TE Bvwg Beschluss 2020/9/3 W164 2132475-1

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Veröffentlicht am 03.09.2020
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Entscheidungsdatum

03.09.2020

Norm

ASVG §18a
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W164 2132475-1/12E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle, vom 29.09.2015, Zl. HVBA- XXXX , betreffend Berechtigung zur Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG iVm § 669 Abs 3 ASVG aufgrund der Pflege eines behinderten Kindes beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gem. § 28 Abs 3, zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit an die Pensionsversicherungsanstalt zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit einem bei der Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden: PVA) am 11.09.2014 eingelangten Schreiben beantragte die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege ihres behinderten Kindes XXXX , geb. XXXX , gemäß § 18a ASVG iVm § 669 ASVG für die Zeit ab 28.07.2003.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.09.2015 lehnte die PVA den Antrag der BF nach Einholung einer Stellungnahme des chefärztlichen Bereichs mit der Begründung ab, dass die Arbeitskraft der BF durch die Pflege des Kindes XXXX nicht gänzlich beansprucht werde. Aufgrund der skoliotischen Fehlhaltung der Wirbelsäule nach Wirbelsäulenoperation (Versteifung von 8 Brustwirbelkörper bis zum ersten Lendenwirbelkörper) im Jahr 2003 und einer Schrittmacherimplantation auf Grund eines AV-Blocks Grad III sei eine Selbstversicherung gem. § 18a ASVG wegen ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege des behinderten Kindes nicht gerechtfertigt.

Gegen diesen Bescheid erhob die BF fristgerecht Beschwerde und führte aus, ihr Kind XXXX habe einen Grad der Behinderung von 70%. Für ihn sei erhöhte Familienbeihilfe gewährt worden. Die BF habe keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgehen können. Die BF habe mit dem Kind täglich mindestens eine Stunde turnen müssen. Zwei mal pro Woche habe sie mit dem Kind in den 60km entfernten Ort XXXX zur Therapie fahren müssen. Das Kind habe regelmäßig Schmerzen gehabt, was zusätzliche Betreuung notwendig gemacht habe. Monatlich einmal habe die BF mit dem Kind nach XXXX zur ärztlichen Behandlung fahren müssen. Dies habe eine Tagesreise bedeutet. Es sei zu einem erhöhten bürokratischen Aufwand gekommen, den die BF erledigen musste. Die Krankheit des Kindes habe enormen psychischen Druck erzeugt. Die BF sei ständig in Sorge gewesen, dass das Kind sterben könnte. Das Kind habe ein Chaneau-Korsett tragen müssen, das ihm bei jedem Toilettengang abgenommen habe werden müssen. Die BF habe das Kind keine Stunde allein lassen können. In den Urlaub habe sie es mitnehmen müssen.

Die BF legte vor: einen Bescheid des Bundessozialamtes vom 06.05.2004 mit dem für den Sohn XXXX der BF ein Grad der Behinderung von 70% iSd § 3 iVm 27 Abs 1 BEinstG und damit die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten festgestellt wurde, weiters eine Mitteilung des Finanzamtes XXXX vom 22.12.2009 über den Bezug von erhöhter Familienbeihilfe für das Kind XXXX von 03 1993 bis 05 2006, von 09 2006 bis 11 2006 und von 02 2009 bis 12 2009 und eine ärztliche Bestätigung von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, mit der bestätigt wird, dass der Sohn der BF bis zum 16. Lebensjahr intensiv betreut werden musste. Eine schwere Skoliose und ein AV Block III hätten regelmäßig in der XXXX Klinik kontrolliert werden müssen. Das Kind habe täglich zu heilgymnastischen Übungen angehalten werden müssen und zweimal wöchentlich zur Physiotherapie geführt werden müssen. Im 15. Lebensjahr des Kindes sei eine stabilisierende Operation an der Wirbelsäule durchgeführt worden und habe eine Schrittmacherimplantation stattgefunden. Im Jahr darauf sei eine intensive Rehabilitation notwendig gewesen. Durch die zeitaufwendige Betreuung habe die BF keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können.

Gemäß dem im Akt aufliegenden verdichteten Versicherungsverlauf vom 04.05.2015 hat die BF ab der Geburt des Sohnes XXXX bis 01 1992 Kindererziehungszeiten erworben. Ab 02 1992 bis 12 2014 scheint keine Versicherungszeit auf. Für die Zeit ab 01.01.2015 wurde der BF mit einem weiteren Bescheid der PVA vom 29.09.2015 eine Berechtigung zur Selbstversicherung gemäß § 18b ASVG aufgrund der Pflege der nahen Angehörigen XXXX , geb. XXXX , zuerkannt.

Die PVA legte den Bezug habenden Akt dem Bundesverwaltungsgericht vor. Mit ihrem Vorlagebericht wies die PVA darauf hin, dass der Sohn XXXX der BF nicht von der allgemeinen Schulpflicht befreit sei und nicht bettlägrig sei. Es sei aufgrund der ärztlichen Befunde nicht davon auszugehen, dass die Arbeitskraft der BF gänzlich iSd § 18a ASVG beansprucht worden sei, sondern dass es dieser durchaus möglich gewesen wäre, zumindest einer Halbtagstätigkeit nachzugehen.

Mit Schreiben vom 05.11.2019 an die BF regte das Bundesverwaltungsgericht eine erneute Antragstellung an.

Mit 20.11.2019 stellte die BF einen neuen Antrag auf Berechtigung zur Selbstversicherung aufgrund der Pflege ihres behinderten Kindes XXXX gem. § 18a ASVG iVm 669Abs 3 ASVG ohne nähere Zeitangabe darüber, für welchen Zeitraum die Berechtigung zur Selbstversicherung begehrt werde.

Das Bundesverwaltungsgericht unterbrach daraufhin das hier anhängige Beschwerdeverfahren mit verfahrensleitendem Beschluss vom 08.01.2020, GZ W164 2132475-1/5Z.

Die PVA leitete aufgrund des neuen Antrages der BF vom 20.11.2019 für die Zeiträume 01.08.2005 bis 31.05.2006, 01.09.2006 bis 30.11. 2006, 01.02.2009 bis 31.12.2014, 01.12.2017 bis 31.10.2019 und 01.12.2019 bis laufend eine chefärztliche Begutachtung ein. Die von der PVA eingeholte ärztliche Begutachtung vom 19.12.2019 ergab, dass eine intensive Betreuung des Sohnes der BF nur bis zu seinem 16. Lebensjahr erforderlich gewesen sei, der Sohn der BF während der hier geprüften Zeiträume aber schon 17 Jahre und älter war.

Mit Bescheid vom 30.12.2019, welcher ohne Zustellnachweis an die BF zugestellt wurde, hat die PVA den Antrag der BF vom 20.11.2019 auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes XXXX , geb. XXXX abgelehnt. In der Begründung wurde ausgeführt, dass „zu den angesuchten Zeiträumen 01.08.2005 bis 31.05.2006, 01.09.2006 bis 30.11.2006, 01.02.2009 bis 31.12.2014, 01.12.2017 bis 31.10.2019 und von 01.12.2019 bis laufend“ das behinderte Kind der BF bereits 17 Jahre und älter gewesen sei und daher kein erhöhter Betreuungsbedarf mehr bestand.

Mit 14.01.2020 erließ die PVA einen im Wesentlichen gleichlautenden Bescheid und stellte auch diesen der BF ohne Zustellnachweis zu.

Da der letztgenannte Bescheid eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung enthielt, erließ die PVA mit 20.01.2020 einen Berichtigungsbescheid, der der BF ebenso ohne Zustellnachweis zugestellt wurde.

Vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 24.04. 2020 damit konfrontiert, dass hier zweimal (am 30.12.2019 und am 14.02.2020) in derselben Sache (über die Zeiträume 01.08.2005 bis 31.05.2006, 01.09.2006 bis 30.11.2006, 01.02.2009 bis 31.12.2014, 01.12.2017 bis 31.10.2019 und von 01.12.2019 bis laufend aufgrund des Antrages vom 20.11.2019) entschieden wurde, gab die PVA bekannt, dass die erste Zustellung des Bescheides vom 30.12.2019 versehentlich erfolgt sei. Die mit demselben Schreiben an die PVA gerichtete Frage des Bundesverwaltungsgericht, ob seitens der PVA eine weitere Entscheidung über die vor dem 01.08.2005 liegende Zeit ergehen werde, blieb unbeantwortet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

3. Rechtliche Beurteilung:

§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.

Gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art 131 Abs. 2 B-VG erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden in Rechtssachen in Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nur in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 und nur auf Antrag einer Partei durch Senat. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

§ 18a ASVG in der zum Antragszeitpunkt 11.09.2014 geltenden Fassung lautete wie folgt:

„(1)Personen, die sich der Pflege eines im gemeinsamen Haushalt lebenden behinderten Kindes, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, widmen und deren Arbeitskraft aus diesem Grund gänzlich beansprucht wird (Abs. 3), können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.

(2) Die Selbstversicherung ist für eine Zeit ausgeschlossen, während der

1. eine Pflichtversicherung oder Weiterversicherung oder andere Selbstversicherung in einer gesetzlichen Pensionsversicherung oder ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine laufende Leistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung besteht oder

2. eine Ausnahme von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 besteht oder auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse ein Ruhegenuß bezogen wird oder

3. eine Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder § 227a vorliegt.

(3) Eine gänzliche Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs. 1 liegt vor, solange das behinderte Kind

1. das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§ 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

2. während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

3. nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.

[..]

(5) Die Selbstversicherung beginnt mit dem Zeitpunkt, den der (die) Versicherte wählt, frühestens mit dem Monatsersten, ab dem die erhöhte Familienbeihilfe (Abs. 1) gewährt wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der auf die Antragstellung folgt.

(6) Die Selbstversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonates,

1. in dem die erhöhte Familienbeihilfe oder eine sonstige Voraussetzung (Abs. 1) weggefallen ist,

2. in dem der (die) Versicherte seinen (ihren) Austritt erklärt hat.

[…]

§ 669 Abs 3 ASVG in der zum Antragszeitpunkt 11.09.2014 geltenden Fassung lautete:

Die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a kann auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit zwischen dem 1. Jänner 1988 und dem 31. Dezember 2012 die Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt haben, nachträglich beansprucht werden, und zwar – zurückgerechnet vom Tag der Antragstellung – für alle oder einzelne Monate, längstens jedoch für 120 Monate, in denen die genannten Voraussetzungen vorlagen. § 18 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden.

§ 669 Abs 3 ASVG wurde zuletzt mit der Novelle BGBl. I Nr. 125/2017, in Kraft seit 01. 01. 2018 geändert und lautet nun wie folgt:

Die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a kann auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt haben, nachträglich beansprucht werden, und zwar für alle oder einzelne Monate, längstens jedoch für 120 Monate, in denen die genannten Voraussetzungen vorlagen. § 18 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden.

Der Gesetzeswortlaut stellt auf jene Rechtslage ab, die zum „Datum der Antragstellung“ gegolten hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis 2019/08/0051 vom 05.06.2019 klargestellt hat, hat das Verwaltungsgericht das zum Zeitpunkt der Erlassung seines Erkenntnisses geltende Recht anzuwenden. § 660 Abs 3 ASVG in der Fassung BGBl. I Nr. 125/2017 stellt darauf ab, dass die betreffenden Personen die zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllen müssen. Auf die im zu erwerbenden Zeitraum der betreffenden Selbstversicherung früher in Geltung gestandenen Voraussetzungen für eine Selbstversicherung kommt es gemäß § 669 Abs 3 ASVG nicht an.

§ 669 Abs 3 ASVG in der aktuellen Fassung bewirkt somit, dass die Voraussetzungen des § 18a ASVG nicht mehr (wie bisher) zeitraumbezogen zu prüfen sind. Die Voraussetzungen des § 18a ASVG sind nun rückwirkend unter Anwendung jener Rechtslage zu beurteilen, die zum Zeitpunkt des gem. § 669 Abs 3 ASVG gestellten Antrages galt.

Die Beschwerdeführerin hat den verfahrensgegenständlichen Antrag am 11.09.2014 eingebracht. § 18a ist daher in der am 11.09.2014 geltenden Fassung (siehe oben) anzuwenden.

Die PVA hat ihre Beurteilung laut dem angefochtenen Bescheid auf eine Befragung der BF zu dem im September 2014 aktuellen Pflegeaufwand und auf ein chefärztliches Gutachten gestützt, das diesen von der BF angeführten Pflegeaufwand als Grundlage heranzieht. Die genannte Befragung hat überdies die gemäß höchstgerichtlicher Judikatur gebotene differenzierte Betrachtung des Begriffes „ständig“ iSd § 18a Abs 3 ASVG nicht berücksichtigt. Weder die Befragung der BF noch das vorhandene Gutachten waren geeignet, eine rechtliche Beurteilung der beantragten Selbstversicherung – die sich auf lange zurückliegende Zeiträume bezieht, in denen das Kind möglicherweise unterschiedliche Entwicklungsphasen durchgemacht hat – zu stützen. Im Beschwerdeverfahren wären somit aufwendige Ermittlungen nachzuholen gewesen. In diesem Zusammenhang war allerdings folgendes zu beachten:

§ 18a ASVG wurde nach dem 11.09.2014 entscheidend geändert und lautet nun wie folgt:

(1)Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.

(2) Die Selbstversicherung ist für eine Zeit ausgeschlossen, während der

1. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 2/2015)

2. eine Ausnahme von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 besteht oder auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse ein Ruhegenuß bezogen wird ode

3. eine Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder § 227a vorliegt.

(3) Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs. 1 wird jedenfalls dann angenommen, wenn und so lange das behinderte Kind

1. das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§ 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

2. während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

3. nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.

(4) Die Selbstversicherung ist in dem Zweig der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz zulässig, in dem der (die) Versicherungsberechtigte zuletzt Versicherungszeiten erworben hat. Werden keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz nachgewiesen oder richtet sich deren Zuordnung nach der ersten nachfolgenden Versicherungszeit, so ist die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung der Angestellten zulässig.

[…]

(6) Die Selbstversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonates

1. in dem die erhöhte Familienbeihilfe oder eine sonstige Voraussetzung (Abs. 1) weggefallen ist,

2. in dem der (die) Versicherte seinen (ihren) Austritt erklärt hat.

[…]

Nunmehr wird daher auf das Bestehen einer überwiegenden Beanspruchung (anstelle bisher auf eine gänzliche Beanspruchung) der Arbeitskraft der pflegenden Person abgestellt. Das Nebeneinander einer Pflichtversicherung bzw. Weiterversicherung in der Pensionsversicherung und einer Berechtigung zur Selbstversicherung gem. § 18a ASVG wird nicht mehr ausgeschlossen, ebenso wird das Nebeneinander von nach dem 01.01.2005 erworbenen Kindererziehungszeiten und einer Berechtigung zur Selbstversicherung gem. § 18a ASVG nicht mehr ausgeschlossen (§ 18a Abs 2 Z 1 und Z 3ASVG).

Für das hier anhängige Beschwerdeverfahren, das sich auf die zum 11.09.2014 geltende Rechtslage stützen müsste, bedeutet dies, dass die hier zu treffende Entscheidung selbst im Fall ihrer Rechtskraft einer neuen Entscheidung über die Berechtigung zur Selbstversicherung der BF, nicht entgegenstehen würde, da sich die Rechtslage in entscheidungswesentlichen Punkten geändert hat. Eine inhaltliche Entscheidung über den hier angefochtenen Bescheid der PVA – diese wäre nur nach aufwendigen Ermittlungen möglich - wäre daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt kontraproduktiv und unter Beachtung der Verfahrensgrundsätze der Verfahrensökonomie (§ 39 AVG iVm 17 VwGVG) nicht geboten..

Das Bundesverwaltungsgericht hat daher eine neue Antragstellung der BF angeregt.

Die BF hat am 20.11.2019 einen neuen Antrag gestellt. Dieser bildet zwar nicht den Gegenstand des hier anhängigen Verfahrens, ist aber insofern beachtlich, als seine Erledigung, die unter Beachtung einer für die BF günstigeren Rechtslage zu erfolgen hätte, als die hier zu treffende Entscheidung, das hier gegenständliche Verfahren voraussichtlich gegenstandslos machen würde.

Im Sinne der Verfahrensökonomie (§ 39 AVG, § 17 VwGVG, möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis), waren daher im hier gegenständlichen Verfahren keine eigenen Ermittlungen zu veranlassen, ehe nicht das den Antrag der BF vom 20.11.2019 erledigende Verfahren abgeschlossen wurde.

Die BF hat ihren Antrag vom 20.11.2019 nicht auf einen bestimmte Zeitraum bezogen. Der Antrag ist daher als sich auf den frühest möglichen Beginn der Berechtigung zur Selbstversicherung richtend zu beurteilen.

Die Pensionsversicherungsanstalt hat über diesen Antrag mit Bescheid vom 30.12.2019 nur hinsichtlich der Zeiträume 01.08.2005 bis 31.05.2006, 01.09.2006 bis 30.11.2006, 01.02.2009 bis 31.12.2014, 01.12.2017 bis 31.10.2019 und von 01.12.2019 bis laufend entschieden. Dieser Bescheid wurde rechtskräftig. Die BF hat keine Beschwerde erhoben.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beantwortung der Frage, was den Gegenstand eines Bescheides bildet, nicht in jedem Fall nur der Wortlaut seines Spruches isoliert zu betrachten. Auch die Begründung des Ausgangsbescheides und das Begehren des Antrages müssen miteinbezogen werden, dies insbesondere dann, wenn sich aus dem Zusammenhalt von Spruch, Begründung und Antrag eine implizite Aussage der Entscheidung ergeben könnte (vgl. VwGH 98/08/0127 vom 20.10.1998 zur Frage welcher Zeitraum einer Beschäftigung den Verfahrensgegenstand bildet). Dies erscheint auch im hier vorliegenden Fall geboten. Denn der Bescheid der PVA vom 30.12.2019 lehnt gemäß dem Wortlaut seines Spruches einen zeitlich nicht begrenzten Antrag ab, bezieht sich aber in der Begründung ausschließlich auf die Zeiträume 01.08.2005 bis 31.05.2006, 01.09.2006 bis 30.11.2006, 01.02.2009 bis 31.12.2014, 01.12.2017 bis 31.10.2019 und von 01.12.2019 bis laufend. Es ist davon auszugehen, dass der rechtskräftige Bescheid der PVA vom 30.12.2019 nur einen Teilbescheid betreffend die Zeiträume 01.08.2005 – 31.05.2006, 01.09.2006 - 30.11.2006, 1.2.2009 – 31.12.2014, 1.12.2017 - 31.10.2019 und 1.12.2019 bis laufend bildet. Eine Bescheid-mäßige Erledigung des Antrags vom 20.11.2019 hinsichtlich der weiteren mit 20.11.2019 beantragten Zeiträume der Berechtigung zur Selbstversicherung (insbesondere der vor dem 01.08.2005 liegenden Zeit zurückreichend bis 01.03.1993, dem Datum ab dem für das behinderte Kind erstmals erhöhte Familienbeihilfe bezogen wurde) steht noch aus. In diesem noch zu führenden Verfahren wird die Frage der überwiegenden Beanspruchung der BF während der genannten vergangenen Zeiträume - allenfalls differenziert nach den einzelne Lebensphasen - einerseits durch Befassung von fachärztlichen Gutachtern und andererseits durch Befragung der BF zu ermitteln sein.

Die BF hat als Partei dieses Verfahrens die Möglichkeit, alle den Parteien zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe und Rechtsmittel in Anspruch zu nehmen. Die Website „österreich.gv.at“ nennt Vereine und Behindertenorganisationen die dabei möglicherweise Hilfestellungen anbieten können. Im Fall der Untätigkeit der PVA bietet sich die Möglichkeit einer Säumnisbeschwerde.

Zurückverweisung:

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn diese notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis 2015/04/0019 vom 24.06.2015 ausgesprochen hat, stellt die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Das mit § 28 VwGVG insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Im vorliegenden Fall wären umfangreiche Ermittlungen zu tätigen, die jedoch unter Beachtung des Grundsatzes der Verfahrensökonomie, wie oben näher dargelegt wurde, keiner abschließenden Erledigung der hier zu lösenden Rechtsfrage dienen könnten und daher nicht angebracht wären. Der angefochtene Bescheid war daher zu beheben und die Angelegenheit an die PVA zurückzuverweisen. Sofern sich nach abschließender und vollständiger Entscheidung über den Antrag der BF vom 20.11.2019 erweisen sollte, dass das hier anhängige Beschwerdeverfahren gegenstandslos wurde, wird das Verfahren voraussichtlich eingestellt werden können.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Selbstversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W164.2132475.1.01

Im RIS seit

16.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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