Entscheidungsdatum
22.09.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I415 2149540-1/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX alias XXXX ), StA. NIGERIA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.02.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.09.2020
A)
I. beschlossen:
Das Verfahren über die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides wird wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG eingestellt.
II. zu Recht erkannt:
1. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
2. XXXX wird gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.“
3. In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt IV. ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 04.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen mit seiner behaupteten Homosexualität begründete.
2. Mit verfahrensgegenständlich angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 15.02.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm nicht erteilt. Weiters wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine 2-wöchige Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).
3. Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung am 01.03.2017 vollinhaltlich Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
4. Mit Schreiben vom 17.07.2019 zog der Beschwerdeführer seine hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des verfahrensgegenständlichen Bescheides erhobene Beschwerde zurück und hielt die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. und IV. ausdrücklich aufrecht. Ergänzend brachte die Geburtsurkunde und den Staatsbürgerschaftsnachweis seines österreichischen Sohnes und diverse weitere integrationsbekundende Schreiben in Vorlage.
13. Am 30.07.2019 fand in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seiner österreichischen Lebensgefährtin sowie des gemeinsamen Sohnes eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, wobei die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers zeugenschaftlich einvernommen wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Er ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Seine Identität steht fest.
Der Beschwerdeführer stellte am 04.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit verfahrensgegenständlichem Bescheid der belangten Behörde vom 15.02.2017 abgewiesen wurde. Er befindet sich seither ununterbrochen im Bundesgebiet und hatte durchgehend eine aufrechte Meldeadresse.
Der Beschwerdeführer ist jung, gesund, arbeitsfähig und arbeitswillig. In Nigeria war der Beschwerdeführer als Installateur tätig.
Der Beschwerdeführer führt in Österreich ein im Sinne des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben. Er befindet sich seit Ende 2016 in einer Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin, mit der er einen gemeinsamen am XXXX geborenen Sohn österreichischer Staatsangehörigkeit hat. Seine Lebensgefährtin hat noch eine ältere Tochter aus einer früheren Beziehungen im Alter von neun Jahren. Der Beschwerdeführer ist zumindest seit dem 06.09.2019 an derselben Wohnsitzadresse wie seine Lebensgefährtin gemeldet, wo sie mit den beiden Kindern leben. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers arbeitet als Pflegeassistenz. Der Beschwerdeführer unterstützt sie bei der Kinderbetreuung, insbesondere während ihrer Arbeitszeiten. Mit seinem Sohn hat er ein inniges Verhältnis und auch die neunjährige Tochter seiner Lebensgefährtin nennt ihn „Papa“.
Der Beschwerdeführer hat am 10.07.2017 ein ÖSD Deutschzertifikat A2 absolviert und auch einen Deutschkurs B1 besucht, jedoch noch keine entsprechende Prüfung abgelegt. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung konnte sich der Beschwerdeführer gut auf Deutsch verständigen.
Der Beschwerdeführer ist aktives Mitglied in einem Fußballverein und hat wiederholt in der Pfarre bei Vorbereitung von Gottesdiensten mitgeholfen; er verfügt über soziale Kontakte und ist auch in das soziale Netzwerk seiner Frau eingebunden.
Der Beschwerdeführer hat noch Kontakt zu seiner Tante, die in Nigeria lebt, und seiner in Belgien wohnhaften Schwester.
Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht er seit Asylantragstellung durchgehend Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer arbeitet als Zusteller/Beifahrer für die XXXX im XXXX . Derzeit macht er den Führerschein, damit er diese Tätigkeit auch alleine ausüben kann kann.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich in Erscheinung getreten und wurde von einem Landesgericht mit Urteil vom sechsten 20.11.2018 wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Ein diversionelles Vorgehen scheiterte an der fehlenden Verantwortungsübernahme des Beschwerdeführers.
Nach Zurückziehung der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. mit Schreiben vom 17.07.2019 bezieht sich die Beschwerde nur noch auf die Spruchpunkte III. und IV. des verfahrensgegenständlichen Bescheides.
2. Beweiswürdigung:
Der erkennende Richter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), der Grundversorgung (GVS) und dem AJ-WEB wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.
Außerdem konnte im vorliegenden Beschwerdefall auf die Ermittlungsergebnisse im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 21.09.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht zurückgegriffen werden.
2.1. Zum Sachverhalt und zur Person des Beschwerdeführers:
Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund des in Vorlage gebrachten Reisepasses fest.
Die Feststellung zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und zu seinem Aufenthalt im Bundesgebiet seit September 2015 ergibt sich unstrittig aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit einer am 22.09.2020 eingeholten ZMR-Auskunft.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand, zur Arbeitsfähigkeit und zur Ausbildung des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Aussagen vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung. Auch aus der Aktenlage sind keinerlei Hinweise auf lebensbedrohliche gesundheitliche Beeinträchtigungen ableitbar.
Die Feststellungen zu seinem Familienleben in Österreich ergeben sich aus den übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers und seiner als Zeugin befragten Lebensgefährtin im Rahmen der mündlichen Verhandlung, sowie aus den dem Akt einliegenden Unterlagen. Bestätigt werden diese Angaben durch eine aktuelle ZMR-Abfrage. Daraus ergibt sich für den erkennenden Richter in einer Gesamtschau und aufgrund des persönlichen Eindruckes, dass entgegen der Auffassung der belangten Behörde ein im Sinne des Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben in Österreich besteht. Dies vor allem aus folgenden Erwägungen:
Im Rahmen der Einvernahme der Lebensgefährtin konnte diese glaubhaft und nachvollziehbar darlegen, dass sich der Beschwerdeführer um die Kinder kümmert und diese versorgt und somit seinen väterlichen Pflichten nachkommt, wie folgender Auszug aus der Niederschrift belegt:
„RI: Sie sind als Pflegehelferin tätig?
Z: Ja, als Pflegeassistentin beim H[…], dabei verdiene ich 1.400 € Brutto.
RI: Wer kümmert sich um die Kinder, wenn Sie arbeiten gehen?
Z: Ich arbeite 24.7 Stunden. Der S[…] ist am Vormittag bei der Tagesmutter und abends und Wochenende schaut mein Freund auf die Kinder.
RI: Wie würden Sie das Verhältnis Ihrer Tochter zu dem BF beschreiben?
Z: Sie streiten manchmal, aber es ist ein normales Verhältnis. Meine Tochter hat mich gefragt, ob sie Papa sagen darf.
RI: Wo sehen Sie sich mit Ihrem Freund in fünf Jahren?
Z: Es wäre geplant, dass wir heiraten und das wir zusammenbleiben. Wir sind gerade in eine größere Wohnung umgezogen. Ein normales Familienleben mit Arbeit, ohne Behördengänge etc. Er ist gerade beim Führerschein machen.
RI: Wo wohnen Sie aktuell?
Z: Wir wohnen in Z[…] in einer 95 Quadratmeter Wohnung. Wir haben jetzt zwei Kinderzimmer.
RI: Möchten Sie noch abschließend etwas sagen?
Z: Ich möchte nur, dass er hierbleiben darf bei uns. Wir spielen nichts vor, wir sind wirklich eine Familie.“
Darüber hinaus konnte sich der erkennende Richter in der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der engen und vertrauten Beziehung des Beschwerdeführers zu seinem Sohn verschaffen, indem der Beschwerdeführer während der zeugenschaftlichen Befragung seiner Lebensgefährtin den knapp zweijährigen Sohn in seinen Armen in den Schlaf wog, und besteht auch dahingehend keinerlei Zweifel am Bestehen eines schützenswerten Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK.
Die Feststellungen zu seinem Privatleben, seinen sozialen Kontakten und damit verbunden seiner Teilnahme am sozialen Leben, seinen Deutschkenntnissen, seinen familiären Anknüpfungspunkten in Nigeria und dazu, dass der Beschwerdeführer nicht selbsterhaltungsfähig ist, gründen sich auf seinen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung und den vorgelegten Unterlagen.
Aus einem eingeholten Strafregisterauszug ergibt sich die Feststellung zu seiner strafgerichtlichen Verurteilung.
Die Zurückziehung der Beschwerde zu den Spruchpunkten I. und II. ergibt sich zweifelsfrei aus dem Schreiben des Beschwerdeführers vom 17.07.2019.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zur Einstellung des Verfahrens über die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides:
Mit Zurückziehung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des Bescheides des Bundesamtes (Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten) erwuchsen diese in Rechtskraft.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG die Entscheidungen und Anordnungen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Beschluss.
In welchen Fällen das Verfahren einzustellen ist, regelt das VwGVG nicht. Die Einstellung steht nach allgemeinem Verständnis am Ende jener Verfahren, in denen ein Erledigungsanspruch nach Beschwerdeeinbringung verloren geht, worunter auch der Fall der Zurückziehung der Beschwerde zu subsumieren ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG, Anm. 5).
Aufgrund der Zurückziehungen der Beschwerde mit Schriftsatz vom 17.07.2019 ist der angefochtene im Spruch genannte Bescheid in seinen Spruchpunkten I. und II. rechtskräftig geworden und war daher das Verfahren in diesen Beschwerdepunkten mit Beschluss einzustellen (vgl. VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).
3.2. Zur Nicht- Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung, zur Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG und zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III.)
3.2.1 Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.
3.2.2 Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde.
Zu prüfen ist im gegenständlichen Fall, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, oder ob eine Trennung bzw. Fortführung des Familienlebens außerhalb Österreichs, im Heimatstaat des Beschwerdeführers zumutbar ist, respektive ob eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:
„(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554).
Zum Familienleben ist grundsätzlich auszuführen, dass das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK das Zusammenleben der Familie schützt. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).
Unbestritten besteht zwischen jedem Elternteil und seinem Kind ein unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls schützenswertes familiäres Band. Wie der EGMR in seinem Urteil vom 12.07.2001, Rs 25702/94 in Rz 150 ausführt, bedarf es aber auch hier einer Beurteilung faktischer Umstände ("…the existence or non-existence of "family life" is essentially a question of fact depending upon the real existence in practice of close personal ties").
Im gegenständlichen Fall ist somit festzustellen, dass der Beschwerdeführer in Österreich ein Familienleben führt:
Er ist seit Ende 2016 in einer Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen, mit der er einen gemeinsamen, im November 2018 geborenen Sohn österreichischer Staatsangehörigkeit hat. Seine Lebensgefährtin hat noch eine Tochter aus einer früheren Beziehungen im Alter von fast neun Jahren. Der Beschwerdeführer ist seit dem 06.09.2019 an derselben Wohnsitzadresse wie seine Ehefrau gemeldet, wo sie mit den beiden Kindern leben.
Auch kommt nach höchstgerichtlicher Judikatur dem Kindeswohl bei der Interessensabwägung ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VwGH 05.10.2017, Zl. Ra 2017/21/0119)
Bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter zur Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes ist immer auf die besonderen Umstände des Einzelfalls im Detail abzustellen. Eine Ausweisung hat daher immer dann zu unterbleiben, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Im gegenständlichen Fall liegt eine außergewöhnliche und intensive Betreuung seiner Kinder durch den Beschwerdeführer vor. Insbesondere für seinen leiblichen Sohn stellt der Beschwerdeführer, der seit September 2019 mit seiner Lebensgefährtin, dem gemeinsamen Sohn und der Tochter seiner Lebensgefährtin im gemeinsamen Haushalt lebt, eine wichtige Bezugsperson in seiner derzeit (klein-)kindlichen Entwicklung dar und bildet damit ebenso einen wesentlichen Teil seines Alltags. Auch für die achtjährige Tochter seiner Lebensgefährtin, die ebenso mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebt, ist er zwischenzeitlich in die Vaterrolle hineingewachsen.
Der Beschwerdeführer konnte in Zusammenschau mit den Angaben seiner Lebensgefährtin glaubhaft darlegen, dass er seinen Pflichten bei der Erziehung und Beaufsichtigung der beiden Kinder in einem entscheidungsrelevanten Ausmaß nachkommt.
Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass es durch die Ausweisung des Vaters zu einer Traumatisierung seines Sohnes kommen wird, bzw. würde durch eine Ausweisung ein zweifellos enges Familienband zerrissen (siehe dazu auch EGMR Urteil vom 2.4.2015, Sarközi und Mahran gegen Österreich).
Das verfahrensgegenständliche Familienleben weist auch zweifelsfrei die erforderliche Intensität im Sinne des Art 8 EMRK auf.
Zwar zeigt die relevante Rechtsprechung, dass es besondere Fälle geben kann, in denen bereits ein Verweis auf Besuchsmöglichkeiten oder sonstige fernmündliche Kontakte (statt einer dauerhaften Übersiedlung) genügt, um eine Verletzung von Art. 8 EMRK zu vermeiden. Es darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass es seiner Lebensgefährtin nicht zugemutet werden kann, mit dem Kleinkind und ihrer achtjährigen Tochter aus einer anderen Beziehung nach Nigeria zu reisen, wobei dabei vorrangig das Interesse und Wohl der Kinder zu berücksichtigen sein würde, insbesondere im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die sich den Kindern im Heimatland des Beschwerdeführers stellen würden und der sozialen kulturellen und familiären Bindungen zu Österreich in Gegenüberstellung zu den nicht vorhandenen Bindungen in Nigeria.
Auch wenn dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt (zB VwGH 07.09.2016, Ra 2016/19/0168), überwiegen im gegenständlichen Fall aufgrund der dargestellten exzeptionellen Umstände in einer Gesamtabwägung dennoch die familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, für die sich in der vorliegenden Konstellation keine begründeten Rechtfertigungen erkennen lassen.
Dass der Beschwerdeführer sich zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Familienlebens seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste, tritt angesichts des dargelegten Ausmaßes des tatsächlichen Bestehens des Familienlebens sowie des Umstandes, dass die Verfahrensdauer primär von Behörden und nicht vom Beschwerdeführer selbst zu verantworten ist, in den Hintergrund (vgl. VfGH 13.03.2008, B1032/07; VfGH 15.12.2011, U760-764, vgl. VfGH 7.10.2010, B 950/10 u.a., wonach es die Verantwortung des Staates ist, die Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass den nunmehrigen Beschwerdeführer die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre - sieben Jahre verstreichen). Im gegenständlichen Fall ist die insgesamt rund fünfjährige Verfahrensdauer bis zur endgültigen Entscheidung über den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz nicht dem Beschwerdeführer anzulasten.
Die Gesamtschau der zu berücksichtigenden Faktoren ergibt daher, dass – trotz der erheblichen öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen und seiner strafrechtlichen Verurteilung – die Interessensabwägung zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfällt, dies vor allem angesichts des intensiven, dauerhaften Familienlebens, der Interessen seiner Kindes und seiner Lebensgefährtin und auch seiner Integration, belegt durch seine Deutschkenntnisse, Mitgliedschaft in einem Fußballverein und seine Arbeitswilligkeit.
Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher aufgrund der vorgenommenen Interessenabwägung unter Berücksichtigung der genannten besonderen Umstände dieses Beschwerdefalles zum Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer unzulässig ist. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind.
Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides war daher stattzugeben und festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
3.2.3 Es ist daher nach § 58 Abs. 2 AsylG von Amts wegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist nach § 55 Abs. 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.
Der Beschwerdeführer übt keine erlaubte Erwerbstätigkeit aus, sodass die zweite Alternative des § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG nicht vorliegt.
Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist nach § 9 Abs. 4 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt (Z 1); einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt (Z 2), über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Z 3), einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt (Z 4) oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen (Z 5).
Gegenständlich kommen nur Z 1 oder 2 in Frage. Nach § 11 Abs. 2 umfasst die Prüfung des Moduls 1 Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit „Bestanden“ oder „Nicht bestanden“ zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden.
Der Beschwerdeführer hat eine Prüfung auf dem Sprachniveau A2 absolviert und konnte diesbezüglich eine Prüfungsbestätigung über ein ÖSD Zertifikat vorlegen. Jedoch beinhaltete seine Prüfung keinen Werteteil, womit das das Modul 1 der Integrationsvereinbarung nicht erfüllt ist. Da auch kein gleichwertiger Nachweis nach § 11 Abs. 4 IntG vorgelegt wurde, war dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.
Der Aufenthaltstitel “Aufenthaltsberechtigung“ unterscheidet sich von der „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 54 Abs. 1 AsylG nur in Bezug auf die Berechtigung zur Ausübung von Erwerbstätigkeiten, und zwar darin, dass die "Aufenthaltsberechtigung" insoweit weniger Rechte einräumt. Statt wie bei der „Aufenthaltsberechtigung plus“, die einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt iSd § 17 AuslBG vermittelt, besteht nämlich für die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit das Erfordernis einer Berechtigung nach dem AuslBG.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird daher dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel im Sinne des § 58 Abs. 4 AsylG auszufolgen haben.
Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.
3.2.4 Dadurch, dass dem Beschwerdeführer wie oben ausgeführt ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen war, war festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung des Beschwerdeführers auf Dauer unzulässig ist. Angesichts des erteilten Aufenthaltstitels können die weiteren durch die belangte Behörde getroffenen Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers und der Erlassung eines Einreiseverbotes keinen Bestand haben und war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
3.3 Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheids)
Aufgrund der auf Dauer unzulässigen Rückkehrentscheidung und des erteilten Aufenthaltstitels liegt die Voraussetzung für eine Fristsetzung für eine freiwillige Ausreise aus dem österreichischen Bundesgebiet nicht mehr vor. Spruchpunkt IV. war daher ersatzlos zu beheben.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung Beschwerdeverzicht Beschwerdezurückziehung Einstellung Einstellung des (Beschwerde) Verfahrens ersatzlose Teilbehebung Integration Interessenabwägung Kassation mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Spruchpunktbehebung subsidiärer Schutz Verfahrenseinstellung Zurückziehung Zurückziehung der BeschwerdeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I415.2149540.1.01Im RIS seit
17.11.2020Zuletzt aktualisiert am
17.11.2020