TE Vwgh Erkenntnis 2020/4/21 Ra 2019/19/0319

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Veröffentlicht am 21.04.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §58 Abs2
AVG §60
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des M M A D, vertreten durch Mag. Johannes Sykora, Rechtsanwalt in 3430 Tulln, Nußallee 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2019, I422 2220076-1/2E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein sudanesischer Staatsangehöriger, stellte am 28. November 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, in Khartum an einer Demonstration für eine bessere medizinische Versorgung teilgenommen zu haben. Er sei dabei von der Polizei festgenommen, der Mitgliedschaft bei der Oppositionspartei bezichtigt und für rund vierzehn Tage eingesperrt worden. Erst durch die Bezahlung von Bestechungsgeld habe seine Freilassung erwirkt werden können.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Antrag mit Bescheid vom 16. Mai 2019 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung in den Sudan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte das BFA mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Begründend führte das BFA aus, es habe hinsichtlich des Vorbringens, der Revisionswerber sei im Zuge einer Demonstration festgenommen und inhaftiert worden, keinen asylrelevanten Sachverhalt erkennen können. Der Revisionswerber habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihm in seinem Herkunftsstaat weiterhin eine Verfolgungsgefahr drohe bzw. ihn die sudanesischen Sicherheitsbehörden tatsächlich als Regimegegner betrachten würden. Die Freilassung des Revisionswerbers belege eindeutig, dass die Sicherheitsbehörden keinerlei Interesse an seiner Person hätten. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die sudanesischen Sicherheitsbehörden den Revisionswerber nur freigelassen hätten, um ihn später erneut festzunehmen. Ein solches Verhalten widerspreche einer logischen und effizienten Polizeiarbeit. Diese Feststellung werde von der Tatsache untermauert, dass die Sicherheitsbehörden die Familie des Revisionswerbers nach seiner Ausreise nur aufgesucht hätten, um die Familienangehörigen zu seiner Person zu befragen und den Bruder, der ebenfalls bei der Demonstration gewesen sei, festzunehmen. Darüber hinaus müsse den Sicherheitsbehörden bei der Befragung der Angehörigen des Revisionswerbers klar geworden sein, dass dieser kein Oppositioneller oder Regimegegner sei.

4        Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der unter anderem eine Verletzung der Ermittlungspflicht, mangelhafte Länderberichte sowie die Beweiswürdigung des BFA gerügt wurden. Der Revisionswerber machte die durch den im April 2019 erfolgten Sturz des Präsidenten herbeigeführte Änderung der Lage im Herkunftsstaat sowie deren Zusammenhang mit seinem Fluchtvorbringen geltend und verwies auf die insofern unvollständigen (vom BFA herangezogenen) Länderberichte. Darüber hinaus monierte er, das BFA habe sich in seiner Beweiswürdigung darauf gestützt, dass sein Vorbringen nicht plausibel wäre, und dazu vermeintliche Widersprüche angeführt. Das BFA habe es für nicht plausibel gehalten, dass der Revisionsweber nach wie vor wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt werden würde, weil er und sein Bruder gegen Bezahlung einer Geldsumme freigelassen worden seien. Dabei übersehe das BFA, dass die genannte Geldsumme Bestechungsgeld gewesen sei, dessen Leistung keine Garantie für den Schutz vor erneuter unrechtmäßiger Inhaftierung geboten habe. Dies werde - so die Beschwerde weiter - durch die erneute Inhaftierung des Bruders des Revisionswerbers auch nahegelegt. Regelrecht lebensfremd sei die Meinung des BFA, die sudanesischen Sicherheitsbehörden wären durch die Befragung der Angehörigen zwangsläufig zu dem Schluss gekommen, dass der Revisionswerber kein Oppositioneller oder Regimegegner sei. Der Revisionswerber beantragte in der Beschwerde außerdem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, weil eine solche zur ganzheitlichen Würdigung des individuellen Vorbringens unvermeidlich erscheine.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 28. Juni 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab (Spruchpunkt A.) und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).

6        In der Begründung hielt das BVwG fest, die belangte Behörde habe in ihrer Beweiswürdigung nachvollziehbar und schlüssig aufgezeigt, weshalb sie das Vorbringen des Revisionswerbers, wonach dieser nach seiner Freilassung von den Sicherheitsbehörden der Mitgliedschaft zur Oppositionspartei bzw. der Regimekritik bezichtigt und neuerlich verfolgt werde und deshalb eine Inhaftierung fürchte, als nicht glaubhaft erachte. Die Freilassung des Revisionswerbers gegen eine Kaution spreche dafür, dass die sudanesischen Sicherheitsbehörden kein gesondertes Interesse an seiner Person im Speziellen hätten. Der belangten Behörde sei auch darin beizupflichten, dass es gegen die Denklogik und die Effizienz der Polizeiarbeit spreche, dass der Revisionswerber zunächst festgenommen, inhaftiert und gegen Bezahlung einer Geldsumme freigelassen werde, nur um danach erneut festgenommen zu werden. Eine aus Anlass der Teilnahme an einer Demonstration erfolgende Verhaftung stelle für sich allein noch kein Indiz für das Vorliegen konkreter, gegen eine bestimmte Person gerichtete Verfolgung dar. Die belangte Behörde habe schließlich aufgezeigt, dass die Sicherheitsbehörden laut den Angaben des Revisionswerbers nach seiner Ausreise lediglich einmal die Familie aufgesucht habe. Dabei seien die übrigen Brüder lediglich befragt und nur derjenige Bruder, der bereits gemeinsam mit dem Revisionswerber festgenommen und inhaftiert worden sei, ein weiteres Mal mitgenommen worden.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, die von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Kriterien für das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung seien nicht erfüllt. Das Erkenntnis enthalte zudem keine Feststellungen zur Lage im Sudan und die Beweiswürdigung des BVwG sei unschlüssig.

9        Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

10       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:

11       Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 9.1.2020, Ra 2018/19/0501, mwN).

12       Diesen Grundsätzen hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht entsprochen:

13       Der Revisionswerber ist in seiner Beschwerde der Beweiswürdigung des BFA inhaltlich entgegengetreten. Er rügte unter Verweis auf den im Zeitpunkt der Entscheidung des BFA nur kurze Zeit zurückliegenden politischen Umsturz im Herkunftsstaat, dass die vom BFA herangezogenen Länderberichte unvollständig seien. Zudem wurden in der Beschwerde die von den getroffenen Länderfeststellungen losgelösten Schlussfolgerungen des BFA zur polizeilichen Arbeit der sudanesischen Sicherheitsbehörden und deren Einschätzung seiner politischen Gesinnung entkräftet.

14       Demnach lagen die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung nicht vor. Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des - wie hier gegeben - Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2019/19/0138, mwN).

15       Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

16       Im fortgesetzten Verfahren wird das BVwG auch weitere Verfahrensmängel zu beheben haben. So hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt in Fällen, in denen für die rechtliche Beurteilung maßgebliche Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat zur Gänze fehlten, eine Verletzung der Begründungspflicht angenommen (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0391, mwN).

17       Wie die Revision zutreffend rügt, hat das BVwG keine eigenen Feststellungen zur Lage im Sudan getroffen. Es hat lediglich auf die vom BFA getroffenen Länderfeststellungen verwiesen und in Widerspruch zu seiner eigenen Beobachtung einer sich täglich ändernden Sicherheitslage im Sudan die Auffassung vertreten, es seien im Vergleich zu den vom BFA getroffenen Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat keine entscheidungswesentlichen Änderungen eingetreten.

18       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. April 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190319.L00

Im RIS seit

24.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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