Entscheidungsdatum
12.08.2020Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
W171 2231038-4/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter im am 04.08.2020 amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. XXXX , StA. Marokko, in Schubhaft zu Recht:
A)
Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste zu einem nicht bekannten Zeitpunkt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 17.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid vom 07.03.2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch Bundesamt, Behörde oder BFA genannt) den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Marokko (Spruchpunkt II.) ab, erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Ziffer 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt III.) und stellte gemäß § 55 Abs 1-3 FPG fest, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in Folge auch BVwG). Mit (rechtskräftigem) Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.07.2019 wurde diese Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
2. Mit Bescheid des BFA vom 29.10.2019 wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach Marokko samt einem befristeten Einreiseverbot (10 Jahre) erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig ist. Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde nicht gewährt. Diese Entscheidung erwuchs am 11.12.2019 in Rechtskraft.
3. Der Beschwerdeführer wurde am 28.12.2018 von Beamten einer Landespolizeidirektion festgenommen und ab 29.12.2018 in Untersuchungshaft angehalten. Mit Urteil vom 28.03.2019 wurde er zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten (rechtskräftig) verurteilt. Am 27.12.2019 wurde er nach Verbüßung der Strafhaft in ein Polizeianhaltezentrum zur Verbüßung einer Verwaltungsstrafhaft überstellt.
4. Mit Bescheid des BFA vom 20.01.2020 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Die Rechtsfolgen des Bescheides sollten nach Entlassung der Verfahrenspartei aus der Verwaltungsstrafhaft eintreten. Im Anschluss an die Verwaltungsstrafhaft wurde der Beschwerdeführer am 24.01.2020 in Schubhaft übernommen.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis vom 20.05.2020 festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und diese auch verhältnismäßig ist.
Begründend wurde insbesondere auf die weitgehend fehlenden sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet, die Entziehung aus dem Verfahren und die wiederholte Straffälligkeit verwiesen. Eine Abschiebung innerhalb der zulässigen Anhaltedauer sei realistisch.
6. Im Rahmen einer weiteren amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das Bundesverwaltungsgerichts mit Erkenntnis erneut festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und diese auch verhältnismäßig ist.
Begründend wurde insbesondere auf den Aufenthalt im Verborgenen (außerhalb von Haftzeiten) und die fehlende soziale Verankerung im Bundesgebiet verwiesen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung wurden besonders die evidente Straffälligkeit des Beschwerdeführers und die mangelnde Kooperation im Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats (HRZ) verwiesen.
7. Am 30.06.2020 legte das Bundesamt den gegenständlichen Verfahrensakt zur erneuten Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. Darin wurde auf das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers und die laufenden Urgenzen im Zusammenhang mit den Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats (HRZ) verwiesen. Mit Erkenntnis des BVwG vom 15.07.2020 wurde abermals die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung der Schubhaft festgestellt.
8. In weiterer Folge wurde seitens der Behörde die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF bei den Botschaften Algeriens (20.07.2020) und Tunesiens (30.07.2020) telefonisch in Erinnerung gerufen (urgiert).
9. Am 25.07.2020 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft einen Asylfolgeantrag. Die laufende Schubhaft wurde mit Aktenvermerk vom 25.07.2020 gem. § 76 Abs. 6 FPG weiter aufrechterhalten und dem BF mit Verfahrensanordnung vom 31.07.2020 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei seinen Antrag auf internationalen Schutz gem. § 68 AVG zurückzuweisen.
10. Am 04.08.2020 legte das Bundesamt den gegenständlichen Verfahrensakt zur erneuten Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. Darin wurde auf das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers und die laufenden Urgenzen im Zusammenhang mit den Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats (HRZ) verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person des Beschwerdeführers und zu den Voraussetzungen der Schubhaft bzw. zur Verhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft:
1.1. Betreffend des Beschwerdeführers liegt eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung bezüglich den von ihm genannten Herkunftsstaat Marokko vor. Er ist nicht Asylwerber.
Er ist in Österreich in keiner Form integriert, verfügt über keine substanziellen sozialen, beruflichen oder familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Zudem verfügt er über keine gesicherte Unterkunft und über ein Barvermögen lediglich in Höhe von rund € 465,--. Der Beschwerdeführer war in Österreich fast ausschließlich in Polizeianhaltezentren und Justizanstalten gemeldet. Er ist grundsätzlich gesund und jedenfalls haftfähig.
1.2. Betreffend des Beschwerdeführers wurden HRZ-Verfahren mit Marokko sowie Algerien und Tunesien eingeleitet. Das Verfahren mit Marokko ist mittlerweile negativ abgeschlossen worden. Die andere beiden Verfahren sind aktuell noch im Gang. Das Bundesamt urgiert in diesem Zusammenhang laufend.
1.3. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich insgesamt fünfmal (von 2016 bis 2019) zu unbedingten und teilbedingten Haftstrafen von insgesamt 41 Monaten wegen (vorrangig) Vermögens- und Suchtmitteldelikten verurteilt.
Er zeigte sich während seines Asylverfahrens nicht kooperativ und machte mutmaßlich tatsachenwidrige Angaben zu seiner Identität (Herkunftsstaat). Er ist in keiner Weise vertrauenswürdig.
1.4. Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat (jedenfalls innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) besteht weiterhin. Die absehbare weitere Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist nach derzeitigem Stand – kooperatives Verhalten des Beschwerdeführers und korrekte Angaben zur Identität vorausgesetzt – mit mehreren Monaten einzustufen. Eine Abschiebung bis Herbst 2020 ist jedenfalls realistisch. Das Erfordernis einer HRZ-Ausstellung und die dadurch bedingte Anhaltedauer sind der Verfahrenspartei zuzurechnen.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Akt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie die Akten des Bundesverwaltungsgerichtes insbesondere zu den Zahlen XXXX (erste Schubhaftprüfung), XXXX (Asylverfahren) und das Verfahren zur Rückkehrentscheidung, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister, das Strafregister sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.
2.1. Die Feststellungen zur Person und zum Stand der fremden- und asylrechtlichen Verfahren ergeben sich aus der Aktenlage im gegenständlichen Verfahren sowie den Gerichts- und Verwaltungsakten zum Asylverfahren.
Die Feststellungen bezüglich der Meldeadressen ergeben sich aus einem rezenten Auszug aus dem Zentralen Melderegister. Die Feststellungen zur fehlenden Integration des Beschwerdeführers und seiner Vermögenslage ergeben sich aus der Aktenlage. Soweit der Beschwerdeführer die Existenz eines Kindes und einer (ungarischen) Ehefrau behauptet, ist festzuhalten, dass er dafür keine Beweismittel vorlegte und sein Kind auch noch nie gesehen haben will (Aussage im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung). Hinsichtlich der angeblichen Ehefrau – einen Beleg für die Eheschließung blieb der Beschwerdeführer (auch bereits im Asylverfahren) und auch bisher im Folgeantragsverfahren schuldig - gab er an, sie „soll sich in Österreich aufhalten“, er wisse aber nicht, wo. Eine soziale Verankerung im Bundesgebiet kann daraus jedenfalls nicht abgeleitet werden. Zur Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft trotz neuerlich gestelltem Antrag auf internationalen Schutz siehe unter Punkt 4.
2.2. Der Beschwerdeführer hat im Asylverfahren Marokko als Herkunftsstaat genannt – was aus den Akten, insbesondere der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.07.2019 zur Beschwerde im Asylverfahren ersichtlich ist. Aufgrund einer nicht erfolgten Bestätigung der Staatsangehörigkeit seitens Marokkos wurden weitere Verfahren zur HRZ-Ausstellung eingeleitet. Diese HRZ-Verfahren sind auch weiterhin im Laufen.
2.3. Die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Strafregister. Dass die Angaben des Beschwerdeführers mutmaßlich falsch waren, ergibt sich aus der bisher verweigerten Anerkennung des Beschwerdeführers als marokkanischer Staatsangehöriger.
Die fehlende Vertrauenswürdigkeit ist diesen Umständen, insbesondere der ausgeprägten Kriminalität geschuldet.
2.4. Die realistische Möglichkeit der Rücküberstellung ergibt sich aus der diesbezüglich grundsätzlich problemlosen Zusammenarbeit mit den Vertretungen und Behörden der möglichen Herkunftsstaaten. Abschiebungen dorthin fanden bis zum Beginn der coronabedingten Maßnahmen im März 2020 regelmäßig statt. Ebenso regelmäßig muss diesen ein Ermittlungsverfahren in den Herkunftsstaaten vorangehen, weil die Betroffenen keine Personal- oder Reisedokumente vorweisen können oder wollen. Diese benötigen üblicherweise einige Monate. Da Marokko (vorläufig) die Ausstellung eines HRZ ablehnte, musste das Verfahren auf zwei andere Länder, nämlich Algerien und Tunesien, ausgeweitet werden. Die Ausstellung eines HRZ verzögert sich somit mangels kooperativen Verhaltens des Beschwerdeführers, jedoch erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Abschiebung bis Herbst 2020 (Richtigkeit der Angaben zur Person vorausgesetzt) als realistisch.
Hinweise für ein Fehlen der Haftfähigkeit oder gröbere gesundheitliche Probleme sind im Verfahren nicht hervorgetreten. Zudem befand sich der Beschwerdeführer unmittelbar vor Anordnung der Schubhaft bereits längere Zeit in Strafhaft.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A) (Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft):
3.1. Entsprechend dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 – FrÄG 2015 vom 18.06.2015, BGBl. I Nr. 70/2015, lautet §22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) wie folgt:
„§ 22a. (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“
§22a Abs. 4 bildet im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage, da der Beschwerdeführer seit 24.01.2020 in Schubhaft angehalten wird.
Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen (innerstaatlichen) verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Art 5 Abs. lit. f EMRK und des Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG sowie einfachgesetzlichen Normen des mit 20. Juli 2015 im Rahmen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2015 – FrÄG 2015 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 lauten:
Art 5 Abs. 1 lit. F EMRK
(1) Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
f) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.
Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG
(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.
„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
3.2. Gemessen also an § 76 Abs. 3, konkret an dessen ersten Satz „liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 2 - immer noch - vor, da „bestimmte Tatsachen“, nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der Beschwerdeführer einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird.
3.3. Die Gründe, aus denen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Schubhaft anordnete, haben sich seither nicht geändert und erweisen sich als grundsätzlich nachvollziehbar.
Mit der Anordnung gelinderer Mittel kann dementsprechend weiterhin nicht das Auslangen gefunden werden. Dies auch vor dem Hintergrund der fehlenden Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin.
Verzögerungen im Zusammenhang mit der Abschiebung, die in der Sphäre des Bundesamtes liegen würden, sind nicht zu erkennen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat die Ausstellung eines Heimreisezertifikates urgiert und wirkt somit auf eine kurze Anhaltung in Schubhaft hin. Die Dauer der Schubhaft ist durch das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer bedingt. Es obliegt dem Beschwerdeführer durch eine Kooperation mit den Behörden und Mitwirkung bei seiner Identitätsfeststellung die Dauer der Schubhaft möglichst kurz zu halten.
Der Beschwerdeführer hat keine nennenswerten familiären oder sozialen Bindungen in Österreich. Einer legalen Erwerbstätigkeit geht er in Österreich nicht nach. Er hat in Österreich auch keinen eigenen gesicherten Wohnsitz. Zudem hat er sich als nicht vertrauenswürdig erwiesen.
3.4. Aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie kommt es auch weiterhin zu Einschränkungen im internationalen Flugverkehr. Gleichzeitig treten hier nun systematisch Lockerungen ein. Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) besteht damit aus aktueller Sicht weiterhin. Die absehbare weitere Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist nach derzeitigem Stand – kooperatives Verhalten des Beschwerdeführers vorausgesetzt – mit einigen Monaten einzustufen. Eine Abschiebung im Herbst 2020 ist aus derzeitiger Sicht jedenfalls realistisch. Überdies muss derzeit ohnehin noch der Abschluss des HRZ-Verfahrens (für dessen Erfordernis vorrangig der Beschwerdeführer selbst die Verantwortung trägt) abgewartet werden. Eine Verzögerung der Abschiebung unmittelbar aufgrund der Pandemie-Beschränkungen ist zum Entscheidungszeitpunkt damit nicht gegeben.
Die Schubhaft ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände und vor dem Hintergrund, dass sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bemüht auch weiterhin verhältnismäßig.
Eine über die Frage der Verhältnismäßigkeit hinausgehende Prüfung der Schubhaft ist nach dem eindeutigen Wortlaut von § 22a Abs. 4 BFA-VG nicht vorgesehen.
4. Der Beschwerdeführer hat am 25.07.2020 einen Asylfolgeantrag gestellt und neben den schon bisher angegebenen und im Vorverfahren berücksichtigten Fluchtgründen nunmehr abermals vorgebracht, in Österreich eine Ehefrau und ein Kind zu haben. Nach der Judikatur des VwGH ist seitens des Gerichts die Rechtmäßigkeit der Weiterführung der Schubhaft gem. § 76 Abs. 6 FPG einer Grobprüfung zu unterziehen.
Dabei darf im gegenständlichen Fall festgehalten werden, dass bereits aufgrund der bisherigen Feststellungen im Asylerstverfahren und im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung klar hervorgeht, dass weder mit der angeblichen Ehefrau, noch mit dem gemeinsamen Kind tatsächlich ein Familienleben bestanden hat. Auch war der Beschwerdeführer bisher in keinem Verfahren in der Lage den richtigen Namen seiner Gattin zu nennen und gab er selbst im Verfahren zur Rückkehrentscheidung an, sein Kind bisher nie gesehen zu haben. Einfache Recherchen des Gerichts haben ergeben, dass es sich bei der Frau vermutlich um Anita Laszlone KEKESI, geb. 05.07.1979 handeln dürfte, die in Österreich mit einer kurzen Ausnahme vom 04.09.2018 bis 24.06.2019 nur an Stätten der staatlichen Freiheitsentziehung amtlich gemeldet war. Ein Familienleben des Beschwerdeführers kann daher schon aus diesem Grunde und, da der Beschwerdeführer selbst nicht unwesentliche Perioden in Haft befindlich war, nicht in einer nennenswerten Intensität stattgefunden haben. Die Behörde ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass der aktuelle Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers sohin offensichtlich ausschließlich zur missbräuchlichen Verzögerung einer konkreter werdenden Abschiebung gestellt wurde und die Voraussetzungen der Fortführung der laufenden Schubhaft erfüllt sind.
5. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass die gegenständliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts die insgesamt vierte Verhältnismäßigkeitsprüfung der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft darstellt. Dementsprechend ist der Verwaltungsakt in Hinblick auf den nächsten amtswegigen Prüfungstermin (gerichtliches Entscheidungsdatum: Mittwoch, 09.09.2020) im September erneut vorzulegen.
Unabhängig davon ist eine allfällige Aussichtslosigkeit der HRZ-Erlangung oder eine offensichtlich unverhältnismäßige Dauer der Anhaltung (etwa aufgrund zu langer Wartezeiten für Botschaftsvorführungen) jederzeit vom Bundesamt selbst wahrzunehmen.
Zu Spruchteil B) – Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Ob die weitere Anhaltung in Schubhaft verhältnismäßig ist, ist eine Frage des konkreten Einzelfalles, sodass keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung vorliegt.
Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Fluchtgefahr Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Haftfähigkeit Heimreisezertifikat Kooperation Mitwirkungspflicht öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Verhältnismäßigkeit VertrauenswürdigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W171.2231038.4.00Im RIS seit
19.11.2020Zuletzt aktualisiert am
19.11.2020