TE Vwgh Beschluss 2020/10/30 Ra 2017/22/0148

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Veröffentlicht am 30.10.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

AVG §13 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FrÄG 2015
NAG 2005 §19 Abs1
NAG 2005 §19 Abs1 idF 2015/I/070
NAG 2005 §24
VwGG §34 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache der U J J E in W, vertreten durch den Sachwalter (nunmehr Erwachsenenvertreter) Mag. Robert Bitsche in Wien, dieser vertreten durch die Pelzmann Gall Rechtsanwälte GmbH in 1220 Wien, Wagramer Straße 19/33, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 18. Juli 2017, VGW-151/023/8068/2017-6, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Mit Bescheid vom 9. Mai 2017 wies die belangte Behörde den Antrag der Revisionswerberin, einer nigerianischen Staatsangehörigen, auf Verlängerung ihres befristeten Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung“ gemäß § 19 Abs. 1 und Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in Verbindung mit § 13 Abs. 3 AVG zurück.

Die Behörde führte begründend aus, für die Revisionswerberin sei ein Sachwalter (nunmehr: Erwachsenenvertreter) (im Folgenden nur: Vertreter) bestellt. Dieser habe mit postalischer Eingabe die Verlängerung des der Revisionswerberin erteilten Aufenthaltstitels beantragt. Er sei daraufhin von der Behörde gemäß § 13 Abs. 3 AVG unter Setzung einer angemessenen Frist zur persönlichen Antragstellung und auch zur Mitwirkung an der Erfassung erkennungsdienstlicher Daten aufgefordert worden. Er sei der Aufforderung jedoch nicht nachgekommen, zumal er bei der Behörde nicht persönlich erschienen sei, sondern eine Mitarbeiterin habe vorsprechen lassen; auch eine Mitwirkung an der Erfassung erkennungsdienstlicher Daten sei nicht erfolgt. Im Hinblick darauf sei der Antrag zurückzuweisen (gewesen).

2.2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab.

Das Verwaltungsgericht führte begründend aus, auch der gesetzliche Vertreter einer nicht selbst handlungsfähigen Person habe einen Antrag auf Aufenthaltstitel persönlich einzubringen. Vorliegend sei der Vertreter (im hier maßgeblichen Zeitraum der Notar Dr. K) mit pflegschaftsgerichtlichem Beschluss vom 17. Februar 2017 zum Sachwalter für die Revisionswerberin unter anderem zur Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten bestellt worden. Ihm wäre es daher oblegen, den Antrag persönlich bei der Behörde einzubringen, was nicht geschehen sei; das Einschreiten einer bevollmächtigten Mitarbeiterin genüge nicht. Das Unterbleiben der persönlichen Antragstellung betreffe ein Formalerfordernis und führe nicht zur sofortigen Zurückweisung, es sei vielmehr eine Mängelbehebung (persönliche Bestätigung der Antragstellung) im Sinn des § 13 Abs. 3 AVG aufzutragen. Vorliegend habe die Behörde einen entsprechenden Verbesserungsauftrag erteilt, der Vertreter sei dem Auftrag jedoch nicht nachgekommen; auch eine Mitwirkung an der Erfassung erkennungsdienstlicher Daten sei nicht erfolgt. Der gegenständliche Antrag sei daher zurückzuweisen gewesen.

Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.

3. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die - Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende - außerordentliche Revision. Eine Revisionsbeantwortung wurde (im eingeleiteten Vorverfahren) nicht erstattet.

In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird ein Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in den nachstehend näher erörterten Punkten releviert. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

4.1. Die Revisionswerberin macht geltend, es fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob nur Erstanträge nach § 19 NAG oder auch Verlängerungsanträge nach § 24 NAG (entgegen dem Wortlaut dieser Bestimmung) persönlich eingebracht werden müssten.

4.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem - ebenso zu einem Verlängerungsverfahren ergangenen - Erkenntnis vom 5. Mai 2011, 2011/22/0080, klargestellt, dass nach den Gesetzesmaterialien (vgl. ErläutRV 952 BlgNR 22. GP 127) § 19 NAG die allgemeinen Verfahrensbestimmungen regelt, die für alle drei Verfahrensarten - nämlich Erstantrags-, Verlängerungs- und Zweckänderungsverfahren - „entsprechend Anwendung finden und zur geeigneten und effizienten Regelung dieser Verfahren erforderlich sind“.

Die Verpflichtung zur persönlichen Antragseinbringung nach § 19 Abs. 1 NAG (als allgemeine Verfahrensregel) gilt daher auch für Verlängerungsanträge, und nicht - wie die Revisionswerberin vermeint - nur für Erstanträge.

Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin finden sich auch in § 24 NAG keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verpflichtung zur persönlichen Antragstellung nicht ebenso für Verlängerungsanträge gelten sollte.

5.1. Die Revisionswerberin releviert, es fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob die Verpflichtung des gesetzlichen Vertreters zur persönlichen Einbringung nur für Anträge, die bei einer ausländischen Vertretungsbehörde eingebracht und im Quotenregister gereiht würden, oder für alle (Erst)Anträge gelte.

5.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, ist bei der Auslegung von Gesetzen in erster Linie vom Gesetzeswortlaut auszugehen (vgl. VwGH 5.9.2008, 2005/12/0029). Ein im Rahmen der Interpretation gewonnenes anderweitiges Ergebnis hat hinter die aus dem klaren und eindeutigen Wortlaut gewonnene Lösung zurückzutreten (vgl. VwGH 4.10.2018, Ra 2017/22/0056).

Gegenständlich trifft nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut des § 19 Abs. 1 zweiter Satz NAG - soweit die Partei nicht selbst handlungsfähig ist - den gesetzlichen Vertreter grundsätzlich die Verpflichtung, den Antrag „persönlich“ einzubringen.

§ 19 Abs. 1 NAG sah zwar zunächst die Verpflichtung zur persönlichen Einbringung nur für den Antragsteller selbst vor (vgl. VwGH 15.6.2010, 2009/22/0197). Durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015, BGBl. I Nr. 70/2015, wurde jedoch ausdrücklich (durch die Aufnahme des Hinweises „persönlich“ in § 19 Abs. 1 zweiter Satz NAG) die Verpflichtung zur persönlichen Einbringung auch auf den gesetzlichen Vertreter ausgeweitet (vgl. ErläutRV 582 BlgNR 25. GP 28).

Diese Verpflichtung ist nicht etwa dahingehend eingeschränkt, dass davon lediglich Fälle einer Antragstellung bei einer ausländischen Vertretungsbehörde mit Reihung im Quotenregister erfasst wären. Vielmehr handelt es sich - wie schon gesagt (Punkt 4.2.) - um eine allgemeine Verfahrensregel, die nicht auf die von der Revisionswerberin genannten Fälle begrenzt ist.

6.1. Die Revisionswerberin wirft die Frage auf, ob sich ein gesetzlicher Vertreter im Fall der notwendigen persönlichen Einbringung vertreten lassen könne bzw. ob ein fehlendes persönliches Einschreiten durch das Auftreten eines bevollmächtigten Mitarbeiters „geheilt“ werde.

6.2. Nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut des § 19 Abs. 1 zweiter Satz NAG hat den Antrag eines nicht selbst handlungsfähigen Antragstellers grundsätzlich „sein gesetzlicher Vertreter persönlich“ einzubringen.

In der genannten Bestimmung wird somit ausdrücklich die persönliche Einbringung durch den Vertreter selbst vorausgesetzt. Dieser Voraussetzung wird aber durch das Einschreiten eines bevollmächtigten Mitarbeiters nicht entsprochen, würde in dem Fall doch das Ansuchen nicht durch den gesetzlichen Vertreter persönlich (selbst) eingebracht.

Einer einschränkenden Auslegung im Sinn des Vorbringens der Revisionswerberin steht somit schon der eindeutige Gesetzeswortlaut entgegen. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich kein Hinweis, dass eine einschränkende Interpretation dem Willen des Gesetzgebers entsprechen würde.

Es ist aber nicht Aufgabe der Rechtsprechung, im Wege der Interpretation nach ihrem Wortlaut eindeutige - allenfalls als unbefriedigend angesehene - Gesetzesbestimmungen zu ändern (vgl. erneut VwGH 4.10.2018, Ra 2017/22/0056).

7. Insgesamt wird daher - in der maßgeblichen gesonderten Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 21.3.2017, Ra 2015/22/0147) - keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 30. Oktober 2020

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017220148.L00

Im RIS seit

09.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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