TE Bvwg Beschluss 2020/5/15 L507 2119269-2

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Veröffentlicht am 15.05.2020
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Entscheidungsdatum

15.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

L507 2119269-2/8E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch RA Mag. Nadja Lorenz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. 1032060902, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger arabischer Abstammung und moslemischer (schiitischer) Religionszugehörigkeit, stellte am 26.09.2014, nachdem er zuvor illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist, einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 14.12.2015,
Zl. 1.032.060.902-140012870, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 15.12.2016 erteilt.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde mit hg. Beschluss vom 29.01.2016, Zl. L507 2119269-1/3E, hinsichtlich Spruchpunkt I. stattgegeben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

Am 03.11.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei wurde er erneut zu seinen Fluchtgründen sowie zu seinen privaten und familiären Verhältnissen im Irak und in Österreich befragt.

Mit Bescheid des BFA vom 12.11.2016, Zl. 1032060902 – 140012870/BMI-BFA_SZB_RD, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

2. Verfahren hinsichtlich der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

Mit Schreiben des BFA vom 17.11.2016 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass ein Verfahren zur Aberkennung des ihm erteilten Status als subsidiär Schutzberechtigter gemäß
§ 9 AsylG eingeleitet worden sei und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.

Mit Schreiben vom 06.12.2016 erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass mit dem Beschwerdeführer der maßgebliche Sachverhalt nicht erörtert und ihm lediglich die Einleitung eines Aberkennungsverfahren mitgeteilt worden sei. Die vom BFA herangezogenen Länderberichte würden zudem eine Verschlechterung der Lage im Irak aufzeigen, sodass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten weiterhin vorliegen würden.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. 1032060902, wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid des BFA vom 14.12.2015 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt und die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen. Der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 12.10.2016 wurde gemäß § 8 Abs. 4 zweiter Satz AsylG abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß
§ 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer nicht im gesamten Staatsgebiet des Irak eine maßgebliche Gefährdung seiner persönlichen Sicherheit drohe und ihm eine Rückkehr in den Irak (Bagdad, südliche Provinzen, kurdischer Norden, XXXX , XXXX , XXXX ) daher zuzumuten sei. Dies ergebe sich einerseits aus den Länderinformationen der Staatendokumentation sowie der freiwilligen Rückkehr des Bruders und der Schwägerin des Beschwerdeführers in den Irak. Die Rückkehrentscheidung verletze nicht das Recht auf ein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet und würden auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG nicht vorliegen.

4. Der bekämpfte Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 26.01.2017 ordnungsgemäß zugestellt. Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 08.02.2017 beim BFA eingelangte Beschwerde.

Darin wurde im Wesentlichen moniert, dass dem bekämpften Bescheid veraltete und unzureichende Länderberichte zugrunde gelegt worden seien. Die Länderberichte würden überwiegend aus dem Jahr 2015 und somit vor dem Zeitpunkt der erstmaligen Gewährung von subsidiärem Schutz stammen. Die Berichte aus dem Jahr 2016 würden zudem eine Verschlechterung der Sicherheitslage belegen. Aktuelle Bericht würden insbesondere auch zeigen, dass sich die Lage in Bagdad Ende 2016/Anfang 2017 wieder maßgeblich verschlechtert habe und wurden Berichte zur Sicherheitslage auszugsweise auch zitiert. Das BFA hätte sohin nicht zu der Auffassung gelangen dürfen, dass sich die Sicherheitslage im Irak maßgeblich geändert habe.

Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer nach der Einleitung des Aberkennungsverfahrens am 17.11.2016 nicht mehr einvernommen worden und könne eine schriftliche Aufforderung zur Stellungnahme eine Einvernahme nicht ersetzen. Der Beschwerdeführer sei zwar am 04.11.2016 einvernommen worden, allerdings nur zu seinem Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Gewährung von Asyl. Von einer Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sei zu diesem Zeitpunkt keine Rede gewesen. Dem Beschwerdeführer sei auch der Grund für die Einleitung des Aberkennungsverfahrens nicht genannt worden und sei er daher nicht in der Lage gewesen, ein entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Der Beschwerdeführer hätte – wie näher dargelegt – auf den Besuch seines Bruders und seiner Schwägerin im Irak eingehen können. Selbst wenn die eigentlichen Fluchtgründe als unglaubwürdig qualifiziert worden seien, hätte die berufliche Tätigkeit des Vaters des Beschwerdeführers bzw. der gemischt konfessionelle Hintergrund des Beschwerdeführers (Vater Schiit, Mutter Sunnitin) bei der Beurteilung des Rückkehrrisikos miteinbezogen werden müssen.

Zum Aufenthaltsort des Bruders des Beschwerdeführers wurde angemerkt, dass der Beschwerdeführer keine Kenntnis darüber gehabt habe, dass die dahingehenden Angaben des Beschwerdeführers in Zweifel gezogen worden seien. Auch die Beweiswürdigung des BFA zu den verwandtschaftlichen Beziehungen des Beschwerdeführers sei unschlüssig und nicht nachvollziehbar. Aufgrund der veralteten Länderfeststellungen (großteils aus der Zeit vor der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten) sei auch nicht nachvollziehbar, wie das BFA zu der Auffassung kommt, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative (Bagdad, südliche Provinzen, Kurdistan, XXXX , XXXX ) offen stehen würde und könne auch der Verweis auf eine Entscheidung des BVwG in der eine innerstaatlich Fluchtalternative für Bagdad angenommen worden sei, die Einzelfallprüfung nicht ersetzten.

Bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers in schiitisch dominierte Gebiete würde ebenfalls eine Verletzung der Reche nach Art. 3 EMRK drohen, zumal der Beschwerdeführer anhand des Namens als Familienangehöriger seines Vaters, welcher Geheimoffizier zu Zeiten von Saddam Hussein gewesen sei, erkannt werden würde. In den schiitischen Gebieten sei die iranische Geheimpolizei aktiv, von der er aufgrund seines Vaters ebenfalls Probleme zu fürchten habe.

Im Weiteren wurde erneut darauf hingewiesen, dass kein einziger vom BFA herangezogener Bericht zur Lage in Bagdad, der kurdischen Autonomieregion oder den schiitischen Gebieten im Süden von einer Verbesserung der Situation in diesen Gebieten spreche. Der Beschwerdeführer sei zudem nicht nur Schiit, sondern auch Araber und gehe aus den Länderberichten eine Diskriminierung dieser Bevölkerungsgruppe hervor.

Das BFA habe es auch gänzlich unterlassen sich mit den individuellen Lebensumständen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative und auf die Erlassung der Rückkehrentscheidung auseinanderzusetzen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A):

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als - eine - Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern - auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt - auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

2.3. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Im vorliegenden Fall hat das BFA dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 20.06.2014 den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak zuerkannt. Dieser Teil des Bescheides wurde nicht angefochten und erwuchs daher in Rechtskraft. Mit dieser Entscheidung wurde somit bindend festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des BFA die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
(§ 8 Abs. 1 AsylG) in Bezug auf den gesamten Herkunftsstaat des Beschwerdeführers gegeben waren.

Die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz und damit die Bejahung der Voraussetzungen zur Zuerkennung dieses Schutzstatus durch das BFA sind vom BFA auch im gegenständlichen Fall betreffend die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen zu beachten. Eine Durchbrechung dieser Rechtskraftwirkung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sich nach Erlassung der Entscheidung des BFA (Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten) der Sachverhalt oder die Rechtsvorschriften wesentlich geändert hätten, also eine neue Sache vorgelegen wäre, für die die Rechtskraftwirkung der ursprünglichen Entscheidung nicht mehr gelten würde.

Von einer nachträglichen Änderung der Sache ist aber der Fall zu unterscheiden, in dem der Sachverhalt anders rechtlich beurteilt wird oder neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorlagen, aber erst später bekannt wurden ("nova reperta"). Die schon vor Erlassung der Entscheidung bestehende Sachlage ist von der Rechtskraft des Bescheides erfasst und bindet Gerichte und Behörden, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehört.

Die rechtskräftige Zuerkennung von subsidiärem Schutz an den Beschwerdeführer war daher bei der Beurteilung der Frage, ob ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten – im gegenständlichen Fall aufgrund einer Änderung der allgemeinen Lage im Irak – abzuerkennen ist, jedenfalls solange zu beachten, als – bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BFA – keine wesentliche Änderung des Sachverhalts vorgelegen ist.

Im gegenständlichen Fall stützte sich das BFA bei der Zuerkennung des Stauts des subsidiär Schutzberechtigten auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 20.06.2014. Die Entscheidung des BFA über die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten beruht auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 08.04.2016.

Einen Vergleich der Lage im Irak zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes mit jener Lage zum Zeitpunkt der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten lässt der Bescheid jedoch vermissen und hat das BFA keinerlei Feststellungen dazu getroffen, weshalb sich seiner Ansicht nach die allgemeine Lage derart nachhaltig verbessert haben soll, dass nunmehr eine Rückkehr für den Beschwerdeführer einerseits gefahrlos und andererseits faktisch tatsächlich möglich und zumutbar sein sollte.

Bei einer vergleichenden Betrachtung der Länderfeststellungen (LIB 20.06.2014 und LIB 08.04.2106) ist eine Änderung bzw. Besserung der Lage im Irak nicht erkennbar. Vor diesem Hintergrund vermögen die beweiswürdigenden Überlegungen des BFA im angefochtenen Bescheid die Annahme einer Änderung der allgemeinen Lage im Irak nicht zu rechtfertigen. Das BFA schätzte zwar die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten anders ein als das BFA zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer, stützte sich dabei aber auf Beweismittel (insbesondere Länderberichte bzw. Länderfeststellungen), die eine Änderung bzw. Verbesserung der Lage im Irak nicht belegen und daher nach dem bisher gesagten keine (wesentliche) Änderung des Sachverhalts bezogen auf diesen Zeitpunkt bedeuten.

Da seitens des BFA im angefochtenen Bescheid eine Änderung bzw. Verbesserung der Lage im Irak angenommen wurde, obwohl sich eine solche aus den der Entscheidung zugrunde gelegten Länderfeststellungen nicht ergibt, kann im angefochtenen Bescheid auch nicht schlüssig nachvollzogen werden, worauf sich die Feststellungen zur Änderung bzw. Besserung der Lage im Irak stützt.

Darüber hinaus nimmt das BFA neben einer sicheren Rückkehr nach Bagdad (Herkunftsort des Beschwerdeführers) ohne nähere Begründung eine innerstaatliche Fluchtalternative in den südlichen Provinzen, XXXX , XXXX und XXXX an, obwohl der Beschwerdeführer aus Bagdad stammt und keinen Bezug zu den gegenständlich ins Treffen geführten Orten bzw. Gebiet im Hinblick auf eine mögliche Rückkehr aufweist.

Das BFA hat es daher unterlassen den konkreten, für die rechtliche Beurteilung nötigen, Sachverhalt zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zu erheben. Mangels Erhebung des konkreten Sachverhalts ist eine nachfolgende rechtliche Beurteilung nicht möglich und leidet der angefochtene Bescheid unter diesem Gesichtspunkt an erheblichen Ermittlungsmängeln.

Für das Bundesverwaltungsgericht erweist sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des Beschwerdeführers unter dem Aspekt der Gewährung des Status des Asylberechtigten als so mangelhaft, dass weitere notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.

In der Gesamtschau ist der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis der Vorzug zu geben. Das behördliche Verfahren erweist sich aus den dargelegten Gründen insgesamt als so mangelhaft, dass von dem in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

3. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies Folgendes:

Wie oben dargelegt, ergibt sich die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides bereits aus der Aktenlage, zumal das BFA die aktuelle Situation im Falle der Rückkehr in den Irak zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides nicht festgestellt hat, weshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides rechtlich klar erscheint.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Vor allem aber war die Entscheidungsfindung im gegenständlichen Fall nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängig, sondern von der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Partei.

Schlagworte

Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung nova reperta Rechtskraftwirkung Sicherheitslage wesentliche Sachverhaltsänderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L507.2119269.2.00

Im RIS seit

25.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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