TE Vwgh Erkenntnis 2020/10/14 Ra 2020/22/0106

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Veröffentlicht am 14.10.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §13 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision des D K, vertreten durch Mag. Julian Alen Motamedi, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Baumannstraße 9/12A, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 1. April 2020, VGW-151/023/16564/2019-5, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, verfügte seit 2015 über immer wieder verlängerte Aufenthaltstitel als Student. Am 23. April 2018 beantragte er fristgerecht eine weitere Verlängerung. Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2018 brachte der Revisionswerber einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ „gestützt auf ARB 1/80“ ein. Am 7. Dezember 2018 modifizierte er den Zweckänderungsantrag dahin gehend, dass statt des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ nunmehr eine „Rot-Weiß-Rot - Karte“, in eventu eine „Niederlassungsbewilligung, Sonderfälle unselbständiger Erwerbestätiger“ gemäß § 43b Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) beantragt werde.

2        Mit Bescheid vom 23. Jänner 2019 wies der Landeshauptmann von Wien (Behörde) den „Antrag vom 23.4.2018 ... auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ‚Rot-Weiß-Rot - Karte plus‘“ zurück, weil der Antragsteller „unzulässigerweise keinen genauen Aufenthaltszweck“ angegeben habe.

3        Das Verwaltungsgericht Wien (VwG) hob mit Erkenntnis vom 29. April 2019 den Bescheid vom 23. Jänner 2019 auf und führte begründend aus, der Revisionswerber habe seinen Zweckänderungsantrag zunächst von „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ auf „Rot-Weiß-Rot - Karte“ und schließlich - in der Beschwerde - auf eine Niederlassungsbewilligung nach dem Fremdengesetz 1997 (FrG 1997) modifiziert. Auf den Antrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot - Karte“ sei nicht einzugehen gewesen; es sei nur über die Zulässigkeit der Zurückweisung zu entscheiden gewesen. Dieses Erkenntnis wurde rechtskräftig.

4        Im fortgesetzten Verfahren wies die Behörde mit Bescheid vom 3. Dezember 2019 den Antrag des Revisionswerbers auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels „Student“ ab (Spruchpunkt 1), den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ ab (Spruchpunkt 2), den Zweckänderungsantrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot - Karte“ ab (Spruchpunkt 3) sowie den Zweckänderungsantrag auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung gemäß 7 FrG 1997“ ebenfalls ab (Spruchpunkt 4).

5        Mit dem angefochtenen Beschluss wies das VwG die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unzulässig zurück und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.

Dies begründete das VwG - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - damit, dass der Revisionswerber einem Auftrag des VwG, gemäß § 13 Abs. 3 AVG klarzustellen, gegen welche Spruchpunkte des Bescheides vom 3. Dezember 2019 er vorzugehen gedenke, nicht fristgerecht nachgekommen sei. Die aufgetragene Verbesserung eines fristgebundenen Antrages, wie etwa eines Rechtsmittels, bewirke nur bei rechtzeitiger Behebung des Mangels die ursprünglich rechtzeitige Einbringung der Eingabe (Hinweis etwa auf VwGH 21.6.2001, 99/20/0462). Die gegenständliche Verbesserung sei jedoch außerhalb der auf der Internetseite des VwG kundgemachten Amtsstunden per E-Mail eingelangt und gelte somit erst am nächsten Tag - und somit nach Ablauf der gesetzten Frist - als eingelangt.

In seiner Stellungnahme zur vorgehaltenen Verspätung bestritt der Revisionswerber dem VwG gegenüber einerseits die Notwendigkeit einer Verbesserung der Beschwerde und andererseits die Verspätung derselben.

Die Notwendigkeit der Verbesserung der Beschwerde begründete das VwG mit widersprüchlichen Ausführungen in der Beschwerdebegründung, wobei beantragt worden sei, den angefochtenen Bescheid zu beheben und dem Revisionswerber eine Niederlassungsbewilligung nach dem FrG zu erteilen, „wobei auch zum Umfang der beantragten ‚Behebung‘ keine weiteren Angaben getätigt wurden.“ Dies sei insofern mangelhaft, „als ein Bescheid mit insgesamt vier voneinander trennbaren Spruchpunkten in Beschwerde gezogen wurde, es jedoch unklar erschien, welche dieser Spruchpunkte konkret in Beschwerde gezogen wurde.“ Bei unklaren oder offensichtlich unvollständigen Anbringen sei die Behörde gemäß § 37 iVm § 39 AVG verpflichtet, den Antragsteller zu einer Präzisierung aufzufordern. Die Verabsäumung einer solchen Verbesserung eines undeutlichen Anbringens habe zur Zurückweisung des Antrages zu führen (Hinweis etwa auf VwGH 28.7 [richtig: 6].2010, 2008/10/0002). Aus einer Beschwerde müsse insbesondere hervorgehen, ob ein Bescheid zur Gänze oder nur zum Teil angefochten werde (Hinweis auf VwGH 26.3.2015, Ra 2014/07/0077), weil die nicht angefochtenen Teile in Rechtskraft erwüchsen. Der Begründung einer Beschwerde komme besondere Bedeutung zu, weil dadurch der Prüfumfang bestimmt werde. Ohne entsprechende Beschwerdebegründung sei es dem VwG nicht möglich, die angefochtene Entscheidung einer Überprüfung zuzuführen. Der Umfang der Anfechtung, das klare Begehren und eine nachvollziehbare Begründung müssten sich unzweifelhaft aus einer Beschwerde ergeben, weil dadurch der Prozessgegenstand und damit auch die Entscheidungsbefugnis des VwG umgrenzt würden. Aus der zu beurteilenden Beschwerde sei zumindest nicht zweifelsfrei zu erkennen, inwieweit der Bescheid vom 3. Dezember 2019 angefochten werde.

6        Dagegen richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7        In der Zulässigkeitsbegründung bringt der Revisionswerber vor, das VwG hätte inhaltlich absprechen müssen und die Beschwerde nicht zurückweisen dürfen, weil der Beschwerdeantrag eindeutig sei.

8        Die Revision ist zulässig und auch begründet.

9        Zunächst wird festgehalten, dass sich der Revisionswerber nicht gegen die Feststellungen des VwG hinsichtlich des verspätet eingelangten Schriftsatzes zur Mängelbehebung wendet.

10       Er bestreitet vielmehr, dass ein Verbesserungsverfahren überhaupt „notwendig“ gewesen sei. Dem Antrag, den Bescheid zu beheben und dem Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung stattzugeben sowie in eventu die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen, sei zweifelsfrei zu entnehmen, welche Spruchpunkte angefochten würden. Selbst wenn die Beschwerde hinsichtlich der weiteren Spruchpunkte unklar oder unvollständig gewesen wäre, hätte das VwG über die klaren Anträge inhaltlich entscheiden müssen, allenfalls mit einer teilweisen Zurückweisung vorgehen können.

11       Ein Verbesserungsauftrag nach § 13 Abs. 3 AVG ist immer nur dann gesetzmäßig, wenn der angenommene Mangel tatsächlich vorliegt. Wurde zu Unrecht die Mangelhaftigkeit des Anbringens angenommen (und wäre in der Sache zu entscheiden gewesen), ist die deshalb ergangene zurückweisende Entscheidung unabhängig davon inhaltlich rechtswidrig, ob der Einschreiter nur eine teilweise oder nur eine verspätete „Verbesserung“ vornimmt oder diese gar nicht versucht (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, AVG, 1. Teilband, 2014, § 13, Rz. 27, zitierte hg. Rechtsprechung).

12       In der Beschwerde brachte der Revisionswerber vor, mit dem angefochtenen Bescheid sei „der Zweckänderungsantrag auf Erteilung einer ‚Niederlassungsbewilligung‘, wie auch die Aufenthaltsbewilligung Student in einem einzigen Bescheid abgewiesen“ worden und begehrte, „dem Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach dem FrG 1997 stattzugeben“, in eventu die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die Behörde zurückzuverweisen. Wenn in der Beschwerde (auf Seite 4) argumentiert wird, die Abweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ sei zu Unrecht erfolgt, steht dies wiederum in Zusammenhang damit, dass der Revisionswerber eine Niederlassungsbewilligung nach dem FrG 1997 beantragte und der Antrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ nicht (mehr) Gegenstand des Verfahrens war. Der Revisionswerber ist somit insofern im Recht, als aus der Beschwerde klar hervorgeht, dass er sich nur gegen die Abweisung seines Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach dem FrG 1997 wendet. Auch in seiner Stellungnahme vom 28. Oktober 2019 wies der Revisionswerber ausdrücklich darauf hin, dass „einzig sein Antrag auf Erteilung einer ‚Niederlassungsbewilligung‘ nach dem FrG 1997 aufgrund der ‚Stand-Stillklausel‘ des Assozationsabkommens EWR-Türkei 1963 anhängig ist“ (Fehler im Original).

13       Angesichts dieser Ausführungen war der vom VwG erteilte Verbesserungsauftrag nicht gesetzmäßig, sondern wäre dieses gehalten gewesen, eine Sachentscheidung zu treffen. Da das VwG demgegenüber mit Zurückweisung der Beschwerde - aufgrund der nicht fristgerechten Befolgung eines zu Unrecht erteilten Verbesserungsauftrages - vorging, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

14       Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil hinsichtlich der Eingabegebühr mit Beschluss vom 16. Juni 2020 die Verfahrenshilfe bewilligt wurde.

Wien, am 14. Oktober 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220106.L00

Im RIS seit

09.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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