TE Vwgh Beschluss 2020/5/19 Ra 2019/14/0328

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Veröffentlicht am 19.05.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Mai 2019, W260 2150915-1/16E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein der Volksgruppe der Hazara zugehöriger Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 27. November 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass er von der Familie seiner Cousine bedroht werde. Im Laufe des Verfahrens brachte er zusätzlich vor, er sei vom Islam abgefallen.

2        Mit Bescheid vom 23. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das BVwG habe gegen Ermittlungspflichten verstoßen und seine Entscheidung auf eine veraltete Sachlage gestützt. Aufgrund des langen Zeitraumes zwischen der Verhandlung am 4. Dezember 2017 bis zur Entscheidung wäre die Durchführung einer weiteren Verhandlung geboten gewesen, wo der Revisionswerber insbesondere hätte darlegen können, dass sich sein Glaubensabfall weiter vertieft und verfestigt habe und er Atheist sei. Es sei auch nicht erörtert worden, welche Situation Menschen in Afghanistan erwarte, die - wie der Revisionswerber - sich nicht an die Regeln des Islam hielten. Die Durchführung einer weiteren Verhandlung wäre auch in Bezug auf die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK notwendig gewesen. Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob bei einer Änderung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts ein Anspruch auf Durchführung eines abermaligen Verhandlungstermins resultiere und bei Vorliegen welcher Kriterien ein abermaliger Verhandlungstermin anzusetzen sei. Zudem sei die Beweiswürdigung in Bezug auf den vorgebrachten Glaubensabfall und der „Verwestlichung“ des Revisionswerbers unvertretbar und nicht nachvollziehbar. Weiters wendet sich die Revision gegen die Annahme des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif, weil das BVwG bei seiner Beurteilung die individuellen Umstände des Revisionswerbers nicht einbezogen habe. Schließlich macht die Revision auch Begründungsmängel geltend. Das BVwG habe eine asylrelevante Verfolgung verneint, obwohl es festgestellt habe, dass der Revisionswerber in die „Kategorie ‚Nicht an die Regeln des Islam halten‘“ falle. Mangels Feststellungen zur Lage solcher Personen in Afghanistan sei diese Einschätzung nicht nachvollziehbar.

8        Soweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 29.5.2019, Ra 2019/14/0136, mwN). Das BVwG hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in einer auf den Einzelfall Bedacht nehmenden Beweiswürdigung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zu den Gründen seiner Flucht auseinandergesetzt. Es befasste sich auch mit dem behaupteten Abfall vom islamischen Glauben und gelangte mit näherer Begründung zur Auffassung, dass beim Revisionswerber „allenfalls ein Desinteresse“ am Islam vorliege, jedoch keine dauerhaft verfestigte innere Glaubensüberzeugung im Sinne eines dauerhaften Abfalls vom Islam. Dass die Beweiswürdigung in unvertretbarer Weise vorgenommen worden wäre und sich die Erwägungen des BVwG in seiner Gesamtheit als unschlüssig darstellen würden, legt die Revision nicht dar.

9        Werden Verfahrensmängel, wie hier Ermittlungs- und Begründungsmängel, als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben (vgl. VwGH 30.4.2019, Ra 2018/14/0341, mwN).

10       Das BVwG hat Feststellungen zur allgemeinen Situation in Bezug auf die Religionsfreiheit und die Verfolgung wegen Apostasie in Afghanistan getroffen, welchen die Revision nicht substantiiert entgegentritt. Es kam ausgehend davon und aufgrund der Feststellungen zur Lebensführung des Revisionswerbers zu dem Ergebnis, dass dem Revisionswerber bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine asylrelevante Verfolgung im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshof drohe (vgl. dazu VwGH 24.6.2019, Ra 2019/20/0101, mwN), zumal keine gänzliche und verinnerlichte Abkehr vom Islam vorliege und auch kein explizit feindlicher Auftritt des Revisionswerbers gegenüber dem Islam erkennbar sei. Die Revision legt nicht dar, warum die Einschätzung des BVwG vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen unvertretbar wäre. Eine tragende Grundsätze des Verfahrensrechts berührende Verkennung der Begründungspflicht ist nicht ersichtlich (vgl. dazu VwGH 28.2.2019, Ra 2018/12/0023). Insofern die Revision das Fehlen näherer Feststellungen zur Lage von Personen, „die sich nicht an die Regeln des Islam halten“ rügt, fehlt eine Relevanzdarlegung im Sinn der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

11       Soweit die Zulässigkeitsbegründung das Unterbleiben einer weiteren Verhandlung rügt, gelingt es dem Revisionswerber nicht darzulegen, inwiefern sich der maßgebliche entscheidungswesentliche Sachverhalt derart geändert gehabt hätte, dass eine Fortsetzung der mündlichen Verhandlung notwendig gewesen wäre, und die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels darzutun (vgl. zum Erfordernis der Relevanz bei Behauptung eines derartigen Mangels - auch im Anwendungsbereich von Art. 47 GRC bzw. von Art. 6 EMRK - VwGH, 10.9.2018, Ra 2017/19/0431 und VwGH 25.9.2014, Ra 2014/07/0057). Das in der Revision erstmals erstattete Vorbringen, dass die atheistische Glaubenshaltung durch die vom Revisionswerber in der iranisch-afghanischen Exilgemeinschaft geführten Diskurse und öffentlich vertretenen Grundhaltungen auch in Afghanistan bekannt geworden sei, weshalb dem Revisionswerber in Afghanistan eine asylrelevante Verfolgung drohe, unterliegt dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden und aus § 41 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbot und kann daher schon aus diesem Grund keine Beachtung finden (vgl. VwGH 4.11.2019, Ra 2018/18/0102, mwN). Das BVwG hat im Rahmen seiner Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK die in der Revision näher genannten Integrationsbemühungen des Revisionswerbers ohnehin berücksichtigt. Es ist daher auch unter diesem Blickwinkel nicht zu sehen, weshalb es fallbezogen zur Klärung des entscheidungsmaßgeblichen Sachverhaltes geboten gewesen wäre, eine weitere Verhandlungstagsatzung durchführen zu müssen.

12       Die Revision vermag auch zur Frage, ob subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei, nicht darzulegen, inwiefern das BVwG von den durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien betreffend die Beurteilung des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative abgewichen wäre (vgl. dazu VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

13       Der allgemein gehaltene Vorwurf, das BVwG habe Länderberichte und die individuellen Umstände des Revisionswerbers gänzlich außer Acht gelassen, stellt sich vor dem Hintergrund des Inhalts der angefochtenen Entscheidung, in der die Richtlinien des UNHCR sowie die Vorgaben der EASO Country Guidance zu Afghanistan (in der hier maßgeblichen Fassung von Juni 2018) berücksichtigt wurden, als unzutreffend dar. Entgegen dem Revisionsvorbringen berücksichtigte das BVwG auch die persönliche Situation des Revisionswerbers. So führte das BVwG einzelfallbezogen aus, dass es sich beim Revisionswerber um einen gesunden im erwerbsfähigen Alter befindlichen Mann handle, der etwa neun Jahre im Iran eine Schule besucht habe und über erste Berufserfahrungen als Tischler im Iran verfüge, Farsi spreche sowie mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei. Vor dem Hintergrund der fallbezogenen die individuelle Situation des Revisionswerbers näher beleuchtenden Feststellungen des BVwG vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die Annahme des BVwG, dem Revisionswerber stehe auf Grundlage der getroffenen Feststellungen in Mazar-e Sharif eine Fluchtalternative offen, unvertretbar wäre (zur Lage nach Afghanistan rückkehrender Hazara vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0282, sowie 17.9.2019, Ra 2019/14/0160).

14       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 19. Mai 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019140328.L00

Im RIS seit

17.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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