist zudem jedenfalls gewährleistet, dass eine allfällige weitere Verlängerung der Schubhaft einer neuerlichen, monatlichen Überprüfung zu unterziehen sein wird. Bei einer im Sinne des § 80 Abs. 4 Z. 4 FPG höchstzulässigen Dauer der Schubhaft von 18 Monaten scheint die Aufrechterhaltung der seit 20.02.2020 bestehenden Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft jedenfalls verhältnismäßig.
3.1.9. Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass die angeordnete Schubhaft seit dem 20.02.2020 auch weiterhin das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt.
3.1.10. Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung sowie die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom Beschwerdeführer in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des Untertauchens des Beschwerdeführers besteht.
Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.
3.1.11. Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des Beschwerdeführers zu gewährleisten.
Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und, dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.
3.1.12. Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des behördlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat.
3.2. Zu Spruchteil B. - Revision
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist der Fall wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Im vorliegenden Akt findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.
Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Gesundheitszustand Haftfähigkeit Heimreisezertifikat Identität Interessenabwägung Kooperation Mittellosigkeit öffentliche Interessen psychiatrische Erkrankung Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Ultima Ratio Untertauchen Verhältnismäßigkeit WohnsitzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W279.2232360.2.00Im RIS seit
07.12.2020Zuletzt aktualisiert am
07.12.2020