TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/30 W283 2227007-7

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Veröffentlicht am 30.06.2020
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Entscheidungsdatum

30.06.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W283 2227007-7/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Stefanie OMENITSCH als Einzelrichterin im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl 1139707303/190248645 zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung von XXXX , geb. XXXX , StA. Algerien, in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 09.11.2016 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens stellte der Beschwerdeführer am 20.09.2019 während der Anhaltung in Schubhaft einen Folgeantrag.

2. Mit Aktenvermerk vom 20.09.2019 hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrecht, da Gründe zur Annahme bestünden, dass der zweite Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Mit mündlich verkündetem Bescheid des Bundesamtes vom 07.10.2019 erfolgte die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes; dies wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.10.2019 als rechtmäßig erklärt. Über den zweiten Antrag auf internationalen Schutz hat das Bundesamt bisher noch nicht entschieden.

3. Es besteht gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme.

4. Während des ersten Asyl- bzw. Beschwerdeverfahrens wurde der Beschwerdeführer im Bundesgebiet wiederholt straffällig und wurde er drei Mal von inländischen Landesgerichten rechtskräftig verurteilt und verbüßte zuletzt von 20.08.2017 bis 19.09.2019 eine Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt.

5. Seit seiner Entlassung aus der Strafhaft am 19.09.2019 wird der Beschwerdeführer in Schubhaft angehalten.

6. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.01.2020, nach durchgeführter mündlicher Verhandlung, vom 12.02.2020, 11.03.2020, 08.04.2020, 06.05.2020 und vom 02.06.2020 wurde jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorgelegen sind und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig gewesen ist.

7. Am 23.06.2020 legte das Bundesamt dem Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG neuerlich vor. Teile des Verwaltungsaktes wurden angefordert.

8. Dem Beschwerdeführer wurde bis dato ein Schreiben gemäß § 80 Abs. 7 FPG nicht ausgefolgt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der Beschwerdeführer befindet sich seit 19.09.2019, somit seit mehr als sechs Monaten in Schubhaft. Es ist zu prüfen, ob unter der Voraussetzung des § 80 Abs. 4 FPG zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und, dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

1. Feststellungen:

1.1. Zum bisherigen Verfahren

1.1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 09.11.2016 in Österreich seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz (AS 1 ff).

1.1.2. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 04.12.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz in Österreich zur Gänze abgewiesen und kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (AS 19 ff).

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.01.2018 als unbegründet abgewiesen, die Dauer des Einreiseverbotes wurde jedoch auf die Dauer von fünf Jahren herabgesetzt (AS 88 ff).

1.1.3. Am 31.01.2018 leitete das Bundesamt bei der Vertretungsbehörde Algeriens ein Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer ein (AS 125).

1.1.4. Am 20.09.2019 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stand der Schubhaft einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz, um seine Abschiebung zu verhindern. Mit Aktenvermerk vom 20.09.2019 hielt das Bundesamt die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrecht, da Gründe zu der Annahme bestünden, dass der zweite Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde (AS 130 f). Mit mündlich verkündetem Bescheid des Bundesamtes vom 07.10.2019 erfolgte die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes (AS 97 ff); dies wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.10.2019 als rechtmäßig erklärt (AS 105 ff).

Über den zweiten Antrag auf internationalen Schutz hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bisher noch nicht entschieden.

1.1.5. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.01.2020, nach durchgeführter mündlicher Verhandlung, vom 12.02.2020, 11.03.2020, 08.04.2020, 06.05.2020 und vom 02.06.2020 wurde jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig ist (W272 2227007-1; W275 2227007-2; W171 2227007-3; W180 2227007-4; W155 2227007-5; W171 2227007-6).

1.2. Zur Person des Beschwerdeführers und zu den allgemeinen Voraussetzungen der Schubhaft

1.2.1. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein. Der Beschwerdeführer hat bisher keine Dokumente vorgelegt, die seine Identität bescheinigen; seine Identität steht nicht fest. Er gibt an, ein Staatsangehöriger Algeriens zu sein. Die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht. Der Beschwerdeführer ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

1.2.2. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 23.08.2019 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Unter einem wurde ausgesprochen, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft eintreten. Seit dem 19.09.2019 wird der Beschwerdeführer in Schubhaft angehalten (Anhaltedatei; W272 2227007-1).

1.2.3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 04.12.2017 wurde der erste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vollinhaltlich abgewiesen, gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und ein siebenjähriges Einreiseverbot verhängt. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wurde aberkannt (AS 19 ff). Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Erkenntnis vom 09.01.2018 die Beschwerde als unbegründet ab, setzte jedoch das verhängte Einreiseverbot auf die Dauer von fünf Jahren herab (AS 88 ff: I404 2181681-1/3E). Die Rückkehrentscheidung erwuchs am 09.01.2018 in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer stellte am 20.09.2019 aus dem Stande der Schubhaft einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (AS 93 ff). Zu diesem Zeitpunkt lag aufgrund der mit Bescheid des Bundesamtes vom 04.12.2017 erlassenen Rückkehrentscheidung eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor. Über den zweiten Antrag auf internationalen Schutz hat das Bundesamt bisher noch nicht entschieden. Mit Aktenvermerk vom 20.09.2019 wurde die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrechterhalten, nachdem der Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung der Vollstreckung der Abschiebung gestellt wurde. Eine Verständigung des Beschwerdeführers erfolgte nicht (AS 129 ff). Mit mündlich verkündetem Bescheid des Bundesamtes vom 07.10.2019 erfolgte die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes (AS 97 ff); dies wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.10.2019 als rechtmäßig erklärt (AS 105 ff; I413 2181681-2/3E).

1.2.4. Der Beschwerdeführer ist gesund und haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim Beschwerdeführer vor. Der Beschwerdeführer hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung (Anhaltedatei; W272 2227007-1/8Z, S. 3).

1.3. Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit

1.3.1. Gegen den Beschwerdeführer besteht seit dem 09.01.2018 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung (BVwG I404 2181681-1/3E).

1.3.2. Der Beschwerdeführer hat in Österreich weder Verwandte noch enge soziale Anknüpfungspunkte. Der Beschwerdeführer befand sich seit seiner Asylantragstellung am 09.11.2016 in Österreich mehr als 2 Jahre und 2 Monate in Justizanstalten in Haft. Der Beschwerdeführer ist in Österreich behördlich ausschließlich im Polizeianhaltezentrum gemeldet. Er verfügt über keinen eigenen gesicherten Wohnsitz (W272 2227007-1/8Z, S. 6 ff; Auszug aus dem Melderegister).

Der Beschwerdeführer geht im Inland keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und verfügt über keine ausreichenden finanziellen Mittel zur nachhaltigen Existenzsicherung (Anhaltedatei; W272 2227007-1/8Z, S. 6).

1.3.3. Der Beschwerdeführer achtet die österreichische Rechtsordnung nicht. Es konnten weder die Verurteilungen noch die Inhaftierungen den Beschwerdeführer zu rechtskonformen Verhalten bewegen (Strafregister; Strafbemessung: AS 114; AS 136 ff).

Der Beschwerdeführer weist in Österreich folgende Verurteilungen auf:

1.3.3.1. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 14.06.2017 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung (§§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 1 StGB), des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften (§ 27 Abs. 2a SMG), des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§§ 15, 269 Abs. 1 StGB), des Vergehens der Sachbeschädigung ( § 125 StGB), des Vergehens des versuchten Diebstahls (§§ 15, 127 StGB) sowie des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch (§§ 127, 129 Abs. 2 Z 1 StGB) nach dem Suchtmittelgesetz bzw. dem Strafgesetzbuch zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, davon acht Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. In weiterer Folge wurde der bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe widerrufen.

Der Verurteilung liegen Tathandlungen im Zeitraum Februar bis Mai 2017 zugrunde, wonach der Beschwerdeführer am 28.04.2017 versucht hat, vier Hosen im Wert von € 129,80 einem Verfügungsberechtigten mit dem Vorsatz sich durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegzunehmen. Weiters hat der Beschwerdeführer am 14.02.2017 versucht, zwei Polizeibeamte mit Gewalt an der Sicherstellung eines Baggies mit Suchtgift und der Festnahme des Beschwerdeführers bzw. dem Anlegen von Handfesseln zu hindern, indem er einem Polizeibeamten einen Stoß versetzte und mit den Händen bzw. Fäusten auf den Beamten einschlug und auf die Polizeibeamten eintrat. Weiters wurde der Beschwerdeführer verurteilt, dass er am 16.02.2017 zwei Laptops, Fotoapparate, Werkzeug, Bargeld, Uhren und diverse Schmuck- und andere Wertgegenstände im Gesamtwert von zumindest € 700,00 mit dem Vorsatz sich oder einen Dritten durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, durch Einbruch in eine Wohnstätte weggenommen hat. Der Beschwerdeführer hat dabei im bewussten und gewollten Zusammenwirkten mit einem Mittäter das Kellerfenster eines Wohnhauses mit einer Eisenstange eingeschlagen und ist durch das eingeschlagene Fenster das Haus eingedrungen. Am 11.05.2027 hat der Beschwerdeführer vorschriftswidrig an einem allgemein zugänglichen Ort öffentlich Suchtgift gegen Entgelt angeboten, indem er einem anderen Marihuana zum Preis von € 100,00 zum Kauf offerierte. Dabei hat er einen anderen vorsätzlich am Körper verletzt, indem er dem Käufer ins Gesicht und gegen den Hals schlug. Am 11.05.2017 hat der Beschwerdeführer drei Polizeibeamte im Zuge einer unmittelbar zuvor gegen ihn ausgesprochenen Festnahme durch heftige aktive körperliche Gegenwehr und dadurch, dass er wiederholt versuchte, sich von den Beamten loszureißen und ihnen Tritte zu versetzen an der Amtshandlung zu hindern versucht. Am 12.05.2017 hat der Beschwerdeführer vier Polizeibeamte an seiner Verbringung in eine Gummizelle zu hindern versucht, indem er wiederholt auf die Beamten einschlug und eintrat und überdies einem Beamten mehrere Tritte und Schläge ins Gesicht versetzte. Am 12.05.2017 versuchte der Beschwerdeführer überdies fünf Polizeibeamte an seiner Verbringung in seine Arrestzelle zu hindern, indem er wiederholt gegen die Beamten schlug und trat und versuchte sie zu beißen. Am 12.05.2017 versuchte der Beschwerdeführer vier Polizeibeamte an seiner erkennungsdienstlichen Behandlung durch mehrere Fußtritte zu hindern.

Mildernd wurden bei der Strafbemessung die Unbescholtenheit, die teilweise Schadensgutmachung durch Erbringung und die Tatsache, dass es teilweise beim Versucht geblieben ist, gewertet. Erschwerend wurden das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einer Vielzahl von Vergehen, die hohe Aggressivität des Beschwerdeführers, die Tatbegehung in Gesellschaft und die Tatbegehung während eines anhängigen Verfahrens berücksichtigt. (Strafregister; AS 109 ff; AS 121).

1.3.3.2. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 18.09.2017 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel (§ 241e Abs. 3 StGB) sowie des Vergehens des versuchten unerlaubten Umganges mit Suchtgiften (§§ 27 Abs. 2a und Abs. 3 SMG, 15 StGB) nach dem Strafgesetzbuch bzw. dem Suchtmittelgesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Der Beschwerdeführer hat am 19.08.2017 vorschriftswidrig auf einer öffentlichen Verkehrsfläche Cannabiskraut gewerbsmäßig anderen gegen Entgelt zu überlassen versucht, indem er zwei Zivilbeamten und einem anderen Cannabiskraut zum Verkauf anbot und 11 Baggies mit Cannabiskraut zum Verkauf bereit mit sich führte. Zudem hat er eine fremde Bankomatkarte unterdrückt.

Mildernd wurden bei der Strafbemessung das Alter von unter 21 Jahren berücksichtigt und der Umstand, dass es beim Suchtgiftverkauf beim Versuch geblieben ist, erschwerend wurden die einschlägige Vorstrafe und der rasche Rückfall ins Kalkül gezogen (Strafregister; AS 117 ff).

1.3.3.3. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 12.10.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB) und des Vergehens der Sachbeschädigung (§ 125 StGB) nach dem Strafgesetzbuch zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.

Der Beschwerdeführer hat am 03.04.2018 versucht sich durch Winden und Anreißen aus dem Festhaltegriff mehrere Justizwachebeamte loszureißen und hat mit seinem Knie gegen das Knie eines Justizwachebeamten getreten um seine Verlegung in eine andere Justizanstalt zu verhindern und gemeinsam mit einem Mittäter die Toilette und Sichtgläser und Rahmen an den Türen eines Sicherheitshaftraumes durch Anreißen und Dagegenschlagen beschädigt.

Bei der Strafbemessung wurden das umfassende reumütige Geständnis und das Alter unter 21 Jahren sowie der teilweise Versuch, erschwerend das Zusammentreffen von mehreren Vergehen und eine einschlägige Vorverurteilung gewertet (Strafregister; AS 132 ff).

1.3.4. Der Beschwerdeführer ist nicht vertrauenswürdig.

1.3.5. Der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers war während seines laufenden ersten Asylverfahrens für das Bundesamt nicht feststellbar und musste das Verfahren daher eingestellt werden (AS 128).

1.3.6. Der Beschwerdeführer verhält sich im Verfahren unkooperativ. Er machte im bisherigen Verfahren falsche Angaben zu seinem Geburtsdatum und zu seinem Geburtsort. Der Beschwerdeführer versucht seine Identität zu verschleiern, um einer Abschiebung zu entgehen. Der Beschwerdeführer wird sich einer Abschiebung widersetzen (AS 1; AS 7 ff; AS 93; W272 2227007-1/8Z, S. 8).

Der Beschwerdeführer befand sich zuletzt von 10.04.2020 bis 18.04.2020 aus Protest gegen die Anhaltung in Schubhaft in Hungerstreik (Anhaltedatei). Am 14.03.2020 und am 18.03.2020 wurden gegen den Beschwerdeführer aufgrund der Nichtbefolgung von Anordnungen in der Anhaltung Disziplinierungsmaßnahmen verhängt (AS 136 ff)

1.3.7. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer wurde hinsichtlich Algerien eingeleitet, Urgenzen erfolgten mehrfach, zuletzt am 26.05.2020. Seine Identität hat der Beschwerdeführer nie belegt. Es gibt Hinweise für eine algerische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers. Das Bundesamt steht im Kontakt mit der algerischen Botschaft. Überdies läuft aktuell auch ein Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats mit Marokko als weiterem potenziellen Herkunftsstaat, zuletzt urgierte das Bundesamt am 15.06.2020 bei der Vertretungsbehörde die Ausstellung eines Heimreisezertifkates (Stellungnahme des Bundesamtes vom 23.06.2020, S. 3 f).

Das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifkates für den Beschwerdeführer ist zum Entscheidungszeitpunkt bei der algerischen und der marokkanischen Vertretungsbehörde anhängig.

Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer in seinen Herkunftsstaat besteht zum Zeitpunkt dieser Entscheidung in hinreichendem Maße. Das Bundesamt ist seiner Verpflichtung, auf eine möglichst kurze Dauer der Schubhaft hinzuwirken, nachgekommen. Es hat rechtzeitig und zielführend ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats für den Beschwerdeführer mit der algerischen Vertretungsbehörde eingeleitet und weitere Verfahren hinsichtlich potentieller Herkunftsstaaten betrieben. Die alleinige Verantwortung für die Dauer der Anhaltung liegt im Verhalten des Beschwerdeführers. Die Abschiebung des Beschwerdeführers innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer ist nach wie vor möglich.

1.3.8. Eine Änderung der Umstände für die Verhängung der Schubhaft seit der letzten gerichtlichen Überprüfung vom 02.06.2020 hat sich im Verfahren nicht ergeben.

1.3.9. Nach Ablauf der Dauer von sechs Monaten wurde dem Beschwerdeführer keine Information gemäß § 80 Abs. 7 FPG schriftlich zur Kenntnis gebracht (AS 129).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, in die Akte des Bundesverwaltungsgerichtes die bisherigen Schubhaftverfahren des Beschwerdeführers betreffend, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister sowie in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres. Die Zitate der Aktenseiten beziehen sich auf die vom Bundesverwaltungsgericht elektronisch zusammengezogenen relevanten Aktenteile (OZ 1).

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes, dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes, aus den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes das bisherige Schubhaftverfahren des Beschwerdeführers betreffend, insbesondere dem Erkenntnis vom 02.06.2020, W171 2227007-6/2E und dem Verhandlungsprotokoll vom 17.01.2020, W272 2227007-1/8Z sowie aus den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes die asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren des Beschwerdeführers betreffend.

2.1. Zum bisherigen Verfahren

1.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zitierten Stellen aus dem Akt des Bundesamtes sowie aus den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes das bisherige Schubhaftverfahren und die Asylverfahren des Beschwerdeführers betreffend (elektronisch in OZ 1 zusammengefasst; W 2227007-1 bis -6; I404 2181681-1/3E; I413 2181681-2/3E).

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers und zu den allgemeinen Voraussetzungen der Schubhaft

2.2.1. Die Feststellungen zur Einreise des Beschwerdeführers beruhen auf dem Inhalt des Verwaltungsaktes. Anhaltspunkte dafür, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt sind im Verfahren nicht hervorgekommen, ebenso wenig besteht ein Zweifel an der Volljährigkeit des Beschwerdeführers, aufgrund des im Akt befindlichen Altersfeststellungsgutachtens vom 23.03.2017 (AS 7 ff). Da der erste Asylantrag des Beschwerdeführers in Österreich rechtskräftig abgewiesen wurde, und der faktische Abschiebeschutz hinsichtlich des Folgeantrages rechtskräftig aufgehoben wurde, ist der Beschwerdeführer weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter (AS 88 ff; AS 105 ff). Die Identität des Beschwerdeführers wird mangels Mitwirkung des Beschwerdeführers und mangels Vorlage von identitätsbezeugenden Dokumenten im Verfahren als Verfahrensidentität geführt.

2.2.2. Dass gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesamtes vom 23.08.2019 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet wurde und ausgesprochen wurde, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft eintreten, sowie die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft seit dem 19.09.2019 waren aufgrund der Einsichtnahme in die Anhaltedatei festzustellen und aufgrund der Feststellungen der Vorentscheidungen (W272 2227007-1 und W171 2227007-6).

2.2.3. Die Feststellungen zum Verfahren hinsichtlich des ersten Antrags auf internationalen Schutz und dem Vorliegen einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots, ergibt sich aus dem Akteninhalt (AS 19 ff; AS 88 ff; I404 2181681-1/3E).

Die Feststellungen zum Verfahren hinsichtlich des Folgeantrages vom 20.09.2019 waren ebenfalls aufgrund des Akteninhaltes zu treffen (AS 93 ff; AS 97 ff; AS 105 ff; AS 129 ff; I413 2181681-2/3E).

2.2.4. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, wonach beim Beschwerdeführer eine Haftunfähigkeit vorliegen würde, weshalb die diesbezügliche Feststellung zu treffen war (Anhaltedatei). Der Beschwerdeführer gab im Rahmen seiner mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17.01.2020 selbst an, dass er an keinen Krankheiten oder Gebrechen leidet (W272 2227007-1/8Z, S. 3). Dass der Beschwerdeführer Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Behandlung hat, ist unzweifelhaft.

2.3. Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit

2.3.1. Dass gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung besteht, die seit dem 09.01.2018 rechtskräftig ist, war aufgrund der Einsichtnahme in den Gerichtsakt festzustellen (I404 2181681-1/3E).

2.3.2. Dass der Beschwerdeführer in Österreich weder Verwandte noch enge soziale Anknüpfungspunkte hat, war aufgrund seiner eigenen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17.01.2020 festzustellen (W272 2227007-1/8Z, S. 6 ff).

Das Fehlen eines gesicherten Wohnsitzes ergibt sich im Wesentlichen aus dem Einblick in das zentrale Melderegister. Der Beschwerdeführer hat in der Vergangenheit behördliche Meldungen an Justizanstalten im Ausmaß von mehr als 2 Jahren vorzuweisen. Aus dem Melderegister ist zu ersehen, dass der Beschwerdeführer aktuell über keine Meldeadresse außerhalb des Anhaltezentrums verfügt. Dass der Beschwerdeführer bei seiner Befragung am 17.02.2020 selbst angibt, bei einem Freund – Unterkunft nehmen zu können, vermochte die Annahme eines gesicherten Wohnsitzes nicht zu begründen, zumal er diesen Freund erst bei der Beschwerdeverhandlung das erste Mal persönlich gesehen hat (W272 2227007-1/8Z). Von einem gesicherten Wohnsitz konnte daher nicht ausgegangen werden (Auszug aus dem Melderegister).

Eine nachhaltige Existenzsicherung ist mangels Geldreserven, wie dies in der Anhaltedatei ersichtlich ist, nicht zu erblicken. Dies deckt sich auch mit den Angaben des Beschwerdeführers in seiner Befragung vom 17.02.2020, wonach er weder über Geld oder Wertgegenstände verfügt (W272 2227007-1/8Z, S. 6). Einer legalen Erwerbstätigkeit zur Erlangung einer Selbsterhaltungsfähigkeit steht das Fehlen einer diesbezüglichen Bewilligung entgegen und hat der Beschwerdeführer eine Beschäftigung auch verneint (W272 2227007-1/8Z, S. 6).

2.3.3. Dass der Beschwerdeführer die österreichische Rechtsordnung nicht achtet, war aufgrund seiner drei rechtskräftigen Verurteilungen festzustellen. Dass ihn weder seine Verurteilungen noch die Inhaftierungen von weiteren Straftaten abhalten konnten, war aufgrund der Anzahl seiner Verurteilungen und Inhaftierungen und der Tatbegehung trotz anhängigem Verfahren festzustellen (Strafregister; Strafbemessung: AS 114). Dass der Beschwerdeführer auch während seiner Anhaltung im Polizeianhaltezentrum aufgrund der Missachtung von Anordnungen diszipliniert werden musste, bestärkt diese Annahme (AS 136 ff).

Die rechtskräftigen Verurteilungen ergeben sich aufgrund der Einsichtnahme in das Strafregister und die im Akt aufliegenden Strafurteile (AS 109 ff; AS 117 ff; AS 132 ff). Die Feststellungen zu den Ordnungswidrigkeiten ergeben sich aus dem im Akt aufliegenden Bericht über die Disziplinierungsmaßnahmen in der Anhaltung (AS 136 ff).

2.3.4. Die fehlende Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass er aufgrund seines Vorverhaltens, wonach er bereits drei Mal von österreichischen Gerichten aufgrund von Strafrechtsdelikten rechtskräftig verurteilt wurde, für sich keine Vertrauenswürdigkeit in Anspruch nehmen kann.

2.3.5. Dem Akteninhalt war zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer während des laufenden Asylverfahrens untergetaucht war und für das Bundesamt nicht auffindbar war. Beschwerdeführer war daher zu diesem Zeitpunkt nicht für die Behörde greifbar, hat sich dem laufenden Verfahren entzogen bzw. den Fortgang des Verfahrens behindert. Aus diesem Grunde musste das anhängige Asylverfahren eingestellt werden (AS 81 ff; AS 128).

2.3.6. Das gesamte Verhalten des Beschwerdeführers wird seitens des Gerichts als unkooperativ qualifiziert, da der Beschwerdeführer in den bisherigen Verfahren bewusst falsche Angaben zu seiner Person, insbesondere auch zu seinem Geburtsdatum gemacht hat. Er machte tatsachenwidrige Angaben bei seiner Erstbefragung am 09.11.2016, indem er als Geburtsdatum den XXXX angab (AS 1). Im Zuge einer Altersfeststellung wurde dem Beschwerdeführer im weiteren Verfahren das errechnete, fiktive Geburtsdatum als Verfahrensidentität zugrunde gelegt und vom Beschwerdeführer in weiterer Folge selbst angegeben (AS 7 ff). Eine Berichtigung auf das tatsächliche Geburtsdatum durch den Beschwerdeführer, ist durch diesen bislang nicht aktenkundig. Augenfällig war auch, dass der Beschwerdeführer im Verfahren verschiedene Geburtsorte in Algerien nannte (AS 1; AS 22). Dazu kommt das Untertauchen während des anhängigen Asylverfahrens, woraufhin das Verfahren am 03.04.2017 eingestellt werden musste (AS 128). Dass der Beschwerdeführer seine Identität zu verschleiern versucht, um einer Abschiebung zu entgehen, war aufgrund seiner bisherigen unterbliebenen Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung festzustellen. Die Feststellung, dass sich der Beschwerdeführer seiner Abschiebung widersetzten wird, fußt auf seinen eigenen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17.01.2020, wonach er nicht nach Algerien zurückgehen könne (W272 2227007-1/8Z, S. 8). Dass sich der Beschwerdeführer aus Protest gegen seine Anhaltung in Hungerstreik befand und aufgrund der Nichtbefolgung von Anordnungen Disziplinierungsmaßnahmen verhängt wurden, war der Anhaltedatei und den im Akt aufliegenden Maßnahmenmeldungen zu entnehmen (Anhaltedatei; AS 136 ff).

2.3.7. Die Feststellungen zu den Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer und dem aktuellen Stand der einzelnen Verfahren beruhen auf dem Akteninhalt und der Stellungnahme des Bundesamtes vom 23.06.2020.

Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ausstellung eines Heimreisezertifikats nicht erfolgen können soll. Dass der Beschwerdeführer noch nicht abgeschoben wurde, ist ausschließlich auf die mangelnde Kooperationsbereitschaft und die mangelnde Mitwirkung des Beschwerdeführers zurückzuführen. Es liegt daher in erster Linie am Beschwerdeführer durch entsprechende Mitwirkung das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifkates zu beschleunigen. Zudem sind aktuell zwei Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer anhängig, weshalb die Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht als aussichtslos erachtet werden kann.

3.9. Eine Änderung der Umstände seit der Feststellung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.06.2020, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft weiterhin vorliegen, ist dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Es sind keine Hinweise hervorgekommen, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers innerhalb der höchstzulässigen Schubhafthaftdauer nicht möglich ist.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Fortsetzungsausspruch

3.1. Gesetzliche Grundlagen

3.1.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) lauten (auszugsweise):

Der mit „Begriffsbestimmungen“ betitelte § 2 FPG lautet:

§ 2 (4) Im Sinn dieses Bundesgesetzes ist

1. Fremder: wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt.

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 FPG lautet:

§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

Der mit „Gelinderes Mittel“ betitelte § 77 FPG lautet:

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,

1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder

3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Der mit „Dauer der Schubhaft“ betitelte § 80 lautet:

§ 80 (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1.

drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2.

sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

1.

die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2.

eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3.

der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4.

die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.

§ 80 Abs. 4 FPG idF der Novelle BGBl. I Nr. 70/2015 lautete (Hervorhebung durch das Bundesverwaltungsgericht):

(4) Kann oder darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden,

1.

weil die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit nicht möglich ist oder

2.

weil die für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt oder

3.

weil er die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt.

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von einem Jahr nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden, es sei denn, die Nichtvornahme der Abschiebung ist dem Verhalten des Fremden zuzurechnen. In diesen Fällen darf der Fremde wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von 18 Monate nicht länger als 10 Monate in Schubhaft angehalten werden. Gleiches gilt, wenn die Abschiebung dadurch gefährdet erscheint, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen hat. Ebenso kann die Schubhaft, die gemäß § 76 Abs. 2 verhängt wurde, länger als sechs Monate in einem Jahr, aber nicht länger als 10 Monate in 18 Monaten aufrechterhalten werden.

3.1.2. Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:

§ 22a (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.

3.2. Zur Judikatur

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

3.3. Allgemeine Voraussetzungen

Der Beschwerdeführer besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

Seit dem 09.01.2018 besteht gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung. Daher war die Anhaltung in Schubhaft seit 19.09.2020 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – möglich.

Seit dem 20.09.2020 wird der Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 6 FPG in Schubhaft angehalten. Im vorliegenden Fall lagen berechtigterweise Gründe zur Annahme vor, dass der neuerliche Asylantrag mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde und wurde dies im Rahmen der ersten verwaltungsgerichtlichen Schubhaftüberprüfung bestätigt.

Am 07.10.2019 erfolgte die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes, diese wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.10.2019 als rechtmäßig erklärt.

3.3.1. § 76 Abs. 2 FrPolG 2005 wurde mit dem FrÄG 2018 mit Wirksamkeit vom 1. September 2018 geändert. Diese Änderung diente insbesondere dem Ziel, den Haftgrund des Art. 8 Abs. 3 lit. e der Aufnahme-RL ("Ein Antragsteller darf (...) in Haft genommen werden, wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erforderlich ist") im innerstaatlichen Recht zu implementieren. Außerdem sollten die Schubhaftgründe dem jeweiligen unionsrechtlichen Sekundärrecht (Z 1 des § 76 Abs. 2 FPG der Aufnahme-RL, Z 2 dieser Bestimmung der Rückführungs-RL und deren Z 3 schließlich der "Dublin-Verordnung") zugeordnet werden. Die Schubhaft zum Zweck der Sicherung eines Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen sonstige, nicht in einem Asylverfahren befindliche Fremde, oder zur Sicherung der Abschiebung soll ohne inhaltliche Änderung in einer eigenen Ziffer (Z 2) behandelt werden. Anders als die Schubhaft nach Z 1 unterliegt diese den Vorgaben der Art. 15 ff Rückführungs-RL und umfasst auch ehemalige Asylwerber, sowie Asylwerber, die bereits während des laufenden Beschwerdeverfahrens weder faktischen Abschiebeschutz genießen noch zum Aufenthalt berechtigt sind (VwGH vom 16.05.2019, Ra 2018/21/0177, Rn 16).

Für die Fortsetzung der Haft gegen einen nachträglich zum Asylwerber gewordenen Fremden gelten nicht eingeschränktere Voraussetzungen als für die Verhängung der Haft gegen einen Fremden, der schon davor Asylwerber war. Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass es auf die Voraussetzungen gemäß § 76 Abs. 6 FPG im Hinblick auf die unterbliebene Verständigung gemäß § 76 Abs. 6 FPG im Entscheidungszeitpunkt nicht angekommen ist (vgl. VwGH Ro 2017/21/0004 vom 31.08.2017), zumal der Beschwerdeführer seit Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes am 07.10.2019 nicht mehr in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahme-RL) fällt. Im gegenständlichen Fall ist seit dem 07.10.2019 die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungs-RL) anwendbar.

3.4. Fluchtgefahr

Im vorliegenden Fall wurde im Folgeantragsverfahren der faktische Abschiebeschutz aufgehoben. Im Rahmen seines ersten Asylverfahrens hat sich der Beschwerdeführer dem Verfahren bereits entzogen. Das Verfahren hat darüber hinaus ergeben, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit weder kooperativ war, noch vertrauenswürdig ist.

Fluchtgefahr ist dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird.

Im vorliegenden Fall geht das Gericht auch weiterhin von Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG aus:

Bei der Beurteilung ob Fluchtgefahr vorliegt, ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 3 FPG zu berücksichtigen, ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat. Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021).

Da gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige, durchsetzbare Rückkehrentscheidung vorliegt und er während seines ersten Asylverfahrens untergetaucht ist, ist der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 3 FPG erfüllt.

Gemäß § 76 Abs. 3 Z 4 FPG ist bei der Beurteilung der Fluchtgefahr zu berücksichtigen, ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt.

Der faktische Abschiebeschutz wurde mit Bescheid vom 07.10.2019, bestätigt durch Beschluss vom 10.10.2019, aufgehoben. § 76 Abs. 3 Z 4 FPG liegt daher vor.

Gemäß § 76 Abs. 3 Z 5 FPG ist bei der Beurteilung der Fluchtgefahr zu berücksichtigen, ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung ei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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