Entscheidungsdatum
18.06.2019Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
L504 2216316-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX , geb., StA. Türkei, vertreten durch RA Maga. Doris EINWALLNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2019, Zl. XXXX , beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrenshergang
Die beschwerdeführende Partei [bP] reiste mittels von der französischen Botschaft in Istanbul am 10.11.2015 ausgestellten Visum C für die Dauer des Aufenthaltes von 30 Tagen an einem nicht näher bekannten Datum in das Bundesgebiet ein. Nach der Heirat einer ungarischen Staatsangehörigen in Österreich am 14.07.2018 stellte die bP am 20.07.2018 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels.
Mit Schreiben vom 27.11.2018 übermittelte die LPD XXXX dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Erhebungsergebnisse bezüglich einer Aufenthaltsehe, worin die Ansicht vertreten wird, dass keine Aufenthaltsehe vorliege.
Das Bundesamt hat auf Grundlage des § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG eine Ausweisung erlassen und gem. § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass sich die bP unrechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet aufhalte und die Erteilungsvoraussetzungen gem. § 51 NAG nicht erfülle.
Dagegen wurde innerhalb offener Frist durch die Rechtsfreundin der bP Beschwerde erhoben. Zusammengefasst wird darin im Wesentlichen das Nichtvorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen für den beantragten NAG-Aufenthaltstitel bestritten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Das BVwG hat zentral durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.
1. Feststellungen (Sachverhalt)
Das Bundesamt kam zum Ergebnis, dass sich die bP unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, weshalb daraufhin die gegenständliche Entscheidung getroffen und die Ausweisung nunmehr auf § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG gestützt wurde. Sie argumentierte ua., dass der Erteilung eines Aufenthaltstitels mehrere Versagungsgründe entgegen stünden.
Das Bundesamt hat für diese Entscheidung keine hinreichenden Ermittlungen und in wesentlichen Punkten keine nachvollziehbaren Feststellungen getroffen um darlegen zu können, was einer Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre und warum es einer Aufenthaltsbeendigung bedarf. Dies ist weder aus dem Bescheid noch aus der Aktenlage nachvollziehbar.
Das BFA delegiert damit einen wesentlichen Teil des Ermittlungsverfahrens an das BVwG.
2. Beweiswürdigung
Die für die Zurückweisung zu treffenden Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt.
3. Rechtliche Beurteilung
(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
(6) [....]
(7) [....]
(8) [....]
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Ergänzend zu obigen Ausführungen ist aber auch die jüngste Judikatur des EuGH zu erwähnen, der in seinem Urteil vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 sich ua. mit der Frage, ob nationale Bestimmungen, welche dem Verwaltungsgericht die amtswegige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts (anstelle der Behörde) - bei entsprechender Untätigkeit der Behörde - der in der europarechtlichen Judikatur geforderten Objektivität bzw. Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Gerichts entgegenstehen.
Nach seiner Ansicht können die Gerichte nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C 390/12, EU:C:2014:281) diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.
Der EuGH führte weiter aus, dass die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C 390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin zu interpretieren sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsverfahren das Gericht, bei der Prüfung des maßgeblichen Sachverhalts die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht eine entsprechende Prüfung durchführen kann. Hinsichtlich des Rechts nach Art. 47 Abs. 2 der Charta auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht umfasst der Begriff der "Unabhängigkeit", die der Aufgabe des Richters innewohnt, nämlich zwei Aspekte. Der erste, externe, Aspekt setzt voraus, dass die Stelle vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteilens ihrer Mitglieder im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Rechtsstreite gefährden könnten (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der zweite, interne, Aspekt steht mit dem Begriff der "Unparteilichkeit" in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Was das Zusammenspiel zwischen der den nationalen Gerichten nach dem nationalen Recht obliegenden Pflicht, in den bei ihnen anhängigen Rechtssachen den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, und dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), anbelangt, ist in den Rn. 50 bis 52 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass die nationalen Gerichte nach dem Unionsrecht eine Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird, auf der Grundlage der Beweise vornehmen müssen, die die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats vorgelegt haben.
Diese Gerichte können nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie - wie die Generalanwältin in den Nrn. 51 bis 56 und 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat - nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.
Die Ausführungen des EuGH beziehen sich zwar auf ein Verwaltungsstrafverfahren, sie sind nach ho. Ansicht in ihren sich daraus ergebenden Grundsätzen zu der Rolle des Verwaltungsgerichtes im Verhältnis zu jener der ermittelnden Behörde jedoch auch im gegenständlichen Fall anwendbar.
Im Lichte einer GRC-konformen Interpretation der verfassungsrechtlichen Bestimmungen, wonach das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden hat, finden diese demnach jedenfalls dort ihre Grenze, wenn das Gericht an die Stelle der zuständigen belangten Behörde zu treten hätte, der es eigentlich obliegt, dem Gericht die Beweise, iSd Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts, vorzulegen. Wird diese Grenze überschritten ist das Gericht ermächtigt - wenn nicht sogar iS obiger, vom EuGH aufgezeigter Grundsätze verpflichtet - eine kassatorische Entscheidung iSd § 28 Abs. 3 VwGVG zu treffen.
Einzelfallbezogen ergibt sich hier Folgendes:
Das Bundesamt hat - soweit im Akt ersichtlich - in Folge eines Berichtes vom 27.11.2018 über Erhebungen der LPD XXXX bezüglich einer Aufenthaltsehe, die einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels betraf, zum Anlass genommen, eine Ausweisung gem. § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG zu verfügen, da sich die bP "unrechtmäßig" im österreichischen Bundesgebiet aufhält und sie "die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gem. § 51 NAG" nicht erfülle.
(1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.
(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.
[...]
§ 66. FPG
(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)
§ 55 Abs. 3 NAG regelt somit die Vorgangsweise der Behörde (hier: der NAG-Behörde) bei Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechtes für EWR-Bürger und ihren Angehörigen für mehr als drei Monate und delegiert die Aufenthaltsbeendigung an das Bundesamt.
Dass es sich bei der nunmehrigen bP (im Folgenden kurz "bP") um einen Angehörigen eines EWR-Bürgers handelt, ist unstrittig. Davon ausgehend, hätte im vorliegenden Fall die NAG-Behörde (hier: MA 35) die bP hinsichtlich der Einleitung eines aufenthaltsbeendenden Verfahrens durch das Bundesamt schriftlich in Kenntnis setzen müssen und das Bundesamt damit zu befassen.
Dass die NAG-Behörde dementsprechende Schritte gesetzt hat, ist weder Verwaltungsakt zu entnehmen und trifft diesbezüglich auch die belangte Behörde im Bescheid keine erleuchtenden Ausführungen dazu.
Aber auch unter der Annahme, dass die NAG-Behörde eingebunden war und gesetzeskonform vorgegangen wäre, hat die belangte Behörde nur rudimentäre Ermittlungen durchgeführt und wie die weiteren Ausführungen zeigen, ihrer rechtlichen Beurteilung unrichtige Feststellungen zu Grunde gelegt.
Die belangte Behörde führte mit der bP eine Einvernahme durch und erstellte sodann den angefochtenen Bescheid, aus welchem nicht ersichtlich ist, von welcher konkreten Sach- bzw. Rechtsgrundlage die NAG Behörde, im konkreten Fall die MA 35, auf Grund ihres Ermittlungsverfahrens ausging; insbesondere mangelt es entsprechenden, nachvollziehbaren Feststellungen, warum die für die Erteilung des Aufenthaltstitels zuständige Behörde vom Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, ausging. Dies lässt sich auch aus dem übermittelten Akt nicht erhellen.
Auch vermengte die belangte Behörde die Termini "EWR-Bürger" und "begünstigter Drittstaatsangehöriger", indem sie der bP einmal den Status als EWR-Bürger und ein anderes Mal als begünstigten Drittstaatsangehörigen zusprach, obwohl an den Status jeweils unterschiedliche Bedingungen für eine Aufenthaltsberechtigung geknüpft sind.
Die belangte Behörde führte mit der bP am 09.01.2019 eine Einvernahme durch und führte im Verfahrensgang auf AS 38 an, dass sich die bP "derzeit unrechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet aufhalte". Nach Beendigung ihrer Einvernahme kam die belangte Behörde in ihrer daraufhin folgenden Entscheidung zum Ergebnis, dass sich die bP "unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, da sie nicht im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels sei". Warum die belangte Behörde bei der bP als begünstigte Drittstaatsangehörige von einem unrechtmäßigen Aufenthalt ausgeht, hat sie weder rechtlich noch faktisch nachvollziehbar dargelegt.
Die im Rahmen der Einvernahme erfolgte Belehrung der bP "Sie müssten ihren Antrag vom Ausland aus, oder in Österreich stellen und ausreisen, dann den Ausgang des Verfahrens im Ausland abwarten" ist aktenmäßig nicht nachvollziehbar, zumal sich eine Zulässigkeit der Inlandsantragstellung grds. aus § 21 Abs 3 NAG ergeben könnte. Zwingende Voraussetzung hiefür ist allerdings das Vorliegen eines begründeten Zusatzantrags des Fremden (vgl. VwGH 3.10.2013, 2013/22/0213), der bis zur Erlassung des verfahrensbeendenden Bescheids gestellt werden kann, wobei die Behörde über diese Möglichkeit zu belehren hat. Dass die hier eröffnete Möglichkeit zur Inlandsantragstellung antragsgebunden ist, stößt auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. VfSlg. 18.517/2008).
Mangels konkreter Ausführungen im Bescheid und nicht vorhandener Aktenlage ist für das BVwG nicht nachvollziehbar ob die dafür zuständige NAG Behörde von einer zulässigen Inlandsantragsstellung bzw. dem Recht den Ausgang hier abzuwarten ausgegangen ist.
Eine bestimmte Form für diese Belehrung sieht das Gesetz nicht vor. In den Erläuterungen findet sich zu § 21 Abs 3 NAG der Hinweis, dass die Belehrung in geeigneter, nachvollziehbarer Weise, etwa in Rahmen einer förmlichen Niederschrift oder mittels eines Informationsblattes in der Muttersprache des Fremden zu erfolgen hat (vgl. ErläutRV 88 BglNR 24. GP 9). Dass die bP über die Möglichkeit der Stellung eines Zusatzantrages belehrt wurde, ist im Akt nicht evident. Darüber hinaus scheint es, dass sich die belangte Behörde damit eine sachliche Zuständigkeit in Anspruch nimmt, die ihr nicht zukommt, sondern ist dafür die NAG Behörde zuständig, im konkreten Fall die Wiener Landesregierung, MA 35.
Das gleiche gilt für die nicht nachvollziehbare Feststellung des Bundesamtes "dass der Antrag der bP auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei der MA 35 ?mit ziemlicher Sicherheit' abgewiesen wird". Dass die MA 35 eine solche Entscheidung bzw. Einschätzung getroffen hätte, ist dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen.
In den Feststellungen zum Aufenthalt der bP in Österreich traf die belangte Behörde die Feststellung, dass die bP nicht die Erteilungsvoraussetzungen gem. § 51 NAG erfüllt. Auch in der Einvernahme wurde ihr dies vorgeworfen.
Die Behörde stützt sich damit auf eine im gegenständlichen Fall nicht anwendbare Rechtsgrundlage. § 51 NAG regelt einzig und allein das Unionsrechtliche Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern und nicht auch von Drittstaatsangehörigen. Nachdem die bP kein Unionsbürger ist, kann sie gar nicht die Erteilungsvoraussetzungen gem. § 51 NAG erfüllen und sind vor diesem Hintergrund die Feststellungen der belangten Behörde unter der Rubrik "Betreffend die Feststellungen zu Ihrem Aufenthalt in Österreich" nicht nachvollziehbar.
In den Feststellungen im angefochtenen Bescheid betreffend das Privat- und Familienleben führt die belangte Behörde aus, dass die bP keine Aussicht hat, eine geregelte Arbeit zu finden, da ihr Aufenthalt in Österreich nicht rechtmäßig ist. Mangels nachvollziehbarer Ausführungen und fehlender Aktenlage kann das BVwG nicht erkennen, wie die belangte Behörde zu dieser Feststellung gelangte. Auch fehlt es an Nachvollziehbarkeit wenn die Behörde feststellt, dass die bP keine Aussicht hat, eine geregelte Arbeit zu finden.
Auf AS 60 stellt die Behörde fest, dass die bP "EU-Bürger" ist und unionsrechtlich zum Aufenthalt in Österreich über 3 Monate berechtigt ist, wenn sie die Voraussetzungen für die Erteilung einer Anmeldebescheinigung erfüllt. Auf Grund welcher Ermittlungen sie zu Ansicht gelangte die bP wäre nun EU-Bürger ist im Bescheid und Akt nicht nachvollziehbar. Im nächsten Satz führt sie widersprüchlich aus, dass das nicht der Fall sei und die bP zur Last der Gebietskörperschaften falle.
Warum die Behörde weiters davon ausgeht, dass die bP nicht die Voraussetzungen für die Erteilung einer Anmeldebescheinigung erfüllt und warum sie den Gebietskörperschaften zur Last fallen sollte, ist im Bescheid und auf Basis der Aktenlage nicht nachvollziehbar.
Zur "Anmeldebescheinigung" gem. § 53 Abs. 1 NAG ist anzumerken, dass damit eine einheitliche Verpflichtung des EWR-Bürgers normiert wird, an der Klarstellung seiner aufenthaltsrechtlichen Position mitzuwirken (vgl. VwGH 24.4.2012, 2012/09/0007). Dies bezieht sich also auf "EWR-Bürger".
In der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Bescheides auf AS 62 verweist die belangte Behörde zunächst auf § 54 Abs. 1 NAG, wonach Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind, zum Aufenthalt für mehr als 3 Monate berechtigt, wenn sie der Ehegatte oder (...) sind bzw darüber hinaus solange ihnen von diesem Unterhalt gewährleistet wird (...). In der Subsumtion gelangt sie sodann zum Ergebnis, dass die bP über kein Einkommen verfügt und ihr deshalb unter anderem kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt. Dabei übersieht die belangte Behörde, dass die bP im Rahmen der Einvernahme angegeben hat, dass ihn seine Gattin "versorgt", womit Ziffer 2 des 2. Abs. erfüllt sein könnte.
Angemerkt wird, dass hier nicht nachvollziehbar ist, warum hier scheinbar das Bundesamt und nicht die eigentlich dafür zuständige NAG-Behörde die Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. NAG vornimmt. Dass sich hier etwa das Bundesamt bereits auf eine Prüfung der NAG-Behörde stützt, lässt sich aus vorgelegtem Akt nicht erhellen.
Warum die Behörde eine Unterhaltsgewährung durch die Ehegatten entgegen der Aussagen der bP verneint, ist ebensowenig nachvollziehbar wie die Höhe, die dafür erforderlich wäre.
Die Behörde hat somit für diesen Fall keine bzw. keine hinreichenden Ermittlungen bzw Ausführungen getätigt. Dies lässt sich auch aus der Aktenlage nicht erhellen.
Trotz der Einrichtung von Außenstellen des BVwG ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des BVwG und des BFA eine Weiterführung des Verfahrens durch das BVwG im Sinne des § 28 Abs. 2 u 3 VwGVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist bzw. zu keiner wesentlichen Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens führt. So ergäbe sich etwa für das BVwG hier die Verpflichtung eine Verhandlung durchzuführen, dies zudem in einem Mehrparteienverfahren. Schon daraus ergibt sich ein wesentlicher Mehraufwand gegenüber einem Verfahren vor dem Bundesamt in einem Einparteienverfahren. Das Bundesamt verfügt auch hinsichtlich der Anzahl von Entscheidern über wesentlich höhere personelle Ressourcen als das BVwG.
Es handelt sich hier um derart krasse Ermittlungsmängel, dass letztlich von einer "Delegation" des wesentlichen Ermittlungsverfahrens an das BVwG gesprochen werden kann und damit zur Zurückverweisung berechtigt, wenn nicht sogar iSd zitierten Ansicht des EuGH verpflichtet.
Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Ausweisung begünstigte Drittstaatsangehörige Durchsetzungsaufschub Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht mangelnde Feststellungen mangelnde Sachverhaltsfeststellung UnzuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L504.2216316.1.00Im RIS seit
31.07.2020Zuletzt aktualisiert am
31.07.2020