Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
StAG §35cBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Ing. S N in D, vertreten durch Mag. Gerd Egner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 11/IV, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. April 2020, Zl. W195 2230196-1/2E, betreffend eine Justizangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesministerin für Justiz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Eingabe vom 2. August 2019 erhob der Revisionswerber als Anzeiger „Beschwerde“ an den damaligen Bundesminister für Justiz (BMJ) gegen die Einstellung eines Strafverfahrens gemäß § 35c StPO „mangels eines Anfangsverdachts“ durch die Staatsanwaltschaft Graz.
2 Mit Schriftsatz vom 19. März 2020, eingebracht am 6. April 2020, erhob der Revisionswerber Säumnisbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch den BMJ über die genannte „Beschwerde“.
3 Im Säumnisbeschwerdeverfahren brachte die nunmehrige BMJ vor, im gegenständlichen Wirkungsbereich der Fach- und Dienstaufsicht sei eine Bescheidausfertigung und ein Instanzenzug nicht vorgesehen. Es liege damit eine Rechtsgrundlage für die bescheidmäßig begehrte Beschwerdeerledigung nicht vor, weshalb kein Bescheid erlassen worden sei. Sollte mit der „Beschwerde“ des Revisionswerbers eine Dienstaufsichtsbeschwerde gemeint gewesen sein, sei diese gemäß § 37 Abs. 1 StAG an die Oberstaatsanwaltschaft Graz weitergeleitet worden.
4 In Stattgebung der Säumnisbeschwerde wies das BVwG die „Beschwerde“ des Revisionswerbers an den BMJ zurück und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
5 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe zwar einen Anspruch auf Erledigung seiner „Beschwerde“, weshalb er gegen die Säumnis des BMJ mit Säumnisbeschwerde habe vorgehen dürfen, eine verfassungsrechtliche Zuständigkeit des BVwG für die Beseitigung einer allfälligen Untätigkeit der Staatsanwaltschaft Wien sei aber nicht gegeben.
6 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit geltend gemacht wird, der Revisionswerber habe entgegen der Meinung des BVwG durch seine „Beschwerde“ an den BMJ ein Verwaltungsverfahren ausgelöst, welches nicht der StPO unterliege, sondern gemäß §§ 56 ff AVG bescheidmäßig zu erledigen gewesen sei. Seine „Beschwerde“ hätte daher nicht zurückgewiesen werden dürfen.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird.
Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
9 Mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014, BGBl. I Nr. 71/2014, wurde in § 35c Staatsanwaltschaftsgesetz (StAG) eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass die Staatsanwaltschaft von der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens abzusehen hat, wenn kein Anfangsverdacht im Sinne des § 1 Abs. 3 Strafprozessordnung (StPO) besteht. Davon ist der Anzeiger zu verständigen, wobei er darauf hinzuweisen ist, dass ein Antrag auf Fortführung gemäß § 195 StPO nicht zusteht.
10 Eine behauptete unrichtige Anwendung des § 35c StAG kann nicht Gegenstand eines Einspruchs wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO sein, weil dieser auf die Verletzung von Rechten, die in der StPO verbrieft sind, beschränkt ist. Die Entscheidung, ob sie ein Ermittlungsverfahren einleitet, obliegt ausschließlich der Staatsanwaltschaft; sie unterliegt keiner Überprüfung durch das Gericht (vgl. Mühlbacher, StAG-Kommentar [2018], Rn. 10 zu § 35c).
11 Die Gesetzesmaterialien zum Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014 (ErläutRV 181 BlgNR 25. GP, S. 22) erläutern, durch die in § 35c StAG vorgesehene Verständigung des Anzeigers solle ermöglicht werden, dass für den Anzeiger Substitute zum Antrag auf Fortführung, wie etwa eine Dienstaufsichtsbeschwerde oder ein Einschalten der Volksanwaltschaft, zur Verfügung stehen. § 37 StAG sieht dementsprechend auch eine Aufsichtsbeschwerde gegen einen Staatsanwalt wegen seiner Amtsführung bei jeder ihm vorgesetzten Stelle vor. Wird die Beschwerde nicht bei der dem Staatsanwalt unmittelbar vorgesetzten Stelle eingebracht, so ist sie in der Regel dieser zur weiteren Amtshandlung zu übermitteln.
12 Auf dieser klaren und eindeutigen gesetzlichen Basis hat das BVwG im Ergebnis zutreffend ausgeführt, dass keine Zuständigkeit des BMJ oder des - im Wege der Säumnisbeschwerde angerufenen - BVwG zur Entscheidung über ein Rechtsmittel („Beschwerde“) gegen die Zurücklegung der Anzeige nach § 35c StAG bestand.
13 Der Revisionswerber behauptet in der Zulassungsbegründung der Revision, durch seine „Beschwerde“ ein „Verwaltungsverfahren“ ausgelöst zu haben, präzisiert aber nicht, welches Verwaltungsverfahren er dabei im Sinn hat. Soweit die „Beschwerde“ nach diesem Vorbringen als eine mögliche Aufsichtsbeschwerde gemäß § 37 StAG gedeutet werden sollte, ist auf die unbestrittene Stellungnahme der BMJ hinzuweisen, wonach die Eingabe des Revisionswerbers, wie gesetzlich vorgesehen, ohnedies der unmittelbar vorgesetzten Stelle des betroffenen Staatsanwalts übermittelt worden ist.
14 Die Revision legt somit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG dar und war schon deshalb gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 8. September 2020
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020030108.L00Im RIS seit
12.10.2020Zuletzt aktualisiert am
12.10.2020