TE Vfgh Erkenntnis 1996/2/27 B3786/95

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Veröffentlicht am 27.02.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mangels Vorliegen einer ortsüblichen Unterkunft; Unterlassen der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführer zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres wurde der Antrag eines jugoslawischen Staatsangehörigen, der - nach seinen eigenen, unwidersprochen gebliebenen Ausführungen - seit 1991, u.zw. nunmehr gemeinsam mit seiner Ehefrau sowie seinem 1995 geborenen Sohn, die beide österreichische Staatsbürger sind, in Österreich lebt, unter Berufung auf §5 Abs1 AufG abgewiesen.

Die belangte Behörde begründet den die Aufenthaltsbewilligung versagenden Bescheid mit folgenden Ausführungen:

"Sie haben am 24.8.1993 an die oben genannte Behörde einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt.

Die genannte Behörde hat diesen Antrag mit der Begründung abgewiesen, daß die vom Gesetz verlangte ortsübliche Unterkunft nicht gegeben ist. Dabei hatte die Behörde auch die allgemeine Wohnsituation in der unmittelbaren Umgebung der angegebenen Wohnung zu berücksichtigen.

Gegen diese Beurteilung haben Sie im wesentlichen eingewendet, daß Sie eine andere Unterkunft seit 27.5.1994 hätten und somit der angeführte Ausschlußgrund nicht gegeben sei.

Diese Einwendungen haben allerdings nicht belegen können, aus welchen Gründen die Ermessensausübung der Behörde bei der Beurteilung der Ortsüblichkeit der Wohnung gesetzwidrig gewesen wäre. Gerade die Notwendigkeit, in einem ohnedies sensiblen Wohnbereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, macht es erforderlich, strenge Maßstäbe an die Beurteilung der Ortsüblichkeit von Wohnverhältnissen von Zuwanderern anzulegen. Ist eine für Inländer ortsübliche Unterkunft für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert, so darf gemäß §5 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes eine Bewilligung nicht erteilt werden.

Diese Beurteilung zeigt in Ihrem Fall, daß bei der in der Berufungsschrift angeführten Wohnung die Mietdauer bereits abgelaufen ist. Einer Aufforderung zur Mitwirkung am Verfahren zur Aufklärung dieses Sachverhaltes sind Sie nicht nachgekommen, wodurch die Anwendung der Norm des §5 Abs1 AufG durchzuführen war.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. a) Der angefochtene, eine Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG versagende Bescheid greift in das dem Beschwerdeführer durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein, da sich der Beschwerdeführer schon längere Zeit rechtmäßig in Österreich aufhält und hier mit seiner Ehefrau und seinem Kind, die beide österreichische Staatsbürger sind, lebt.

b) Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

c) Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfGH 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungsbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

d) Die belangte Behörde hat in dem angefochtenen Bescheid eine solche iS des Art8 EMRK gebotenen Interessenabwägung nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war daher aus diesem Grund aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von S 3.000,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B3786.1995

Dokumentnummer

JFT_10039773_95B03786_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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