TE Vwgh Erkenntnis 1998/4/2 96/10/0093

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Veröffentlicht am 02.04.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
70/05 Schulpflicht;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
SchPflG 1985 §8 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Binder-Krieglstein, über die Beschwerde der mj. E, vertreten durch den Erziehungsberechtigten G, beide in S, vertreten durch Dr. Werner Stolarz, Rechtsanwalt in 2020 Hollabrunn, Hauptplatz 16, gegen den Bescheid des Landesschulrates für Niederösterreich vom 20. November 1995, Zl. I-27305/1-1995, betreffend Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Vorauszuschicken ist, daß die belangte Behörde nur Teile der Verwaltungsakten, die kein vollständiges Bild der Sache ergeben, dem Verwaltungsgerichtshof vorlegte; dies nach mehrmaliger Aufforderung und mit der vom 11. März 1998 datierenden Beifügung, daß "der restliche Teil des Aktes" dem Verfassungsgerichtshof zu B 63/96 vorgelegt worden sei. Erhebungen beim Verfassungsgerichtshof ergaben, daß die Verwaltungsakten nach Ablehnung der Beschwerde im Juni 1997 der belangten Behörde übermittelt wurden. Auch im angefochtenen Bescheid findet sich keine Darstellung des Sachverhaltes. Der Verwaltungsgerichtshof hat daher, soweit die erforderlichen Feststellungen aus den vorgelegten Aktenbestandteilen nicht getroffen werden können, gemäß § 38 Abs. 2 VwGG vorzugehen.

Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin zufolge wurde mit Bescheid des Bezirksschulrates H. vom 27. Juni 1995 "die Sonderschulbedürftigkeit der Beschwerdeführerin festgestellt und ausgeführt, daß sie mit Beginn des Schuljahres 1995/1996 in die Sonderschule aufgenommen wird".

Über die Berufung der Beschwerdeführerin erging der angefochtene Bescheid, dessen Spruch lautet:

"Gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 8 SchulpflichtG (BGBl. Nr. 76/1985 in der Fassung BGBl. Nr. 513/1993) wird die Berufung abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.

Gemäß § 8b SchulpflichtG hat die Schülerin ihre Schulpflicht an der allgemeinen Sonderschule S. zu erfüllen."

Die Begründung des Bescheides lautet:

"Die Schülerin befindet sich bereits im 5. Jahr der Schulpflicht und hat die 2. Stufe der Volksschule noch nicht erfolgreich abgeschlossen. Nach dem Gutachten des Leiters der Allgemeinen Sonderschule S. sowie des Leiters des Schulpsychologischen Dienstes beim Landesschulrat steht der sonderpädagogische Förderbedarf zweifelsfrei fest. Ihre Tochter ist in der Volksschule eindeutig überfordert und bedarf einer gezielten Betreuung nach dem allgemeinen Sonderschullehrplan. Da die Wahlmöglichkeit zwischen Integration und Besuch der Sonderschule im heurigen Schuljahr nur für Kinder bis zum 3. Jahr der Schulpflicht besteht, muß die Schülerin in die Allgemeine Sonderschule S. aufgenommen werden, wohin auch der Schulweg zumutbar ist."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Unter Hinweis auf die vorgelegte Schulnachricht über das erste Halbjahr der zweiten Schulstufe, die einen Notendurchschnitt von 1,7 ergibt, wird die Auffassung vertreten, bei der Beschwerdeführerin bestehe aus näher dargelegten Gründen kein sonderpädagogischer Förderbedarf. Als Verletzung von Verfahrensvorschriften wird geltend gemacht, daß die Ergebnisse der Beweisaufnahme den Eltern der Beschwerdeführerin nicht zur Kenntnis gebracht worden seien;

ebensowenig seien der Klassenlehrer und weitere Betreuungspersonen gehört worden.

Die belangte Behörde legte Teile der Verwaltungsakten vor;

eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Auf Grund der Behauptungen der Beschwerdeführerin und des Zitates des § 8 Abs. 1 SchulpflichtG im angefochtenen Bescheid geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, daß dieser im Instanzenzug die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfes für die Beschwerdeführerin trifft.

§ 8 Abs. 1 SchulpflichtG lautet:

"Der Bezirksschulrat hat den sonderpädagogischen Förderbedarf für ein Kind auf Antrag der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes, auf Antrag des Leiters der Schule, dem das Kind zur Aufnahme vorgestellt worden ist oder dessen Schule es besucht oder sonst von Amts wegen festzustellen, sofern dieses infolge physischer oder psychischer Behinderung dem Unterricht in der Volks- oder Hauptschule oder im Polytechnischen Lehrgang ohne sonderpädagogische Förderung nicht zu folgen vermag, aber dennoch schulfähig ist. Zuständig zur Entscheidung ist der Bezirksschulrat, in dessen Bereich das Kind seinen Wohnsitz hat; wenn das Kind bereits eine Schule besucht, ist der Bezirksschulrat, in dessen Bereich die Schule gelegen ist, zuständig. Der Bezirksschulrat hat zur Feststellung, ob ein sonderpädagogischer Förderbedarf besteht, ein sonderpädagogisches Gutachten sowie erforderlichenfalls ein schul- oder amtsärztliches Gutachten sowie und mit Zustimmung der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes ein schulpsychologisches Gutachten einzuholen. Ferner können Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte im Rahmen des Verfahrens Gutachten von Personen, welche das Kind bisher pädagogisch, therapeutisch oder ärztlich betreut haben, vorlegen. Auf Antrag der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten ist eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Der Bezirksschulrat hat die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten auf die Möglichkeit der genannten Antragstellungen hinzuweisen."

Nach Art. II Abs. 2 lit. A Z. 8 EGVG ist auf das Verfahren der Landes- und Bezirksschulbehörden das AVG anzuwenden. Nach § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Nach § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Den dargelegten Anforderungen entspricht weder die Begründung des angefochtenen Bescheides noch - wovon nach den Behauptungen der Beschwerdeführerin, die durch den Akteninhalt nicht widerlegt werden, auszugehen ist - das Ermittlungsverfahren.

Es ist nicht ersichtlich, daß die belangte Behörde der Beschwerdeführerin Gelegenheit gegeben hätte, vom Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere in Gestalt von Befund und Gutachten der Sachverständigen, Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Ebensowenig entspricht die Begründung des angefochtenen Bescheides den sich aus § 58 Abs. 2 und 60 AVG ergebenden Erfordernissen, in der Begründung in eindeutiger, einer nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise aufzuzeigen, von welchen konkreten Sachverhaltsannahmen die Behörde bei ihrem Bescheid ausgegangen ist und worauf sich die getroffene Tatsachenfeststellung im einzelnen stützt. Weder der Hinweis auf die Schullaufbahn der Beschwerdeführerin noch jener auf die im Verfahren erstatteten, inhaltlich in der Begründung des angefochtenen Bescheides jedoch nicht referierten Gutachten noch die Behauptung, daß die Beschwerdeführerin in der Volksschule eindeutig überfordert sei und einer gezielten Betreuung nach dem allgemeinen Sonderschullehrplan bedürfe, vermag konkrete, nachprüfbare Feststellungen über die im Verfahren nach § 8 Abs. 1 SchulpflichtG ausschlaggebende Frage, ob das Kind infolge physischer oder psychischer Behinderung dem Unterricht in der Volksschule ohne sonderpädagogische Förderung nicht zu folgen vermag, zu ersetzen. Da somit die erforderlichen entscheidungswesentlichen Feststellungen nicht getroffen wurden, ist der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben; es wurden Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996100093.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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