TE Vfgh Erkenntnis 2020/6/8 E4019/2019

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Veröffentlicht am 08.06.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §10
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung in einem Verfahren über die Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten; mangelhafte Auseinandersetzung mit der strafrechtlichen Unbescholtenheit und der Integration eines seit sieben Jahren in Österreich aufhältigen afghanischen Staatsangehörigen

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen die Aussprüche, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise bestehe, abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans und stammt aus der Provinz Nangarhar. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 2. September 2013 wurde ihm im Alter von 15 Jahren der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt, die bis 2. September 2018 zweimal verlängert wurde.

2. Mit Bescheid vom 7. Februar 2019 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §9 Abs1 Asylgesetz 2005 ab (Spruchpunkt I.), entzog die Aufenthaltsberechtigung gemäß §9 Abs4 Asylgesetz 2005 (Spruchpunkt II.), wies den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung gemäß §8 Abs4 Asylgesetz 2005 ab (Spruchpunkt III.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach §57 Asylgesetz 2005 (Spruchpunkt IV.), erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z4 FPG (Spruchpunkt V.), stellte fest, dass die Abschiebung gemäß §46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt VI.) und sprach aus, dass gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage betrage (Spruchpunkt VII.).

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab, im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Beschwerdeführer wegen seiner hinzugewonnenen Lebens- und Berufserfahrung, seiner gewonnenen Kontakte und der Beziehung zu seiner Familie in Afghanistan im Falle der Rückkehr nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat nicht mehr in eine mit unmenschlicher Behandlung im Sinne von Art3 EMRK gleichzusetzende Lage geriete. Es ging weiters davon aus, dass die Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei, im Wesentlichen mit der Begründung, dass er sich bewusst sein habe müssen, dass die Gewährung von subsidiärem Schutz kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht biete und er seit Begehung der festgestellten Straftat jedenfalls nicht mehr davon ausgehen durfte, dass seine Aufenthaltsberechtigung verlängert werden würde. Auch sei der Beschwerdeführer bis zu seinem 14. Lebensjahr in Afghanistan aufgewachsen, habe ein gutes Verhältnis zu seiner Familie in Afghanistan und nach wie vor entsprechende Bindungen zur Herkunftsgesellschaft.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt. Von der Erstattung einer Gegenschrift wurde abgesehen.

II. Erwägungen

Die Beschwerde ist zulässig.

A. Soweit sie sich gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen die Aussprüche, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise bestehe, ist sie auch begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Abgesehen davon, dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes die notwendige Sorgfalt in ihrer Ausführung vermissen lässt, wie an dem unvermittelten Abreißen eines Satzes, doppelten Textpassagen und falschen Daten zu erkennen ist, geht das Bundesverwaltungsgericht einerseits davon aus, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht straffällig geworden sei, andererseits stellt es – in Widerspruch dazu – in weiterer Folge fest, dass der Beschwerdeführer eine Straftat verübt habe. Dazu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Annahme, das öffentliche Interesse an der Beendigung seines Aufenthaltes überwiege, völlig außer Acht lässt, dass der Beschwerdeführer während seines über siebenjährigen Aufenthaltes in Österreich Schulungsmaßnahmen absolviert hat, Lehrling im Einzelhandel ist und in einem Arbeitsverhältnis steht, das ihm Selbsterhaltungsfähigkeit sichert.

Das Bundesverwaltungsgericht hat somit seine Entscheidung mit Willkür belastet, indem es die Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich straffällig geworden ist, bei der zu beurteilenden Aufenthaltsbeendigung widersprüchlich beantwortet und die zu Gunsten des Beschwerdeführers einzubeziehenden Umstände gänzlich ignoriert.

Soweit sich die Entscheidung auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und die Aussprüche, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise bestehe, bezieht, ist sie daher aufzuheben.

B. Im Übrigen (also hinsichtlich der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Entziehung der Aufenthaltsberechtigung, der Abweisung des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung und der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Soweit die vorliegende Beschwerde sonstige verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte rügt, wären diese Rechtsverletzungen nach den Beschwerdebehauptungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, insoweit nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen die Aussprüche, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise bestehe, abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere (die genannten Spruchpunkte betreffende) Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Rückkehrentscheidung, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E4019.2019

Zuletzt aktualisiert am

09.09.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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