TE Vfgh Erkenntnis 2020/2/26 E188/2020

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Veröffentlicht am 26.02.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen afghanischen Staatsangehörigen mangels Heranziehung und Auseinandersetzung mit den aktuelle(re)n Länderberichten des EASO

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.        Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer ist ein am 2. Dezember 1997 (laut medizinischem Gutachten) geborener Staatsangehöriger Afghanistans, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Moslem, zog mit seiner Familie im Alter von etwa acht Jahren in den Iran, ist dort aufgewachsen und war im Alter von etwa 15 Jahren für wenige Monate in Afghanistan. Der aktuelle Aufenthaltsort seiner Familie ist nicht feststellbar. Er stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 11. Februar 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Mit Bescheid vom 6. Juni 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 und §55 AsylG 2005, erließ gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG und stellte gemäß §52 Abs9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig setzte die Behörde eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3.       Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 7. November 2019 als unbegründet ab. Bezüglich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung im Wesentlichen dahin, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan, konkret nach Mazar-e Sharif oder Herat als zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur Konvention bedeutete.

4.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und mit näherer Begründung die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan richtet, begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

2.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.       Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1.    Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK, oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

3.1.1.  Zur Beurteilung dessen sind vor allem hinreichend aktuelle Länderberichte heranzuziehen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; VfGH 21.9.2012, U1032/12; 26.6.2013, U2557/2012; 11.12.2013, U1159/2012 ua; 11.3.2015, E1542/2014; 22.9.2016, E1641/2016; 23.9.2016, E1796/2016; 27.2.2018, E2124/2017). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang etwa auf die Richtlinien des Hoch-kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR) oder auf die Berichte des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Asylum Support Office – EASO). Im Zusammenhang mit der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative ordnet Art8 Abs2 der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf inter-nationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) an, dass genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des UNHCR oder des EASO, eingeholt werden; diesen misst das Unionsrecht auch sonst besonderes Gewicht bei (vgl zB auch Art10 Abs3 litb der Richtlinie 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes [Verfahrensrichtlinie] und etwa EuGH 30.5.2013, Rs. C-528/11, Halaf, Rz 44). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl etwa VfSlg 20.021/2015, 20.166/2017; VfGH 24.9.2018, E761/2018; 30.11.2018, E3870/2018; 12.12.2019, E2692/2019) und des Verwaltungsgerichtshofes (jüngst etwa VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 7.6.2019, Ra 2019/14/0114) ist diesen Berichten daher besondere Beachtung zu schenken.

3.2.    Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Feststellungen, warum dem Beschwerdeführer eine Rückkehr nach Afghanistan, konkret nach Mazar-e Sharif oder Herat, trotz mangelnden Unterstützungsnetzwerks vor Ort möglich und zumutbar ist, auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018, aus der hervorgehe, "dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne besonderen Gefährdungsfaktoren […] dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen […]" (angefochtenes Erkenntnis, S 76 f.).

3.3.    Dabei übersieht das Bundesverwaltungsgericht, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine aktuellere und spezifischere Information betreffend Fälle wie jenen des Beschwerdeführers vorliegt. Die "Country Guidance" zu Afghanistan des EASO vom Juni 2019 nimmt nämlich ausdrücklich auf jene Gruppe von Rückkehrern Bezug, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben (S 139):

"Afghan nationals who resided outside of the country over a prolonged period of time may lack essential local knowledge necessary for accessing basic subsistence means and basic services. An existing support network could also provide the applicant with such local knowledge. The background of the applicant, including their educational and professional experience and connections, as well as previous experience of living on their own outside Afghanistan, could be relevant considerations.

For applicants who were born and/or lived outside Afghanistan for a very long period of time, IPA may not be reasonable if they do not have a support network which would assist them in accessing means of basic subsistence."

3.4.    Indem das Bundesverwaltungsgericht diese geänderten Verhältnisse nicht berücksichtigte, hat es die Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen und dadurch sein Erkenntnis – das knapp ein halbes Jahr nach Erscheinen der erwähnten "Country Guidance" erlassen wurde – mit Willkür belastet (vgl jüngst VfGH 12.12.2019, E2692/2019).

4.       Im Übrigen (hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt: Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind. Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

4.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E188.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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