Entscheidungsdatum
03.06.2019Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13Spruch
L507 2219447-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Libanon, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.05.2019, Zl. 1228860507 - 190467750, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, sodass Spruchpunkte II. wie folgt zu lauten hat:
"II. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Libanon abgewiesen."
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Libanon, versuchte am 07.05.2019 am Flughafen Wien-Schwechat nach Österreich einzureisen. Im Zuge einer Identitätsfeststellung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.05.2019 führte der Beschwerdeführer aus, er sei libanesischer Staatsangehöriger und habe zuletzt in der Stadt Saida (auch Sidon) gelebt. Er sei geschieden und habe eine zweieinhalb jährige Tochter. Die Eltern und Geschwister sowie die geschiedene Ehegattin und die Tochter des Beschwerdeführers würden nach wie vor im Libanon leben. Der Beschwerdeführer habe als Bauarbeiter gearbeitet. Er habe seine Ex-Gattin vor vier Jahren ohne die Zustimmung ihrer Eltern geheiratet, weshalb er immer wieder Probleme mit der Familie seiner Ex-Gattin gehabt habe. Der Beschwerdeführer und seine damalige Gattin sowie seine Tochter seien deswegen gezwungen gewesen, ständig an verschiedenen Orten zu wohnen und sich versteckt zu halten. Die Familie der Ex-Gattin des Beschwerdeführers habe dem Beschwerdeführer ständig nach dem Leben getrachtet. Die Ex-Gattin des Beschwerdeführers habe dieses Leben nicht mehr ausgehalten und sei schließlich zu ihren Eltern zurückgekehrt. Die Familie der Ex-Gatten des Beschwerdeführers habe den Beschwerdeführer töten wollen und zwar aus Blutrache. Aus Angst um sein Leben habe der Beschwerdeführer schließlich den Libanon verlassen. Ansonsten habe er keine Gründe für eine Asylantragstellung.
Am 15.05.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen, wobei er im Wesentlichen vorbrachte, dass er libanesischer Staatsangehöriger sei und seine Eltern, seine Geschwister sowie seine Tochter und seine Ex-Gattin nach wie vor im Libanon leben würden. Der Beschwerdeführer habe im Dorf XXXX in der Nähe der Stadt Sidon gelebt und als selbstständiger Maurer gearbeitet. Den Libanon habe der Beschwerdeführer verlassen, weil er von seinen Ex-Schwiegereltern getötet werden hätte sollen. Der Beschwerdeführer habe nämlich seine Ex-Gattin ohne die Zustimmung ihrer Eltern vor ungefähr drei oder vier Jahren geheiratet, indem er seine Ex-Gattin entführt habe. Ungefähr vor drei oder vier Monaten sei die Ex-Gattin des Beschwerdeführers mit der gemeinsamen zweieinhalb jährigen Tochter zu ihren Eltern, die in einem benachbarten Dorf leben, geflüchtet. Danach sei die Scheidung von einem geistlichen Vertreter vollzogen worden. Der Beschwerdeführer sei von der Familie seiner Ex-Gattin immer wieder bedroht worden, weil er diese ohne das Einverständnis ihrer Familie geheiratet habe. Die Familie der Ex-Gattin des Beschwerdeführers sei sehr einflussreich, weshalb eine Verständigung oder eine Anzeige bei den Behörden nichts gebracht hätte. Aus diesem Grund habe der Beschwerdeführer den Libanon verlassen.
2. Mit Schreiben vom 20.05.2019 teilte UNHCR mit, dass die Zustimmung gemäß
§ 33 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt werde, da das Vorbringen in Einklang mit Beschluss Nr. 30 des UNHCR-Exekutivkomitees als offensichtlich unbegründet eingestuft werden könne.
3. Mit Bescheid des BFA vom 20.05.2019, Zl. 1228860507 - 190467750, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 33 Abs. 1 Z 1 und 2 iVm § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß
§ 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt.
Das BFA traf im angefochtenen Bescheid die Feststellungen, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe. Der Beschwerdeführer sei Staatsangehöriger des Libanon, gehöre der arabischen Volksgruppe an und sei schiitischer Moslem. Er habe im Libanon als Maurer selbstständig gearbeitet, sei geschieden und habe eine zweieinhalb jährige Tochter. Die Angehörigen des Beschwerdeführers, seine Eltern und seine Geschwister würden nach wie vor im Libanon in XXXX leben. Der Beschwerdeführer sei gesund und arbeitsfähig.
Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Begründung für das Verlassen seines Herkunftsstaates - Blutrache und Probleme mit den Schwiegereltern - seien nicht glaubhaft.
Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer asylrelevanten Gefährdung oder Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. sei.
Der Beschwerdeführer verfüge im Libanon über familiäre Anknüpfungspunkte. Er sei arbeitsfähig und verfüge über Berufserfahrung und die elementare Grundversorgung im Libanon sei gewährleistet.
Es könne unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation [gemeint: Libanon] dort einer realen Gefahr der Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen könnte.
Der Beschwerdeführer verfüge im Herkunftsstaat über soziale und familiäre Bezugspunkte - seine Angehörigen, seine Eltern und seine Geschwister würden dort leben.
Der Beschwerdeführer sei ein gesunder und junger 26-jähriger Mann, habe einen Schulabschluss, sei arbeitsfähig und habe seinen Lebensunterhalt bisher aus eigenem als selbständiger Maurer bestritten. Dies könne er auch weiterhin tun.
Der Beschwerdeführer sei von seiner Familie (insbesondere durch seinen Vater) finanziell unterstützt worden und würde deshalb auch Unterstützungs- und Unterkunftsmöglichkeit im Libanon vorfinden. Aufgrund seiner Berufsausbildung und Arbeitsfähigkeit sei der Lebensunterhalt gewährleistet.
In Österreich habe der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen oder Verwandte.
Der Beschwerdeführer sei bisher noch nie in Österreich gewesen und habe daher keine Anknüpfungspunkte zu Österreich. Der Beschwerdeführer spreche nicht Deutsch.
Das BFA traf sodann die nachfolgend wiedergegebenen Feststellungen zur Lage im Libanon:
"Politische Lage
Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Politische Parteien sind zugelassen; sie sind jedoch in der Praxis meist Zweckbündnisse, die vor allem auf der Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe basieren. Die Verfassung des Landes schreibt eine Trennung der Gewalten vor. Parlamentswahlen sollen alle vier Jahre abgehalten werden; der Staatspräsident wird von den Abgeordneten für sechs Jahre gewählt. Das libanesische System wird von der Zusammenarbeit der verschiedenen religiösen Gruppen getragen; daneben spielen Familien- und regionale Interessen eine große Rolle (AA 1.3.2018).
Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Taif-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten "Dokument der Nationalen Versöhnung" (AA 1.3.2018). In diesem sogenannten Taif-Abkommen wurde festgelegt, dass die drei wichtigsten Ämter im Land auf die drei größten Konfessionen verteilt werden:
? Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein
? Der Parlamentspräsident muss schiitischer Muslim sein
? Der Regierungschef muss sunnitischer Muslim sein
Dieser Proporz bestimmt die gesamte Verwaltung und macht auch vor der Legislative nicht halt. Das Parlament mit seinen 128 Mitgliedern setzt sich nach dem Grundsatz der konfessionellen Parität wie folgt zusammen:
34 Maroniten, 27 Schiiten, 27 Sunniten, 14 griechisch-orthodoxe Christen, 8 Drusen, 8 melikitische/griechisch-katholische Christen, 5orthodoxe Armeniern, 2 Alewiten, 1 armenischer Katholik, 1 Protestant und 1 weitere Minderheit (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 20.4.2018).
Bei der im Abkommen von Taif vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es bisher keine Fortschritte (AA 1.3.2018).
Das Parlament des Libanon ist konfessionsübergreifend in zwei politische Blöcke gespalten, die einander im Libanon unversöhnlich gegenüberstehen:
? die von der schiitisch geprägten und vom Iran beeinflussten Hisbollah angeführte 8.März-Koalition und
? die eher westlich orientierte, sunnitisch geprägte und von Saad Hariri (Future Movement; arab.: (al-)Mustaqbal) angeführte 14. März-Bewegung (BBC 4.11.2014; vgl. GIZ 6/2018).
Die traditionelle Feindschaft zwischen diesen beiden Blöcken wurde durch den Konflikt im benachbarten Syrien zusätzlich vertieft, als schiitische Hisbollah-Kämpfer sich auf die Seite der syrischen Regierung stellten, während die 14. März-Bewegung die syrischen Rebellen unterstützte (BBC 4.11.2014; vgl. GIZ 6/2018).
Diese Polarisierung lähmt das Land politisch und ökonomisch, verstärkt konfessionelle Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten und erschwert bzw. verhindert außerdem die Erarbeitung notwendiger Lösungen für die ökonomischen, sozialen und politischen Herausforderungen (GIZ 6/2018).
Aufgrund schwer erzielbarer Mehrheiten war es auch jahrelang nicht möglich, ein Wahlgesetz zu verabschieden. Dies führte dazu, dass die Parlamentswahl 2013 ausgesetzt und das Mandat der Abgeordneten mehrfach verlängert wurde (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 20.4.2018).
Am 31. Oktober 2016 wurde nach zweieinhalb Jahren und 45 gescheiterten Versuchen ein neuer Präsident gewählt. Mit der Wahl des maronitischen Christen Michel Aoun kam Bewegung in die stark polarisierte libanesische Politik. Da Aoun als Kandidat der schiitischen Hisbollah für das Amt des Präsidenten galt, wurde er zunächst von Premierminister Saad Hariri abgelehnt. Seine Wahl wurde schließlich erst durch eine überraschende Kehrtwende Hariris ermöglicht. Im Gegenzug beauftragte Aoun Hariri, eine neue Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Zwei Monate nach der Präsidentschaftswahl wurde am 19. Dezember 2016 eine neue Regierung vereidigt (GIZ 6/2018).
Im Juni 2017 konnte sich das politische Establishment schließlich auf ein neues Wahlrecht einigen. Dieses sieht unter anderem vor, das Mehrheitswahlrecht durch das Verhältniswahlrecht abzulösen. Hierdurch sollten kleinere Parteien und Wählergruppen gestärkt werden, doch das von den Regierungsparteien außerhalb des Parlaments verhandelte Wahlgesetz enthält zahlreiche Einschränkungen der Verhältniswahl wie beispielsweise eine sehr hohe Einzugshürde bei zehn Prozent.
Positiv ist jedoch, dass die Parteien faktisch gezwungen werden, konfessionsübergreifende Listen zu bilden. Wenn es in einem Wahlkreis die Festlegung gibt, dass hier zwei Sitze für Christen und drei Sitze für Muslime vergeben werden, müssen hier die Parteien eine gemeinsame Liste bilden, um antreten zu dürfen.
Im neuen Wahlgesetz werden Jugendliche unter 21 ausgeschlossen. Auch wurde keine Quote für weibliche Parlamentsabgeordnete eingeführt, obwohl der Libanon eines der Länder mit der niedrigsten Zahl an weiblichen Abgeordneten ist. Der christlich-muslimische Proporz des Parlaments wird durch das Gesetz nicht berührt (GIZ 6/2018).
Am 6. Mai 2018 fanden nach jahrelanger Pattstellung schließlich erstmals seit 2009 erneut Parlamentswahlen statt.
77 Listen mit insgesamt 597 Kandidaten waren für die Wahl um 128 Parlamentssitze in 26 Distrikten registriert. Die Anzahl der weiblichen Kandidaten nahm gegenüber der letzten Wahl auf 86 zu und betrug somit nun 14,4 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei 49,2 Prozent, nach 53,37 Prozent im Jahr 2009. Die offiziellen Ergebnisse weisen die Sitze wie folgt zu: Future Movement [Anm.: arab. - (al-)Mustaqbal], 21; Free Patriotic Movement, 20; Amal, 17; Libanese Forces, 15; Hisbollah, 12; Progressive Socialist Party, 8; die "Determination (Azem)" Bewegung des ehemaligen Premierministers Mikati, 4; Marada, die Syrian Social Nationalist Party, Kataeb und Tashnaq, jeweils 3 Sitze. Zum ersten Mal gewann ein Kandidat der Zivilgesellschaft einen Sitz durch die Wahlliste "Koulouna Watani" in Beirut. Die Zahl der gewählten Frauen im Parlament stieg von vier auf sechs (UN 13.7.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).
Die Hisbollah und ihre politischen Verbündeten (darunter auch das Free Patriotic Movement FPM, eine christliche Partei unter der Führung von Präsident Michel Aoun, die wie 2009 knapp zwanzig Sitze erringen konnte), gewannen somit mit 65 knapp die Hälfte der 128 Sitze im Parlament, während der vom Westen unterstützte sunnitische Premierminister Saad al-Hariri zwar mehr als ein Drittel seiner Sitze verlor, aber mit 21 Parlamentsmitgliedern immer noch Führer des größten politischen Blocks ist. Zu diesem Block gehört auch die christliche, gegen die Hisbollah auftretende anti-syrische Partei "Libanese Forces", die als zweiter großer Sieger bei dieser Wahl ihre Mandate gegenüber der Wahl 2009 beinahe verdoppelte.
Insgesamt betrachtet haben somit die vom Iran unterstützte Hisbollah und ihre politischen Verbündeten bei den Parlamentswahlen etwas an Einfluss gewonnen (RFE 7.5.2018, vgl. ICG 9.6.2018), wenngleich sich an der grundsätzlichen Machtstruktur nichts geändert hat. Der bisherige Premier Hariri wurde trotz der Wahlverluste neuerlich damit beauftragt, eine Regierung zu bilden (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 29.5.2018).
Im Libanon leben schätzungsweise zwischen 4,5 und 6,2 Millionen Menschen, je nachdem, inwieweit die große Zahl von Flüchtlingen mitberücksichtigt wird oder nicht (CIA 14.8.2018, vgl. GIZ 6/2018). Neben etwa 450.000 [Anm.: bei der UNRWA registrierten] palästinensischen Flüchtlingen - die Zahl der derzeit tatsächlich im Libanon aufhältigen palästinensischen Flüchtlinge beläuft sich laut einer aktuellen Volkszählung auf 174.422 Personen (Daily Star 21.12.2017) - sind im Libanon laut UNHCR etwa eine Million syrische Flüchtlinge registriert, was mehr als 25% der Wohnbevölkerung des Landes entspricht. Der Libanon beherbergt somit mehr syrische Flüchtlinge als jedes andere Land der Region. Der Krieg in Syrien hat nicht nur durch die große Flüchtlingswelle enorme Auswirkungen auf den Libanon, vielmehr droht der Konflikt das sensible Gefüge der libanesischen Gesellschaft zu zerreißen. Während die Hisbollah und ihre Anhänger den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad unterstützen, sympathisieren die Anhänger des Lagers 14. März mit den syrischen Rebellen, die Assad bekämpfen. Seit Beginn des militärischen Engagements der Hisbollah in Syrien zugunsten des Assad-Regimes hat sich die politische Spaltung des Libanon vertieft und führt zunehmend zu einem gewalttätigen konfessionellen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Gleichzeitig - und obwohl die Hisbollah das Hariri-Bündnis beschuldigt, die radikalen Sunniten zu decken und im Gegenzug das Hariri-Bündnis wiederum die Hisbollah beschuldigt, den Libanon in den Krieg in Syrien hineinzuziehen - bilden beide Kontrahenten derzeit mit anderen politischen Kräften eine zwar konfliktreiche, aber durchaus funktionierende Regierung der nationalen Einheit, die es tatsächlich geschafft hat, ein Überschwappen des Bürgerkrieges aus Syrien zu verhindern (GIZ 6/2018, vgl. AA 1.3.2018).
Geschwächt durch die sich vertiefenden Gräben zwischen und innerhalb der Gemeinschaften [Anm.: Konfessionen] hat der libanesische Staat schrittweise seine Hauptaufgabe der Regierung und als Manager repräsentativer Politik aufgegeben und stützt sich vermehrt auf Sicherheitsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Stabilität und des Status Quo (ICG 23.2.2016).
Der Libanon ist kein funktionierender Staat, deshalb haben sich die Menschen im Libanon immer mehr auf Klientelismus, anstatt auf den Staat verlassen. Politiker benutzen Geld, Ressourcen und Dienstleistungen, um sich eine Basis in der Bevölkerung zu schaffen. Diese Entwicklung in Kombination mit den konfessionellen Spannungen sowie den Auswirkungen von der Syrienkrise steht ernstzunehmenden Entwicklungsprozessen entgegen (Daily Star 30.12.2014).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin
- BBC-News (4.11.2014): Lebanon Profile, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-14648681, Zugriff 24.8.2018
- CIA (14.8.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/le.html, Zugriff 17,8,2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3/2018): Libanon - Gesellschaft, https://www.liportal.de/libanon/gesellschaft/; Zugriff 8.8.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6/2018): Libanon - Überblick: https://www.liportal.de/libanon/ueberblick/, Zugriff 8.8.2018
- ICG - International Crisis Group (23.2.2016): Arsal in the Crosshairs: The Predicament of a Small Lebanese Border Town: http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1456410095_b046-arsal-in-the-crosshairs-the-predicament-of-a-small-lebanese-border-town.pdf; Zugriff am 24.8.2018
- ICG - International Crisis Group (9.6.2018): In Lebanon's Elections, More of the Same is Mostly Good News,
https://www.ecoi.net/de/dokument/1432128.html, Zugriff 24.8.2018
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (7.5.2018): Iran-Backed Hizballah And Allies Make Big Gains In Lebanese Election, https://www.ecoi.net/de/dokument/1431871.html Zugriff 30.8.2018
- The Daily Star (21.12.2017): Census finds 174,422 Palestinian refugees in Lebanon, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2017/Dec-21/431109-census-finds-174422-palestinian-refugees-in-lebanon.ashx, Zugriff 10.9.2018
- The Daily Star (30.12.2014): Understanding the drive to extremism, http://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2014/Dec-30/282595-understanding-the-drive-to-extremism.ashx, Zugriff 24.8.2018
- UN Security Council (13.7.2018): Implementation of Security Council resolution 1701 (2006); Report of the Secretary-General; Reporting period from 1 March 2018 to 20 June 2018 [S/2018/703], https://www.ecoi.net/en/file/local/1439147/1226_1532506886_n1822402.pdf Zugriff 7.8.2018)
- USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436862.html, Zugriff 22.8.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8 2018
Sicherheitslage
Im folgenden Abschnitt finden sich allgemeine Informationen zur Sicherheitslage. Es wird ausdrücklich festgehalten, dass diese auch kurzfristig Änderungen unterworfen sein kann. Der besseren Übersichtlichkeit wegen ist die Darstellung der Sicherheitslage in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Abschnitt über palästinensische Flüchtlinge zu finden.
Die wichtigsten religiösen Hauptgruppen im Libanon sind Schiiten, Sunniten, Christen und Drusen. Die sich daraus ergebenden Spannungen sind die Ursache für die meisten der internen Konflikte im Libanon, und andere Staaten der Region haben diese internen Konflikte regelmäßig als Vorwand genutzt, um in dem Land einzugreifen. Darüber hinaus hat insbesondere die Präsenz der palästinensischen und syrischen Flüchtlinge immer wieder zu Konflikten Anlass gegeben. Von 1975 bis 1990 herrschte im Libanon Bürgerkrieg, in dem die regionalen Mächte, insbesondere Israel, Syrien und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) das Land als Schlachtfeld für ihre eigenen Konflikte benutzten (BBC 4.11.2014).
Anschließend kam es von 1992 bis 2004 zu einer Phase der Entspannung. Im Februar 2005 fiel der damalige Premierminister Rafik Hariri einem Attentat zum Opfer. Als Folge brach die sogenannte Zedernrevolution aus, die als Hauptforderung den Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon postulierte. Die sogenannte 14. März-Bewegung machte Syrien direkt für die Ermordung Hariris verantwortlich, zumal dieser zuvor die Stationierung syrischer Truppen im Libanon kritisiert und die Umsetzung der UN-Resolution 1559 gefordert hatte. Diese sieht den Rückzug aller ausländischen Truppen aus dem Libanon und die Entwaffnung und Auflösung der im Libanon aktiven Milizen vor, womit insbesondere die Hisbollah gemeint ist. Tatsächlich zog Syrien noch im April 2005 seine Truppen aus dem Libanon ab.
Die zivilen Behörden übten zwar weiterhin die Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitskräfte aus, gleichzeitig operierten aber palästinensische Sicherheits- und Milizkräfte, die Hisbollah und andere extremistische Elemente außerhalb der Leitung oder Kontrolle der Regierung (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2013 hatte die EU die Hisbollah auf die Terrorliste gesetzt; im Gegensatz zu den USA allerdings nur deren militärischen Arm und nicht den im Parlament vertretenen politischen Arm (SpiegelOnline 22.7.2013).
Trotz aller Spannungen konnte ein Übergreifen des Syrienkonflikts, in dem sich die libanesische Hisbollah-Miliz seit Frühjahr 2013 auf Seiten des syrischen Regimes beteiligt, auf libanesisches Territorium in den vergangenen Jahren weitgehend verhindert werden. Allerdings befanden sich bis August 2017 in der Gegend um den Grenzort Arsal aus Syrien eingedrungene Kämpfer auf libanesischem Staatsgebiet. Nach länger andauernden Kämpfen, in die auf libanesischer Seite neben den Streitkräften auch die Hisbollah-Miliz verwickelt war, verließen die eingekesselten IS-Kämpfer mit ihren Familien im Rahmen einer Waffenstillstandsvereinbarung mit Bussen die umkämpfte Gegend (AA 1.3.2018; vgl. AI 23.5.2018). Bei einem Antiterroreinsatz der libanesischen Armee in der Gegend von Arsal am 30.06.2017 wurden 350 Personen vorübergehend festgenommen, mindestens vier starben im Gewahrsam der Armee, nach Armeeangaben in Folge bereits bestehender gesundheitlicher Probleme. Menschenrechtsgruppen fordern eine unabhängige Untersuchung der Vorgänge. Der Fall soll militärgerichtlich aufgearbeitet werden (AA 1.3.2018; vgl. AI 23.5.2018).
Grundsätzlich ist es im Libanon so, dass die staatlichen Institutionen in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff haben. Dies gilt insbesondere für die meisten palästinensischen Flüchtlingslager. Die Sicherheitslage dort blieb im Allgemeinen stabil. Im Lager Ein El Helweh bei Sidon kam es allerdings zu einigen gewalttätigen Zwischenfällen und Schießereien. Bei Zusammenstößen im März und April 2018 zwischen extremistischen Gruppen und palästinensischen Streitkräften wurden vier Menschen getötet und elf verletzt (UN 13.7.2018). Detaillierte Informationen zur Lage in den Palästinenserlagern finden sich in Abschnitt 19.
Weiters sind die Zugriffsmöglichkeiten der libanesischen Staatsorgane insbesondere auch in den südlichen Vororten Beiruts und in den schiitischen Siedlungsgebieten im Süden des Landes eingeschränkt (AA 1.3.2018, vgl. USDOS 29.5.2018). Diese werden weitgehend von der Hisbollah kontrolliert, die der Bevölkerung auch grundlegende Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheitsvorsorge, Bildung, Lebensmittelhilfe, innere Sicherheit und Erhaltung der Infrastruktur zur Verfügung stellt (USDOS 29.5.2018).
Bei der von der UN geforderten Abrüstung aller bewaffneten Gruppen einschließlich der palästinensischen Milizen und dem militärischen Flügel der Hisbollah konnten bislang keine Fortschritte erzielt werden. Die Hisbollah bestätigte weiterhin öffentlich, über entsprechende militärische Kapazitäten zu verfügen. Somit ist die libanesische Regierung weiterhin nicht in der Lage, die volle Souveränität und Autorität über ihr Territorium auszuüben (UN 13.7.2018).
Am 5. und 23. April 2018 inhaftierten die libanesischen Streitkräfte 15 der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Gruppe verdächtigte syrische Staatsangehörige, und beschlagnahmten während einer Razzia in einer informellen syrischen Flüchtlingssiedlung in Arsal Waffen und Munition. Am 14. Mai verhaftete die libanesische General Security in Al-Hirmil zwei syrische Staatsangehörige wegen ihrer Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen. Am 17. Mai 2018 wurde ein angeblicher Waffenhändler in Akkar im Nordlibanon von den Streitkräften der Internen Sicherheit verhaftet (UN 13.7.2018).
Das österreichische Außenministerium hat für das gesamte syrische Grenzgebiet, die Bekaa-Ebene nördlich von Baalbek und für die Palästinenserlager und deren Umgebung, insbesondere Ein Al-Hilweh und Mieh Mieh bei Saida (Sidon) und Nahr al Bared und Beddawi bei Tripoli Reisewarnungen ausgesprochen. Ein hohes Sicherheitsrisiko wird allgemein für die Provinzen Tripoli und Akkar, die südlichen Vororte Beiruts (Dahiye), die südlichen Stadtränder von Sidon/Saida (Ein El-Hilweh), das israelische Grenzgebiet und die restliche Bekaa-Ebene, einschließlich Baalbek ausgewiesen (BMeiA 11.7.2018).
Das Schweizer Außenministerium warnt vor zahlreichen nicht explodierten Bomben und Minen in der Bekaa-Ebene. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. In und um die Stadt Arsal (Anmerkung: auch Ersal, Irsal, Aarsal geschrieben) sowie um Ras Baalbek und Qaa kommt es regelmäßig zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppierungen. Spannungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen, aber auch innerhalb einzelner Gemeinschaften, können sich in bewaffnete Konfrontationen oder Anschlägen entladen. Im Juni 2016 forderten Selbstmordanschläge in Qaa mehrere Todesopfer und Verletzte. Im März 2011 wurde in der Nähe von Zahlé in der südlichen Bekaa-Ebene eine Gruppe ausländischer Touristen entführt und mehrere Monate lang festgehalten. Seither sind mehrere Entführungen bekannt geworden. Besonders die Zahl von Entführungen mit hohen Lösegeldforderungen hat zugenommen (EDA 5.12.2017).
Die Spannungen in den Flüchtlingslagern sind groß und können sich auch aus geringen Anlässen in Gewalttaten entladen. In Saïda (Sidon) kommt es vereinzelt zu Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Im Südlibanon finden laufend Truppenverschiebungen statt. Insbesondere im libanesisch-israelischen Grenzgebiet und nochmal verstärkt südlich des Litani-Flusses bis zur israelischen Grenze sind die Spannungen sehr hoch (EDA 5.12.2017). Auch das Britische Außenministerium betont die permanente Gefahr von Terroranschlägen (gov.uk o.D.).
Ende März 2018 verabschiedete das libanesische Kabinett eine nationale Strategie zur Verhinderung von gewalttätigem Extremismus - eine Initiative, die der inzwischen geschäftsführende Ministerpräsident Saad Hariri im Rahmen eines globalen Aktionsplans der Vereinten Nationen vorangetrieben hat. Es wird geschätzt, dass der Prozess weitere acht Monate [Anm: bis Anfang 2019] dauern wird, bis die Bürger ihn in ihren Gemeinden umsetzen werden. Neben Tunesien und Marokko ist der Libanon einer der Pioniere in der Region, der eine solche Strategie umsetzt (Daily Star 27.6.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin
- AI - Amesty International (23.5.2018): Libanon 2017/2018, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/libanon, Zugriff 10.9.2018
- BBC-News (4.11.2014): Lebanon Profile, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-14648681, Zugriff 30.1.2015
- BMeiA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (Stand 3.9.2018, unverändert gültig seit: 11.07.2018): Reiseinformation Libanon, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/libanon/, Zugriff 3.9.2018
- Daily Star (27.6.2018): Strategizing prevention of violent extremism, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2018/Jun-27/454477-strategizing-prevention-of-violent-extremism.ashx, Zugriff 5.9.2018
- Spiegel Online (22.7.2013): EU setzt Hisbollah-Miliz auf Terrorliste, http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-setzt-hisbollah-miliz-auf-die-eu-terrorliste-a-912397.html, Zugriff 10.9.2018
- EDA - Eidgenössisches Department für auswärtige Angelegenheiten (5.12.2017): Reisehinweise für den Libanon Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/libanon/reisehinweise-libanon.html, Zugriff 29.8.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6/2018): Libanon - Überblick: https://www.liportal.de/libanon/ueberblick/; Zugriff 8.8.2018
- Gov.uk (o.D.): Foreign Travel Advice; Lebanon; Safety and Security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/lebanon/safety-and-security, Zugriff 29.8.2018
- UN Security Council (13.7.2018): Bericht des UNO-Generalsekretärs zu Entwicklungen vom 1. März bis 20. Juni 2018 (Sicherheitslage; Entwaffnung bewaffneter Gruppen; politische Stabilität; weitere Themen) https://www.ecoi.net/en/file/local/1439147/1226_1532506886_n1822402.pdf, Zugriff 21.8.2018)
- USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436862.html, Zugriff 22.8.2018
Rechtsschutz / Justizwesen
Die Verfassungsinstitutionen, insbesondere Parlament, Regierung und Justizwesen, funktionieren im Prinzip nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, sind aber in ihrer tatsächlichen Arbeit politischen Einflussnahmen ausgesetzt. Die Gewaltenteilung ist in der Verfassung zwar festgeschrieben, wird in der Praxis aber nur eingeschränkt respektiert; insbesondere in politisch brisanten Ermittlungsverfahren kommt es zu Versuchen der Einflussnahme auf die Justiz, z.B. bei der Ernennung von Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern oder zum Schutz politischer Parteigänger vor Strafverfolgung. Personen, die an zivil- und strafrechtlichen Routineverfahren beteiligt waren, baten manchmal um die Unterstützung prominenter Personen, um den Ausgang ihrer Verfahren zu beeinflussen. Die Einhaltung der in der Verfassung garantierten richterlichen Unabhängigkeit ist in der praktischen Durchführung durch verbreitete Korruption, chronischen Mangel an qualifizierten Richtern und zum Teil auch politische Einflussnahme eingeschränkt (AA 1.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).
Angeklagte gelten als unschuldig, bis ihre Schuld bewiesen ist. Gerichtsverhandlungen sind in der Regel öffentlich, die Richter können aber geschlossene Gerichtsverhandlungen anordnen. Angeklagte haben das Recht, bei der Verhandlung anwesend zu sein, sich rechtzeitig mit einem Anwalt zu beraten, Zeugen zu befragen, Beweise vorzulegen und in Berufung zu gehen (USDOS 20.4.2018).
Eine Strafverfolgungs- und Strafbemessungspraxis, die nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität diskriminiert, ist im Libanon nicht gegeben. Allgemeine kriminelle Delikte werden im Rahmen feststehender straf- bzw. strafprozessrechtlicher Vorschriften nach insgesamt weitgehend rechtsstaatlichen Prinzipien verfolgt und geahndet. Die Strafprozessordnung stattet die Ermittlungsbehörden mit weitreichenden Vollmachten aus, schreibt aber auch Rechte des Beschuldigten fest, z. B. das Recht auf unverzügliche Kontaktaufnahme zu Rechtsanwälten, Ärzten und Familienangehörigen. Angeklagte haben weiters das Recht auf rechtlichen Beistand; allerdings existiert kein staatlich finanziertes System der Pflichtverteidigung. Die Anwaltskammer stellt bei Bedarf Pflichtverteidiger zur Verfügung. Dolmetscher müssen in der Regel durch den Angeklagten selbst gestellt werden (AA 1.3.2018).
Neben den in mehrere Instanzen gegliederten Zivilgerichten existieren im Libanon konfessionelle Gerichtsbarkeiten, in deren Zuständigkeit die familien- und erbrechtlichen Verfahren fallen (USDOS 20.4.2018; vgl.: AA 1.3.2018). Der Libanon verfügt über 15 separate Personenstandsgesetze für seine offiziell anerkannten Religionen, es gibt jedoch kein bürgerliches Gesetzbuch, das Themen wie Scheidung, Eigentumsrecht oder Kindersorgerecht behandelt. Darüber hinaus werden die religiösen Gerichte kaum vom Staat kontrolliert; die Rechte von Frauen sind in den genannten Personenstandsgesetzen oftmals stark eingeschränkt (Daily Star 19.1.2015, vgl. HRW 18.1.2018. Nähere Ausführungen hierzu sind dem Abschnitt 17, Kapitel "Frauen" zu entnehmen).
Das Rechtssystem unterscheidet im Strafrecht zwischen Zivil- und dem Verteidigungsministerium unterstellten Militärgerichten. Letztere haben die Rechtsprechung inne über Fälle, die das Militär betreffen, bzw. in welchen Militärs oder Zivilisten der Spionage, des Hochverrats, des Waffenbesitzes, der Wehrdienstverweigerung und Delikten gegen die Staatssicherheit, gegen das Militär oder deren Angehörige bezichtigt werden. Dabei werden die Zuständigkeiten der Militärgerichtsbarkeit vor allem beim Vorwurf des Terrorismus bzw. bei terroristischen Delikten mit islamistischem Hintergrund oftmals sehr extensiv ausgelegt. Militärgerichte verhandeln sicherheitsrelevante Straftaten auch dann, wenn sie von Zivilisten begangen wurden, oftmals in Schnellverfahren und ohne ausreichenden Rechtsbeistand (AA 1.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).
Menschenrechtsorganisationen zeigten sich besorgt über die Praxis, Zivilisten vor Militärgerichten anzuklagen, über das Maß an Prozessrechten für Angeklagte sowie die fehlende Überprüfung der Urteilssprüche durch reguläre Gerichte (USDOS 20.4.2018).
Seit Jahren wird - wenn bislang auch ohne greifbare Fortschritte - erwogen, alle Militärverfahren ordentlichen Gerichten zu übertragen (AA 1.3.2018).
In den palästinensischen Flüchtlingslagern betreiben palästinensische Gruppen nach eigenem Ermessen eine autonome Rechtsprechung abseits der Kontrolle des Staates (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin
- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422490.html, Zugriff 20.8.2018
- The Daily Star (19.1.2015): Lebanon religious laws discriminate against women: rights group, http://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2015/Jan-19/284576-lebanon-religious-laws-discriminate-against-women-rights-group.ashx, Zugriff 30.8.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8. 2018
Sicherheitsbehörden
Die führenden Positionen in den Sicherheitsbehörden werden u.a. nach konfessionellem Proporz vergeben. Die Forces de Sécurité Intérieure (FSI) [auch "Internal Security Force" - ISF] ist die allgemein zuständige Polizei des Staates und gleichzeitig Hilfsorgan der Justiz (z.B. zum Führen des Kriminalregisters). Sie wird durch einen sunnitischen General geleitet und steht dem ebenfalls sunnitischen Innenminister nahe. Die demgegenüber schiitisch geprägte Sûreté Générale (SG) hat neben Fragen der Ein- und Ausreisekontrollen auch eine nachrichtendienstliche Funktion inne. Ihr Leiter wird der AMAL-Partei von Parlamentspräsident Berri zugeordnet. Ein Polizeigesetz im engeren Sinne gibt es nicht (AA 1.3.2018).
Die LAF [Lebanese Armed Forces] unter der Führung des Verteidigungsministeriums sind für die externe Sicherheit verantwortlich, haben aber aus Gründen der Staatssicherheit auch die Befugnis, Verdächtige zu verhaften (USDOS 20.4.2018). Im Gegensatz zu den anderen Sicherheitskräften gilt die Armee trotz eines stets christlichen Oberbefehlshabers und zahlreicher christlicher Generäle als parteipolitisch und konfessionell weitgehend neutral und genießt grundsätzlich hohes Ansehen in allen Bevölkerungsteilen. Sie nimmt - beispielsweise durch die weit verbreiteten Kontrollpunkte - auch Aufgaben der inneren Sicherheit wahr (AA 1.3.2018).
Daneben gibt es noch mehrere vorwiegend nachrichtendienstlich tätige Sicherheitsbehörden (Amn ad-Daula - Staatssicherheit; Amn al-Dschaisch - militärische Sicherheit; Sicherheitsdienst der Quwat al-Amn ad-Dakhili - Polizeikräfte; Nachrichtendienstliche Abteilung der Sûreté Générale). Alle genannten Institutionen und Dienste arbeiten seit Frühjahr 2014 zwar verstärkt zusammen, auch wenn nicht immer eine klare Abgrenzung ihrer Kompetenzen gegeben ist. Ihre Professionalisierung wird auch deutlich dahingehend beschränkt, dass bestimmte Institutionen einer bestimmten Konfession und somit dem entsprechenden politischen Lager zuzuordnen sind. Die daraus resultierenden Loyalitäten beeinflussen teilweise spürbar deren Arbeit (AA 1.3.2018).
Das General Directorate for State Security, das an den Premierminister berichtet, und das Directorate of General Security - DGS [auch "Sûreté Générale - SG] unter der Führung des Innenministeriums sind verantwortlich für die Grenzsicherung (USDOS 20.4.2018).
Sowohl das General Directorate for State Security als auch das DGS sammeln Informationen über potentiell die Staatssicherheit gefährdende Gruppen. Jeder Sicherheitsapparat hat seine eigenen internen Mechanismen, um Fälle von Missbrauch und Fehlverhalten zu untersuchen.
Verhaltensvorschriften der ISF definieren die Pflichten der ISF-Mitglieder sowie die verpflichtenden gesetzlichen und ethischen Standards. Verschiedene Sicherheitskräfte erhielten Training zur Umsetzung des Verhaltenskodex. Trotz effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte genießen letztere Berichten zufolge ein gewisses Maß an Straflosigkeit, nicht zuletzt weil es an öffentlich zur Verfügung stehenden Informationen über den Ausgang von Verfahren fehlt. Außerdem fehlen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Misshandlungen und Korruption (USDOS 20.4.2018).
Zudem haben die staatlichen Institutionen in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff. Die Hisbollah bildet zumindest in ihren Hochburgen, d.h. in Teilen der Bekaa-Ebene, in südlichen Beiruter Vororten und Teilgebieten des Südens weiterhin eine Art Staat im Staate und übernimmt dort neben sozialen und politischen faktisch auch Aufgaben der Sicherheitsbehörden. Parallel bestehen kleinere bewaffnete Milizen der AMAL-Partei des Parlamentspräsidenten Nabih Berri, drusische Bürgerwehren sowie christliche Milizen (etwa in Nähe zur Kataeb-Partei oder zur griechisch-orthodoxen Kirche), die sich zuletzt im Spätsommer 2015 auch an Kampfhandlungen gegen aus Syrien einsickernde sunnitische Extremisten beteiligt haben (AA 1.3.2018).
Trotz der Anwesenheit von libanesischen Sicherheitskräften und UNO-Einheiten behielt die Hisbollah signifikanten Einfluss über Teile des Landes und die Regierung machte keinen konkreten Fortschritt, um die bewaffneten Milizen aufzulösen und zu entwaffnen.
Palästinensische Flüchtlingslager stellen [Anm.: mit Ausnahme des Lagers Nahr el-Bared] weiterhin sich selbst regierende Einheiten dar und betreiben Sicherheits- und Militärkräfte, die nicht unter der Kontrolle von Regierungsbeamten stehen (USDOS 20.4.2018; siehe hierzu auch den Abschnitt 19).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8 2018
NGOs, Menschenrechtsaktivisten
Im Libanon sind zahlreiche lokale und internationale, im öffentlichen Leben deutlich wahrnehmbare Menschenrechtsorganisationen tätig, die häufig offiziell mit staatlichen Stellen, Sicherheitskräften und anderen Staatsbediensteten bei der Aus- und Fortbildung in Menschenrechtsfragen zusammenarbeiten. Die Anwaltskammer Beirut veranstaltet regelmäßig öffentliche Seminare zum Schutz der Menschenrechte.
Seit 2005 können Menschenrechtsorganisationen grundsätzlich frei arbeiten und Vertreter internationaler Organisationen wie Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) können sich im Land frei bewegen. HRW unterhält ein Regionalbüro in Beirut und publiziert - wie lokale NGOs - regelmäßig kritische Berichte zur Menschenrechtslage im Land. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) befasst sich insbesondere mit der Situation in den Gefängnissen, wobei auf Grundlage einer Vereinbarung mit der Regierung aus dem Jahr 2007 auch Zugang zu den Gefängnissen der Armee und des Verteidigungsministeriums zugestanden wird (AA 1.3.2018).
Das bedeutet nicht, dass keine Versuche der Einschüchterung und Beeinflussung durch politische Institutionen oder nichtstaatliche Akteure zu verzeichnen wären (AA 1.3.2018).
Unabhängige NGOs waren in Gebieten, die von der Hisbollah dominiert werden, mit Schikanen und Einschüchterungen konfrontiert - einschließlich sozialem, politischem und finanziellem Druck. Die Hisbollah bezahlte Jugendliche, damit sie die Mitarbeit in "inakzeptablen" NGOs einstellten (USDOS 20.4.2018).
Laut Amnesty International wurde in letzter Zeit eine Reihe von Menschen wegen ihrer politischen Meinung oder ihres Menschenrechtsaktivismus verhaftet, verhört und eingeschüchtert; Als Bedingung für Ihre Freilassung wurden sie zur Unterzeichnung von Zusagen gedrängt, zukünftig bestimmte Handlungen zu unterlassen (AI 7.8.2018).
NGOs müssen sich grundsätzlich beim libanesischen Innenministerium registrieren. Das Ministerium kann eine NGO zwingen, sich einem Genehmigungsverfahren zu unterziehen und Informationen zu den Gründern einholen. Staatliche Repräsentanten müssen eingeladen werden, damit sie die Wahl bezüglich der Statuten und des Aufsichtsrates überwachen können (FH 1/2017).
Rechtlich erschwert bleibt die Gründung von Organisationen durch Ausländer; dies macht es palästinensischen und syrischen Flüchtlingen de facto unmöglich, unabhängig von libanesischen Partnern NGOs zur Verfolgung ihrer Interessen zu gründen. In der Praxis treten libanesische Staatsangehörige für palästinensische und syrische Flüchtlinge als Gründer und Organe auf (AA 1.3.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin
- AI - Amnesty International (11.7.2018): Lebanon: Detained activists blackmailed into signing illegal pledges, https://www.ecoi.net/de/dokument/1438609.html, Zugriff 7.8.2018
- FH - Freedom House (1/2017): Freedom in the World 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1427008.html, Zugriff 30.8.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8 2018
Allgemeine Menschenrechtslage
Der Libanon ist seit 1945 Gründungsmitglied der Vereinten Nationen (GIZ 6/2018).
Die Präambel der libanesischen Verfassung hält ausdrücklich fest, dass Libanon die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen beachtet. Der Libanon ist Vertragsstaat folgender wichtiger internationaler Menschenrechtsabkommen [Anm.: teilweise allerdings mit wesentlichen Vorbehalten zu einzelnen Artikeln]:
- Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte,
- Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der rassischen Diskriminierung
- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
- Übereinkommen über die Rechte des Kindes
- Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe; Der Libanon hat am 22. Dezember 2008 als erster Staat der Region auch das entsprechende Fakultativprotokoll ratifiziert
Weiters hat der Libanon 2007 das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen und das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unterzeichnet, allerdings bisher beide nicht ratifiziert. Ebenso wenig wurden die meisten der Fakultativprotokolle zu den Menschenrechtsabkommen ratifiziert, so beispielsweise auch nicht das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR) von 1991. Der Libanon ist bislang keinem internationalen Übereinkommen zum Status von Flüchtlingen beigetreten (AA 1.3.2018).
Deutlichstes Zeichen von struktureller und kultureller Diskriminierung von Frauen im Libanon ist die Tatsache, dass die Staatsbürgerschaft über den Vater vergeben wird. Der Schutz von Migranten und Flüchtlingen wird nicht gemäß internationaler Standards gewährt, auch häufen sich Berichte von Misshandlungen und Folter bei Verhören. Eine offene Wunde des Libanons sind die seit dem Bürgerkrieg vermissten Menschen (GIZ 6/2018).
Eine der größten Herausforderungen für die Menschenrechte im Libanon ist die Gratwanderung des libanesischen Staates zwischen der Garantie der Sicherheit und der Einhaltung der Freiheitsrechte (GIZ 6/2018).
Die Sicherheitsbehörden, insbesondere der militärische Nachrichtendienst, sollen nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen immer wieder Festnahmen vornehmen, auch wenn kein dafür erforderlicher richterlicher Beschluss vorliegt, bzw. Personen festhalten, nachdem die gesetzlich vorgesehene Frist von 48 Stunden nach Festnahme verstrichen ist. Die Regierung gibt derartige Vorkommnisse durchaus zu, macht aber geltend, dass entsprechende richterliche Beschlüsse jeweils nachgeholt würden und längere Haftdauern im Polizeigewahrsam nur deswegen zu Stande kämen, weil die Gefängnisse überfüllt seien. Verschleppungen durch nichtstaatliche Akteure, v.a. Hisbollah, kommen vor (AA 1.3.2018).
Es gibt immer wieder Versuche, Zivilisten einschließlich Kinder vor Militärgerichten zu anzuklagen, was eine Verletzung ihrer Rechte im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens und des Völkerrechts darstellt. Diejenigen, die vor den Militärgerichten vor Gericht standen, berichten über Isolationshaft und die Verwendung von Geständnissen, die unter Folter erzwungen wurden, weiters über Entscheidungen, die ohne nähere Begründung ergangen sind, scheinbar willkürliche Urteile und eine begrenzte Möglichkeit, Berufung einzulegen (HRW 18.1.2018).
Das libanesische Parlament hat im Oktober 2016 durch die Einrichtung eines Nationalen Menschenrechtsinstituts (NHRI) einen Schritt gesetzt, um die Menschenrechtssituation zu verbessern und die Anwendung von Folter im Land zu beenden. Das Institut soll die Menschenrechtslage im Libanon überwachen, Beschwerden über Verstöße entgegennehmen und regelmäßig Berichte und Empfehlungen abgeben. Der Ausschuss für den Schutz vor Folter, ein nationaler Präventionsmechanismus, wird befugt sein, regelmäßig unangekündigte Besuche an allen Haftorten durchzuführen, die Anwendung von Folter zu untersuchen und Empfehlungen zur Verbesserung der Behandlung von Häftlingen abzugeben (HRW 28.10.2016; vgl. UN 9.5.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6/2018): Libanon - Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/libanon/geschichte-staat/, Zugriff 30.8.2018
- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422490.html, Zugriff 20.8.2018
- HRW - Human Rights Watch (28.10.2016): Lebanon: New Law a Step to End Torture, https://www.hrw.org/news/2016/10/28/lebanon-new-law-step-end-torture, Zugriff 22.8.2018
- UN Human Rights Committee (9.5.2018): Concluding observations on the third periodic report of Lebanon [CCPR/C/LBN/CO/3], https://www.ecoi.net/en/file/local/1439102/1930_1532434210_g1812984.pdf Zugriff 22.8.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8 2018
Meinungs- und Pressefreiheit
Freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit sind gesetzlich verankert und auch die Medien werden als freier empfunden als in vielen anderen Ländern der Region (FH 1/2017).
Kritik an der Regierung ist möglich und üblich. Verboten ist allerdings vor allem die "Anstachelung zu konfessionellen Spannungen". Auch werden Journalisten immer wegen Recherchen über Korruption zu Geldstrafen verurteilt (RoG 2018).
Diffamierung oder Kritik am libanesischen Präsidenten oder an der libanesischen Armee werden allerdings als kriminelle Vergehen gewertet, die mit Strafen von bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet werden können (HRW 18.1.2018; vgl. AA 1.3.2018).
Die Printmedien im Land werden durch das Publikationsgesetz von 1962 geregelt. Dieses Gesetz macht Journalisten für fehlerhafte oder falsche Nachrichten, Drohungen oder Erpressung, Beleidigung, Verleumdung, Beeinträchtigung der Würde des libanesischen Präsidenten, Beleidigung von Präsidenten fremder Länder verantwortlich und verbietet blasphemische Inhalte über offiziell anerkannte Religionen des Landes oder Inhalte, die Auseinandersetzungen provozieren könnten (USDOS 20.4.2018).
Das libanesische Strafgesetzbuch sieht zudem weiterhin Strafen für Journalisten wegen übler Nachrede und des Verbreitens falscher Informationen vor (AA 1.3.2018). Auch können Einzelpersonen, Journalisten und Blogger für das, was sie online ausdrücken, strafrechtlich verfolgt werden (USDOS 20.4.2018).
Weiters kriminalisiert das Strafgesetzbuch auch die Verleumdung von Amtsträgern und erlaubt hierbei eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Im Jahr 2017 hielten die libanesischen Behörden Personen fest, die wegen kritischer Äußerungen in sozialen Medien beschuldigt wurden. Im Juni 2017 wurden Soldaten festgenommen, die gegen eine dritte Verlängerung der Legislaturperiode demonstrierten. Die Armee sagte, sie habe eine Untersuchung eingeleitet; die Ergebnisse wurden nicht öffentlich bekannt gegeben (HRW 18.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).
Im Libanon erscheinen 13 Tageszeitungen, 300 Wochen-, Monats- und Quartalszeitschriften und viele Druckversionen ausländischer (arabischer) Zeitungshäuser. Darüber hinaus senden acht einheimische, meist private, Fernsehstationen rund um die Uhr. Letztere können weltweit über Satellit empfangen werden. Allerdings zeigt sich auch in diesem Bereich die Zersplitterung der libanesischen Gesellschaft entlang konfessionell-politischer Bruchlinien. Kaum eine Fernsehstation oder eine Zeitung richtet sich an alle Libanesen. Jede der großen Konfessionen unterhält einen oder zwei Fernsehsender und übt Einfluss auf entsprechende Tageszeitungen aus (GIZ 6/2018).
Viele Medien werden von Politikern oder Parteien kontrolliert; politische und mediale Polarisierung verstärken sich dadurch wechselseitig (RoG 2018). Zahlreiche Medienunternehmen sind je nach Inhaber oder Geldgeber und aufgrund häufig gegeberer enger Beziehungen zu konfessionellen Führern stark politisiert. Hieraus ergibt sich unter den Journalisten vielfach eine starke Selbstzensur, da diese keine Investigativrecherchen gegen ihre eigenen Geldgeber anstreben und darüber hinaus auch an die spezielle, oft parteiische redaktionelle Linie gebunden sind. Somit gibt es im Libanon eine zwar freie, aber keine unabhängige Presse (GIZ 6/2018, vgl. FH 1/2017).
Das Gesetz über audiovisuelle Medien verbietet die Live-Übertragung von nicht genehmigten politischen Versammlungen und bestimmten religiösen Ereignissen sowie von Kommentaren, die direkt oder indirekt negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Finanzen des Libanon haben können oder eine Beziehung zu Israel fördern. Rundfunkprogramme, die den Staat oder seine Beziehungen zu anderen Ländern oder die öffentliche Moral schädigen, sektiererische Auseinandersetzungen anzetteln könnten oder religiöse Beleidigungen beinhalten, sind verboten (USDOS 20.4.2018).
Rundfunkjournalisten litten weiterhin unter Einschüchterung und Belästigung. Am 13. Februar 2017 umstellten Hunderte von Demonstranten das Gebäude von al-Jadeed TV nach einer Show, von der sie glaubten, dass sie den Führer der Amal-Bewegung und Parlamentspräsidenten Nabih Berri beleidigt hätte. Demonstranten warfen Steine auf das Gebäude und versuchten, es zu stürmen. Nach dem Vorfall wurde die Übertragung des Fernsehsenders in mehreren Gebieten der südlichen Vororte von Beirut blockiert. Der Kanal wurde bis zum 25. November nicht ausgestrahlt (USDOS 20.4.2018).
Die Einfuhr von ausländischen Kulturerzeugnissen (Filme/ Bücher) sowie die Tätigkeit libanesischer Autoren unterliegt einer Vorzensur durch die Sûreté Générale (Sicherheitsbehörde mit grenzpolizeilichen und nachrichtendienstlichen Aufgaben), welche gelegentlich "polemische", pornografische oder "den religiösen Frieden gefährdende" Werke untersagt (2017 etwa der US-Actionfilm "Wonder Woman", dessen Hauptdarstellerin Gal Gadot Israelin ist). Aufgrund des florierenden Handels mit Raubkopien laufen Verbote von audiovisuellen Medien aber praktisch ins Leere. Ausnahme bleiben im Rahmen des allgemeinen Wirtschaftsboykotts alle Kulturprodukte aus Israel, mit dem sich der Libanon formal seit 1948 im Krieg befindet (AA 1.3.2018).
Der Internetzugang war verfügbar und wurde von der Öffentlichkeit breit genutzt. Laut Internet World Statistics lag die Internet-Abdeckung im März bei 76 Prozent (USDOS 20.4.2018), wenngleich die Internet-Geschwindigkeit im Libanon zu den schlechtesten der Welt zählt (FH 14.11.2017).
In der nordöstlichen, in der Bekaa-Ebene gelegenen und von den Kämpfen des anhaltenden syrischen Bürgerkriegs geprägten Grenzstadt Arsal besteht nach dauerhafter Abschaltung des Mobilfunknetzes seit zwei Jahren kein Zugang mehr zu mobilem Internet (FH 14.11.2017). Das Bureau of Cybercrime and Intellectual Property Rights ist nach wie vor sehr aktiv bei der Bekämpfung von Aktivisten, wobei oftmals keine rechtstaatliche Grundlage gegeben ist. Rund 50 Websites sind seit zwei Jahren blockiert, darunter ein lesbisches Community-Forum (FH 14.11.2017)
In der von "Reporter ohne Grenzen" geführten Rangliste zur Pressefreiheit liegt der Libanon derzeit auf Rang 100 (von 180 Staaten). Grund für diese Bewertung sind insbesondere die gefährlichen Arbeitsbedingungen für Journalisten im libanesisch-syrischen Grenzgebiet; Drohungen und Gewalt gegen Journalisten kommen vor und werden durch den Bürgerkrieg im benachbarten Syrien verstärkt (RoG - 2018; vgl. AA 1.3.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin
- FH - Freedom House (1/2017): Freedom in the World 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1427008.html, Zugriff 30.8.2018
- FH - Freedom House (14.11.2017): Freedom on the Net 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1418333.html, Zugriff 30.8.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6/2018): Libanon - Geschichte-Staat, https://www.liportal.de/libanon/geschichte-staat/; Zugriff 8.8.2018
- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422490.html, Zugriff 20.8.2018
- RoG - Reporter ohne Grenzen (o.D.): Libanon, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/libanon/?L=0, Zugriff 30.8.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8 2018
Religionsfreiheit
Die Verfassung garantiert die Religionsfreiheit als Grundrecht, beschränkt dieses Recht aber auf den 1936 erstellten Katalog von 18 offiziell anerkannten Religionsgemeinschaften: vier muslimische (Sunniten, Schiiten, Alawiten und Ismailis), 12 christliche Gemeinschaften (neben der größten Konfession, den Maroniten, Griechisch-Orthodoxe, Griechisch-Katholische, Armenisch-Orthodoxe, Armenisch-Katholische, Syrisch-Orthodoxe, Syrisch-Katholische, Assyrische, Chaldäische, Kopten, Römisch-Katholische und Protestanten, weiters Drusen und Juden (AA 1.3.2018; vgl. USDOS 29.5.2018; GIZ 3/2018). Zu den nicht anerkannten Religionsgemeinschaften gehören u.a. Bahais, Buddhisten, einige protestantische Gruppierungen (USDOS 29.5.2018) sowie die Zeugen Jehova's. Letztere machten 2008 etwa 3.500 Personen aus, die sich in 15 Königreichssälen versammelten. Deren Missionierungsmöglichkeiten von Haus zu Haus waren eingeschränkt (NOW.News 16.11.2008).
Etwa 54-58 Prozent der Bevölkerung sind Muslime, 36-40,5 Prozent Christen (CIA 14.8.2018, USDOS 29.5.2018).
Die geschätzten 1,5 Millionen Flüchtlingen aus Syrien sind überwiegend Sunniten, aber auch Schiiten und Christen. Zwischen 250.000 und 300.000 - größtenteils ebenfalls sunnitische - Palästinenser aus Gaza und dem Westjordanland leben laut USDOS und OHCHR noch immer als UN-registrierte Flüchtlinge im Land (USDOS 29.5.2018, vgl. OHCHR 2.4.2015). Eine von den libanesischen und palästinensischen Statistikbehörden durchgeführte aktuelle Volkszählung ergab 174.422 tatsächlich derzeit im Libanon aufhältige palästinensische Flüchtlinge (Daily Star 21.12.2017). Der Rat der Jüdischen Gemeinde, der die libanesische jüdische Gemeinde vertritt, schätzt, dass etwa 100 Juden im Land bleiben. Zu den Flüchtlingen und ausländischen Migranten gehören auch überwiegend sunnitische Kurden, sunnitische und schiitische Muslime und Chaldäer aus dem Irak sowie koptische Christen aus Ägypten und dem Sudan. Nach Angaben des Generalsekretärs der Syrischen Liga, einer NGO, die sich für syrische Christen im Land einsetzt, leben etwa 10.000 irakische Christen aller Konfessionen und 3.000 bis 4.000 koptische Christen im Land (USDOS 29.5.2018, vgl. OHCHR 2.4.2015).
Muslimische und christliche Gemeindeleiter berichteten über den weiteren Betrieb von Gotteshäusern in relativem Frieden und Sicherheit und sagten, dass die Beziehungen zwischen einzelnen Mitgliedern verschiedener religiöser Gruppen weiterhin freundschaftlich seien. Nach einer interreligiösen Konferenz am 1. Juli riefen christliche und muslimische Führer dazu auf, das Land als offizielles internationales Zentrum des Dialogs zwischen den Religionen zu etablieren, "um den christlich-muslimischen Beziehungen der Welt zu dienen". Die schiitische - von den USA als Terrororganisation klassifizierte - Hisbollah übte weiterhin Autorität über Teile des Landes aus und beschränkte den Zugang zu den von ihr kontrollierten Gebieten (USDOS 29.5.2018, vgl. OHCHR 2.4.2015).
Der Libanon hat 15 separate den Personenstand betreffende Gesetze für die offiziell anerkannten Religionen; es gibt kein Zivilrecht, das Bereiche wie Scheidung, Eigentumsrecht und Sorgerecht für Kinder abdeckt (Nähere Informationen hierzu sind im Abschnitt "Frauen" enthalten). Die religiösen Gerichte werden von der Regierung kaum überwacht (Daily Star 19.1.2015, vgl. UN 9.5.20