TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/4 L524 2134822-2

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Veröffentlicht am 04.12.2019
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Entscheidungsdatum

04.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §20
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

L524 2134822-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LLB. über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2019, Zl. 1091458802-180883721/BMI-BFA_WIEN_AST_02, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG und dem FPG, zu Recht:

A) I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruchpunkt I. zu lauten hat:

"Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 18.09.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen."

II. Im Übrigen werden die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die damals minderjährige Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsangehörige, stellte am 20.09.2015 über ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 02.08.2016, Zl. 1091458802-151576701, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak, Autonome Kurdenzone des Nordirak, gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.2018, Zl. L524 2134822-1/12E, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei.

4. Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 02.08.2018, Ra 2018/0149, zurückgewiesen.

5. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24.09.2018, E 1097/2018, wurde die Behandlung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten abgelehnt. Im Übrigen wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben.

6. Am 18.09.2018 stellte die nunmehr volljährige Beschwerdeführerin einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Begründend gab sie im Wesentlichen an, dass sie im Irak von ihren Halbbrüdern und ihren Cousins sexuell missbraucht worden sei. Außerdem drohe ihr eine Zwangsheirat. Sie habe in Österreich auch einen Freund und führe einen westlichen Lebensstil.

7. In einer Stellungahme zum Folgeantrag wird vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin eine alleinstehende junge Frau ohne familiäres Netz sei. Sie führe auch eine außereheliche Beziehung. Als Kind sei sie Opfer sexueller Gewalt geworden. Weiters sei sie als Kind jemandem versprochen worden, den sie selbst aber nicht heiraten wolle, weshalb ihr ein Ehrenmord drohe. Es liege somit ein neuer Sachverhalt vor, der nach Abschluss des letzten Asylverfahrens entstanden sei.

8. Bei der Einvernahme vor dem BFA am 12.12.2018 gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass ihr im Falle einer Rückkehr in den Irak eine Zwangsheirat drohe. Diese Zwangsehe habe ihre Familie schon geregelt, als sie ca. zwölf Jahre alt gewesen sei. Sie sei auch als Kind von ihren Cousins und ihren Halbbrüdern im Irak sexuell belästigt und geschlagen worden. Ihren Freund habe sie 2017 kennengelernt, mit dem sie auch ein sexuelles Verhältnis habe. Wenn ihre Familie davon erfahren würde, würde sie sofort getötet werden. Sie kleide sich auch westlich.

9. Mit Bescheid des BFA vom 05.04.2019, Zl. 1091458802-180883721/BMI-BFA_WIEN_AST_02, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 18.09.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

10. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde, in der im Wesentlichen vorgebracht wird, dass ihr wegen der außerehelichen Beziehung in Österreich und der Weigerung, die Zwangsheirat einzugehen, ein Ehrenmord drohe. Sie sei von ihren Halbbrüdern und Cousins im Irak sexuell belästigt worden, sei westlich orientiert und sei eine alleinstehende, unverheiratete Frau ohne familiäre Unterstützung.

II. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin stellte am 20.09.2015 ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz, der nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.2018, Zl. L524 2134822-1/12E, - mit einer hier nicht relevanten Maßgabenentscheidung - als unbegründet abgewiesen wurde.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Erkenntnis vom 24.09.2018, E 1097/2018, die Behandlung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten ab. Im Übrigen wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben.

Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten erwuchs am 21.03.2018 in Rechtskraft.

Hinsichtlich des Antrags auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist das Beschwerdeverfahren noch beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.

Ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz stützte die Beschwerdeführerin auf die Fluchtgründe ihrer Mutter sowie darauf, dass ihr im Irak die Zwangsheirat mit einem Cousin droht.

Den zweiten Antrag auf internationalen Schutz stützt die Beschwerdeführerin darauf, dass ihr im Falle einer Rückkehr in den Irak eine Zwangsheirat drohe und im Falle der Weigerung ein Ehrenmord. Die befürchtete Zwangsehe habe ihre Familie schon geregelt, als sie ca. zwölf Jahre alt gewesen sei. Sie sei auch als Kind von ihren Cousins und ihren Halbbrüdern im Irak sexuell belästigt und geschlagen worden. Ihren nunmehrigen Freund habe sie 2017 kennengelernt, mit dem sie auch ein sexuelles Verhältnis habe. Wenn ihre Familie davon erfahren würde, würde sie sofort getötet werden. Sie kleide sich auch westlich.

Die Beschwerdeführerin lebt in Österreich mit ihren Eltern in derselben Betreuungseinrichtung in Wien. Im Irak leben zahlreiche Familienangehörige der Beschwerdeführerin.

III. Beweiswürdigung:

Die Feststellung zum ersten Antrag auf internationalen Schutz ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt, dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.2018, dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 02.08.2018 und dem Erkenntnis des Verfassungsgerichthofes vom 24.09.2018.

Das im ersten Verfahren auf internationalen Schutz vorgebrachte Fluchtvorbringen, wonach ihr im Irak die Zwangsverheiratung mit einem Cousin drohe, wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als nicht glaubhaft erachtet. Die Beschwerdeführerin behauptete nämlich, sie hätte ihren Cousin heiraten müssen, während ihre Mutter dies nicht angab. Die Mutter äußerte nur die Befürchtung, dass sie "vielleicht" ihre Tochter verheiraten müsse. Dass die Beschwerdeführerin schon konkret jemandem versprochen worden sei, behauptete sie nicht.

In ihrem nunmehrigen zweiten Verfahren auf internationalen Schutz bringt die Beschwerdeführerin als Begründung vor, dass ihr im Falle einer Rückkehr in den Irak eine Zwangsheirat drohe bzw. bei einer Weigerung ein Ehrenmord. Diese Zwangsehe habe ihre Familie schon geregelt, als sie ca. zwölf Jahre alt gewesen sei. Sie sei auch als Kind von ihren Cousins und ihren Halbbrüdern im Irak sexuell belästigt und geschlagen worden. Ihren nunmehrigen Freund habe sie 2017 kennengelernt, mit dem sie auch ein sexuelles Verhältnis habe. Wenn ihre Familie davon erfahren würde, würde sie sofort getötet werden. Sie kleide sich auch westlich.

Das Vorbringen der drohenden Zwangsheirat erstattete die Beschwerdeführerin schon im ersten Verfahren und wurde dort als nicht glaubhaft erachtet. Diesbezüglich und dem damit zusammenhängenden Ehrenmord im Falle einer Weigerung liegt somit kein neuer Sachverhalt vor.

Das Vorbringen, dass die Beschwerdeführerin im Irak von ihren Halbbrüdern und Cousins geschlagen und sexuell belästigt worden sei, ereignete sich noch vor dem ersten Asylverfahren. Auch diesbezüglich handelte es sich somit um keinen neuen Sachverhalt.

Das Vorbringen, dass sich die Beschwerdeführerin westlich kleide, erstattete sie bereits in ihrem ersten Asylverfahren und zwar in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Damit wird ebenso kein neuer Sachverhalt vorgebracht.

Zum Vorbringen, dass sie einen Freund und mit diesem ein sexuelles Verhältnis habe, weshalb ihr wegen dieser außerehelichen Beziehung ein Ehrenmord drohe, ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin diesen Freund 2017 kennenlernte, wie sie vor dem BFA angab. Dass sie diese Beziehung erst seit 25.06.2018 führt, wie vor dem BFA angegeben, ist nicht glaubhaft, da die Beschwerdeführerin schon in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im ersten Verfahren, die am 25.10.2017 stattfand, davon sprach, dass sie ihren Freund liebt und ihn heiraten möchte. Es bestand daher schon zu diesem Zeitpunkt eine Beziehung mit ihrem Freund. Es handelt sich daher auch diesbezüglich um einen Sachverhalt, der schon zum Zeitpunkt des ersten Asylverfahrens bestanden hat.

Zum Vorbringen, wonach es sich bei der Beschwerdeführerin um eine alleinstehende, unverheiratete Frau ohne familiäres Netz handle, ist festzuhalten, dass dies nicht den Tatsachen entspricht. Die Beschwerdeführerin ist zwar nicht verheiratet, sie verfügt jedoch über ein familiäres Netz. Vor dem Hintergrund, dass ihr Vorbringen, ihr drohe von ihrer Familie eine Zwangsheirat, als nicht glaubhaft erachtet wurde, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie über kein familiäres Netz verfügt. Im Irak leben zahlreiche Familienangehörigen, wie sie selbst vor dem BFA angab. Außerdem lebt die Beschwerdeführerin in Österreich, trotz inzwischen eingetretener Volljährigkeit, wieder mit ihren Eltern in derselben Betreuungseinrichtung, wie sich aus einem aktuellen GVS-Auszug und einem ZMR-Auszug ergibt. Auch deshalb ist davon auszugehen, dass sie über ein familiäres Netz verfügt.

Soweit die Beschwerdeführerin vor dem BFA behauptete, sie hätte bei der mündlichen Verhandlung am 25.10.2017 nicht alles angegeben, da sie von der "Referentin" [gemeint: die Richterin] die ganze Zeit unterbrochen worden sei und Angst gehabt habe, ihre Eltern würden die Niederschrift lesen, so hätte sie dies anlässlich ihrer Befragung vor dem Bundesverwaltungsgericht angeben können oder über ihren Rechtsvertreter vorbringen können, der während ihrer Befragung im Verhandlungsaal anwesend waren, während dies ihre Eltern nicht waren. Weiters hätte sie dies in der Revision bzw. Beschwerde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgericht geltend machen müssen. Andererseits ist die Beschwerdeführerin auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung zu verweisen, aus der nicht hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin unterbrochen worden wäre. Es wurde ihr auch die Möglichkeit gegeben, Angaben zu machen, die ihr wichtig erscheinen, wo sie aber erklärte, alles gesagt zu haben. Außerdem stellte ihr Rechtsvertreter auch Fragen an sie, der sie zu einer westlichen Einstellung und Zwangsheirat befragte.

IV. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) I. Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Status des Asylberechtigten):

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet.

Die Rechtskraft einer früher in der gleichen Angelegenheit ergangenen Erledigung steht einer neuen Sachentscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG nur dann nicht entgegen, wenn in den für die Entscheidung maßgebenden Umständen eine Änderung eingetreten ist. Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", d.h. durch die Identität der Sache, über die formell rechtskräftig abgesprochen wurde, mit der im neuerlichen Abspruch erfassten bestimmt. Identität der Sache liegt dann vor, wenn einerseits weder in der für die Vorentscheidung maßgeblichen Rechtslage noch in den für die Beurteilung der in der Vorentscheidung als maßgebend erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist (vgl. VwGH 26.04.2019, Ra 2019/20/0174 unter Hinweis auf VwGH 24.5.2016, Ra 2016/21/0143, mwN).

Bei wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 05.04.2018, Ra 2018/19/0066 unter Hinweis auf VwGH 09.03.2015, Ra 2015/19/0048 mit Hinweis auf die ausführlicheren - zu einer früheren Rechtslage des AsylG 2005 getätigten, aber auch auf die nunmehrige Rechtslage übertragbaren - Erwägungen im Erkenntnis vom 19.02.2009, 2008/01/0344).

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen (Hinweis EB E 26.4.1995, 92/07/0197, VwSlg 14248 A/1995); die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Entschiedene Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Eine neue Sachentscheidung ist nicht nur bei identem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes, sondern, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens auf Grund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben, ausgeschlossen. Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (vgl. VwGH 08.05.2008, 2004/06/0227).

Nur eine solche Änderung des Sachverhaltes kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH 09.09.1999, 97/21/0913).

Behauptete Tatsachen, die bereits zur Zeit des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die der Asylwerber jedoch nicht bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht hat, sind von der Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung erfasst (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2018/12/0292 unter Hinweis auf VwGH 28.02.2019, Ra 2019/01/0008 bis 0010, mwN).

Dies gilt auch für Asylanträge von Familienangehörigen, die gemäß § 34 AsylG im Familienverfahren zu führen sind. Die Anwendung der Bestimmungen des Familienverfahrens ändert nichts daran, dass für jeden Antragsteller allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln sind. Nur wenn solche - nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren - nicht hervorkommen, ist dem Antragsteller jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (vgl. VwGH 24.03.2015, Ra 2014/19/0063, mwN). Damit steht auch die Rechtskraft einer Entscheidung im Familienverfahren nach § 34 AsylG einer neuerlichen (Sach-)Entscheidung über Tatsachen, die bereits zum Zeitpunkt dieser (ersten) Entscheidung bestanden haben, entgegen (vgl. VwGH 28.02.2019, Ra 2019/01/0008 bis 0010).

Maßstab für die Frage der Erfüllung des Tatbestands der "entschiedenen Sache" ist somit der im ersten - mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.03.2018, L524 2134822-1/12E, rechtskräftig abgeschlossenen - Verfahren behauptete Sachverhalt, welcher in Relation zum im nunmehrigen Verfahren hervorgekommenen Sachverhalt zu setzen ist.

Wie sich aus der Beweiswürdigung ergibt, liegt keine Sachverhaltsänderung vor. Das Vorbringen hinsichtlich der drohenden Zwangsheirat erstattete die Beschwerdeführerin schon im ersten Verfahren und wurde dieses dort als nicht glaubhaft erachtet. Diesbezüglich liegt somit kein neuer Sachverhalt vor.

Das Vorbringen, dass die Beschwerdeführerin im Irak von ihren Halbbrüdern und Cousins geschlagen und sexuell belästigt worden sei, ereignete sich vor dem ersten Asylverfahren. Behauptete Tatsachen, die bereits zur Zeit des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die der Asylwerber jedoch nicht bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht hat, sind von der Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung erfasst.

Das Vorbringen, dass sich die Beschwerdeführerin westlich kleide und einen westlichen Lebensstil führe, erstattete die Beschwerdeführerin bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in ihrem ersten Asylverfahren. Diesbezüglich liegt somit kein neuer Sachverhalt vor.

Zum Vorbringen, dass sie einen Freund und mit diesem ein sexuelles Verhältnis habe, weshalb ihr wegen dieser außerehelichen Beziehung ein Ehrenmord drohe, ist festzuhalten, dass, wie in der Beweiswürdigung angeführt, nicht glaubhaft ist, dass es sich hierbei um einen Sachverhalt handelt, der erst nach dem ersten Asylverfahren entstanden ist. Es handelt sich daher um einen Sachverhalt, der schon zum Zeitpunkt des ersten Asylverfahrens bestanden hat.

Das Vorbringen, dass die Beschwerdeführerin eine alleinstehende, unverheiratete Frau ohne familiäre Unterstützung sei, entspricht, wie sich aus der Beweiswürdigung ergibt, nicht den Tatsachen. Es handelt sich daher auch diesbezüglich um keinen neuen Sachverhalt.

Die Beschwerdeführerin brachte damit keinen neuen Sachverhalt vor. Im Ergebnis liegt daher eine entschiedene Sache iSd § 68 Abs. 1 AVG vor, deren Rechtskraft einer neuerlichen Sachentscheidung entgegensteht. Die Beschwerde war daher mit der getroffenen Maßgabe abzuweisen.

II. Ersatzlose Behebung der Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides (Status des subsidiär Schutzberechtigten, Aufenthaltstitel, Rückkehrentscheidung):

Wird während eines anhängigen Beschwerdeverfahrens ein weiterer Antrag auf internationalen Schutz gestellt oder eingebracht, wird dieser Antrag gemäß § 17 Abs. 8 AsylG im Rahmen des anhängigen Beschwerdeverfahrens mitbehandelt. Ein diesfalls gestellter schriftlicher Antrag auf internationalen Schutz gilt als Beschwerdeergänzung; das Bundesamt hat diesen Antrag unverzüglich dem Bundesverwaltungsgericht zu übermitteln.

Der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vom 20.09.2015 ist derzeit beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Während dieses laufenden Beschwerdeverfahrens stellte die Beschwerdeführerin am 18.09.2018 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag ist vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen des anhängigen Beschwerdeverfahrens mitzubehandeln.

Dem BFA war es daher hinsichtlich des Antrags auf Gewährung von subsidiärem Schutz verwehrt, darüber mittels Bescheid abzusprechen, weshalb Spruchpunkt II. ersatzlos zu beheben war.

Vor der Erlassung einer - wie im angefochtenen Bescheid - auf § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gestützten Rückkehrentscheidung ist es erforderlich, dass der Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen und von Amts wegen kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG erteilt wurde (vgl. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0146).

Der Antrag auf internationalen Schutz ist nicht zur Gänze abgewiesen, da hinsichtlich der Gewährung des Status des subsidiären Schutzes noch nicht abgesprochen wurde. Das BFA hätte damit auch über die Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise nicht absprechen dürfen. Es waren daher auch die Spruchpunkte III. bis VI. ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung mit der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes übereinstimmt.

Schlagworte

Änderung maßgeblicher Umstände Anhängigkeit Asylverfahren Ehrenmord entschiedene Sache ersatzlose Teilbehebung Folgeantrag Glaubwürdigkeit Maßgabe Rechtskraft der Entscheidung res iudicata Rückkehrentscheidung Rückkehrentscheidung behoben sexuelle Belästigung westliche Orientierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L524.2134822.2.00

Im RIS seit

09.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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