TE Vfgh Erkenntnis 2020/9/22 E660/2020

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Veröffentlicht am 22.09.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52
BFA-VG §9
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan mangels Berücksichtigung von aktuelleren Länderberichten des EASO

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Er wurde in Afghanistan, Kabul, geboren und zog im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie nach Pakistan, wo er bis zu seiner Ausreise lebte.

Am 6. März 2017 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz. In der niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie in der am 24. April 2017 durchgeführten Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, er habe Afghanistan mit seiner Familie verlassen, weil sein Vater in Kabul von Jihadisten getötet worden sei.

2. Mit Bescheid vom 23. Juni 2017 hat das BFA den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt und gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen sowie gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG mit 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt IV.).

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 1. April 2019 hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet abgewiesen. Im Übrigen wurde der Beschwerde stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß §52 FPG iVm §9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt. Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer gemäß §58 Abs2 iVm §55 Abs2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

4. Mit Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Oktober 2019 wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes in dem im Rahmen der erhobenen Amtsrevision angefochtenen Umfang, nämlich soweit damit die Erlassung der Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt und eine Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

5. Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wurde die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides, also gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels, die Erlassung der Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise, abgewiesen.

5.1. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen aus, die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten seien bereits rechtskräftig.

5.2. Der Beschwerdeführer befinde sich seit März 2017 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt werde nicht geduldet. Er sei weder Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen noch Opfer von Gewalt geworden. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §57 AsylG 2005 lägen daher nicht vor.

5.3. Im Hinblick auf die Rückkehrentscheidung werde ausgeführt, dass der volljährige Beschwerdeführer weder verheiratet sei noch Kinder habe, weshalb eine Ausweisung keinen unzulässigen Eingriff in das Recht auf Schutz des Familienlebens iSd Art8 EMRK bilde. Die relativ kurze Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet seit März 2017 werde dadurch relativiert, dass der Aufenthalt bloß auf Grund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig gewesen sei. Dieser Umstand habe dem Beschwerdeführer bewusst sein müssen, weshalb eingegangene Bindungen nicht schwer wögen. Der Aufenthalt sei überdies nicht als derart lang zu werten, dass dieser ausreichend ins Gewicht fallen könnte. Der Beschwerdeführer habe zwar Sprachkurse besucht und verfüge bereits über gute Deutschkenntnisse, er sei jedoch nicht selbsterhaltungsfähig und lebe von der Grundversorgung. Er habe sich bereits ehrenamtlich betätigt und soziale Kontakte geknüpft. Darüber hinaus weise er jedoch kein derart intensives soziales Engagement auf, um insgesamt von einer fortgeschrittenen Integration auszugehen. Vor dem Hintergrund der Dauer des Aufenthaltes von unter drei Jahren könne — selbst unter Miteinbeziehung integrativer Merkmale wie Sprachkenntnisse, soziale Kontakte, Unbescholtenheit und ein allfälliges Engagement in gemeinnützigen Organisationen — keine von Art8 EMRK geschützte "Aufenthaltsverfestigung" angenommen werden. Der Beschwerdeführer habe den Großteil seines Lebens außerhalb Österreichs verbracht, sodass nicht angenommen werden könne, dass er im Bundesgebiet derart verwurzelt bzw von seiner Heimat derart entwurzelt sei, dass ihm eine Rückkehr dorthin nicht mehr zugemutet werden könne. In einer Gesamtbetrachtung müssten daher die Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen in den Hintergrund treten.

5.4. Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat sei gegeben, weil nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Gründen der vorliegenden Entscheidung keine Umstände vorlägen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung iSd §50 FPG ergäbe.

6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt:

Das angefochtene Erkenntnis beschäftige sich in keinerlei Hinsicht mit der Ablehnung des Antrages auf internationalen Schutz, sondern begründe einzig die Verfügung der Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer. Eine neuerliche Beurteilung der Situation des Beschwerdeführers habe nicht stattgefunden. Insbesondere sei nicht festgestellt worden, ob sich die Lage in Afghanistan verändert habe, was gerade vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie unerlässlich erscheine. Es habe zudem verabsäumt, im Rahmen der Rückkehrentscheidung den Umstand zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer ab dem fünften Lebensjahr in Pakistan aufgewachsen sei, somit in Afghanistan keinerlei Verwandte oder ein sonstiges soziales Netzwerk und dort niemals die Schule besucht oder einen Beruf ausgeübt habe. Folglich bestehe kaum eine – wie vom Bundesverwaltungsgericht angenommene – Verwurzelung im Herkunftsstaat.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die — zulässige — Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Gemäß §52 Abs9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß §46 leg.cit. in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Gemäß §50 Abs1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art2 oder Art3 EMRK oder das 6. oder 13. ZPEMRK verletzt würde.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheits-lage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; VfGH 21.9.2012, U1032/12; 26.6.2013, U2557/2012; 11.12.2013, U1159/2012 ua; 11.3.2015, E1542/2014; 22.9.2016, E1641/2016; 23.9.2016, E1796/2016; 27.2.2018, E2124/2017; vgl zuletzt insbesondere VfGH 12.12.2019, E2692/2019).

3.3. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat Afghanistan beruft sich das Bundesverwaltungsgericht einzig auf die die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz tragenden Gründe. Weder im abweisenden Bescheid des BFA vom 23. Juni 2017 noch im – den Antrag auf internationalen Schutz ebenfalls abweisenden – Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 1. April 2019 findet die "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO auf dem Stand Juni 2018 (die aktuellere Fassung aus Juni 2019 enthält keine hier relevanten Neuerungen), welche eine spezifische Beurteilung für jene Gruppe von Rückkehrern enthält, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, Berücksichtigung.

3.4. Wenn das Bundesverwaltungsgericht daher auf die die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz tragenden Gründe verweist, dann übersieht es dabei, dass im Zeitpunkt seiner Entscheidung eine aktuelle und spezifische Information betreffend Fälle wie jenen des Beschwerdeführers, der im Iran aufgewachsen ist, vorlag:

3.5. Aus dem genannten Bericht des EASO geht hervor, dass für die genannte Personengruppe eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könne, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnisse der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanistan, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund (insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung, Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans).

3.6. Damit hat sich das Bundesverwaltungsgericht aber in Bezug auf den diesem Personenkreis angehörenden Beschwerdeführer, der nach den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses ab seinem fünften Lebensjahr in Pakistan gelebt hat und keine Familienangehörigen in Afghanistan hat, in keiner Weise auseinandergesetzt. Indem das Bundesverwaltungsgericht diese – zum Entscheidungszeitpunkt bereits veröffentlichte – aktuelle und spezifische Information nicht berücksichtigt hat, hat es seine Entscheidung unter Außerachtlassung des konkreten Sachverhaltes getroffen und die Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen (vgl VfGH 12.12.2019, E2692/2019 und E3369/2019).

3.7. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr drohen-den Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2 und 3 EMRK schon aus diesen Gründen als verfassungswidrig. Soweit die Entscheidung sich auf die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist sie mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.

4. Im Übrigen — soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung richtet — wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

4.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

4.2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

4.3. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Gefährdung der beschwerdeführenden Partei in ihren Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art8 EMRK überwiegt (vgl VfSlg 19.086/2010).

4.4. Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht in Bindung an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes rechtmäßig entschieden hat, nicht anzustellen. Das weitere Vorbringen zur Grundrechte-Charta vermag an der rechtlichen Beurteilung nichts zu ändern.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen — soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung richtet — wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E660.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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