TE Bvwg Beschluss 2020/4/23 L527 2181042-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.04.2020
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Entscheidungsdatum

23.04.2020

Norm

VwGG §30 Abs2

Spruch

L527 2181042-1/46E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter MMag. Christian AUFREITER, LL.B. als Einzelrichter über den Antrag des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert BITSCHE, Nikolsdorfergasse 7-11/2, 1050 Wien, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.11.2019, Zahl L527 2181042-1/28E, erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen:

Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird gemäß § 30 Abs 2 VwGG stattgegeben.

Text

BEGRÜNDUNG:

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Antragsteller stellte am 21.11.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 24.11.2017, Zahl XXXX , sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I und II). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV), sprach die Zulässigkeit der Abschiebung in den Iran aus (Spruchpunkt V) und setzte für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI).

1.2. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 22.07.2019 mit Entscheidung vom 28.11.2019, Zahl L527 2181042-1/28E, teilweise als unzulässig zurück und im Übrigen als unbegründet ab; die Revision sei gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig. Das Bundesverwaltungsgericht gelangte insbesondere zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer (bzw. nunmehr: Antragsteller) in seinem Herkunftsstaat weder aus Gründen der Religion noch aus anderen Gründen (einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Gefahr von) intensiven staatlichen Übergriffen oder intensiven Übergriffen von Privatpersonen ausgesetzt gewesen sei und auch für den Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht ernstlich Gefahr liefe, intensiven Übergriffen durch den Staat, andere Bevölkerungsteile oder sonstige Privatpersonen ausgesetzt zu sein. Dem Antragsteller würde nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische oder psychische Gewalt oder Strafverfolgung oder eine andere aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Verfolgung, Bedrohung oder sonstige Gefährdung drohen. Der Antragsteller habe sich nicht tatsächlich vom islamischen Glauben abgewandt und sei auch nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert; der christliche Glaube sei nicht wesentlicher Bestandteil der Identität des Antragstellers. Die Hinwendung zum Christentum habe sich als eine Scheinkonversion erwiesen, die der Erlangung des Status des Asylberechtigten dienen sollte. Ferner entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass die Rückkehrentscheidung zwar einen Eingriff in das (in Gestalt einer standesamtlich geschlossenen Ehe und der Beziehung zur minderjährigen Tochter bestehende) Familienleben und das Privatleben des Antragstellers bewirke; dieser Eingriff sei jedoch mit Blick auf Art 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt, sodass die Rückkehrentscheidung keine Verletzung von Art 8 EMRK bedeute.

1.3. Die Behandlung der gegen das Erkenntnis erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 24.02.2020, E 192/2020-7, ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Im Hinblick auf die vom Bundesverwaltungsgericht ausgesprochene Rückkehrentscheidung hielt der Verfassungsgerichtshof fest:

"Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art. 8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. die in VfSlg. 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Gefährdung der beschwerdeführenden Partei in ihren Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles unter Berücksichtigung des Kindeswohls davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiegt (vgl. VfSlg. 19.086/2010)."

1.4. In der nunmehr erhobenen außerordentlichen Revision begehrt der Antragsteller, die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze aufzuheben (Revisionsschrift, S 2).

Die Zulässigkeit der Revision begründet der Antragsteller damit, dass das Bundesverwaltungsgericht von der ständigen Judikatur der Höchstgerichte jedenfalls zur Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung bei Angehörigen von österreichischen Staatsbürgern, insbesondere wenn gemeinsame minderjährige Kinder vorhanden sind, abgewichen sei. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht dazu keine bzw. nicht ausreichend Feststellungen getroffen. (Revisionsschrift, S 3) Die Revisionsgründe beziehen sich in erster Linie auf dieses Vorbringen bzw. einen behaupteten Verstoß gegen Art 8 EMRK (Revisionsschrift, S 6 bis 13). Darüber hinaus macht der Antragsteller geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht die (angebliche) Konversion zum Christentum nicht ausreichend gewürdigt habe und im Iran asylrelevante Verfolgung drohe. Die Ausführungen dazu erschöpfen sich weitgehend in der Wiedergabe von Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs und der Wiedergabe von Länderinformationen. (Revisionsschrift, S 13 bis 15)

Den Antrag, der Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, begründet der Antragsteller damit, dass seine Abschiebung in den Iran einen unverhältnismäßigen und "mitunter" nicht wiedergutzumachenden Nachteil für ihn bedeuten würde; er wäre gezwungen, in den Iran zurückzukehren, dies ohne Aussicht auf Hilfestellung. Ferner würde die Abschiebung eine Trennung von der minderjährigen Tochter und der Ehegattin bedeuten; dies stelle jedenfalls einen massiven Eingriff in seine subjektiven Rechte dar. Zwingende öffentliche Interessen stehen, so der Antragsteller weiter, der Bewilligung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen, er sei unbescholten. (Revisionsschrift, S 15 f)

1.5. Im Strafregister der Republik Österreich (OZ 45) scheint in Bezug auf den Antragsteller keine Verurteilung auf.

Abgesehen von zwei weiteren Verwaltungsübertretungen wegen Fahrens ohne Lenkberechtigung wurde über den Antragsteller auch mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion XXXX vom XXXX 2018 wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 37 Abs 1 iVm § 37 Abs 3 Z 1 FSG eine Geldstrafe von Euro 700,00, falls diese uneinbringlich ist, eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 13 Tagen und elf Stunden, verhängt (OZ 22, S 8, 22, 25 f, 62 f).

1.6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl machte von der Möglichkeit, zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung Stellung zu nehmen, nicht Gebrauch (OZ 43).

2. Beweiswürdigung:

Der Sachverhalt ergibt sich unzweifelhaft aus den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Akten (verwaltungsbehördlicher Akt und verwaltungsgerichtlicher Akt). Es wurden keine Einwände, dass die Akten unvollständig oder unrichtig wären, erhoben. Dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine Hinweise aufgefallen, dass die Akten unvollständig oder bedenklich wären.

Der Behauptung in der Revisionsschrift, es sei unstrittig, dass der Antragsteller straf- und auch verwaltungsstrafrechtlich unbescholten sei (Revisionsschrift, S 5), ist entgegenzuhalten, dass die unter 1.5. zu den vom Antragsteller begangenen Verwaltungsübertretungen getroffenen Feststellungen bereits der angefochtenen Entscheidung zu entnehmen sind. Ein substantiiertes Vorbringen gegen diese Feststellungen enthält die Revision nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hatte diese Feststellungen nicht zuletzt aufgrund der Aussage des Antragstellers getroffen (OZ 22, S 25 f).

Damit ist der Sachverhalt aktenkundig und deshalb erwiesen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Revision hat gemäß § 30 Abs 1 Satz 1 VwGG keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 30 Abs 2 Satz 1 VwGG hat jedoch bis zur Vorlage der Revision das Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Gemäß § 30a Abs 3 VwGG hat das Verwaltungsgericht über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unverzüglich mit Beschluss zu entscheiden. Nach § 30a Abs 7 VwGG sind Abs 1 bis 6 leg cit nicht anzuwenden, wenn das Verwaltungsgericht in seinem Erkenntnis oder Beschluss ausgesprochen hat, dass die Revision nicht gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Das Verwaltungsgericht hat den anderen Parteien sowie im Fall des § 29 VwGG dem zuständigen Bundesminister bzw. der Landesregierung eine Ausfertigung der außerordentlichen Revision samt Beilagen zuzustellen und dem Verwaltungsgerichtshof die außerordentliche Revision samt Beilagen unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen.

Wenngleich Gruber § 30 VwGG Rz 4, in: Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 (2017) im Hinblick auf § 30a Abs 3 in Verbindung mit Abs 7 VwGG eingehend begründet hat, dass bei außerordentlichen Revisionen keine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts bestehe, über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung abzusprechen, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass das Verwaltungsgericht (auch) in Fällen außerordentlicher Revisionen zur Entscheidung über die aufschiebende Wirkung so lange zuständig ist, bis die Revision dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wird; vgl. etwa VwGH 20.04.2017, Ra 2017/19/0113.

3.2. Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu den Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erscheint kasuistisch; so auch Gruber § 30 VwGG Rz 5b, in: Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 (2017).

3.2.1. So ist nach zahlreichen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren über einen Antrag auf aufschiebende Wirkung nach § 30 VwGG die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht zu überprüfen, sondern - wenn das in der Revision selbst erstattete Vorbringen nach der Aktenlage nicht etwa von vornherein als zutreffend zu erkennen ist - zunächst, im Provisorialverfahren, von den Annahmen in der angefochtenen Entscheidung auszugehen. Demnach ist die aufschiebende Wirkung nur zuzuerkennen, wenn der Fehler in der angefochtenen Entscheidung nicht bloß ein potenzieller, sondern ein evidenter ist. Vgl. jeweils mwN z. B. VwGH 31.10.2019, Ra 2019/19/0493, VwGH 25.07.2019, Ra 2019/14/0339, und VwGH 30.05.2019, Ra 2019/22/0104; siehe auch VwGH 05.12.2017, Ra 2017/18/0451.

Noch deutlicher hielt der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 31.01.2020, Ra 2019/06/0277, fest, dass im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erkenntnisses nicht zu beurteilen ist und Mutmaßungen über den voraussichtlichen Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bei der Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung außer Betracht zu bleiben haben. Selbst die mögliche Rechtswidrigkeit des Erkenntnisses ist kein Grund für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Ist daher das in der Revision erstattete Vorbringen nach der Aktenlage nicht etwa von vornherein als zutreffend zu erkennen, ist bei der Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls zunächst von den Annahmen des Verwaltungsgerichts auszugehen. Unter diesen Annahmen sind hiebei die Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Erkenntnis zu verstehen, die nicht von vornherein als unschlüssig zu erkennen sind bzw. die ins Auge springende Mängel nicht erkennen lassen; vgl. mwN VwGH 21.12.2018, Ro 2018/06/0018.

In seiner Entscheidung vom 31.01.2020, Ra 2019/06/0277, sprach der Verwaltungsgerichtshof zum wiederholten Male aus, dass der Revisionswerber - um die vom Gesetz geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können - schon im Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darzulegen hat, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergibt, es sei denn, dass sich nach Lage des Falls die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ohne Weiteres erkennen lassen; vgl. etwa auch VwGH 31.10.2019, Ra 2019/19/0493, VwGH 08.08.2019, Ra 2019/01/0194, und VwGH 21.12.2018, Ro 2018/06/0018. Worin der unverhältnismäßige Nachteil für ihn gelegen wäre, hat der Revisionswerber in seinem Antrag - unabhängig vom Fehlen eines zwingenden öffentlichen Interesses - zu konkretisieren; vgl. mwN VwGH 04.12.2018, Ra 2018/08/0200.

Demgegenüber erkannte der Verwaltungsgerichtshof auch schon mehrfach Revisionen die aufschiebende Wirkung zu, ohne zu thematisieren, ob nach dem Akteninhalt von einem offenkundig vorliegenden Fehler des Verwaltungsgerichts bzw. nicht von den Annahmen in der angefochtenen Entscheidung auszugehen sei. Bisweilen erörterte der Verwaltungsgerichtshof auch nicht (näher), ob der Revisionswerber konkret dargelegt habe, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergebe, bzw. wieso sich nach der Lage des Falls die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ohne Weiteres erkennen ließen. So scheint der Verwaltungsgerichthof vielfach davon auszugehen, dass mit dem Vollzug eines Erkenntnisses, das einen Titel für eine Außerlandesbringung darstellt, eben mit Blick auf die verfügte Außerlandesbringung in der Regel ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre; vgl. etwa VwGH 08.08.2019, Ra 2019/01/0194, VwGH 02.08.2019, Ra 2019/01/0285, VwGH 30.11.2018, Ra 2018/18/0500, VwGH 06.10.2016, Ra 2016/18/0137, und insbesondere VwGH 15.10.2014, Ra 2014/01/0089. In der zuletzt genannten Entscheidung verwies der Verwaltungsgerichtshof auf VwGH 03.07.2003, 2002/20/0078, in dem in Ansehung verfahrensbeendender Bescheide in Asylsachen ein unverhältnismäßiger Nachteil - durch den Verlust der Stellung als Asylwerber und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen - in der Regel als offenkundig betrachtet wurde.

Hingegen gab der Verwaltungsgerichthof mit Beschluss vom 30.08.2019, Ra 2019/14/0298, dem Antrag, einer Revision gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nicht statt, weil der Revisionswerber mit seinem Antragsvorbringen keinen unverhältnismäßigen Nachteil im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG dargelegt habe. Mit dem revisionsgegenständlichen Erkenntnis hatte das Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren den Antrag auf internationalen Schutz des aus der Volksrepublik China stammenden Revisionswerbers zur Gänze abgewiesen, keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung nach China festgestellt, eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt und ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig sei. Das heißt, obwohl das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts einen Titel für die Außerlandesbringung darstellt und für den Revisionswerber zum Verlust der Stellung des Asylwerbers führte, war für den Verwaltungsgerichtshof ein unverhältnismäßiger Nachteil nicht offenkundig. Vgl. ähnlich VwGH 31.01.2019, Ra 2019/20/0022.

3.2.2. Nach Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs sind unter zwingenden öffentlichen Interessen im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG besonders qualifizierte öffentliche Interessen zu verstehen, die den sofortigen Vollzug des angefochtenen Rechtsakts zwingend gebieten. Dies ist nicht bereits bei jedem öffentlichen Interesse der Fall, sondern es bedarf noch des Hinzutretens weiterer Umstände, um ein zwingendes öffentliches Interesse anzunehmen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn mit dem Aufschub eine konkrete drohende Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen bzw. deren Eigentum verbunden wäre. Daneben lassen sich als relevante Gesichtspunkte die Gefährdung der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs und des Abgabenanspruchs als solchen sowie die Gefährdung der Versorgungslage breiter Bevölkerungsteile (z. B. mit Wasser oder Energie) erkennen. Vgl. mwN z. B. VwGH 31.01.2020, Ra 2019/06/0277, VwGH 20.02.2018, Ra 2017/05/0293, VwGH 20.03.2013, AW 2013/05/0003, sowie die weiteren Beispiele aus der Judikatur bei Gruber § 30 VwGG Rz 5a, in: Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 (2017).

Zwingende öffentliche Interessen, die der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegenstehen, erkannte der Verwaltungsgerichtshof auch im Falle eines mehrfach straffälligen Revisionswerbers, der Revision gegen eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erhob, mit der dieses im Rechtsmittelweg den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan ausgesprochen und eine 14- tägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt hatte. Der Revisionswerber war wegen Vergehen nach dem SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt wurden. Außerdem war er mit - noch nicht rechtskräftigem - Urteil wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 dritter und vierter Fall StGB, des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, § 106 Abs 1 Z 1 letzter Fall StGB in Anwendung des § 19 Abs 1 JGG zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Verwaltungsgerichtshof entschied, dass vor dem Hintergrund, dass die Suchtgiftdelinquenz ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonderes großes öffentliches Interesse gegeben ist, und in Anbetracht des der genannten noch nicht rechtskräftigen Verurteilung zugrunde liegenden massiven Fehlverhaltens der beantragten Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen. Vgl. VwGH 12.09.2019, Ra 2019/20/0322; vgl. auch VwGH 01.04.2019, Ra 2018/19/0643, angesichts einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, wovon zehn Monate bedingt nachgesehen wurden, wegen des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 3 erster Fall SMG ging der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls von zwingenden öffentlichen Interessen, die der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegenstehen, aus. Vgl. ferner VwGH 07.04.2005, AW 2005/18/0101.

Bei der Interessenabwägung, die nach der Prüfung zwingender öffentlicher Interessen vorzunehmen ist, sind alle individuellen und öffentlichen Interessen zu berücksichtigen; vgl. mwN Gruber § 30 VwGG Rz 5b, in: Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 (2017).

Dem gewichtigen öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens kommt bei der Interessenabwägung wesentliche Bedeutung zu; vgl. VwGH 31.10.2019, Ra 2019/19/0493. In diesem Sinne sprach der Verwaltungsgerichtshof am 30.05.2019, Ra 2019/22/0104, bei der Interessenabwägung nach § 30 Abs 2 VwGG aus, die Revisionswerberin beeinträchtige durch ihren unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet das große öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, und gab dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht statt.

Ferner gab der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 04.11.2019, Ra 2019/21/0244, dem Antrag, der Revision gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, betreffend insbesondere Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt unbefristetem Einreiseverbot, die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nicht statt. Der Verwaltungsgerichtshof begründete seine Entscheidung damit, dass die für den Revisionswerber mit dem Abwarten der Entscheidung über die Revision in seinem Herkunftsstaat Türkei verbundenen Konsequenzen - nach der unter Bedachtnahme auf alle Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere auch darauf, dass in Österreich kein Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK bestand, vorgenommenen Abwägung der wechselseitigen Interessen - keinen unverhältnismäßigen Nachteil im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG darstelle.

In seiner Entscheidung vom 14.11.2019, Ra 2019/19/0475, gab der Verwaltungsgerichthof dem Antrag, einer gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, hingegen statt. Der Revisionswerber hatte unter anderem vorgebracht, er werde bei einer Abschiebung in seinen Herkunftsstaat von seiner in Österreich lebenden Familie und im Besonderen von seinem erst im Jahr 2019 geborenen Sohn getrennt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe sich zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung innerhalb der gesetzten Frist nicht geäußert. Ausgehend davon sei nicht zu erkennen, dass der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zwingende oder zumindest überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen.

3.3.

3.3.1. Dagegen, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.11.2019, Zahl L527 2181042-1/28E, erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, spricht zunächst, dass die Sachverhaltsfeststellungen in diesem Erkenntnis nicht von vornherein als unschlüssig zu erkennen sind und auch keine ins Auge springenden Mängel aufweisen. Das zeigt sich gegenständlich nicht zuletzt in der Tatsache, dass der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen das Erkenntnis erhobenen Beschwerde ablehnte.

3.3.2. Soweit der Antragsteller seinen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung damit begründet, dass er ansonsten ohne Aussicht auf Hilfestellung gezwungen wäre, in den Iran zurückzukehren, ist er überdies dem Erfordernis, den mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses verbundenen unverhältnismäßigen Nachteil in konkreter Weise darzulegen, nicht nachgekommen. Es ist insofern auch nicht ohne Weiteres zu erkennen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung vorlägen. Dem unsubstantiierten Vorbringen ist nämlich weder zu entnehmen, worin - bei angenommener fehlender Hilfestellung - der unverhältnismäßige Nachteil bestehen sollte, noch welcher Hilfestellung der Antragsteller bedürfe und auf welchen Erwägungen sich gründet, dass er sie nicht erfahren würde. Mit dieser Antragsbegründung entfernt sich der Antragsteller überdies von den Feststellungen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung betreffend Grundversorgung und familiären Rückhalt im Herkunftsstaat traf und denen der Antragsteller in der Revision nicht entgegentritt.

3.3.3. Zur Argumentation, dass die Abschiebung eine Trennung von der minderjährigen Tochter und Ehegattin bedeuten und dies jedenfalls einen massiven Eingriff in seine subjektiven Rechte darstellen würde, ist festzuhalten: Nach der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist nicht einmal eine mögliche Verletzung in subjektiven Rechten, die ohnedies nicht im Provisorialverfahren zu prüfen ist, ein Grund für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Noch weniger kann daher ein vom Antragsteller behaupteter massiver Eingriff in subjektive Rechte die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen. Nur in Zusammenschau mit der eigentlichen Revision lässt sich gerade hinreichend erkennen, inwiefern der Antragsteller geltend macht, dass mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses für ihn ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Der Antragsteller ist zwar strafgerichtlich, jedoch keineswegs verwaltungsstrafrechtlich unbescholten. Dennoch geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gegenständlich keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegenstehen. Dieser Schluss ist unter Bedachtnahme auf jene unter 3.2.2. genannten Sachverhaltskonstellationen zu ziehen, bei denen der Verwaltungsgerichtshof zwingende öffentliche Interessen erkannte, etwa bei Suchtgiftdelinquenz. Die vom Antragsteller übertretenen Verwaltungsvorschriften dienen dem Schutz bedeutsamer Rechtsgüter (Leben, Gesundheit und körperliche Integrität), sodass der Verstoß gegen die öffentliche Ordnung keineswegs unbedeutend ist. Dennoch fehlt es - in Relation etwa zu Suchtgiftdelinquenz - gegenständlich an jenen weiteren Umständen, die hinzutreten müssen, um im Provisorialverfahren das Vorliegen eines zwingenden öffentlichen Interesses zu begründen. Zu beachten ist ferner, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keine Stellungnahme erstattete und somit weder zwingende öffentliche Interessen, die der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls entgegenstehen, noch bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Interessen geltend machte.

Der (weitere) Aufenthalt des Antragstellers im österreichischen Bundesgebiet läuft durchaus gewichtigen öffentlichen Interessen zuwider. Neben den bereits angesprochenen Verwaltungsübertretungen beeinträchtigt auch der unrechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung, wobei zu bedenken ist, dass das öffentliche Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen von hohem Gewicht ist.

3.3.4. Somit gibt es bedeutsame Argumente gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. In dem gegenständlichen Fall ähnelnden Sachverhaltskonstellationen schien der Verwaltungsgerichtshof diesen aus seiner eigenen Judikatur folgenden Argumenten jedoch bislang kein derart großes Gewicht beizumessen, dass sie der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Ergebnis entgegengestanden wären; vgl. nochmals VwGH 14.11.2019, Ra 2019/19/0475, und VwGH 04.11.2019, Ra 2019/21/0244. Dieser Judikatur folgend und mit Blick auf das vom Antragsteller in Österreich geführte Familienleben mit Ehegattin und minderjährigem Kind gibt das Bundesverwaltungsgericht dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung spruchgemäß statt.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Revision unverhältnismäßiger Nachteil

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L527.2181042.1.00

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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