Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §55Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Z G M in A-P, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6. November 2019, L508 1414937-3/35E, betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Pakistans, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 23. März 2010 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. August 2010 wurde der Antrag zur Gänze abgewiesen und der Revisionswerber nach Pakistan ausgewiesen. Einer gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers gab der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 19. November 2012 nicht Folge.
2 Am 21. April 2014 stellte der - im Bundesgebiet verbliebene - Revisionswerber einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) - nach Zulassung des Verfahrens - mit Bescheid vom 14. November 2018 vollinhaltlich ab. Dem Revisionswerber wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei. Überdies wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt, festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, und gegen den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG - weil er keine ausreichenden Unterhaltsmittel habe nachweisen können und nach rechtskräftigem Abschluss seines ersten Asylverfahrens seiner Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen sei - ein Einreiseverbot in der Dauer von 18 Monaten erlassen.
3 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er vorbrachte, er gehe seit dem Jahr 2014 in Österreich einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach und sei somit nicht mehr auf staatliche Unterstützung angewiesen. Er habe die Jahre seines Aufenthaltes in Österreich gut zur Integration genutzt und sich hier ein Privat- bzw. Familienleben aufgebaut.
4 Diese Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 8. Februar 2019 - mit hier nicht mehr wesentlichen Maßgaben - als unbegründet ab.
5 Die dagegen erhobene Revision wies der Verwaltungsgerichtshof zu VwGH 25.6.2019, Ra 2019/19/0130, zurück, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung von internationalem Schutz, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und die Zurückweisung des [in der Beschwerde gestellten] Antrages des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 richtete. Im Übrigen (also insbesondere betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes) wurde das Erkenntnis vom 8. Februar 2019 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (Nichtdurchführung der beantragten mündlichen Verhandlung) aufgehoben.
6 Mit dem nunmehr angefochtenen, nach mündlicher Verhandlung ergangenen Erkenntnis vom 6. November 2019 wies das BVwG die Beschwerde in den verbliebenen Spruchpunkten abermals als unbegründet ab, wobei es die Dauer des Einreiseverbotes auf vier Jahre erhöhte. Es räumte aber - insoweit in Stattgebung der Beschwerde - gemäß § 55 Abs. 2 FPG eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise des Revisionswerbers ein. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 Begründend führte das BVwG aus, der gerichtlich unbescholtene, im Wesentlichen gesunde und arbeitsfähige Revisionswerber, der Analphabet sei, weise geringe Deutschkenntnisse auf, er habe insoweit auch keine Prüfung abgelegt. In Österreich lebe lediglich einer seiner Brüder, mit dem er sich die Wohnung teile. Diesem Bruder sei - nach Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten - ein befristeter Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte“ erteilt worden. Es bestehe jedoch kein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Ein weiterer Bruder sei bereits am 28. August 2019 aus Österreich nach Pakistan abgeschoben worden. Seine übrigen Angehörigen (Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten) lebten in Pakistan. Der Revisionswerber habe sonst nur lose Sozialkontakte in Österreich.
Bis zum Jahr 2014 habe er von der Grundversorgung gelebt. Danach habe er selbständige Erwerbstätigkeiten, zunächst als Zeitungszusteller, ab Februar 2017 im Rahmen des Gewerbes der „Wartung und Pflege von Kraftfahrzeugen (KFZ-Service)“ ausgeübt. Zwar habe er dadurch Einkünfte erzielt, gleichzeitig aber auch Schulden - insbesondere an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen - angehäuft. Insoweit sei er auch Verpflichtungen zu Abgabenzahlungen und Versicherungspflichten nicht nachgekommen. Ehrenamtlichen oder gemeinnützigen Tätigkeiten sei er nicht nachgegangen.
Mit der Möglichkeit einer Reintegration im Herkunftsstaat, wo seine Angehörigen lebten, er die Landessprache auf Muttersprachenniveau beherrsche und er (zunächst in der elterlichen Landwirtschaft, dann in einem Süßwarengeschäft) berufstätig gewesen sei, sei zu rechnen.
Die lange Dauer des (ihm bewussten unsicheren) Aufenthaltes des Revisionswerbers in Österreich werde in ihrer Relevanz maßgeblich dadurch gemindert, dass sich dieser Aufenthalt lediglich aus zwei unberechtigten Anträgen auf internationalen Schutz ergeben habe, wobei der zweite Antrag fallbezogen rechtsmissbräuchlich erscheine, und der Revisionswerber der Verpflichtung zur Ausreise nach Abweisung seines ersten Asylantrages nicht nachgekommen sei, sondern sich unrechtmäßig weiter in Österreich aufgehalten habe. Die privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet müssten daher hinter das große öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung zurücktreten.
Insoweit - als gegen eine Integrationsbemühung sprechend und eine positive Prognosebeurteilung nicht zulassend - und weiters hinsichtlich der Erlassung eines Einreiseverbotes berücksichtigte das BVwG auch allein im Bezirk Vöcklabruck 44 gegen den Revisionswerber wegen verschiedener verwaltungsrechtlicher Übertretungen (der Gewerbeordnung, des FSG, KFG und der StVO, wobei einzelne „Strafbeträge“ noch offen seien) ergangene Bestrafungen, wodurch (wenn auch die vom BFA angenommene Mittellosigkeit nicht vorliege) § 53 Abs. 2 Z 1 und 2 FPG verwirklicht sei. Das rechtfertige die Neubemessung der Dauer des Einreiseverbotes zu Lasten des Revisionswerbers.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:
9 Die Revision erweist sich aus den folgenden Überlegungen als zulässig und auch als berechtigt:
Der Revisionswerber macht geltend, das BVwG habe seinen fast zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu Unrecht deshalb relativiert, weil er nach Abweisung seines ersten Antrages auf internationalen Schutz illegal im Bundesgebiet verblieben sei und rechtsmissbräuchlich einen weiteren Asylantrag gestellt habe. Damit ist der Revisionswerber im Recht:
10 Das BVwG hat die Stellung von zwei unberechtigten Anträgen auf internationalen Schutz durch den Revisionswerber zu seinem Nachteil gewertet, wobei es die zweite Antragstellung als missbräuchlich ansah.
Dieser Argumentation ist zuzugestehen, dass der Verwaltungsgerichtshof eine zweifache unberechtigte Asylantragstellung als Umstand anerkannt hat, der auf Seiten des öffentlichen Interesses zu Lasten eines Fremden in Anschlag gebracht werden kann. Fallbezogen wäre aber vor allem zu berücksichtigen gewesen, dass das zweite Verfahren zugelassen wurde, eine Dauer von insgesamt knapp weniger als fünf Jahren (davon mehr als viereinhalb Jahre vor dem BFA)in Anspruch genommen und mit einer Sachentscheidung geendet hat. Das spricht gegen eine missbräuchliche Antragstellung, die im Übrigen auch aus den dazu getroffenen Feststellungen des BVwG nicht ableitbar ist.
11 Weiters macht der Revisionswerber - auch mit Bezug auf die Erhöhung der Dauer des Einreiseverbotes auf vier Jahre - zu Recht geltend, das BVwG habe ihm das Vorliegen von 44 Verwaltungsstrafen vorgeworfen, sei aber nicht näher darauf eingegangen, was diesen inhaltlich konkret zugrunde gelegen sei.
12 Dem BVwG ist einzuräumen, dass selbst bei einem mehr als zehnjährigen Aufenthalt und dem Vorliegen integrationsbegründender Merkmale gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können. Dazu zählen nach der Judikatur auch (ins Gewicht fallende) Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften (vgl. grundlegend VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, Rn. 13).
13 Insoweit - insbesondere bei der Gefährdungsprognose und bei der Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 2 FPG - ist aber das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen miteinzubeziehen und zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Beim Erstellen der für ein Einreiseverbot (hier nach dem vom BVwG - ohne allerdings schlüssig nachvollziehbar die Tatbestandsverwirklichung darzulegen - angenommenen § 53 Abs. 2 Z 1 und 2 FPG) zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 2 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist.
Bei dieser Beurteilung kommt es nicht auf die bloße Tatsache unter anderem von Bestrafungen nach den Verwaltungsgesetzen, sondern auf das diesen zugrunde liegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der Verwaltungsübertretungen und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. dazu etwa VwGH 22.1.2013, 2012/18/0143; VwGH 19.2.2013, 2012/18/0230, und VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, Rn. 19).
14 Insoweit hat das BVwG mit seinem bloßen Hinweis auf das Vorliegen von 44 gegen den Revisionswerber wegen verschiedener verwaltungsrechtlicher Übertretungen (der Gewerbeordnung, des FSG, KFG und der StVO, wobei einzelne „Strafbeträge“ noch offen seien) ergangenen Bestrafungen sowohl jeden Bezug auf die in § 53 Abs. 2 Z 1 FPG angeführten Übertretungen als auch jede Konkretisierung unterlassen und somit auch nicht ausgeführt, welches Fehlverhalten dem Revisionswerber angelastet wurde.
15 Da das BVwG die dargestellten Erfordernisse verkannt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, sodass es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
16 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.
17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. September 2020
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210006.L00Im RIS seit
17.11.2020Zuletzt aktualisiert am
17.11.2020