TE Vwgh Erkenntnis 1997/11/11 96/01/0870

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Veröffentlicht am 11.11.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des Jimi Alex Falade, geboren am 4. April 1964, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. August 1996, Zl. 4.349.541/1-III/13/96, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, der am 4. Juli 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte mit Schreiben vom 19. Dezember 1995 die Gewährung von Asyl.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr angefochtenen Bescheid vom 13. August 1996 wies die belangte Behörde den Asylantrag ab. Sie begründete ihre Entscheidung damit, daß die Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 17. Jänner 1996 nicht glaubwürdig erschienen. Die Verwechslung des Datums der Festnahme mit dem Datum der Flucht aus dem Gefängnis sei zwar nicht als Widerspruch an sich zu bezeichnen, es sei aber davon auszugehen, daß es sich hiebei um einschneidende Erlebnisse handle, deren Daten und Details sich einprägten. Die mangelnde Glaubwürdigkeit sei aufgrund der Unsicherheiten bezüglich der Daten gegeben. Die Unregelmäßigkeiten der Daten wären dem Beschwerdeführer nicht einmal aufgefallen, wenn der einvernehmende Beamte ihn nicht auf dieses "Mißverständnis" aufmerksam gemacht hätte. Des weiteren behaupte er einerseits, aufgrund einer journalistischen Tätigkeit inhaftiert worden zu sein, führe andererseits aber aus, daß die Behörden keinen Grund für seine Inhaftierung genannt hätten und darüber hinaus weder die Zeitungsartikel noch die Flugblätter, welche von brisantem Inhalt gewesen wären (Kritik am nigerianischen Regime), den Namen des Beschwerdeführers getragen hätten. Es sei unglaubwürdig, daß die Polizei gerade den Beschwerdeführer inhaftiert haben solle, obwohl die Artikel und Flugblätter anonym gewesen seien. Seinem Vorbringen sei nicht zu entnehmen, daß er persönlich zuvor jemals negative Erfahrungen mit der Polizei bzw. mit dem Militär gemacht habe. Wenn er behaupte, daß die Polizei das Büro, in welchem der Beschwerdeführer tätig gewesen sei, gekannt habe, sei es unglaubwürdig, daß ihn die Polizei erst einen Monat nach Veröffentlichung seines letzten Flugblattes inhaftiert haben solle.

Wäre er tatsächlich als Regimegegner bekannt gewesen, hätten die nigerianischen Behörden nicht gezögert, ihn zu verhaften. Der Beschwerdeführer habe die behaupteten Mißhandlungen während der Gefangenschaft dahingehend dargelegt, daß die "stärkeren" Gefangenen in den Betten geschlafen hätten, jedoch er am Fußboden habe liegen müssen. Dies stelle keine Mißhandlung dar, die einer staatlichen Behörde zurechenbar sei. Es handle sich vielmehr um Übergriffe von Zellengenossen, also Privatpersonen, welche den staatlichen Stellen keinesfalls zurechenbar seien. Der Beschwerdeführer behaupte weiters, auf der Fahrt ins Gefängnis im Lastkraftwagen mit Tränengas betäubt worden zu sein. Dies sei unglaubwürdig, weil die Verwendung von Tränengas zur Reizung speziell der Augen- und Nasenschleimhäute führe, und nicht zur behaupteten Bewußtlosigkeit. Die Sinnhaftigkeit einer solchen Vorgangsweise werde auch in Frage gestellt, zumal kein Grund ersichtlich sei, warum die Gefangenen hätten betäubt werden sollen, da diese sich, darunter auch der Beschwerdeführer, nach dessen eigenen Angaben auf der Ladefläche eines ohnehin verschlossenen Lastkraftwagens befunden hätten, weshalb eine Fluchtgefahr auszuschließen gewesen sei. Daß dem Beschwerdeführer während der von ihm behaupteten Haft aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe "eine differenzierte Handlung zuteil geworden wäre", habe er nicht behauptet. Hätte der Beschwerdeführer tatsächlich Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu befürchten gehabt, hätte er "wohl sofort" nach seiner Ausreise bzw. sofort nach seiner Ankunft in Österreich einen Asylantrag gestellt, um Schutz vor Verfolgung zu finden, nicht jedoch erst mehr als fünf Monate nach seiner Einreise. Auch dies lasse seine Ausführungen unglaubwürdig erscheinen. Aus dem vom Beschwerdeführer beigebrachten Schreiben des "Nigerian Institute of Journalism" vom 15. April 1992 könne keine konkrete gegen ihn gerichtete Verfolgung, ausgehend von den Behörden Nigerias, entnommen werden. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung aus den im § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991 genannten Gründen zu gewärtigen gehabt bzw. derzeit für den Fall einer etwaigen Rückkehr in seine Heimat zu befürchten, weshalb ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme und deshalb die Asylgewährung zwingend ausgeschlossen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung an sich ist ein Denkprozeß, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges als solchen handelt bzw. darum, ob der Sachverhalt, der in diesem Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. dazu die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 549 ff, wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

a) Zur Verwechslung des Datums der Verhaftung:

Der Beschwerdeführer gab anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 17. Jänner 1996 zunächst an, am 18. Juni 1995 in Lagos von den Sicherheitsbeamten der Regierung verhaftet und ins Kiri Kiri-Gefängnis gebracht worden zu sein. Nach weiteren Darstellungen gab der Beschwerdeführer auf Fragen der Behörde zur Vorgeschichte der Verhaftung zwar an, am 2. Juli 1995 von staatlichen Organen in seinem Büro in Lagos mit anderen verhaftet worden zu sein, stellte auf sofortige Rückfrage das Datum jedoch mit 18. Juni 1995 richtig und erklärte den Irrtum mit dem Tag seiner Befreiung aus dem Gefängnis mit einer Verwechslung. Es ist nicht schlüssig, daß die belangte Behörde daraus eine Unsicherheit zu erkennen vermeint, da eine Verwechslung selbst derartig wesentlicher Fluchtdaten, welche sofort über Nachfragen korrigiert wird, jedermann unterlaufen kann.

b) Zum Grund für die Inhaftierung:

Der Beschwerdeführer hält der belangten Behörde entgegen, er habe im Rahmen der Einvernahme nur angegeben, den staatlichen Organen sei das Büro, in welchem er gearbeitet habe, bekannt gewesen. Die Behörde unterstelle, es sei den staatlichen Organen von Anfang an bewußt gewesen, daß der Beschwerdeführer Verfasser regimekritischer Artikel gewesen sei, diese Mutmaßung sei durch kein Beweisergebnis gedeckt. Es stehe nicht im Widerspruch zu den Erfahrungen des täglichen Lebens, daß die Urheberschaft an einem Flugblatt erst Monate nach dessen Erscheinen bekannt werde, auch Polizeiapparate benötigten Zeit für Recherchen.

Mit diesen Ausführungen zeigt der Beschwerdeführer die Unschlüssigkeit der Ausführungen der belangten Behörde in diesem Punkt auf. Es kann einem Asylwerber nicht zugemutet werden, exakt anzugeben, auf welche Art und Weise die Behörden seines Heimatlandes von der Urheberschaft regimekritischer Artikel Kenntnis erlangt hätten. Die Möglichkeit, daß dies über die vom Beschwerdeführer namentlich gezeichneten Flugblätter weniger brisanten Inhaltes und das Büro, in dem er tätig war, geschehen sei, was längere Zeit in Anspruch genommen hätte, läßt sich ohne nähere Ermittlungen der belangten Behörde nicht von vornherein als unglaubwürdig abtun.

c) Zum Vorbringen betreffend Tränengas:

Die belangte Behörde übersieht, daß der Beschwerdeführer angab, mit anderen Gefangenen auf der Ladefläche eines Lkw eingeschlossen gewesen zu sein, wobei "Tränengas in den Laderaum hineingeleitet" worden sei. Dadurch sei er bewußtlos geworden, nachher ganz durcheinander gewesen und habe fast seine Sehkraft verloren. Er hat somit ein Symptom genannt, welches tatsächlich auf die Verwendung von Tränengas hinweisen könnte. Insbesondere hat die belangte Behörde es aber unterlassen, dem Beschwerdeführer nähere Fragen zur Ausbruchssicherheit der Ladefläche oder zu sonstigen Gründen für die behauptete Verwendung eines Gases (etwa Gewalttätigkeiten auf der Ladefläche) zu stellen, sodaß ihre Mutmaßung, es sei kein Grund ersichtlich, warum bei auszuschließender Fluchtgefahr Gefangene hätten betäubt werden sollen, durch entsprechende Sachverhaltsermittlungen nicht gedeckt ist. Nicht zuletzt führt die belangte Behörde nicht aus, daß die vom Beschwerdeführer behaupteten Symptome in ihrer Gesamtheit unmöglicherweise durch ein als "Tränengas" bezeichnetes Gas hervorgerufen werden können.

d) Zur fünf Monate nach Einreise erfolgten Asylantragstellung:

Der Beschwerdeführer, dem im vorangegangenen Verfahren dieser Umstand nicht vorgehalten worden war, führt in der Beschwerde aus, daß sich die Antragstellung erst mehrere Monate nach seiner Einreise in das Bundesgebiet daraus ergebe, daß er - wohl mit einem verfälschten EWR-Paß - während dieses Zeitraumes in Österreich sicher gewesen sei und ihm eine Zurückschiebung in das Herkunftsland nicht gedroht habe. Erst durch die Abnahme des Reisepasses durch die österreichischen Behörden sei die Sicherheit verlorengegangen, weshalb er den Asylantrag gestellt habe. Damit macht der Beschwerdeführer einen möglichen und plausiblen Grund für seine späte Antragstellung geltend, der mangels behördlicher Nachfrage im Verwaltungsverfahren nicht dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbot unterliegt.

Darüber hinaus verneint die belangte Behörde die Asylrelevanz der vom Beschwerdeführer behaupteten Haft sowie der dabei erlittenen Behandlung. Die belangte Behörde verkennt, daß eine Haft aufgrund politischer Motive in mehrwöchiger Dauer (18. Juni 1995 bis 2. Juli 1995), die durch Flucht beendet wird, bereits für sich allein eine Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 darstellen kann. Auf eine "differenzierte Handlung" während der Haft aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe kommt es hiebei nicht an. Mit dieser verfehlten Rechtsansicht belastete die belangte Behörde ihren Bescheid auch mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Insofern die belangte Behörde auf das vom Beschwerdeführer beigebrachte Schreiben des "Nigerian Institute of Journalism" vom 15. April 1992 hinweist, verkennt sie, daß der Beschwerdeführer nicht behauptet hat, daß aus diesem Schreiben eine konkrete, gegen ihn gerichtete Verfolgung, ausgehend von den Behörden seines Heimatstaates, zu erkennen sei, sondern dieses Schreiben lediglich als Beweis dafür vorgelegt wurde, daß er Journalist gewesen sei, denn der Beschwerdeführer behauptete keine Verfolgung im Jahr 1992, sondern erst im Jahr 1995.

Da eine Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit einer Aufhebung wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996010870.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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