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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y in Z, geboren am, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, LL.M., Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Juli 2020, W247 1301053-3/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte am 3. Juni 2003 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 4. September 2009 wurde dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. In der Begründung wurde im Wesentlichen festgehalten, dass der Onkel des Revisionswerbers und sein Cousin aktive tschetschenische Widerstandskämpfer seien. Der Revisionswerber sei bei einem geplanten Gefangenenaustausch russischer Soldaten beteiligt gewesen. „In Gesamtschau mit einer erhöhten Gefährdung im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit“ unter der Maschadov-Administration liege eine aktuell asylrelevante Verfolgungsgefahr wegen unterstellter russlandfeindlicher politischer Gesinnung vor.
3 Mit Bescheid vom 13. August 2019 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Revisionswerber gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) der Status des Asylberechtigten aberkannt werde, stellte fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Weiters legte die Behörde eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erließ gegen den Revisionswerber ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Die Aberkennung begründete es im Wesentlichen damit, dass dem Revisionswerber aufgrund geänderter Umstände im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung mehr drohe und kein reales Risiko einer Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK bestehe. Die Rückkehr in seinen Herkunftsstaat sei dem Revisionswerber - unter Berücksichtigung der festgestellten Lage im Heimatland - auch zumutbar. Das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung überwiege trotz des mehr als 17-jährigen Aufenthalts im Inland seine Interessen am Verbleib im Inland, weil der (aktuell in Strafhaft angehaltene) Revisionswerber elf rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen aufweise, die auf derselben schädlichen Neigung beruhten. Das Einreiseverbot gründete es auf § 53 Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, der Revisionswerber habe von Anfang an und unter Vorlage aller notwendigen Beweismittel, wie Dokumente, die Bedrohung aufgrund des familiären Naheverhältnisses zu den hochrangigen tschetschenischen Widerstandskämpfern und die Unfähigkeit der russischen Behörden, hinreichenden Schutz zu gewährleisten, dokumentiert und bestätigt. Eine Bedrohung sei nach wie vor gegeben und das diesbezügliche Vorbringen sei nachvollziehbar. Ein aktueller Länderbericht über schwere Menschenrechtsverletzungen sei unberücksichtigt geblieben. Das BVwG habe den hohen Grad der Integration des Revisionswerbers unzureichend gewürdigt, weshalb ein Aufenthaltstitel zu erteilen gewesen wäre. Der Revisionswerber verfüge über ein enges soziales Netzwerk, ein aufrechtes sowie intaktes Familienleben, das über einen längeren Zeitraum bestehe, und sei um seine weitere Integration bemüht.
9 Soweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 16.10.2019, Ra 2019/14/0487, mwN). Der Revision gelingt es nicht, eine solche - vom Verwaltungsgerichtshof - aufzugreifende Unvertretbarkeit aufzuzeigen. Das BVwG hat sich sowohl mit den individuellen Fluchtgründen, die ursprünglich zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten geführt hatten, als auch mit den geänderten Umständen im Heimatland des Revisionswerbers sowie dessen persönlicher Situation auseinandergesetzt und kam gestützt auf aktuelle Länderberichte nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass dem Revisionswerber eine asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat nicht mehr drohe. Diesen Erwägungen setzt die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.
10 Insofern die Revision die Nichtberücksichtigung eines Berichts rügt, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach es nicht ausreicht, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels aufzuzeigen (vgl. VwGH 5.8.2020, Ra 2020/14/0302, mwN). Mit dem bloß pauschalen Hinweis auf einen Bericht, den das BVwG zu berücksichtigen gehabt hätte, legt die Revision die Relevanz des Verfahrensfehlers nicht dar.
11 Soweit sich die Revision gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, nach der eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 26.6.2020, Ra 2020/14/0168, 0215 bis 0218, mwN).
12 Das BVwG berücksichtigte in seiner Interessenabwägung die lange Aufenthaltsdauer sowie sämtliche Integrationsbemühungen des Revisionswerbers, kam jedoch zu dem Ergebnis, dass aufgrund seiner zahlreichen strafbaren Handlungen, die zu mehrfachen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen geführt haben, die öffentlichen Interessen an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme überwögen. Die Revision zeigt nicht auf, dass die Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar wäre.
13 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 13. Oktober 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140411.L00Im RIS seit
09.12.2020Zuletzt aktualisiert am
09.12.2020