TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/1 I403 2234030-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.09.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

01.09.2020

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §66
FPG §66 Abs1
FPG §66 Abs2
FPG §70 Abs3
NAG §51 Abs1 Z2
NAG §52 Abs1
NAG §53
NAG §55 Abs3
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2234030-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Bulgarien, vertreten durch "MEN VIA", Kundratstraße 3, 1100 XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.07.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein bulgarischer Staatsangehöriger, meldete am 01.12.2016 einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet an.

Am 04.06.2020 wurde er von Exekutivbeamten einer Personskontrolle unterzogen. Hierbei wurde festgestellt, dass er weder über Barmittel noch über einen Aufenthaltstitel verfügte.

Mit Schriftsatz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 04.06.2020 ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme") wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht, dass beabsichtigt werde, gegen ihn eine Ausweisung zu erlassen und ihm die Möglichkeit eingeräumt, diesbezüglich innerhalb von vierzehn Tagen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Mit Schriftsatz vom 18.06.2020 brachte der Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme bei der belangten Behörde ein. Inhaltlich führte er im Wesentlichen aus, er sei im Dezember 2016 zum Zweck der Arbeitssuche nach Österreich gekommen. Er habe zwei Söhne in Österreich, deren Adressen ihm jedoch nicht bekannt seien. In den Jahren 2017 und 2018 habe er für ungefähr acht Monate bei einem Mann gearbeitet, welcher gesagt habe, er habe den Beschwerdeführer angemeldet. In Wahrheit habe dieser jedoch die Dokumente des Beschwerdeführers benützt, um diverse Betrugsdelikte durchzuführen. Ein betreffendes Ermittlungsverfahren sei bei der Staatsanwaltschaft XXXX anhängig. Der Beschwerdeführer wohne in einem Notquartier für Obdachlose und verfüge über keine Kranken- oder Unfallversicherung. Seine Söhne würden ihn mit etwa 200 Euro monatlich unterstützen. Er werde in Bulgarien weder strafrechtlich noch politisch verfolgt, jedoch sei das Haus, in welchem er dort gelebt habe, sehr alt und „zusammengefallen“. Er wolle in Österreich einen Job finden und normal leben, was bislang schwierig gewesen sei, da „der Täter“ in seinem Namen viele Schulden und Probleme verursacht habe. Der Beschwerdeführer müsse aufgrund des anhängigen „Gerichtsverfahrens“ in Österreich bleiben. Auch werde er in diesem Zusammenhang „immer wieder“ von der Polizei zu Einvernahmen vorgeladen.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 09.07.2020 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).

Gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 11.08.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Inhaltlich wurde vorgebracht, der Beschwerdeführer sei Opfer und Zeuge von Menschenhandel. Am 31.01.2019 sei diesbezüglich der Staatsanwaltschaft XXXX eine Sachverhaltsdarstellung übermittelt und der Beschwerdeführer am 14.07.2020 als Zeuge vor dem LKA XXXX einvernommen worden. Nach § 57 AsylG sei insbesondere Zeugen oder Opfern von Menschenhandel „der Aufenthaltstitel Besonderer Schutz“ von Amts wegen oder auf Antrag zu erteilen. Laut einem Rundschreiben des BMI vom 16.08.2013 seien EU-BürgerInnen insoweit aufenthaltsrechtlich nicht schlechter zu behandeln als Drittstaatsangehörige und sei bei Vorliegen der Opfereigenschaft nach § 104a StGB ("Menschenhandel") von der Unzulässigkeit einer Ausweisung auszugehen. Der Beschwerde angeschlossen waren eine Sachverhaltsdarstellung einer Rechtsanwältin an die Staatsanwaltschaft XXXX vom 31.01.2019, in welcher der Beschwerdeführer als Privatbeteiligter aufscheint, sowie das Protokoll seiner Vernehmung als Zeuge und Opfer vor dem LKA XXXX , Ermittlungsbereich 10 ("Menschenhandel"), u.a. wegen des Verdachts auf Urkundenfälschung, Urkundenunterdrückung, Betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauch, Nötigung, Entfremdung unbarer Zahlungsmittel sowie Menschenhandel, überdies das in der Beschwerde zitierte Rundschreiben des BMI vom 16.03.2013 hinsichtlich der aufenthaltsrechtlichen Vorgangsweise für NAG- und FPG-Behörden bei EWR-Bürgern, welche Opfer von Menschenhandel iSd § 69 Abs. 1 Z 2 NAG sind.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist bulgarischer Staatsangehöriger und somit EWR-Bürger. Seine Identität steht fest.

Er ist gesund und erwerbsfähig, zudem ist er geschieden und hat keine Sorgepflichten.

Seit dem 01.12.2016 ist er – mit einer kurzen Unterbrechung vom 02.02.2017 bis zum 28.02.2017 - durchgehend im Bundesgebiet gemeldet. Zuvor hat er sich in seinem Herkunftsstaat Bulgarien aufgehalten. Seit dem 10.01.2019 lebt er dauerhaft in karitativen Einrichtungen der Johanniter oder des österreichischen Roten Kreuzes, während er vom 22.11.2018 bis zum 10.01.2019 an einer Obdachlosenaderesse gemeldet war.

Zwischenzeitlich ist er laut eigenen Angaben vor dem LKA XXXX vorübergehend nach Frankreich ausgereist, um dort Arbeit zu finden.

Zwei volljährige Söhne des Beschwerdeführers, ebenfalls bulgarische Staatsangehörige, leben in Österreich, jedoch nicht mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt und stehen diese auch in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm. Ansonsten verfügt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet über keine familiären Anknüpfungspunkte.

Der Beschwerdeführer ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nach. Er ist mittellos und verfügt über keinen Krankenversicherungsschutz. Er wird von seinen Söhnen mit etwa 200 Euro monatlich unterstützt.

Der Beschwerdeführer weist keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, gesellschaftlicher oder kultureller Hinsicht auf und hat gegen diverse fremden-, unions- sowie verwaltungsrechtliche Bestimmungen verstoßen.

Er ist strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wird in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft XXXX zur Zl. XXXX , welches aufgrund einer Sachverhaltsdarstellung seiner Rechtsanwältin eingeleitet wurde, als Opfer u.a. von Urkundenfälschung, Urkundenunterdrückung, Betrügerischem Datenverarbeitungsmissbrauch, Nötigung, Entfremdung unbarer Zahlungsmittel sowie Menschenhandel, zugleich aber auch als Beschuldigter wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betruges geführt. Bislang wurde seitens der Staatsanwaltschaft keine Anklage erhoben. Der Beschwerdeführer wurde aufgrund dieses Verfahrens sowohl bereits als Opfer als auch als Beschuldigter vor dem LKA XXXX , Ermittlungsbereich 10 ("Menschenhandel"), einvernommen und ist seine weitere Anwesenheit im Bundesgebiet aus Sicht des LKA zur Gewährleistung der Strafverfolgung oder zur Geltendmachung und Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche nicht mehr erforderlich. Auch ergibt eine Ersteinschätzung des LKA, dass angesichts der Angaben des Beschwerdeführers das Delikt des Menschenhandels zu seinem Nachteil im vorliegenden Fall nicht im Raum steht, wenngleich er im Rahmen seiner Einvernahmen sowie der Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft mehrfach explizit auf diesen Tatbestand hingewiesen hat.

2. Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund seines im Verfahren in Vorlage gebrachten – sowie sich in Kopie im Akt befindlichen - bulgarischen Personalausweises Nr. XXXX fest.

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinen Familienverhältnissen, seinem Gesundheitszustand und seiner Erwerbsfähigkeit ergeben sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren sowie aus dem unbestrittenen Akteninhalt.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer seit 01.12.2016 – mit einer kurzen Unterbrechung vom 02.02.2017 bis zum 28.02.2017 - durchgehend in Österreich gemeldet ist, ergibt sich aus einer Abfrage im zentralen Melderegister der Republik, ebenso wie die Feststellung, dass er geschieden ist sowie die bulgarische Staatsangehörigkeit eines seiner Söhne. Der zweite, im Rahmen seiner Stellungnahme vom 18.06.2020 genannte Sohn des Beschwerdeführers scheint mit der betreffenden Schreibweise nicht im zentralen Melderegister auf, jedoch erachtet es das Bundesverwaltungsgericht für glaubhaft, dass er einen zweiten Sohn im Bundesgebiet hat und ist mangels anderweitiger Hinweise auch von dessen bulgarischer Staatsangehörigkeit auszugehen.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nachging, ergibt sich aus einer Abfrage im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, ebenso wie der Umstand, dass er über keinen Krankenversicherungsschutz verfügt.

Die diversen fremden-, unions- sowie verwaltungsrechtlichen Verstöße des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen eigenen Angaben im Verfahren. Exemplarisch sei hierbei etwa auf den Umstand verwiesen, dass er unstreitig seine höchstzulässige Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet von 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen um ein Vielfaches überschritten hat und ausdrücklich vorbrachte, in den Jahren 2017 und 2018 einer Erwerbstätigkeit in Österreich nachgegangen zu sein, ohne dass er je in Besitz einer hierfür erforderlichen arbeitsmarktbehördlichen Bewilligung gewesen ist.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik.

Die Feststellungen zum anhängigen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft XXXX zur Zl. XXXX ergeben sich aus der seitens des Beschwerdeführers in Vorlage gebrachten Sachverhaltsdarstellung seiner Rechtsanwältin an die Staatsanwaltschaft XXXX sowie des Protokolls seiner Zeugenvernehmung vor dem LKA XXXX vom 14.07.2020, zudem aus einer seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholten Stellungnahme des LKA XXXX , Ermittlungsbereich 10 ("Menschenhandel"), vom 28.08.2020. Der Umstand, dass im betreffenden Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft XXXX bislang keine Anklage erhoben wurde, ergibt sich aus einer telefonischen Erhebung des Bundesverwaltungsgerichts bei dieser vom 25.08.2020.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zur Ausweisung (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" betitelte § 51 NAG lautet:

"(1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen."

Abs. 1 Z 3 des mit "Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern" betitelten § 52 NAG lautet:

"(1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

[…]

3. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

[…]"

Der mit "Anmeldebescheinigung" betitelte § 53 NAG lautet:

"(1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1. nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;

2. nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;

3. nach § 51 Abs. 1 Z 3: Nachweise über die Zulassung zu einer Schule oder Bildungseinrichtung und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie eine Erklärung oder sonstige Nachweise über ausreichende Existenzmittel;

4. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;

5. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern ab Vollendung des 21. Lebensjahres und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung;

6. nach § 52 Abs. 1 Z 4: ein Nachweis des Bestehens einer dauerhaften Beziehung mit dem EWR-Bürger;

7. nach § 52 Abs. 1 Z 5: ein urkundlicher Nachweis einer zuständigen Behörde des Herkunftsstaates der Unterhaltsleistung des EWR-Bürgers oder des Lebens in häuslicher Gemeinschaft oder der Nachweis der schwerwiegenden gesundheitlichen Gründe, die die persönliche Pflege durch den EWR-Bürger zwingend erforderlich machen."

Abs. 1 bis 3 des mit "Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern" betitelten § 53a NAG lautet:

"(1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2."

Der mit "Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate" betitelte § 55 NAG lautet:

"(1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

Zur Anwendung der Rechtsgrundlagen auf den gegenständlichen Fall:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bulgarien und damit EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG bzw. des § 2 Abs. 1 Z 4 NAG.

Er hält sich seit dem 01.12.2016 im Bundesgebiet auf, wobei er behauptete, in den Jahren 2017 und 2018 für insgesamt etwa acht Monate (ohne arbeitsmarktbehördliche Bewilligung) einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen zu sein.

Wie sich aus den Feststellungen und der Beweiswürdigung ergibt, ist er zum Entscheidungszeitpunkt in Österreich weder Arbeitnehmer oder Selbstständiger (§ 51 Abs. 1 Z 1 NAG), noch ist der Hauptzweck seines Aufenthaltes eine Ausbildung iSd § 51 Abs. 1 Z 3 NAG. Auch vermochte er vor dem Hintergrund des § 66 Abs. 1 FPG nicht den Nachweis zu erbringen, dass er ernsthaft auf der Suche nach einer Arbeit sei, geschweige denn eine begründete Aussicht habe, tatsächlich eingestellt zu werden.

Im Rahmen der Prüfung des Tatbestandes des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG ist zu beurteilen, ob der Unionsbürger für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und ein umfassender Krankenversicherungsschutz besteht, sodass während des Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedsstaats in Anspruch genommen werden müssen. Für das Vorliegen ausreichender Existenzmittel genügt, wenn dem Unionsbürger die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen; hingegen stellt die Bestimmung keine Anforderungen an die Herkunft der Mittel (vgl. VwGH vom 12.12.2017, Ra 2015/22/0149, mit Verweis auf EuGH vom 19.10.2004, Zhu und Chen, C-200/02; EuGH vom 16.07.2015, Singh u., C-218/14).

Bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie - in Österreich umgesetzt durch § 51 Abs. 1 Z 2 NAG - in Anspruch nehmen zu können, ist eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen vorzunehmen, ohne die beantragten Sozialleistungen zu berücksichtigen, was notwendigerweise impliziert, dass die Beantragung von Sozialleistungen und allenfalls ein Bezug derselben nicht schon per se bedeutet, dass keine ausreichenden Existenzmittel vorliegen (vgl. VwGH vom 21.12.2017, Ra 2017/21/0132, mit Verweis auf EuGH vom 11.11.2014, Dano, C-333/13; EuGH vom 19.09.2013, Brey, C-140/12).

Gegenständlich ist im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer über erspartes Vermögen verfügt oder von seinen in Österreich lebenden Söhnen finanziell derart unterstützt wird, dass er über ausreichende Existenzmittel verfügt. Zwar bezieht er in Österreich zum Entscheidungszeitpunkt keine Grundversorgungsleistungen oder die Mindestsicherung, jedoch lebt er seit dem 10.01.2019 durchgehend in karitativen Einrichtungen der Johanniter oder des österreichischen Roten Kreuzes, während er vom 22.11.2018 bis zum 10.01.2019 an einer Obdachlosenaderesse gemeldet war. Auch verfügt er über keinen Krankenversicherungsschutz. Nach Ansicht des erkennenden Gerichtes konnte er sohin nicht nachweisen, dass er die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG erfüllt.

Auch kann der Beschwerdeführer von seinen beiden in Österreich lebenden Söhnen bulgarischer Staatsangehörigkeit kein Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern iSd § 52 NAG ableiten, da gemäß Abs. 1 Z 3 leg cit Verwandten eines EWR-Bürgers in gerader aufsteigender Linie lediglich dann ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, „sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird“. Wenngleich seine Söhne ihn finanziell – wie von ihm im Verfahren vorgebracht – mit 200 Euro im Monat unterstützen, wurde zu keinem Zeitpunkt vorgebracht, dass diese ihm Unterhalt gewähren würden oder er aufgrund dieser Unterstützung in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt vollumfänglich zu bestreiten.

Zum Entscheidungszeitpunkt liegen hinsichtlich des Beschwerdeführers somit weder die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate iSd § 51 NAG noch für ein Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern iSd § 52 NAG vor und fehlt es insoweit auch an den Voraussetzungen für eine Anmeldebescheinigung gemäß § 53 NAG.

Auch hat der Beschwerdeführer mangels eines über fünf Jahre rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalts im Bundesgebiet kein Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a Abs. 1 NAG erworben.

Gemäß § 53a Abs. 3 Z 1 NAG erwerben EWR-Bürger, die in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind, zudem abweichend von § 53a Abs. 1 leg cit vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht zum Daueraufenthalt, wenn sie zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben. Im gegenständlichen Fall ist jedoch auch die Voraussetzung nach § 53a Abs. 3 Z 1 NAG nicht erfüllt, hat der Beschwerdeführer doch zum Entscheidungszeitpunkt sein Regelpensionsalter noch gar nicht erreicht und während der letzten zwölf Monate im Bundesgebiet auch keine Erwerbstätigkeit ausgeübt.

Auch die Voraussetzungen für das Recht auf einen Daueraufenthalt nach § 53a Abs. 3 Z 2 und Z 3 NAG sind im Falle des Beschwerdeführers unstreitig nicht erfüllt, da er weder seine Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben musste (Z 2) noch drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig war und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig wurde (Z 3).

Auch ergibt sich für den Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht aus anderweitigen niederlassungs- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften oder unmittelbar auf Grund des Unionsrechts, welches einer Ausweisung entgegenstehen würde (derartige Vorschriften hätte die Behörde bzw. das Gericht nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes „in die Prüfung der Ausweisungsentscheidung“ mit einzubeziehen, vgl. VfSlg 18.985/2010; VfGH 30.11.2010, U 833/10; 18.06.2012, U 1553/11; 05.06.2014, U 2238/2013).

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt in einem anhängigen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft XXXX zur Zl. XXXX u.a. als Opfer von Menschenhandel geführt wird.

Sofern in der Beschwerde vorgebracht wird, dass nach § 57 AsylG 2005 insbesondere Zeugen und Opfern von Menschenhandel von Amts wegen oder auf Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen sei und laut einem dem Beschwerdeschriftsatz beigefügten Rundschreiben des BMI vom 16.08.2013 EU-BürgerInnen insoweit aufenthaltsrechtlich nicht schlechter zu behandeln seien als Drittstaatsangehörige, sodass bei Vorliegen der Opfereigenschaft nach § 104a StGB ("Menschenhandel") grundsätzlich von der Unzulässigkeit einer Ausweisung auszugehen sei, ist festzuhalten, dass die Richtlinie 2004/81/EG vom 29.04.2004 Drittstaatsangehörigen, welche Zeugen oder Opfer von Menschenhandel geworden sind, unter bestimmten Voraussetzungen das Recht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vermittelt und die Vorgaben dieser Richtlinie innerstaatlich nunmehr durch die Einführung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nach § 57 AsylG 2005 umgesetzt wurden (das betreffende Rundschreiben des BMI vom 16.08.2013 bezieht sich noch auf die im Wesentlichen inhaltsgleiche, jedoch durch BGBl. I Nr. 87/2012 mit 01.01.2014 aufgehobene Vorgängerbestimmung in § 69a NAG). Der Beschwerdeführer fällt als EWR-Bürger sohin weder in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/81/EG noch in jenen der innerstaatlichen Umsetzung in § 57 AsylG 2005, wonach die Erteilung einer betreffenden Aufenthaltsberechtigung ausdrücklich nur für Drittstaatsangehörige in Betracht kommt.

Die Ausweisung des Beschwerdeführers nach § 66 Abs. 1 FPG in Verbindung mit § 55 Abs. 3 NAG erfolgte im gegenständlichen Beschwerdefall somit dem Grunde nach zu Recht.

Gemäß § 66 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt, wenn ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden soll, insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

Im dem Beschwerdeschriftsatz angeschlossenen Rundschreiben des BMI vom 16.08.2013 wird ausgeführt, dass das behauptete Vorliegen der Opfereigenschaft iSd (damaligen) § 69a Abs. 1 Z 2 NAG im Rahmen der Interessensabwägung nach § 66 Abs. 2 FPG zu berücksichtigen und im Bedarfsfall eine betreffende Stellungnahme der übergeordneten Landespolizeidirektion einzuholen sein wird (hierbei wird in dem Rundschreiben auf die Bestimmung des § 69a Abs. 2 NAG verwiesen, welcher die Vorgängerbestimmung zum heutigen § 57 Abs. 2 AsylG 2005 darstellt, wonach hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen ist).

Gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel, erforderlich ist. Aus einer seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholten Stellungnahme der Landespolizeidirektion XXXX , Landeskriminalamt, Ermittlungsbereich 10 ("Menschenhandel"), vom 28.08.2020 geht hervor, dass der Beschwerdeführer im betreffenden Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft XXXX zur Zl. XXXX sowohl bereits als Beschuldigter als auch als Zeuge/Opfer niederschriftlich einvernommen worden ist und seine weitere Anwesenheit im Bundesgebiet zur Gewährleistung der Strafverfolgung oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen in Zusammenhang mit dem Straftatbestand Menschenhandel nicht erforderlich ist. Unter diesen Umständen wäre dem Beschwerdeführer, auch wenn er Drittstaatsangehöriger wäre und dadurch § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 theoretisch anzuwenden wäre, keine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zuzuerkennen, da seine Anwesenheit im Bundesgebiet eben nicht zur Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen notwendig ist. Überdies ergibt sich aus dieser Stellungnahme, dass aufgrund einer Ersteinschätzung des LKA ausgehend von den Angaben des Beschwerdeführers das Delikt des Menschenhandels zu seinem Nachteil im vorliegenden Fall gar vorliege.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in einem anhängigen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft XXXX u.a. als Opfer von Menschenhandel geführt wird, begründet aufgrund des erhobenen Sachverhaltes im Rahmen einer nach § 66 Abs. 2 FPG vorzunehmenden Interessenabwägung sohin nicht die Unzulässigkeit seiner Ausweisung, da seine Anwesenheit im Bundesgebiet eben nicht zur Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen notwendig ist und zudem fallgegenständlich auch gar nicht die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nach § 57 AsylG 2005 – in analoger Anwendung auf den Beschwerdeführer, welcher als EWR-Bürger nicht dem persönlichen Anwendungsbereich dieser Norm unterliegt – gegeben wären.

Wird durch eine Ausweisung überdies in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist eine gewichtende Gegenüberstellung der öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung der besagten persönlichen Interessen ist aber auch auf die Auswirkungen, die eine Ausweisung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (VwGH 15.12.2011, 2010/18/0248).

Fallgegenständlich hält sich der Beschwerdeführer seit Dezember 2016 und sohin seit etwa drei Jahren und neun Monaten im Bundesgebiet auf. Jedoch kam ihm hierbei (wie zuvor dargelegt) kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu und war er als EWR-Bürger auf Basis von Art. 6 der Richtlinie 2004/38/EG ("Freizügigkeitsrichtlinie") lediglich zu einem Aufenthalt, welcher 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, berechtigt. Auch gab er selbst im Rahmen einer seiner Einvernahmen vor dem LKA XXXX zu Protokoll, zwischenzeitlich nach Frankreich ausgereist zu sein, um Arbeit zu suchen, sodass davon auszugehen ist, dass sein Aufenthalt in Österreich kein durchgehender war. Zudem kommt nach der Judikatur des VwGH einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070).

Unstreitig verfügt der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich, nachdem seine zwei erwachsenen Söhne im Bundesgebiet leben. Jedoch wurde zu keinem Zeitpunkt konkret dargelegt, dass zwischen ihm und seinen Söhnen in Österreich ein finanzielles oder anderweitig geartetes Abhängigkeitsverhältnis oder ein Naheverhältnis von maßgeblicher Intensität besteht. Er vermochte im Rahmen seiner schriftlichen Stellungnahme an die belangte Behörde vom 18.06.2020 nicht einmal die Adresse seiner in Österreich lebenden Söhne zu benennen und gab lediglich an, diese würden ihn mit 200 Euro monatlich unterstützen. Ein iSd Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben ist im vorliegenden Beschwerdefall – nicht zuletzt angesichts des Umstandes, dass etwaige familiäre oder private Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in der Beschwerde nicht einmal rudimentär erwähnt wurden – auszuschließen.

Ergänzend ist im Hinblick auf die in Österreich lebenden Söhne des Beschwerdeführers zu betonen, dass ihm ein Kontakt bzw. eine Rückkehr in das Bundesgebiet auch nicht dauerhaft verunmöglicht wird, zumal gegen ihn auch kein Aufenthaltsverbot iSd § 67 FPG verhängt wurde. Bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen steht ihm ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht offen bzw. ist er als EWR-Bürger auch weiterhin zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet, welcher 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, berechtigt.

Wie dargelegt, ist der Beschwerdeführer nicht am österreichischen Arbeitsmarkt integriert und ist angesichts dessen, dass er sich bereits seit Dezember 2016 in Österreich aufhält und bislang zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nachging, auch nicht davon auszugehen, dass sich dieser Umstand in absehbarer Zeit ändern würde. Auch weist er keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, gesellschaftlicher oder kultureller Hinsicht auf.

Wenngleich der Beschwerdeführer in Österreich bislang strafgerichtlich unbescholten geblieben ist, so hat er überdies gegen diverse fremden-, unions- sowie verwaltungsrechtliche Bestimmungen verstoßen und damit seine Gleichgültigkeit der österreichischen Rechtsordnung gegenüber zum Ausdruck gebracht. Exemplarisch sei hierbei etwa auf den Umstand verwiesen, dass er seine höchstzulässige Aufenthaltsdauer von 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen um ein Vielfaches überschritten hat und auch selbst vorbrachte, in den Jahren 2017 und 2018 für acht Monate im Bundesgebiet einer unselbstständigen Beschäftigung nachgegangen zu sein, ohne in Besitz einer hierfür erforderlichen arbeitsmarktbehördlichen Bewilligung zu sein.

Bei einer gewichtenden Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einer Ausreise des Beschwerdeführers mit seinen gegenläufigen privaten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet hat sich bei einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung ergeben, sodass die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen war.

3.2. Zur Erteilung eines Durchsetzungsaufschubs (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Nachdem der Beschwerdeführer bislang strafgerichtlich unbescholten blieb, war – wenngleich er mit seinem rechtswidrigen Aufenthalt und seiner illegalen Erwerbsausübung gegen diverse verwaltungsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat - fallgegenständlich keine derartige Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit erkennbar, die seine sofortige Ausreise erfordert hätte. Ihm war daher ein Durchsetzungsaufschub in der Dauer von einem Monat zu gewähren.

Insofern war die Beschwerde auch hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017).

Die vorgenannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Bundesverwaltungsgericht zur Gänze angeschlossen. Das Beschwerdevorbringen erwies sich als unsubstantiiert. Es lagen keine strittigen Sachverhalts- oder Rechtsfragen vor und es waren auch keine Beweise aufzunehmen. Daher konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht Ausweisung Ausweisung rechtmäßig Ausweisungsverfahren Durchsetzungsaufschub EU-Bürger EWR-Bürger Existenzminimum Interessenabwägung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Unionsbürger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I403.2234030.1.00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten