Entscheidungsdatum
07.07.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I401 2212219-1/14E
schriftliche Ausferigung des am 12.06.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, und Mag. Susanne SINGER, Rechtsanwältin, Ringstraße 9, 4600 Wels, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 05.12.2018, Zl. XXXX ,
nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG die Dauer des befristeten Einreiseverbots auf zwei Jahre herabgesetzt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 24.09.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit der Verfolgung durch Boko Haram begründete. Soldaten seien in sein Dorf im Tschad gekommen und hätten ihn rekrutieren wollen. Als ein weiterer Mann geflüchtet sei und die Leute ihn verfolgt hätten, sei er ganz alleine gewesen und habe ebenfalls die Flucht in den Busch ergriffen.
Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) gab er wiederholt an, aus dem Tschad zu stammen, Awubo und Englisch zu sprechen und dass Boko Haram in sein Dorf gekommen sei. Die arabischen Leute würden die Christen nicht mögen und man hätte aus ihm einen Moslem machen und ihn rekrutieren wollen.
2. Aufgrund von Angaben des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme, die auf eine nigerianische Staatsangehörigkeit schließen ließen, wurde eine forensisch-afrikanische Befunderhebung zu den Sprach- und Landeskenntnissen in Auftrag gegeben. Das Ergebnis der 182-minütigen Tonaufzeichnung samt der gutachterlichen Stellungnahme des Dr. G. langte am 19.10.2018 beim Bundesamt ein.
Dem Beschwerdeführer wurde das Ergebnis der Beweisaufnahme, dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht aus dem Tschad, sondern aus Nigeria stamme, im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt vom 26.11.2018 zur Kenntnis gebracht. Er blieb bei seinem Vorbringen, aus dem Tschad zu stammen und ausschließlich im Tschad eine Verfolgung zu fürchten.
3. Mit Bescheid vom 05.12.2018 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.), erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.) und erließ gegen ihn ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).
Dagegen richtet sich die durch die Rechtsanwältin Mag. S eingebrachte Beschwerde vom 28.12.2018. Darin wurde bekräftigt, dass der Beschwerdeführer aus dem Tschad stamme. Dass der Beschwerdeführer allgemein sehr geringe Sprachkenntnisse habe, sei auf die fehlende Schulbildung zurückzuführen und weil er als einfacher Landarbeiter ausschließlich in seinem Dorf gelebt und ihm der Kontakt zur arabisch- und französischsprachigen Nachbarschaft gefehlt habe, die überdies moselmischen Glaubens sei. Er gehöre der englischsprachigen christlichen Minderheit im Tschad an und kenne nur die Sprache seiner Familie und des Dorfes. Außerdem habe das Bundesamt dem Beschwerdeführer das Sprachgutachten nicht im Rahmen eines Parteiengehörs übermittelt, sondern lediglich in einer niederschriftlichen Einvernahme die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt.
4. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.11.2019 wurde dem Beschwerdeführer auch der Befund zu seinen Sprachkompetenzen und Landeskenntnissen vom 18.10.2018 mit der Möglichkeit zugesandt, binnen eine Frist von zwei Wochen dazu Stellung zu nehmen.
In seiner Stellungnahme vom 07.10.2020 verwies der Beschwerdeführer auf seine in der erhobenen Beschwerde getätigten Ausführungen.
5. Im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 12.06.2020 wurde das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Nigeria mit Stand 20.05.2020 übermittelt. Am 03.06.2020 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass das zur Rechtsanwältin Mag. S bestehende Vollmachtverhältnis widerrufen und eine Vollmacht dem Verein Menschenrechte Österreich erteilt wurde. Am 12.06.2020 fand die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, statt, die in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Rechtsberaterin des Vereins Menschenrechte Österreich und einer Dolmetscherin für die englische Sprache abgehalten wurde. Gegenständliches Erkenntnis wurde mündlich verkündet.
Der Verein Menschenrechte und das Bundesamt stellten keinen Antrag auf Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
Im Schriftsatz vom 22.06.2020 gab die rechtsfreundliche Vertreterin des Beschwerdeführers Mag. S bekannt, dass das Vollmachtverhältnis wieder aufgenommen wurde; sie beantragte die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.
1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Er ist volljährig, ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Nigeria und nicht des Tschad.
Er reiste illegal ins Bundesgebiet ein und hält sich seit 24.09.2014 in Österreich auf. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er bekennt sich zum römisch-katholischen Glauben, spricht Englisch und Deutsch auf Niveau A1. Die Prüfung für die Stufe A2 hat er nicht bestanden.
Vor seiner Ausreise arbeitete er in Nigeria in der Landwirtschaft. Er ging in Österreich bisher keiner der Pflichtversicherung unterliegenden Erwerbstätigkeit nach, verkaufte bzw. verkauft gelegentlich eine Straßenzeitung und war gemeinnützig tätig. Er bezog und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Seit 23.01.2020 nimmt er an einem zwei Semester dauernden Vorbereitungskurs der Fachschule für Sozialbetreuungsberufe Altenarbeit teil.
In seinem Herkunftsstaat leben seine Eltern und Geschwister. Er führt in Österreich keine Beziehung und kein Familienleben. Er nimmt am sozialen Leben in der katholischen Pfarrgemeinde Gallneukirchen teil. Er hat Kontakte zu Bekannten in seinem Wohnumfeld und legte Empfehlungsschreiben vor. Aufgrund seiner Berufserfahrung sowie körperlichen Konstitution besteht für den Beschwerdeführer die Möglichkeit, in Nigeria eine Arbeit auszuüben.
Am 26.05.2016 fügte der Beschwerdeführer einem Mitbewohner in der Flüchtlingsunterkunft nach Streitigkeiten eine Platzwunde an der Stirn und Lippe durch einen Faustschlag zu, worüber er sich geständig zeigte. Eine gerichtliche Verurteilung erfolgte auf Grund dieser Begebenheit nicht; der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.3. Zu den Fluchtgründen:
Der Beschwerdeführer bringt vor, dass Soldaten der Boko Haram in sein Dorf im Tschad gekommen seien und aus ihm einen Moslem hätten machen wollen. Er wäre aufgefordert worden, sich ihnen anzuschließen. Dies habe er verweigert und sei ihm die Flucht durch den Busch gelungen. Der Beschwerdeführer bezieht sein gesamtes Vorbringen auf den Tschad und machte in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria keine Fluchtgründe geltend.
Eine Verfolgung oder Bedrohung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung in Nigeria kann nicht festgestellt werden.
Er wird bei einer Rückkehr nach Nigeria nicht in eine aussichtslose oder menschenunwürdige Situation geraten und bedeutet eine Abschiebung für ihn als Zivilperson keine reelle Gefahr einer ersthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt in Nigeria.
1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Zur Situation in Nigeria wird auf das dem Beschwerdeführer mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 15.05.2020 und mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.06.2020 zugesandte aktuelle Länderinformationsblatt (letzte Änderungen mit 20.05.2020) zu Nigeria verwiesen. Eine Stellungnahme zu den Länderberichten gab er nicht ab.
Auf das Länderinformationsblatt wurde in der mündlichen Verhandlung neuerlich hingewiesen und werden fallbezogen nachstehende Feststellungen samt Quellen daraus hervorgehoben:
Politische Lage:
Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020; GIZ 3.2020a) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 3.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 3.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 16.1.2020).
Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem starken exekutiven Präsidenten (Präsidialsystem nach US-Vorbild) (AA 24.5.2019a). Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten - zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020).
Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 16.1.2020). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen die von ihnen gemachte Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete des Landes, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 1.2019).
Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 3.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 3.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes (GIZ 3.2020a). Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Abubakar fechtet das Ergebnis vor dem Obersten Gerichtshof aufgrund von Unregelmäßigkeiten an. Die Aussichten, dass die Beschwerde Erfolg hat, sind gering (GIZ 3.2020a).
Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat mit 109 Mitgliedern und Repräsentantenhaus mit 360 Mitgliedern (AA 24.5.2019b). Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei „All Progressives‘ Congress“ (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die „People’s Democratic Party“ (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA 16.1.2020).
Auf subnationaler Ebene regiert die APC in 20 der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020). Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 3.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).
Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein. Dieser Einfluss wird von der jüngeren Generation aber zunehmend in Frage gestellt (AA 24.5.2019a).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
- AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 31.1.2020
- AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019b): Nigeria - Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeria/205786, Zugriff 9.4.2020
- BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 12.4.2019
- DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by 'systemic failings', https://www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a-47858131, Zugriff 9.4.2020
- FH - Freedom House (1.2019): Freedom in the World 2018 - Nigeria, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2019/nigeria, Zugriff 20.3.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 9.4.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
- Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/governor/2019, Zugriff 9.4.2020
Sicherheitslage:
Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt; sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und eskalierende Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA 16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt“ kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt jedoch latent konfliktanfällig. IPOB ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).
In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger, Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 16.4.2020).
Das deutsche Auswärtige Amt warnt vor Reisen auf dem Landweg in die nordöstlichen Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa. Von nicht erforderlichen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias, in die Bundesstaaten Sokoto, Katsina und Jigawa wird abgeraten. Von Reisen in die folgenden Bundesstaaten wird abgeraten, sofern diese nicht direkt auf dem Luftweg in die jeweiligen Hauptstädte führen: in Zentral-und Nord-Nigeria Kaduna, Zamfara, Kano und Taraba, in Südnigeria: Ogun, Ondo, Ekiti, Edo, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo, Anambra, Enugu, Abia, Ebonyi und Akwa Ibom. Auch von Reisen in die vorgelagerten Küstengewässer, Golf von Guinea, Nigerdelta, Bucht von Benin und Bucht von Bonny, wird abgeraten (AA 16.4.2020).
In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 16.4.2020). Das britische Außenministerium warnt vor Reisen nach Borno, Yobe, Adamawa und Gombe, sowie vor Reisen in die am Fluss gelegenen Regionen der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom and Cross River im Nigerdelta, sowie Reisen nach Zamfara näher als 20km zur Grenze mit Niger. Abgeraten wird außerdem von allen nicht notwendigen Reisen in die Bundesstaaten Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia, im 20km Grenzstreifen zu Niger in den Bundesstaaten Sokoto und Kebbi, nicht am Fluss gelegene Gebiete von Delta, Bayelsa und Rivers, und Reisen im Bundesstaat Niger im Umkreis von 20km zur Grenze zu den Staaten Kaduna und Zamfara, westlich des Flusses Kaduna (UKFCO 15.4.2020). Gewaltverbrechen sind in bestimmten Gebieten Nigerias ein ernstes Problem, ebenso wie der Handel mit Drogen und Waffen (FH 1.2019).
In der Zeitspanne April 2019 bis April 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.712), Zamfara (685), Kaduna (589) und Katsina (392). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (3), Kano (7), Jigawa (7), Kwara (8), Enugu (8) und Ekiti (9) (CFR 2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
- AA - Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise
- (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, 16.4.2020
- CFR - Council on Foreign Relations (2019): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 12.4.2019
- EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 16.4.2020
- FH - Freedom House (1.2019): Freedom in the World 2019, Nigeria, https://freedomhouse.org/country/nigeria/freedom-world/2019, Zugriff 17.4.2020
- UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (15.4.2020): Foreign Travel Advice – Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 16.4.2020
Grundversorgung:
Die nigerianische Wirtschaft hat sich 2017 allmählich aus der schlimmsten Rezession seit 25 Jahren erholt, das BIP ist um 0,55 Prozent gestiegen. Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen, dass sich die nigerianische Wirtschaft seit Ende 2017 allmählich wieder erholt, unter anderem eine Steigerung der Erdölförderleistung, die Erholung des Erdölpreises und eine verbesserte Leistung von Landwirtschaft und Dienstleistungssektor (GIZ 3.2020c). 2018 wurde ein Wachstum von 1,9 Prozent erreicht (AA 24.5.2019c).
Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 16.1.2019). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat – gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 3.2020c). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 16.1.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 3.2020c). Vor allem im Bereich Stromversorgung und Transport ist die Infrastruktur weiterhin mangelhaft und gilt als ein Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung (AA 24.5.2019c).
Über 60 Prozent (AA 24.5.2019c) bzw. nach anderen Angaben über 70 Prozent (GIZ 3.2020c) der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung Buhari stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 3.2020c; vgl. AA 24.5.2019c). Die unterentwickelte Landwirtschaft ist jedoch nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken (AA 24.5.2019c). Das Land ist nicht autark, sondern auf Importe - v.a. von Reis - angewiesen (ÖB 10.2019). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen – in der Regel in Subsistenzwirtschaft (AA 24.5.2019c). Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Aufgrund fehlender Transportmöglichkeiten verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten (ÖB 10.2019).
Die Prozentsätze der Unterernährung haben sich in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegen nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2019).
Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 3.2020b). Über 80 Prozent der ca. 190 Millionen Nigerianer leben unterhalb der Armutsgrenze - Tendenz steigend (GIZ 3.2020c). 48 Prozent der Bevölkerung Nigerias bzw. 94 Millionen Menschen leben in extremer Armut mit einem Durchschnittseinkommen von unter 1,90 US-Dollar pro Tag (ÖB 10.2019). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 3.2020b). Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung, Lebensmittelpreise variieren ebenfalls nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2019).
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt (GIZ 3.2020b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent - in erster Linie unter 30-jährige - mit großen regionalen Unterschieden. Die Chancen, einen sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst, staatsnahen Betrieben oder Banken zu finden, sind gering, außer man verfügt über eine europäische Ausbildung und vor allem über Beziehungen (ÖB 10.2019). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020).
Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 3.2020b).
Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2019). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).
Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).
Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 3.2020c).
Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup“, „garri“ oder „pounded yam“, für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2019).
Im Jahr 2019 benötigten von der Gesamtbevölkerung von 13,4 Millionen Menschen, die in den Staaten Borno, Adamawa und Yobe leben, schätzungsweise 7,1 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Von den auf Hilfe Angewiesenen (7,1 Millionen) sind schätzungsweise 80 Prozent Frauen und Kinder (IOM 17.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
- AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/wirtschaft/205790, Zugriff 16.4.2020
- BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020c): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 16.4.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Nigeria, Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 15.4.2020
- IOM Nigeria - International Organization for Migration (17.3.2020): Emergency Response, 2019 Annual Reports, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/2019_annual_report_-_iom_nigeria_emergency_responsefinal.pdf, Zugriff 15.4.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
Rückkehr:
Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).
Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
Zur Covid-19 Pandemie:
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Am 25.02.2020 wird das Coronavirus in Österreich registriert. In Nigeria gibt es mit Stand Mitte Juni ca. 25.000 bestätigte Infektionen und etwa 500 Todesfälle sowie knapp 9.000 genesene Patienten. Im Vergleich liegen die Zahlen in Österreich bei etwa 17.000 bestätigten Infektionen, knapp unter 700 Todesfällen und ca. 16.200 genesenen Patienten.
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
Quellen:
https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html[02.04.2020]; https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/[23.03.2020]; https://orf.at/corona/stories/3157170/[23.03.2020];
https://orf.at/corona/stories/3157533/ [23.03.2020];
https://www.tagesschau.de/ausland/coronavirus-karte-101.html [12.06.2020]).
Eine nach Nigeria zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in die Akten des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor diesem und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, den bekämpften Bescheid, den Beschwerdeschriftsatz sowie den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts. Aktuelle Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister, der Grundversorgung und der Versicherungsdatenbank wurden ergänzend eingeholt.
Das Bundesamt hat ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung wesentlichen Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesverwaltungsgericht verweist daher zunächst auf diese schlüssigen und nachvollziehbaren beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid. Der Beschwerdeführer bestreitet den vom Bundesamt festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattete in der Beschwerde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen, welches geeignet wäre, die von der erstinstanzlichen Behörde ausgeführten Erwägungen in Frage zu stellen.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Religionszugehörigkeit, zum Gesundheitszustand und Familienstand, zu den familiären Verhältnissen, zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers, seinen Deutschkenntnissen sowie zur Teilnahme an einem zwei Semester dauernden Vorbereitungskurs der Fachschule für Sozialbetreuungsberufe Altenarbeit beruhen auf seinen glaubhaften Angaben vor dem Bundesamt, die er auch in der mündlichen Verhandlung wiederholte und den von ihm vorgelegten Beweismitteln.
Auch wenn der Beschwerdeführer eine Straßenzeitung verkauft und einige soziale Kontakte in Österreich aufweist, kann noch nicht von einer maßgeblichen Integration gesprochen werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat sogar die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, als keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale qualifiziert (Hinweis E 26.01.2009, 2008/18/0720). Im Fall des Beschwerdeführers mangelt es überdies an weiterführenden Deutschkenntnissen. Bislang hat er die Sprachprüfung A2 nicht bestanden. In Anbetracht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung sind die integrativen Bemühungen des Beschwerdeführers daher zu relativieren.
Aktuelle Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Informationssystem Zentrales Fremdenregister, dem Grundversorgungssystem, dem Strafregister und der Versicherungsdaten wurden vom Bundesverwaltungsgericht ergänzend eingeholt und konnten daraus die Feststellungen zum bisherigen Aufenthalt, zum Asylantrag, zum Wohnsitz und dem Bezug von staatlichen Leistungen getroffen werden. Auch die strafgerichtliche Unbescholtenheit ergibt sich daraus, der festgestellte Streit mit einem Mitbewohner in der Unterkunft und die ihm zugefügten Verletzungen durch vom Beschwerdeführer verabreichte Faustschläge ergeben sich aus dem Abschlussbericht der PI Vöcklamarkt (AS 41 ff). In der beigefügten Beschuldigtenvernehmung zeigte sich der Beschwerdeführer geständig (AS 45 ff).
2.3. Zum Herkunftsstaat und den Fluchtgründen:
2.3.1. Da der Beschwerdeführer keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, muss von einer bloßen Verfahrensidentität ausgegangen werden. Zu seiner Staatsangehörigkeit sind aufgrund seiner gemachten Angaben vor dem Bundesamt Zweifel aufgetreten. Der Beschwerdeführer beharrte darauf, aus dem Tschad zu stammen, benannte aber die Stadt „Baga“ als „Das ist dort wo ich lebte“ (AS 84) und das Dorf nannte er „Doro“. Es ist festzustellen, dass sich die Stadt Baga in Nigeria befindet und sich dort eine Moschee, ein Supermarkt und eine Straße mit dem Namen „Doro“ bzw. „Doro Gowon“ befindet (https://www.google.at/maps/place/Baga,+Nigeria/@13.1146731,13.8532362,1457m/data=!3m1!1e3!4m5!3m4!1s0x111aa04e094bb4b9:0xecaf92c022adfd4b!8m2!3d13.1154393!4d13.8593075).
Außerdem antwortete der Beschwerdeführer auf die Frage nach den Kosten für seine Reise nach Europa, dass er „nicht eine Naira gebraucht“ habe (AS 84). Die Währung des Tschads ist der CFA-Franc, der auch das Zahlungsmittel der Zentralafrikanischen Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft ist, zu der neben dem Tschad auch Äquatorialguinea, Gabun, Kamerun, Republik Kongo und die Zentralafrikanische Republik gehören. Demgegenüber ist die Währung Nigerias der vom Beschwerdeführer genannte Naira.
Die angeführten Unstimmigkeiten finden im Ergebnis der eingeholten Sprachanalyse durch Dr. G. eine schlüssige Erklärung. Aus der forensisch-afrikanischen Befunderhebung zu den Sprach- und Landeskenntnissen des Beschwerdeführers ergab sich, dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Nigeria hauptsozialisiert wurde und ist eine Hauptsozialisierung im Tschad mit ebensolcher Sicherheit auszuschließen. Der Gutachter kam nach einem 182-minütigen Befundgespräch zum Ergebnis (AS 145 ff), dass der Beschwerdeführer keinen Erfahrungshintergrund im Tschad habe erkennen lassen und keine Kompetenz in auch nur irgendeiner im Tschad gesprochenen Sprache demonstriert habe, stattdessen aber eine nigerianische Igbo-Sprache spreche. Der wohl deutlichste Hinweis sei, dass der Beschwerdeführer weder Kompetenzen in Französisch, noch in (Standard-) Arabisch oder in einer der Verkehrssprachen des Tschad aufweise. Seine englische Aussprache sei nicht typisch, wie es in Ländern mit arabischer Sprache, wie dem Tschad, der Fall sein müsste (AS 152 und 158). Der Beschwerdeführer habe angegeben, seine Muttersprache sei „Avubo“, eine derartige Sprache im Tschad es aber nicht gebe. Die vom Beschwerdeführer in der Sprache „Avubo“ geäußerten Wörter hätten einer im Delta State in Nigeria gesprochenen regionalen Igbo-Varietät zugeordnet werden können. Aufgrund der spezifischen Aussprache unterschiedlicher Vokale und Wortauslaute kam der Sachverständige Dr. G. zum Schluss, dass der Beschwerdeführer eine Varietät des westafrikanischen Englisch spreche und sich diese dem südnigerianischen Englisch zuordnen lasse.
Der Sachverständige begründete seine Feststellungen umfangreich und führte zahlreiche Beispiele zur (dialektischen) Aussprache und der vom Beschwerdeführer verwendeten Vokabeln, welche eindeutig auf ein nigerianisches, speziell südnigerianisches Englisch, schließen ließen, an.
Der Beschwerdeführer ist diesen Ausführungen nicht auf der gleichen fachlichen Ebene entgegen getreten und bestritt in der Beschwerde weder die vom Sachverständigen festgestellten Sprachkompetenzen, noch die fachliche Eignung und die Methodik des Sachverständigen selbst. In der Beschwerde wurde lediglich vorgebracht, dass in der Geschichte des Tschad bestimmte Gebiete mehrfach entvölkert und wieder besiedelt worden seien und die igboide Sprachfärbung des Beschwerdeführers auch von daher herrühren könne. Auch wenn nicht zu verkennen ist, dass gerade bei Sprachanalysen höchste Sensibilität und Sorgfalt einzufordern ist, genügen die pauschalen, nicht fundierten Bedenken gegen die nachvollziehbaren Schlussfolgerungen des Sachverständigen nicht, um Zweifel an der Hauptsozialisierung des Beschwerdeführers in Nigeria aufkommen zu lassen. Unterlagen, die die These des Beschwerdeführers belegen könnten, wurden nicht vorgelegt und führte Dr. G., der außerdem auch länderkundlicher Sachverständiger ist, an, dass das Verbreitungsgebiet der igboiden Sprachen innerhalb der Grenzen Nigerias liege. Im Tschad gebe es weder autochthone Sprecher dieser Sprache, noch sei eine Zuwanderung von Igbo-Sprechern in den Tschad bekannt. Dr. G. führte auch aus, dass der Beschwerdeführer keine spezifischen Merkmale oder signifikanten Einflüsse anderer westafrikanischer oder auch anderer Varietäten der Sprache aufweise, sodass keine Hinweise auf eine weitere oder andere als die nigerianische Staatsangehörigkeit aufgetreten seien.
Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer neben der Sprache auch keinen sonstigen Erfahrungshintergrund im Tschad habe erkennen lassen (AS 165 f), er keine wesentlichen Lagebezeichnungen zu seinem angeblichen Wohnort habe machen können (AS 147 f), die Stückelung der Währung nicht habe benennen können und er die Kaufkraft der Währung des Tschads grob unrichtig eingeschätzt habe. So habe er zum Beispiel den Preis für ein Stück Brot mit 1 Franc eingeschätzt, der tatsächliche Preis liege aber bei etwa 150 bis 200 Francs CFA.
2.3.2. In Bezug auf den festgestellten Herkunftsstaat Nigeria hat der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung vorgebracht bzw. eine solche nicht glaubhaft gemacht. Zu seiner festgestellten Herkunft aus Nigeria wurde dem Beschwerdeführer rechtliches Gehör gewährt und ihm neuerlich in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit geboten, eine sich auf Nigeria beziehende Verfolgung geltend zu machen. Der Beschwerdeführer bekräftigte unverändert, aus dem Tschad zu stammen und dort von Boko Haram als Christ bedroht worden zu sein.
Das gesamte Fluchtvorbringen ist deshalb nicht glaubhaft, weil der Beschwerdeführer nicht, wie von ihm beharrlich angegeben, aus dem Tschad stammt.
2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Bezüglich der Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat Nigeria wurden sowohl Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie beispielsweise dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten und unabhängigen Nichtregierungsorganisationen herangezogen.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Dem Beschwerdeführer wurden - wie bereits ausgeführt - die aktuellen Länderberichte zu Nigeria zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt und nochmals in der mündlichen Verhandlung erörtert. Eine Stellungnahem gab er mit der Begründung, aus dem Tschad zu stammen, nicht ab bzw. trat er dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Nigeria mit Stand 20.05.2020 nicht entgegen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A):
3.1. Zum Status des Asylberechtigten:
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).
Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG 2005 erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinaus geht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.1.2. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, wonach er aus dem Tschad stamme und dort eine Bedrohung durch Boko Haram fürchte, ist aufgrund der Tatsache, dass die Hauptsozialisierung des Beschwerdeführers in Nigeria stattfand und er zu seinem Herkunftsstaat beharrlich falsche Angaben machte, als nicht glaubhaft zu qualifizieren. Der Beschwerdeführer machte - wie unter Punkt II.2.3. dargelegt - eine aktuelle, sich auf Nigeria beziehende Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens geltend. Daher sind die dargestellten Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl nicht gegeben. Sein Vorbringen, er sei Staatsangehöriger des Tschad, ist nicht glaubhaft und kann daher der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden.
Da eine zum Fluchtzeitpunkt bestehende und eine aktuelle asylrelevante Verfolgung im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen ist, somit ein asylrelevanter Verfolgungsgrund nicht besteht, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten:
3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes - "real risk" einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 28.06.2011, 2008/01/0102). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 15.12.2010, 2006/19/1354).
Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK angenommen werden kann (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 19.11.2015, Ra 2015/20/0174 ua). Das Vorliegen solcher exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (VwGH 07.09.2016, Ra 2015/19/0303, mwN).
3.2.2. Dem Beschwerdeführer droht in Nigeria - wie oben bereits dargelegt wurde - keine asylrelevante Verfolgung.
Auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre, gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt. Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund und somit arbeitsfähig. Er hat vor seiner Ausreise (angeblich im Tschad) als Landarbeiter seinen Lebensunterhalt verdient und stehen keine Hindernisse entgegen, um wieder eine Tätigkeit in der Landwirtschaft aufzunehmen. Auch durch Annahme einer anderen (einfachen) Beschäftigung wird es ihm möglich sein, sich eine Existenz zu sichern. Außerdem hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat familiäre Anknüpfungspunkte und hat die Möglichkeit, zumindest in der ersten Zeit nach seiner Rückkehr die Hilfe und Unterstützung der Familie anzunehmen. Er gehört als gesunder, 32-jähriger Mann auch nicht einer Corona-Risikogruppe an und ist er in Nigeria nicht stärker von der weltweiten COVID-19-Pandemie betroffen, als in Österreich.
Damit ist der Beschwerdeführer durch die Abschiebung nach Nigeria nicht in seinem Recht gemäß Art. 3 EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber seiner Situation in Nigeria besser gestellt ist, genügt nicht für die Annahme, er würde in Nigeria keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Hierfür fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände. Aus dem Länderinformationsblatt ergibt sich zudem, dass „[…] auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).“
Ganz allgemein besteht in Nigeria derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPEMRK) ausgesetzt wäre. Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden und ergeben sich auch nicht aus dem amtliches Wissen darstellenden Länderinformationsblatt für Nigeria, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein reales Risiko einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 abzuweisen war.
3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen:
3.3.1. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung eines „Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ gemäß § 57 AsylG (gemeint offenbar: einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“) wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keine Hinweise, die es nahelegen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 57 AsylG 2005 abzuweisen war.
3.4. Zur Rückkehrentscheidung:
3.4.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG 2005) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.
Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in ein