TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/11 I403 2234793-1

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Veröffentlicht am 11.09.2020
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Entscheidungsdatum

11.09.2020

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
NAG §54
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2234793-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Nordmazedonien, vertreten durch: Mag. Dr. Ralf Heinrich HÖFLER & Mag. Stefan ERRATH, Rechtsanwälte in 1030 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX vom 31.07.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schriftsatz vom 16.01.2019 informierte die belangte Behörde den Beschwerdeführer, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn beabsichtigt sei und er innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung dieser Verständigung zum geplanten Aufenthaltsverbot sowie zu seinen persönlichen und finanziellen Verhältnissen Stellung nehmen könne.

2. Der Beschwerdeführer machte von der Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben, nicht Gebrauch.

3. Mit Bescheid vom 31.07.2020, Zl. XXXX , zugestellt am 03.08.2020, wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein für die Dauer von 4 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung gewährt (Spruchpunkt II.).

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche Beschwerde, datiert mit 11.08.2020 (bei der belangten Behörde am Postweg eingelangt am 01.09.2020 und daher fristgerecht spätestens am 31.08.2020 bei der Österreichischen Post aufgegeben).

5. Mit Schriftsatz vom 03.09.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 07.09.2020, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nordmazedonien. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer verfügt seit 09.03.2017 über einen aufrecht gemeldeten Hauptwohnsitz in Österreich. Er heiratete am XXXX 2017 in Serbien eine ungarische Staatsangehörige namens XXXX , die in weiterer Folge nach Österreich zog und hier vom 04.04.2017 bis 17.10.2017 beschäftigt war, ehe sie vom 25.10.2017 bis 10.02.2018 Arbeitslosengeld bezog. Es handelt sich dabei um eine Aufenthaltsehe, die geschlossen wurde, um dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel für Österreich zu ermöglichen. Der Beschwerdeführer zog seinen Antrag vom 21.04.2017 auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte als Angehöriger einer EWR Bürgerin am 23.10.2019 zurück.

Der Beschwerdeführer war in Österreich von 13.02.2019 bis 08.03.2019 und von 27.01.2020 bis 21.07.2020 als Arbeiter erwerbstätig, allerdings ohne entsprechende arbeitsmarktbehördliche Berechtigung.

In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen. Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Berichte der Fremden- und Finanzpolizei, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz.

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen über die Staatsangehörigkeit und Volljährigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Akt, insbesondere aus der Email des Beschwerdeführers vom 29.09.2017 (AS 21) und dem Auszug aus dem zentralen Melderegister vom 08.09.2020.

Seine Identität steht aufgrund des im Auszug aus dem zentralen Melderegister vom 08.09.2020 aufscheinenden Reisepasses mit der Nr. XXXX fest.

Da der Beschwerdeführer am 04.06.2020 in der Lage gewesen ist, auf einer Baustelle zu arbeiten, war festzustellen, dass er gesund und arbeitsfähig ist. Zwar wird in der Beschwerde behauptet, er habe sich am 13.06.2020 einer Notoperation unterziehen müssen und befinde sich noch in medizinischer Behandlung (AS 95 bzw. S. 2 der Beschwerde), jedoch ist dieses Vorbringen unsubstantiiert und nicht ausreichend detailliert. Weder wurde der Grund für die angebliche Notoperation und medizinische Behandlung dargelegt noch sind medizinische Unterlagen, insbesondere wurden kein Befund sowie keine Bestätigung eines Krankenhauses vorgelegt. Das Beschwerdevorbringen konnte daher nicht hinreichend bescheinigen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich operiert wurde und sich in medizinischer Behandlung befindet. Selbst wenn der Beschwerdeführer sich tatsächlich in Behandlung befinden sollte, so sind keine Gründe ersichtlich, warum eine Fortsetzung der medizinischen Behandlung in seinem Herkunftsstaat Nordmazedonien nicht in Betracht käme.

Aus dem Auszug vom 08.09.2020 aus dem zentralen Melderegister geht hervor, dass der Beschwerdeführer seit 09.03.2017 einen aufrecht gemeldeten Hauptwohnsitz in Österreich hat.

Die Feststellung über die mangelnde Integration des Beschwerdeführers ergibt sich aus seiner kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich und dem Nichtvorliegen von außergewöhnlicher Integrationsschritte. Zwar wird in der Beschwerde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer die Zeit in Österreich zur sozialen sowie beruflichen Integration genutzt habe, eine Erwerbstätigkeit ausübe, einen weiten Freundeskreis habe und ihm das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukomme (AS 95 bzw. S. 2 der Beschwerde), jedoch handelt es sich dabei um keine exzeptionellen Umstände, welche eine tiefgreifende Verfestigung nahelegen würden. Abgesehen davon wurden in der Beschwerde keine Nachweise über erfolgte Integrationsschritte vorgelegt. Zudem handelte es sich bei der Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers jedenfalls um eine unerlaubte Beschäftigung (siehe Punkt 2.4.) und er ging vorsätzlich eine Scheinehe ein, um sich ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu erschleichen (siehe Punkt 2.3.), weshalb sein privates Interesse am Verbleib in Österreich stark zu relativieren ist. Der Beschwerdeführer brachte daher insgesamt keine Angaben vor, die die Annahme einer außergewöhnlichen und damit maßgeblichen Integration in Österreich in sprachlicher, gesellschaftlicher und beruflicher Hinsicht rechtfertigen würden.

Da der Beschwerdeführer keine Angaben zu allenfalls in Österreich lebenden nahen Verwandten oder sozialen Kontakten machte, sondern nur die nicht substantiierte Behauptung aufstellte, über einen weiten Freundeskreis zu verfügen und die Ehe mit XXXX nur zum Schein geschlossen wurde, war festzustellen, dass er über keine maßgeblichen persönlichen und familiären Beziehungen im Bundesgebiet verfügt.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 08.09.2020.

2.3. Zur Aufenthaltsehe des Beschwerdeführers:

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer am XXXX 2017 in Serbien eine ungarische Staatsangehörige namens XXXX heiratete, ergibt sich aus dem Schriftsatz vom 03.05.2017 des Amts der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35 (AS 1). Die Feststellungen, dass XXXX von Serbien nach Österreich zog und im Bundesgebiet seit 02.11.2017 einen aufrecht gemeldeten Hauptwohnsitz hat und sie im Zeitraum vom 04.04.2017 bis 17.10.2017 in Österreich als Arbeiterin erwerbstätig war, ergeben sich aus dem ZMR Auszug vom 09.09.2020 und dem AJ-WEB Auskunftsverfahren vom 09.09.2020.

Im Zuge der persönlichen Antragstellung am 21.04.2017 kam beim Amt der Wiener Landesregierung der Verdacht des Vorliegens einer Aufenthaltsehe auf. Die Magistratsabteilung 35 leitete anschließend den Akt an die Landespolizeidirektion Wien weiter (Schriftsatz vom 03.05.2017 des Amts der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35 (AS 1)).

Am 16.05.2017, 17.05.2017 und 22.05.2017 wurden von der Fremdenpolizei der Landespolizeidirektion Wien unangekündigte Erhebungen an der Adresse des Beschwerdeführers durchgeführt. Trotz mehrmaligen Klopfens öffnete keiner die Türe der Wohnung. Die Nachbarn des Beschwerdeführers im Stockwerk konnten keine Angaben zum Beschwerdeführer und seiner Gattin machen und das Ehepaar auch nicht auf vorgelegten Lichtbildern erkennen (Bericht der Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug der Landespolizeidirektion Wien vom 14. Juni 2017 (AS 9)).

Der Beschwerdeführer und seine Gattin wurden daraufhin für den 14.06.2017 geladen und unter Beisein eines Dolmetschers mündlich einer Befragung unterzogen. Während der Einvernahme gestanden der Beschwerdeführer und seine Frau, dass es sich um eine Aufenthaltsehe handeln würde. Der Zweck der Ehe sei es gewesen, dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel in Österreich zu sichern; dies geht aus den beiden unterschriebenen Geständnissen vom 14. Juni 2017 (AS 13) eindeutig hervor.

Dass es sich bei der am XXXX 2017 in Serbien geschlossenen Ehe um eine Aufenthaltsehe handelt, geht aus den genannten Niederschriften vom 14.06.2017 (AS 13), aus dem Aktenvermerk der LPD Wien vom 05.09.2017 (AS 5), dem Bericht der LPD Wien an die Staatsanwaltschaft Wien vom 14.06.2017, aus dem Umstand, dass er seinen Antrag vom 21.04.2017 auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte als Angehöriger einer EWR Bürgerin am 23.10.2019 zurückzog, hervor. In der Beschwerde wurde zwar behauptet, dass es sich um eine „echte Ehe gemäß Art 8 EMRK“ (AS 95 bzw. S. 2 der Beschwerde) handeln würde, doch wurde nicht dargelegt, warum der Beschwerdeführer und seine Ehefrau im Juni 2017 erklärt hatten, die Ehe sie nur zu Aufenthaltszwecken geschlossen worden. Mit der schlichten Behauptung, es handle sich um eine „echte Ehe“ kann der von der belangten Behörde im angefochtenen Beschied getroffenen Feststellung, dass es sich um eine Aufenthaltsehe handle, nicht substantiiert entgegengetreten werden.

Dass der Beschwerdeführer seinen Antrag vom 21.04.2017 auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte als Angehöriger einer EWR Bürgerin am 23.10.2019 zurückzog, geht aus dem Auszug aus dem zentralen Fremdenregister vom 08.09.2020 hervor.

2.4. Zum Beschäftigungsverhältnis des Beschwerdeführers:

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich von 13.02.2019 bis 08.03.2019 und von 27.01.2020 bis 21.07.2020 als Arbeiter erwerbstätig war, ergibt sich aus dem AJ- WEB Auskunftsverfahren vom 08.09.2020.

Aus einem Strafantrag vom 09.06.2020 der Finanzpolizei für das Finanzamt Wien (AS 53) geht hervor, dass die Finanzpolizei am 04.06.2020 um 9:00 auf einer Baustelle in der XXXX gasse in Wien eine Kontrolle durchführte, den Beschwerdeführer antraf, welcher für die Firma XXXX GmbH arbeitete und Bauschutt entsorgte, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Kontrolle aber über keine gültigen arbeitsmarktbehördlichen Dokumente verfügte. Er wurde mit Schriftsatz vom 23.06.2020 der Fremdenpolizei der Landespolizeidirektion Wien wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet angezeigt (AS 39).

Der Geschäftsführer der XXXX GmbH wurde mit Strafantrag der Finanzpolizei vom 09. Juni 2020 wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes der Bezirksverwaltungsbehörde angezeigt, da er den Beschwerdeführer unerlaubt beschäftigt hatte (Strafantrag vom 09.06.2020 der Finanzpolizei für das Finanzamt Wien hervor (AS 51)).

Dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Kontrolle am 09.06.2020 über keine gültigen arbeitsmarktbehördlichen Dokumente verfügte, ergibt sich aus dem Schreiben der Finanzpolizei vom 09.06.2020 (AS 49).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1 Zum Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1 Rechtslage

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa, wenn der EWR-Bürger zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art. 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, zu berücksichtigen.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist gemäß § 9 BFA-VG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Nach § 9 Abs 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

3.1.2 Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nordmazedonien und mit einer ungarischen Staatsangehörigen verheiratet, die von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat. Im gegenständlichen Fall zog der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte als Angehöriger einer EWR-Bürgerin allerdings zurück, nachdem er erklärt hatte, dass es sich um eine Aufenthaltsehe handelte.

Einem Fremden, der mit einem in Österreich lebenden, sein unionsrechtliches Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmenden EU-Bürger aufrecht verheiratet ist (unabhängig davon, ob die Ehe als Scheinehe zu qualifizieren ist), kommt die Rechtsposition als begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG 2005 zu (vgl. VwGH, 07.04.2011, 2011/22/0005). Insofern trifft es zwar zu, dass das formell aufrechte Bestehen der Ehe maßgeblich ist. Das steht der Wahrnehmung einer Scheinehe aber nicht entgegen, sondern bedeutet nur, dass sich die Konsequenzen dieser Scheinehe nach den für begünstigte Drittstaatsangehörige geltenden Regeln bestimmen. Insbesondere käme etwa die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nach § 67 Abs. 1 FPG 2005, weil auf Grund des persönlichen Verhaltens des begünstigten Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, in Betracht (vgl. VwGH, 21.02.2013, 2011/23/0647; VwGH 22.01.2013, 2011/18/0003; VwGH, 12.03.2013, 2012/18/0228).

Das Beschwerdevorbringen, wonach, unter der Annahme, dass dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukomme, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG zu erlassen wäre, die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes jedoch für begünstigte Drittstaatsangehörige unter der Annahme des Vorliegens einer Aufenthaltsehe unzulässig bzw. auch die Dauer desselben unverhältnismäßig sei, trifft daher nicht zu.

Aufgrund obenstehender Erwägungen steht für das Bundesverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der entsprechenden Beurteilung durch die belangte Behörde fest, dass es sich bei der zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Gattin geschlossenen Ehe um eine Aufenthaltsehe handelt, die den Zweck verfolgt, dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsmöglichkeit im Bundesgebiet zu verschaffen, wobei keine Absicht bestand und besteht, eine eheliche Lebensgemeinschaft zu begründen.

Die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG 2005 liegen vor, wenn ein Fremder - im Sinn des Tatbestands des § 53 Abs. 2 Z 8 FPG 2005 - eine Aufenthaltsehe geschlossen, also mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 MRK nicht geführt und sich trotzdem (ua) für den Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe berufen hat. In diesem Fall beträgt die Höchstdauer eines Aufenthaltsverbotes - abweichend von § 67 Abs. 2 FPG 2005 - allerdings nicht zehn, sondern nur fünf Jahre (vgl. VwGH, 30.09.2014, 2013/22/0280).

Die Nichtigerklärung einer Ehe gemäß § 23 EheG stellt keine Voraussetzung für die Feststellung des Bestehens einer Scheinehe dar und spricht das Unterbleiben einer solchen Nichtigerklärung nicht gegen die Beurteilung einer solchen Ehe (VwGH 21.01.2013, Zl. 2012/23/0040). Dass im gegenständlichen Fall die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Gattin derzeit (noch) nicht durch ein Gerichtsurteil für nicht erklärt worden ist, ist also insofern nicht relevant, als die Nichtigerklärung einer Ehe gem. § 23 EheG keine Voraussetzung für die Feststellung des Bestehens einer Scheinehe (Aufenthaltsehe) darstellt. Aufgrund des Umstandes, dass die Aufenthaltsehe im Ausland geschlossen worden war, handelt es sich zudem um eine „nicht strafbare Aufenthaltsehe“, die in Österreich strafrechtlich nicht verfolgt werden kann.

Aufgrund der vom Beschwerdeführer geschlossenen Aufenthaltsehe liegen daher die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG 2005 vor.

Grundsätzlich stellt ein Aufenthaltsverbot einen Eingriff in das Privat- und Familienleben einer Person dar. Im gegenständlichen Fall haben sich jedoch keine Anhaltspunkte für ein schützenswertes Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich ergeben und ein Aufenthaltsverbot ist dringend zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung geboten. Der Missbrauch des Rechtsinstituts der Ehe zur Erlangung eines Aufenthaltstitels stellt nämlich - wie auch in § 53 Abs. 2 Z 8 FPG zum Ausdruck kommt - eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Außerdem kommt dem Interesse der Allgemeinheit an der Verhinderung von Scheinehen und von unerlaubten Beschäftigungsverhältnissen generell eine große Bedeutung zu.

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs. 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075). Auch wenn gegenständlich maximal eine Dauer von fünf Jahren möglich war, so erscheint die Verhängung eines vierjährigen Aufenthaltsverbotes angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer neben dem Eingehen einer Scheinehe auch noch ohne entsprechende Bewilligung einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, gerechtfertigt. Zudem bestehen keine besonderen Bindungen in Österreich.

Soweit in der Beschwerde behauptet wird, es liege ein Sachverhalt gemäß § 54 Abs. 5 Z 4 NAG vor (laut dieser Bestimmung bleibt das Aufenthaltsrecht der Ehegatten die Drittstaatsangehörige sind, bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 und 2 erfüllen und es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten oder eingetragenem Partner wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft nicht zugemutet werden kann), kann dem nicht gefolgt werden, wurde eine Ehescheidung nicht bescheinigt, sondern wird der Beschwerdeführer (ebenso wie seine Ehefrau) laut ZMR noch immer als verheiratet geführt. Im Übrigen wäre es auch unterlassen worden, die „besondere Härte“ zu substantiieren, welche Tatbestandsvoraussetzung für § 54 Abs. 5 Z 4 NAG ist.

Auch das sonstige Beschwerdevorbringen („Aufgrund der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist lediglich dieses im Beschwerdeverfahren zu überprüfen. Die Abänderung in ein Einreiseverbot ist unzulässig, da dies den Beschwerdegegenstand austauschen würde“. - AS 97 bzw. S. 3 der Beschwerde) zeigt keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids auf und ist daher unbegründet.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen war.

3.2 Zur Erteilung eines Durchsetzungsaufschubes (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids):

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer einen Durchsetzungsaufschub im Ausmaß von einem Monat iSd. § 70 Abs. 3 FPG und sohin gesetzeskonform erteilt, weshalb - mangels Beschwer des Beschwerdeführers - die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. abzuweisen war.

4.       Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem VwG durchzuführen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das VwG (VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). § 21 Abs 7 BFA-VG 2014 erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn – wie im vorliegenden Fall – deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052 ua). Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC (VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

Im gegenständlichen Fall ist der Sachverhalt durch die belangte Behörde vollständig erhoben worden und aufgrund des schriftlichen Zugestehens des Beschwerdeführers, dass es sich bei seiner Ehe um eine Aufenthaltsehe handelt, war auch nicht vom Bundesverwaltungsgericht in einer mündlichen Verhandlung zu klären, ob eine Aufenthaltsehe vorliegt oder nicht. Dieser Feststellung wurde in der Beschwerde auch nicht substantiiert entgegengetreten, sondern wurde nur mit einem Satz behauptet, es handle sich um eine „echte Ehe“.

Das Bundesverwaltungsgericht musste sich daher keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da selbst unter Berücksichtigung aller zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Fakten auch dann für den Beschwerdeführer kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Bundesverwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft, weshalb eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233; 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 bis 0423, Ra 2017/19/0424).

Daher konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen und das BVwG orientierte sich bei der vorliegenden Entscheidung auf den oben zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Aufenthalt im Bundesgebiet Aufenthaltsehe Aufenthaltsverbot Durchsetzungsaufschub Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose illegale Beschäftigung Interessenabwägung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Scheinehe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I403.2234793.1.01

Im RIS seit

24.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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