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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1995 §1 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Robl,
Dr. Rosenmayr, Dr. Baur und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde 1. des M C, geboren am 10. März 1936, und 2. der F C, geboren am 6. Februar 1939, beide vertreten durch Dr. Hansjörg Schweinester und Dr. Paul Delazer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Adolf-Pichler-Platz 12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 20. Februar 1995, Zl. III 78-2/95, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat den Beschwerdeführern (insgesamt) Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführer, Staatsangehörige der Republik Bosnien-Herzegowina, reisten am 20. Jänner 1995 über die slowenisch-österreichische Grenze in das Bundesgebiet ein.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 26. Jänner 1995 wurden die beiden Beschwerdeführer gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.
In der dagegen erhobenen Berufung brachten die Beschwerdeführer vor, sie hätten die Grenzkontrolle in einem Reisebus, der von den Grenzkontrollorganen pauschal "durchgewinkt" worden sei, passiert. § 10 Abs. 3 Grenzkontrollgesetz sehe die Möglichkeit des beschleunigten Grenzverkehrs vor, sodaß, wenn ein Einreisender durchgewinkt werde, gesetzlich unterstellt werde, er habe sich der Grenzkontrolle gestellt. Bosnische Staatsangehörige seien aufgrund des pragmatisch weiter angewendeten Sichtvermerksabkommens zwischen Österreich und Jugoslawien, BGBl. Nr. 365/1965 idF BGBl. Nr. 117/1983, zur sichtvermerksfreien Einreise und zu einem anschließenden Aufenthalt in der Dauer von drei Monaten berechtigt. Ein Sichtvermerk sei für bosnische Staatsangehörige gemäß Art. 2 dieses Abkommens lediglich dann erforderlich, wenn die Einreise zum Zwecke der Arbeitsaufnahme erfolge. Dies hätten die Beschwerdeführer, die ihren Heimatstaat als Kriegsvertriebene hätten verlassen müssen, nicht beabsichtigt. Serbische Milizen hätten die Beschwerdeführer unter Androhung der Tötung zum Verlassen ihres Hauses in Bosnien-Herzegowina gezwungen. Gemäß der zu § 12 Aufenthaltsgesetz ergangenen Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 seien bosnische Staatsbürger zum vorübergehenden Aufenthalt in Österreich berechtigt, wenn sie ihre Heimat wegen der bewaffneten Konflikte hätten verlassen müssen. Der Flüchtlingskoordinator der Tiroler Landesregierung habe den Beschwerdeführern bereits zugesagt, daß ihre Aufnahme in die Landesbetreuung erfolge, falls der Aufenthalt von der "Fremdenpolizei genehmigt" werde.
Im Hinblick auf die dem Vertreter der Beschwerdeführer am 16. Februar 1995 zugestellte Aufforderung der Berufungsbehörde zur Stellungnahme zu der von ihr vertretenen Auffassung, daß im Falle der Beschwerdeführer der Tatbestand des § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG erfüllt sei, gab dieser bekannt, daß die Überprüfung des Vorhandenseins von Unterhaltsmitteln noch "einige Tage dauern" würde. Diesbezüglich war dem Vertreter der Beschwerdeführer zur Äußerung eine Frist von einer Woche gesetzt worden. Die von der Berufungsbehörde mitgeteilten Bedenken im Hinblick auf § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG träfen schon deshalb nicht zu, weil nach dieser Gesetzesstelle die Ausweisung "im Interesse der öffentlichen Ordnung" liegen müsse. Eine allfällige Mittellosigkeit der Beschwerdeführer sei zwar nicht im Interesse der öffentlichen Ordnung, jedoch sehe § 10 Abs. 3 FrG ausdrücklich einen Ausnahmetatbestand vor. Daraus sei abzuleiten, daß dann, "wenn besonders berücksichtigungswürdige Fälle bzw. humanitäre Gründe vorliegen", das Interesse des Betroffenen am weiteren Aufenthalt das gegenteilige öffentliche Interesse überwöge. Da Österreich bosnischen Flüchtlingen vorübergehenden Schutz und Aufnahme auch dann gewähre, wenn die Sichtvermerksversagungsgründe nach § 10 Abs. 1 Z. 2 und 3 FrG vorliegen, könne eine Ausweisung von bosnischen Kriegsvertriebenen nicht auf das Fehlen von ausreichenden Unterhaltsmitteln gestützt werden.
Im übrigen habe die Behörde erster Instanz den Ausweisungsgrund des § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG nicht herangezogen, sodaß dies auch der Berufungsbehörde verwehrt sei.
Ohne den Ablauf der den Beschwerdeführern gesetzten Frist zur Äußerung abzuwarten, erließ die belangte Behörde den - dem Vertreter der Beschwerdeführer am 21. Februar 1995 zugestellten - nunmehr bekämpften Bescheid, in dem die verfügte Ausweisung gegen die Beschwerdeführer auf § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG, gestützt wurde.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführer hätten den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachweisen können und seien daher gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 leg. cit. im Interesse der öffentlichen Ordnung auszuweisen (gewesen). Auf die Erteilung eines Sichtvermerkes gemäß § 10 Abs. 3 Z. 1 (in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen) bestehe kein Rechtsanspruch. Ein "vorübergehendes Aufenthaltsrecht" nach der Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 hätten die Beschwerdeführer deshalb nicht erworben, weil sie sich bei der Einreise in das Bundesgebiet nicht der Grenzkontrolle gestellt hätten. Ein "Durchwinken" an der Grenzkontrollstelle entspreche nicht § 1 Abs. 2 der zitierten Verordnung, für deren Anwendung ein "sich der Grenzkontrolle Stellen" gefordert werde. Die Beschwerdeführer mögen sich zwar nach dem pragmatisch weiter geltenden österreichisch-jugoslawischen Sichtvermerksabkommen für die Dauer von drei Monaten sichtvermerksfrei im Bundesgebiet aufhalten dürfen, jedoch sei daraus für sie nichts zu gewinnen, weil die belangte Behörde die Ausweisung auf § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG stütze, welcher Tatbestand auch noch im Berufungsverfahren "innerhalb der Einmonatsfrist" herangezogen werden könne. § 10 Abs. 1 bzw. Abs. 3 Grenzkontrollgesetz führe bei Zutreffen der Behauptung der Beschwerdeführer, daß sie bei der Einreise in das Bundesgebiet von den Grenzkontrollorganen durchgewinkt worden seien, dazu, daß sie sich im Bundesgebiet rechtmäßig aufhielten, jedoch hätten sie angesichts der Umstände ihrer Einreise kein vorübergehendes Aufenthaltsrecht gemäß der Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 erlangt. § 10 Abs. 1 Grenzkontrollgesetz spreche davon, daß sich die Personen, die den Grenzübertritt vorgenommen haben oder vornehmen wollen, "... der Grenzkontrolle ... unterziehen müssen, soweit eine solche Kontrolle stattfindet". Gemäß § 1 Abs. 2 der angeführten Verordnung müßten sich Personen, die in das Bundesgebiet als "bosnische Kriegsflüchtlinge" einreisten und im Bundesgebiet das "vorübergehende Aufenthaltsrecht" gemäß dieser Verordnung haben wollten, bei der Einreise in das Bundesgebiet (über eine Grenzkontrollstelle) der Grenzkontrolle stellen und es müsse ihnen die Einreise in das Bundesgebiet - dokumentiert durch einen österreichischen Grenzkontrollstempel - gestattet worden sein.
Die Darstellung ihrer Abreise aus Bosnien-Herzegowina und die angestrebte Aufnahme in die "Landesbetreuung" im Bundesgebiet zeigten im übrigen zweifelsfrei, daß die Beschwerdeführer nicht in der Lage seien, die erforderlichen Mittel für ihren Unterhalt aufzubringen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführer bringen vor, daß sie anläßlich des Grenzübertrittes von den Grenzkontrollorganen "durchgewunken" worden seien. Der Hinweis der belangten Behörde, die Beschwerdeführer hätten sich der Grenzkontrolle nicht gestellt, sei verfehlt, weil "man sich einer Grenzkontrolle nur dann stellen kann, wenn eine stattfindet". Ein sprachlicher Unterschied zwischen "sich der Grenzkontrolle unterziehen" (§ 10 Abs. 1 Grenzkontrollgesetz) und "sich der Grenzkontrolle stellen" im Sinne der Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 sei nicht ersichtlich. Insbesondere entspreche die Auffassung der belangten Behörde, die Grenzkontrolle müsse durch Gestattung der Einreise in Form eines "Einreise-Grenzkontrollstempels" im Reisepaß dokumentiert werden, nicht dem Gesetz. Die Beschwerdeführer erfüllten somit die Voraussetzungen der auf Grundlage des § 12 AufG erlassenen Verordnung
BGBl. Nr. 1038/1994. Da Österreich kriegsvertriebenen Bosniern in Form von Sondernormen ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht verschafft habe und Bundes- bzw. Landesunterstützungen zur Verfügung stelle, wenn Mittellosigkeit gegeben sei, könne gegen derartige Personen nicht eine Ausweisung auf Grundlage des § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG wegen Mittellosigkeit erfolgen.
§ 17 Abs. 1 und 2 FrG lautet auszugsweise:
"§ 17. (1) Fremde sind mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 Bedacht zu nehmen.
(2) Fremde können im Interesse der öffentlichen Ordnung mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie
...
4.
innerhalb eines Monates nach der Einreise den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermögen oder
...
6.
unter Mißachtung der Bestimmungen des 2. Teiles oder unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und binnen einem Monat betreten werden."
Die Beschwerde zeigt mit ihrem Vorbringen grundsätzlich richtig auf, daß eine Ausweisung von Personen, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in Bosnien-Herzegowina geflüchtet sind und die Voraussetzungen für das besondere Aufenthaltsrecht gemäß der nach § 12 AufG erlassenen Verordnungen erfüllen, für welche auch besondere, aus öffentlichen Mitteln gestützte Förderungsmaßnahmen vorgesehen sind, mit Bezug auf § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG mangels Nachweises des Besitzes von Mitteln zu ihrem Unterhalt nicht als offensichtlich im Interesse der öffentlichen Ordnung gesehen werden kann (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1997, Zl. 96/21/0888). Mit der Gewährung eines Aufenthaltsrechtes ohne Bedachtnahme auf den Nachweis von gesicherten Unterhaltsmitteln und einer entsprechenden Unterkunft durch den Gesetzgeber stünde eine (sofort durchsetzbare) Ausweisung gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG in Widerspruch, zumal das Fehlen von Unterhaltsmitteln bei Kriegsvertriebenen regelmäßig zu erwarten sein wird. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde setzt das von Gesetzes wegen entstehende befristete Aufenthaltsrecht gemäß der auf Grundlage des § 12 AufG erlassenen Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 auch nicht voraus, daß in den Reisepaß von den Grenzkontrollorganen zum Nachweis der erfolgten Grenzkontrolle ein "Grenzkontrollstempel" angebracht wird. (Auch der durch die - hier noch nicht anzuwendende - AufG-Novelle
BGBl. Nr. 351/1995 in § 12 Abs. 3 AufG normierten "Ersichtlichmachung" des Aufenthaltsrechtes gemäß § 12 AufG kommt im übrigen lediglich deklaratorische Bedeutung zu.) Die zitierte Verordnung verlangt vielmehr u.a. (nur), daß sich der Betroffene der Grenzkontrolle "gestellt" hat und ihm "die Einreise gestattet wurde".
Die Beschwerdeauffassung, dem Erfordernis, sich der "Grenzkontrolle zu stellen", sei auch dann entsprochen, wenn die Beschwerdeführer anläßlich ihrer Einreise von den Grenzkontrollorganen "durchgewunken" worden seien, entspricht aber nicht dem Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichtshofes:
Gemäß § 12 Abs. 1 AufG kann die Bundesregierung mit Verordnung für Zeiten erhöhter internationaler Spannungen, eines bewaffneten Konfliktes oder sonstiger die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände davon unmittelbar betroffenen Gruppen von Fremden, die anderweitig keinen Schutz finden, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewähren. Gemäß § 1 Abs. 1 der aufgrund dieser Bestimmung erlassenen Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 1038/1994, haben "Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, ... ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet". Gemäß § 1 Abs. 2 der genannten Verordnung besteht dieses Aufenthaltsrecht "für die nach dem 1. Juli 1993 eingereisten und einreisenden Personen gemäß Abs. 1, sofern die Einreise über eine Grenzkontrollstelle erfolgte, bei der sich der Fremde der Grenzkontrolle stellte und ihm entsprechend internationaler Gepflogenheiten die Einreise gestattet wurde" (Hervorhebung durch den Verwaltungsgerichtshof). Dem Erfordernis, sich der Grenzkontrolle zu stellen, wird - wie die belangte Behörde zu Recht ausgeführt hat - nach ständiger hg. Rechtsprechung nur durch ein Tun des Fremden entsprochen: Er hat von sich aus (initiativ) an der Grenzkontrollstelle an ein Grenzkontrollorgan zwecks Durchführung der Grenzkontrolle heranzutreten. Diesem Erfordernis sind die Beschwerdeführer nicht nachgekommen, wenn sie es dabei bewenden ließen, sich an der Grenzkontrollstelle "durchwinken" zu lassen. Mangels Vornahme einer Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit des Übertrittes der Beschwerdeführer in das Bundesgebiet im Hinblick auf das Vorliegen der in der zitierten Verordnung festgelegten Kriterien durch zu einer solchen Kontrolle berufene österreichische Organe kam daher auch die Verwirklichung des weiteren, kumulativ zu erfüllenden Tatbestandsmerkmales "und ... die Einreise gestattet wurde" nicht in Betracht, da ein "Gestatten" der Einreise ein entsprechendes Handeln des Grenzkontrollorganes im Rahmen der Grenzkontrolle bedingt (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 28. November 1996, Zl. 95/18/0635; vom 28. November 1996, Zl. 95/18/1331; vom 8. Februar 1996, Zl. 95/18/1364; vom 22. Mai 1997, Zl. 95/18/0451). Daran ändert auch nichts, wenn die Beschwerdeführer in Einklang mit § 10 Abs. 1 Grenzkontrollgesetz in das Bundesgebiet eingereist sein sollten und sich hier im Hinblick auf eine zulässige sichtvermerksfreie Einreise gemäß dem pragmatisch weiter angewendeten österreichisch-jugoslawischen Sichtvermerksabkommen, BGBl. Nr. 365/1965 idF BGBl. Nr. 117/1983, für die Dauer von drei Monaten berechtigt im Bundesgebiet aufhalten durften. Das "Gestatten" der Einreise zur Erlangung der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach der bereits mehrfach angeführten Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 setzt eine entsprechende Deklarierung des Betreffenden an der Grenze voraus. Demgemäß können sich die Beschwerdeführer nicht auf ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht gemäß der genannten Verordnung berufen.
Die Beschwerdeführer stützen die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides allerdings auch auf das dreimonatige Aufenthaltsrecht nach der erwähnten zulässigen sichtvermerksfreien Einreise. Wenn sie nun in diesem Zusammenhang weiters rügen, daß die belangte Behörde - anders als die Behörde erster Rechtsstufe (die die Ausweisung auf § 17 Abs. 1 FrG und damit auf einen unrechtmäßigen Aufenthalt gestützt hatte) - erstmals den Ausweisungstatbestand des § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG herangezogen hat, so ist ihnen zu entgegnen, daß die Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG berechtigt ist, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Sie ist nicht an die von der Unterinstanz getroffenen Feststellungen gebunden und hat ihrer Entscheidung den ihrer Überzeugung nach maßgebenden Sachverhalt zugrundezulegen. Richtig ist allerdings, daß die Berufungsbehörde sich dabei innerhalb der Grenzen der vorliegenden Verwaltungssache zu halten hat, sich also auf den Gegenstand zu beschränken hat, über den in erster Instanz abgesprochen wurde. In diesem Sinn war Verfahrensgegenstand in erster Instanz die Ausweisung gemäß § 17 FrG. Demgemäß durfte die belangte Behörde unter der Voraussetzung, daß sie dem Beschwerdeführer Parteiengehör gewährte und dahingehende Ermittlungsergebnisse vorlagen, entsprechend ihrer Befugnis zur umfassenden rechtlichen Beurteilung erstmals auch den für die Frage der Ausweisung maßgeblichen Tatbestand des § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG aufgreifen.
Im vorliegenden Fall hat nun die belangte Behörde den Beschwerdeführern unter Fristsetzung von einer Woche mit der Aufforderung vom 16. Februar 1995 die Gelegenheit eingeräumt, zu dem von ihr erstmals herangezogenen Ausweisungstatbestand des § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG eine Stellungnahme abzugeben. Der Vertreter der Beschwerdeführer verweist in diesem Zusammenhang berechtigt darauf hin, daß die belangte Behörde vor Ablauf der von ihr selbst gesetzten Frist den gegenständlichen Bescheid erlassen und dadurch die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Wahrung ihres Parteiengehörs verletzt hat. Die Beschwerdeführer durften nämlich im Hinblick auf die Fristsetzung der belangten Behörde darauf vertrauen, daß sie bis zu deren Ablauf die Gelegenheit zur Stellungnahme haben würden. In diesem Sinn hat der Vertreter der Beschwerdeführer auch mitgeteilt, daß er nach Prüfung der erstmals von der Berufungsbehörde als relevant angesehenen Sachverhaltselemente mit Bezug auf § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG seiner Verpflichtung zur initiativen Darlegung der erforderlichen Unterhaltsmittel nachkommen würde. Mit dieser Erklärung hat der Vertreter der Beschwerdeführer jedoch nicht auf die ihm von der Behörde zur Wahrung des rechtlichen Gehörs eingeräumte Frist verzichtet oder sich allenfalls mit einer Verkürzung dieser Frist einverstanden erklärt.
Eine Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 45 Abs. 3 AVG führt jedoch entgegen der Beschwerdeauffassung nicht schon für sich allein zur Aufhebung des Bescheides. Eine Aufhebung eines Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kommt nach ständiger hg. Rechtsprechung erst dann in Betracht, wenn bei deren Vermeidung ein für den Beschwerdeführer günstigeres Verfahrensergebnis zu erzielen gewesen wäre. Demgemäß hätten die Beschwerdeführer jenes Vorbringen zum Sachverhalt, das mangels Parteiengehörs unterblieben ist, zu erstatten und darzutun gehabt, welche Feststellungen die belangte Behörde im Falle der Wahrung des rechtlichen Gehörs hätte treffen können sowie ob und inwieweit sich dadurch für diese ein günstigerer Verfahrenserfolg ergeben hätte. Einem derartigen sachverhaltsbezogenen Vorbringen wäre - wegen der unterlaufenen Verletzung des Parteiengehörs der Beschwerdeführer - auch nicht das sonst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG entgegengestanden. Indem sich die Beschwerdeführer jedoch darauf beschränkt haben, auf die Verletzung der erwähnten Verfahrensvorschrift hinzuweisen, ohne jedoch die Wesentlichkeit dieses der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels aufzuzeigen, haben sie die Relevanz dieser Verfahrensverletzung nicht dargetan.
Aus den bisherigen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde zu Recht das im Rahmen der Ermessensnorm des § 17 Abs. 2 FrG in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilende Tatbestandselement der Z. 4 als erfüllt angesehen hat, weil sie (ohne daß ihr ein relevanter Verfahrensfehler unterlaufen wäre) festgestellt hat, daß die Beschwerdeführer innerhalb eines Monates nach der Einreise (zuzüglich der behördlich eingeräumten weiteren Frist von 3 Tagen) den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermochten.
Die Beschwerde ist im Ergebnis dennoch berechtigt: Gemäß § 17 Abs. 2 FrG hat die Behörde bei Heranziehung der dort umschriebenen Tatbestände Ermessen zu üben. Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde damit begnügt, mangels Nachweises der Mittel zum Unterhalt der Beschwerdeführer ihre Ausweisung als im Interesse der öffentlichen Ordnung gelegen zu sehen. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid keinerlei Gründe dafür angegeben, warum sie von dem ihr in § 17 Abs. 2 Z. 2 leg. cit. eingeräumten Ermessen, von einer Ausweisung Abstand zu nehmen, nicht Gebrauch gemacht hat. Die im Bescheid verwendete Formulierung,
"Sie können den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachweisen. Sie werden daher gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG im Interesse der öffentlichen Ordnung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich ausgewiesen.",
läßt vielmehr darauf schließen, daß die belangte Behörde angenommen hat, sie habe im Falle des Vorliegens des Tatbestandes des Abs. 2 Z. 4 FrG zwingend die Ausweisung zu verfügen. Damit hat sie jedoch die Rechtslage verkannt.
Legt man das von der belangten Behörde offensichtlich übernommene Vorbringen der Beschwerdeführer zugrunde, sie hielten sich im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides unter Bedachtnahme auf die oben beschriebene Sichtvermerksfreiheit berechtigt im Bundesgebiet auf und ihnen komme das vorübergehende Aufenthaltsrecht als kriegsvertriebene Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina gemäß der auf Grundlage des § 12 AufG erlassenen Verordnung
BGBl. Nr. 1038/1984 lediglich deshalb nicht zu, weil sie zwar in Einklang mit § 10 Abs. 1 Grenzkontrollgesetz in das Bundesgebiet eingereist waren, sich jedoch nicht gemäß § 1 Abs. 2 der zitierten Verordnung der Grenzkontrolle gestellt hatten, so hätte die belangte Behörde zu begründen gehabt, warum im vorliegenden Fall nicht eine (bloß) geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung vorlag. Selbst ein bloßer Hinweis auf das der Behörde eingeräumte freie Ermessen reichte zur Begründung einer Entscheidung jedenfalls in den Fällen nicht aus, in denen eine Überprüfung der getroffenen Maßnahme dahingehend, ob sie mit dem Sinn des Gesetzes in Einklang zu bringen ist, ohne eine die Erwägungen der Behörde darlegende Begründung nicht möglich ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 4. November 1966, Zl. 1990/65, Slg. Nr. 7022/A). Zweifellos gibt es auch im Anwendungsbereich des § 17 Abs. 2 FrG Fälle, die so beschaffen sind, daß die für die Handhabung des von der Behörde zum Nachteil des Betroffenen geübten Ermessens maßgebliche Gründe auch ohne ausdrückliche Erwähnung klar auf der Hand liegen (vgl. dazu aus der ständigen Rechtsprechung zu § 17 Abs. 2 Z. 6 FrG etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1998, Zl. 96/21/1025). Von einem solchen Fall kann aber hier nicht die Rede sein, wenn die Beschwerdeführer rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist sind und sich auf das besondere Aufenthaltsrecht gemäß § 12 AufG nur deshalb nicht berufen können, weil sie der Vorschrift der zitierten Verordnung bei Einreise im Bewußtsein der Zulässigkeit ihres Grenzübertrittes - im Hinblick auf das Aufenthaltsrecht nach § 12 AufG rechtsirrtümlich - nicht entsprochen haben und sie im Falle der Abstandnahme von der Ausweisung - wie behauptet - mit der ihnen in Aussicht gestellten "Aufnahme in die Landesbetreuung" rechnen konnten. Nach § 17 Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde bei einer Ermessensentscheidung überdies darauf Bedacht zu nehmen, daß diese darauf gestützte Ausweisung von Gesetzes wegen sofort vollstreckbar ist. Bei einer Ausweisung nach § 17 Abs. 2 Z. 4 leg. cit. - bei der hier gegebenen Sachlage - liegt eine solche Notwendigkeit ohne Darlegung der für einen sofortigen Vollzug des Bescheides sprechenden Erwägungen in der Bescheidbegründung nicht auf der Hand (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Dezember 1995, G 1306/95).
Aus den angeführten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit (infolge Verkennung der Rechtslage in bezug auf die Möglichkeit einer Ermessensentscheidung) aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Haben mehrere Beschwerdeführer einen Verwaltungsakt gemeinsam in einer Beschwerde angefochten, so ist die Frage des Anspruches auf Aufwandersatz (§ 47) gemäß § 53 Abs. 1 VwGG so zu beurteilen, wie wenn die Beschwerde nur von dem in der Beschwerde erstangeführten Beschwerdeführer eingebracht worden wäre. Die Abweisung des Mehrbegehrens betreffend den Ersatz von Stempelgebühren gründet sich darauf, daß die Beilage des angefochtenen Bescheides nach dem Gesetz in einfacher Ausfertigung ausgereicht hätte.
Schlagworte
Begründung von Ermessensentscheidungen Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Ermessen Ermessen VwRallg8European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1995210463.X00Im RIS seit
29.01.2002