TE Vfgh Erkenntnis 2020/6/9 E4424/2019 ua

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Veröffentlicht am 09.06.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
VwGVG §29
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander mangels Begründung der - mündlich verkündeten - Entscheidung betreffend die Abweisung eines Antrags eines Staatsangehörigen von Afghanistan auf subsidiären Schutz

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der am 1. Jänner 2001 geborene Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Paschtune und sunnitischer Muslim. Er stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 15. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 15. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 leg.cit. ab; weiters erteilte es ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 leg.cit., erließ gegen ihn gemäß §10 Abs1 Z3 leg.cit. iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG, stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß §46 leg.cit. zulässig sei und setzte eine 14-tägige Frist für seine freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 24. Juni 2019 unter Angabe folgender Entscheidungsgründe als unbegründet ab:

"Das Vorbringen der beschwerdeführenden Partei ist vor dem Hintergrund der Ergebnisse der heutigen mündlichen Verhandlung nicht glaubwürdig und auch nicht plausibel. Die Situation im Herkunftsland ergibt sich aus den heute unbestritten gebliebenen Feststellungen. Diese Sachverhalte werden der Entscheidung zugrunde gelegt. Selbst bei Unterstellung der Glaubwürdigkeit wäre die Verfolgung durch die Taliban für diesen Beschwerdeführer nicht wahrscheinlich.

[…] Somit ergeben sich aus dem Vorbringen und den internationalen Länderberichten keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine besondere individuelle Verfolgung der beschwerdeführenden Partei. Es ist daher auch kein unter Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierender Sachverhalt ableitbar. Die vorgebrachte Bedrohung beruht nicht auf staatlich zumindest geduldeter Verfolgung.

Die Zulässigkeit der Abschiebung der beschwerdeführenden Partei in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den tragenden Gründen des gegenständlichen Erkenntnisses betreffend die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten keine Umstände vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan im Sinne des §50 FPG ergeben würden. Die Abschiebung ist schließlich nach §50 Abs3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht. Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan ist daher zulässig.

Gemäß §55 Abs1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß §52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach §55 Abs2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Da derartige besondere Umstände von der beschwerdeführenden Partei nicht behauptet und auch im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen sind, ist die Frist zu Recht in der festgelegten Dauer verfügt worden. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, ist die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid auch in diesen Spruchpunkten als unbegründet abzuweisen.

[…]

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."

4. Am 15. Jänner 2020 erfolgte die schriftliche Ausfertigung dieses Erkenntnisses.

5. Die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde richtet sich gegen das mündlich verkündete Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24. Juni 2019 sowie gegen dessen schriftliche Ausfertigung vom 15. Jänner 2020; in ihr wird die Verletzung in einem näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt.

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch keine Gegenschrift erstattet.

II. Erwägungen

Die Beschwerde ist zulässig.

A. Soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Gemäß §29 Abs1 VwGVG sind Erkenntnisse im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen; zudem sind sie zu begründen. Nach §29 Abs2 leg.cit. hat das Verwaltungsgericht in der Regel, sofern eine Verhandlung in Anwesenheit von Parteien stattgefunden hat, das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen sogleich zu verkünden. Gemäß §29 Abs4 erster Satz leg.cit. ist den Parteien eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen.

2.2. Daraus ergibt sich, dass ein mündlich verkündetes Erkenntnis die tragenden Elemente der Begründung zu enthalten hat. Im Rahmen der Begründung des angefochtenen, mündlich verkündeten Erkenntnisses vom 24. Juni 2019 hat sich das Bundesverwaltungsgericht rudimentär mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und daraus Schlüsse für die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten gezogen. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes lässt jedoch jegliche Begründung für die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, für die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vermissen, wodurch sie mit Willkür belastet ist. Das angefochtene Erkenntnis ist daher, soweit es auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und – daran anknüpfend – auf den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und auf die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise gerichtet ist, wegen Verletzung des durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander aufzuheben.

2.3. Die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses erfolgte über sechs Monate nach der mündlichen Verkündung (knapp vor Einbringung der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof) und enthält Begründungselemente zu diesen Punkten; dies kann aber den Mangel des Fehlens der wesentlichen Entscheidungsgründe in der mündlichen Verkündung nicht beseitigen. Insgesamt widerspricht eine derartige Vorgangsweise den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen (vgl zuletzt VfGH 21.1.2020, E3875-3877/2019 mwN).

B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die Beschwerde rügt die Verletzung in einem näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht die Bestätigung der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten im Rahmen der mündlichen Verkündung des angefochtenen Erkenntnisses ausreichend begründet hat, nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Verhandlung mündliche, Entscheidungsverkündung, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E4424.2019

Zuletzt aktualisiert am

09.07.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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