Entscheidungsdatum
24.09.2020Norm
ASVG §18aSpruch
W209 2228426-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , XXXX , XXXX , vertreten durch XXXX , XXXX , XXXX , als Erwachsenenvertreterin, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien, vom 02.12.2019, GZ: HVBA- XXXX , betreffend Abweisung des Anspruchs auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) für Zeiten der Pflege ihres Sohnes XXXX zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 02.12.2019 wies die belangte Behörde (im Folgenden: PVA) den Antrag der Beschwerdeführerin vom 14.05.2019 auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG für Zeiten der Pflege ihres am XXXX geborenen Sohnes XXXX mit der Begründung ab, dass die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin durch die Pflege ihrer Tochter „nicht gänzlich“ beansprucht worden sei.
2. Dagegen richtet sich die vorliegende, binnen offener Rechtsmittelfrist erhobene Beschwerde, in der ausgeführt wurde, dass am 21.11.2019 im Auftrag der PVA eine ärztliche Untersuchung des Sohnes der Beschwerdeführerin durchgeführt worden sei. Dabei habe man kaum Zeit zum Nachdenken und auch nicht die Möglichkeit gehabt, seine Angaben zu relativieren. Auch der Inhalt des mitgeschriebenen Diktates sei nicht ausgefolgt worden. Darüber hinaus seien Fragen gestellt worden, die nur für die Zuerkennung des Pflegegelds relevant bzw. nur für den Bezug von erhöhter Familienbeihilfe ausschlaggebend seien. Auch seien nicht sämtliche vorliegenden Befunde berücksichtigt worden, darunter die Stellungnahme für die Schulpsychologie sowie die Stellungnahme der Sonderpädagogin, die Bescheide über die Kindergarten- sowie Schulassistenzen, die interdisziplinäre Stellungnahme der Mosaik GmbH vom November 2017 und die Betreuungsvereinbarung betreffend Kindergartenassistenz. Der Sohn der Beschwerdeführerin habe in der Schule eine 1:1 Betreuung, nämlich am Montag von 7:30 bis 14:50 Uhr, am Dienstag von 7:30 bis 15:50 Uhr, am Mittwoch und Donnerstag von 7:30 bis 14:50 Uhr und am Freitag von 7:30 bis 13:45 Uhr. Falle die Schulassistenz aus, sei der Sohn teilweise schon früher von der Schule abzuholen. Länger dürfe er nicht in der Schule bleiben, obwohl der ganze Beitrag für die verschränkte Schulform zu bezahlen sei, da die Nachmittagsbetreuung nicht bereit sei, ohne 1:1 Betreuung auf ihn aufzupassen. Am Abend lasse die Wirkung der Medikamente nach und es werde immer schwieriger, den Sohn zu betreuen. Er könne nicht einschlafen und müsse bis in die späten Abendstunden betreut werden. Auch würden vermehrt Arztbesuche anfallen und Therapien in Anspruch genommen werden. Aufgrund der Diagnosen F 90.2 Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung, gemischtes Erscheinungsbild, F 91.3 Störung mit oppositionellem Trotzverhalten und F 82 Entwicklungsbezogene Koordinationsstörung, Verdacht auf Autismus-Spektrum-Störung, sei die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin überwiegend beansprucht. Der Beschwerde waren folgende Befunde/Unterlagen angeschlossen:
? Klinisch-psychologischer Befund von Mag. Dr. XXXX vom 8.4.2019
? Bescheid von der PVA, Hauptstelle, vom 2.12.2019
? Mitteilung über den Bezug der Familienbeihilfe vom 26.4.2019
? Bescheid vom 19.8.2019 von der BH Graz-Umgebung
? Interdisziplinäre Stellungnahme vom November 2017 (Mosaik GmbH)
? Bescheid vom 22.3.2019 von der BH Graz-Umgebung
? Situationsbericht vom Pfarrkindergarten XXXX , undatiert
? Betreuungsvereinbarung (Kindergartenassistenz), undatiert
? fachärztliche Stellungnahme Dr. XXXX vom 06.09.2016
? fachärztliche Stellungnahme Dr. XXXX vom 26.7.2017
? Bericht Schulassistenz vom 13.1.2019
? Erhebungsbogen Verlängerungsantrag iBP in der Schule vom 15.2.2019
? Anmeldung zur schulpsychologischen Untersuchung, undatiert
? Erhebungsbogen Verlängerungsantrag vom 9.5.2019
? Bericht Schulassistenz vom 6.5.2019
3. Am 07.02.2020 einlangend legte die PVA die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. In einer beigefügten Stellungnahme wies die PVA darauf hin, dass sich die Ablehnung des gegenständlichen Antrages auf das anstaltsärztliche Gutachten vom 22.11.2019 gestützt habe, wonach bei der Beschwerdeführerin eine „überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft“ durch die Pflege ihres Sohnes nicht gegeben sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Entscheidung wird folgender Sachverhalt zugrunde gelegt:
Die in der Steiermark wohnhafte Beschwerdeführerin stellte am 14.05.2019 bei der Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstalle Wein, rückwirkend ab 01.07.2017 einen Online-Antrag auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG für Zeiten der Pflege ihres am XXXX geborenen Sohnes XXXX .
Für den im gemeinsamen Haushalt lebenden Sohn wird seit Juli 2017 erhöhte Familienbeihilfe iSd § 8 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) gewährt.
Der Sohn der Beschwerdeführerin leidet an einem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) ICD-10: F90.2 (Hauptdiagnose) und an einer Störung mit oppositionellem Trotzverhalten ICD-10: F91.3 (Nebendiagnose). Er ist nicht von der allgemeinen Schulpflicht befreit. Er bedarf zwar einer ständigen (mehrmals in der Woche regelmäßig) persönlichen Hilfe bzw. besonderer Pflege. Diese wird jedoch weitgehend von dritten Personen besorgt. So genießt der behinderte Sohn in der Schule, an der er in Form des verschränkten Ganztagunterrichts unterrichtet wird, eine 37,5-stündige 1:1 Betreuung. Auch im Kindergarten, den er ganztägig besuchte, genoss er bereits eine Sonderbetreuung. Außerhalb der Schule umfasst der Pflege- und Betreuungsbedarf die Nahrungszubereitung, Lernunterstützung, Schulwegbegleitung, Begleitung zu notwendigen Therapien/ärztlichen Kontrollen, Krisenmanagement, Medikamenteneinnahme, Entwicklungsförderung und Abrufbereitschaft, wobei diese Pflegeleistungen weitgehend von den Großeltern des Kindes erbracht werden, indem das Kind von den Großeltern zur Schule und wieder nach Hause begleitet wird und zu Hause die Großmutter mit ihm übt und lernt.
2. Beweiswürdigung:
Der Zeitpunkt der Antragstellung, der Bezug von erhöhter Familienbeihilfe, der inländische Wohnsitz der Beschwerdeführerin sowie der gemeinsame Haushalt mit ihrem Sohn stehen aufgrund der Aktenlage als unstrittig fest.
Eine Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht wurde weder behauptet noch ergeben sich aus der Aktenlage Anhaltspunkte dafür.
Die Art der Behinderung des Kindes, das Ausmaß der behinderungsbedingt erforderlichen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege und der Umstand, dass das Kind weitgehend von Dritten betreut wird, ergeben sich aus dem von der belangten Behörde eingeholten, auf einer persönlichen Untersuchung des Kindes basierenden medizinischen Sachverständigengutachten vom 21.11.2019, dessen Befund sich auf die Angaben der Mutter (und Erwachsenenvertreterin) der Beschwerdeführerin stützt, sowie aus der Chefärztlichen Stellungnahme vom 22.11.2019, der zufolge die Betreuung des Kindes im fraglichen Zeitraum weitgehend durch dritte Personen erfolgt ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. § 414 Abs. 2 ASVG sieht in den in § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG aufgezählten Angelegenheiten die Entscheidung durch einen Senat unter Laienrichterbeteiligung vor, wenn dies von einer Partei beantragt wird. Im gegenständlichen Fall handelt es sich um eine derartige Angelegenheit (Z 1). Mangels Antrages liegt jedoch Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Vorliegend gelangen folgende maßgebende Bestimmungen zur Anwendung:
§ 18a ASVG idF BGBl. I Nr. 2/2015:
„Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten
der Pflege eines behinderten Kindes
§ 18a. (1) Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.
(2) Die Selbstversicherung ist für eine Zeit ausgeschlossen, während der
1. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 2/2015)
2. eine Ausnahme von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 besteht oder auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse ein Ruhegenuß bezogen wird oder
3. eine Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder § 227a vorliegt.
(3) Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs. 1 wird jedenfalls dann angenommen, wenn und so lange das behinderte Kind
1. das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§ 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,
2. während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,
3. nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.
(4) Die Selbstversicherung ist in dem Zweig der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz zulässig, in dem der (die) Versicherungsberechtigte zuletzt Versicherungszeiten erworben hat. Werden keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz nachgewiesen oder richtet sich deren Zuordnung nach der ersten nachfolgenden Versicherungszeit, so ist die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung der Angestellten zulässig.
(5) Die Selbstversicherung beginnt mit dem Zeitpunkt, den der (die) Versicherte wählt, frühestens mit dem Monatsersten, ab dem die erhöhte Familienbeihilfe (Abs. 1) gewährt wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der auf die Antragstellung folgt.
(6) Die Selbstversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonates,
1. in dem die erhöhte Familienbeihilfe oder eine sonstige Voraussetzung (Abs. 1) weggefallen ist,
2. in dem der (die) Versicherte seinen (ihren) Austritt erklärt hat.
Ab dem erstmaligen Beginn der Selbstversicherung (Abs. 5) gelten die Voraussetzungen bis zum Ablauf des nächstfolgenden Kalenderjahres als erfüllt; in weiterer Folge hat der Versicherungsträger jeweils jährlich einmal festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Selbstversicherung nach Abs. 1 gegeben sind. Der Versicherte ist verpflichtet, den Wegfall der erhöhten Familienbeihilfe dem Träger der Pensionsversicherung binnen zwei Wochen anzuzeigen.
(7) Das Ende der Selbstversicherung steht hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinne des § 17 Abs. 1 Z 1 lit. a gleich.“
§ 669 Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 125/2017:
„Schlussbestimmungen zu Art. 5 des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 3/2013 (78. Novelle):
§ 669. (1) bis (2) …
(3) Die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a kann auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt haben, nachträglich beansprucht werden, und zwar für alle oder einzelne Monate, längstens jedoch für 120 Monate, in denen die genannten Voraussetzungen vorlagen. § 18 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden.
(4) bis (8) …“
Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:
Die Beschwerdeführerin beantragte am 14.05.2019 rückwirkend für die Zeit ab 01.07.2017 die Anerkennung des Anspruchs auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege ihres am XXXX geborenen Sohnes.
Gemäß § 669 Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 125/2017 kann die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung iSd § 18a Abs. 1 ASVG auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung (hier: 14.05.2019) geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt hätten, nachträglich beansprucht werden.
§ 707a ASVG sieht das Inkrafttreten des § 669 Abs. 3 ASVG in der Fassung BGBl. I Nr. 125/2017 mit 1. Jänner 2018 ohne Übergangsregelung vor. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine solche aus anderen Bestimmungen abzuleiten wäre bzw. dass diesbezüglich eine Rechtslücke bestünde.
§ 669 Abs. 3 ASVG in der genannten Fassung stellt darauf ab, dass die betreffenden Personen die zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllen müssen, im vorliegenden Fall sohin die im § 18a ASVG in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2015 festgelegten Voraussetzungen. Auf die im zu erwerbenden Zeitraum der betreffenden Selbstversicherung früher in Geltung gestandenen Voraussetzungen für eine Selbstversicherung kommt es gemäß § 669 Abs. 3 ASVG nicht an (vgl. VwGH 05.06.2019 Ra 2019/08/0051).
Im vorliegenden Fall wird seit Juli 2017 erhöhte Familienbeihilfe für den im gemeinsamen Haushalt lebenden Sohn der Beschwerdeführerin gewährt. Es kommt daher eine Anerkennung des Anspruches für die Zeit ab Juli 2017 in Betracht.
Nach § 18a Abs. 1 ASVG (in der gegenständlich anzuwendenden Fassung des BGBl. I Nr. 2/2015) muss die Arbeitskraft überwiegend beansprucht werden, um den Anspruch anerkennen zu können. Dies ist gemäß § 18a Abs. 3 Z 1 und 2 ASVG u.a. jedenfalls dann der Fall, wenn das behinderte Kind ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf (Z 1) bzw. solange das behinderte Kind während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf (Z 2).
Der Sohn der Beschwerdeführerin ist am XXXX geboren. Demnach unterliegt er seit 01.09.2018 der allgemeinen Schulpflicht. Eine Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht ist nicht gegeben. Somit war im vorliegenden Fall im Wege eines Sachverständigengutachtens zu klären, ob (und in welchem Umfang) unter Berücksichtigung des Alters und der spezifischen Behinderung des Kindes dessen ständige Betreuung auch außerhalb der Zeit des Schulbesuches erforderlich war und ob bei Unterbleiben dieser Betreuung die Entwicklung des Kindes im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zuteil wird, benachteiligt oder gefährdet war.
Schließlich ist auch für den beantragten Zeitraum vor Beginn der Schulpflicht zu klären, ob ein derartiger ständiger Pflege- und Betreuungsaufwand bestand.
Ständige Pflege und Hilfe könnte im Falle eines täglichen Schulbesuches z.B. dann erforderlich sein, wenn wegen der mangelnden Kommunikationsfähigkeit des Kindes eine Begleitung auf dem Schulweg bzw. nach der Schule eine dauernde Beaufsichtigung und Zuwendung notwendig wäre. Sollte dies der Fall sein, käme die gesetzliche Vermutung zum Tragen, dass es der Beschwerdeführerin auch in der ihr verbleibenden freien Zeit (in der sich ihr Kind in der Schule befindet) kaum möglich gewesen wäre, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und dadurch für eine eigenständige Alterssicherung vorzusorgen (vgl. VwGH 17.12.1991, 89/08/0353).
Ein derartiger ständiger Bedarf persönlicher Hilfe und besonderer Pflege ist dem von Amts wegen eingeholten Sachverständigengutachten nach zu verneinen. Wie der Beweiswürdigung zu entnehmen ist, kommt das von der belangten Behörde eingeholte fachärztliche Gutachten zu dem Schluss, dass zwar eine ständige (mehrmals in der Woche regelmäßig) persönliche Hilfe bzw. besonderer Pflege erforderliche ist (war), diese jedoch weitgehend von Dritten besorgt wird (wurde).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.06.2017, Ra 2016/09/0091) hat das Verwaltungsgericht dem Gutachten eines Amtssachverständigen, sofern es nicht unschlüssig ist oder mit den ersichtlichen Tatsachen nicht übereinstimmt, solange zu folgen, als dessen Richtigkeit nicht durch fachlich fundierte Gegenausführungen und Gegenbeweise von vergleichbarem Aussagewert widerlegt wurde.
Die Beschwerdeführerin ist dem vorliegenden Sachverständigenbeweis, der den oben angeführten Anforderungen entspricht, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten und hat auch sonst kein Vorbringen erstattet, das darauf schließen ließe, dass das Begutachtungsergebnis nicht mit den im vorliegenden Fall gegebenen Tatsachen übereinstimmt.
Dem in der Beschwerde geäußerten Einwand, bei der Untersuchung seien nicht alle vorliegenden Befunde berücksichtigt worden, ist entgegenzuhalten, dass die von der Beschwerdeführerin ergänzend vorgelegten Befunde/Unterlagen nicht geeignet waren, die gutachterlichen Äußerungen in Zweifel zu ziehen. So bestätigen die nicht in das Gutachten eingeflossenen Befunde/Unterlagen die von der Gutachterin erstellte Diagnose bzw. lassen keine Rückschlüsse auf eine vom Gutachten abweichende Einschätzung des Pflege- und Betreuungsaufwands zu.
Damit ist das Erfordernis ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege zu verneinen.
Mit dem Wort „jedenfalls“ im Einleitungssatz des § 18a Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 2/2015 hat der Gesetzgeber jedoch zum Ausdruck gebracht, dass neben den in Z 1 bis 3 aufgezählten Fällen eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft auch auf andere Weise gegeben sein kann.
Die Legaldefinition des § 18 Abs. 3 ASVG stellt somit nicht (primär) auf eine zeitliche Inanspruchnahme durch die Pflege, sondern auf speziell für behinderte Kinder zugeschnittene andere Kriterien ab. Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft ist einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 21 Stunden wöchentlich bzw. ab 90 Stunden monatlich (entspricht mehr als der halben Normalarbeitszeit) anzunehmen (VwGH 19.01.2017, Ro 2014/08/0084) (vgl. Zehetner in Sonntag (Hrsg) ASVG11 § 18a Rz 4a).
Wie dem eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten, der Chefärztlichen Stellungnahme und den Angaben der Mutter der Beschwerdeführerin zu entnehmen ist, besucht das Kind eine Ganztagsvolksschule, in der es seiner Behinderung entsprechend betreut wird. Der gutachtlich festgestellte Pflege- und Betreuungsbedarf außerhalb der Schule umfasst die Nahrungszubereitung, Lernunterstützung, Schulwegbegleitung, Begleitung zu notwendigen Therapien/ärztlichen Kontrollen, Krisenmanagement, Medikamenteneinnahme, Entwicklungsförderung und Abrufbereitschaft, wobei diese Pflegeleistungen weitgehend von dritten Personen erbracht werden. Unter diesen Umständen ist nicht davon auszugehen, dass die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin im Ausmaß von mindestens 21 Stunden wöchentlich bzw. 90 Stunden monatlich beansprucht wird (wurde).
Dies hat auch für die Zeit vor dem Schulbesuch zu gelten, in der das Kind ganztägig den Kindergarten besuchte und dort eine Sonderbetreuung genoss.
Somit erfolge die Abweisung des Anspruchs im Ergebnis zu Recht, weswegen die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen war.
Entfall der mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Die Beschwerdeführerin hat einen solchen Antrag nicht gestellt. Das Bundesverwaltungsgericht erachtete die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich, weil der festgestellte Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt erschien und daher durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war.
Da auch keine Fragen der Beweiswürdigung auftraten, welche die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig gemacht hätten, stehen dem Entfall der Verhandlung auch weder Artikel 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegen (vgl. u.a. VwGH 07.08.2017, Ra 2016/08/0140).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (s. dazu die in den rechtlichen Erwägungen zitierte VwGH-Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Arbeitskraft Familienbeihilfe Pensionsversicherung Pflegebedarf Sachverständigengutachten Schulpflicht SelbstversicherungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W209.2228426.1.00Im RIS seit
19.11.2020Zuletzt aktualisiert am
19.11.2020