TE Bvwg Beschluss 2019/4/30 W232 2122915-2

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Veröffentlicht am 30.04.2019
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Entscheidungsdatum

30.04.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W232 2122915-2/15E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.08.2018, Zl. 1076323808-180628560:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 05.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.02.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.03.2017 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 02.02.2019 verlängert.

4. Mit Urteil des LG XXXX vom XXXX 2017 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 125 StGB, 107 Abs. 1 StGB und § 83 Abs. 1 (287 Abs. 1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten bedingt verurteilt.

5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.07.2018 wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des genannten Bescheides als unbegründet abgewiesen.

6. Mit Schreiben vom 23.07.2018 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer mit, dass aufgrund seiner Verurteilung und der ab 22.06.2018 verhängten Untersuchungshaft ein Aberkennungsverfahren eingeleitet worden sei und er die Möglichkeit zur Stellungnahme habe.

7. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.08.2018 wurde der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die zuletzt erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

8. Mit Beschwerde vom 26.09.2018 wurde unter anderem ausgeführt, dass die belangte Behörde es verabsäumt habe den entscheidungsrelevanten Sachverhalt amtswegig zu ermitteln und gegen ihre Pflicht zu Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und zur ganzheitlichen Würdigung des individuellen Vorbringens des Beschwerdeführers verstoßen habe.

9. Mit Urteil des LG XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer gemäß § 83 Abs. 1 StGB, § 84 Abs. 4 StGB und § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, wovon acht Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden, verurteilt.

10. Mit Urteil des LG XXXX vom XXXX 2019 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 107 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054) und dazu festgehalten, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat es unterlassen den Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren einzuvernehmen. Das dem Beschwerdeführer übermittelte Schreiben über das eingeleitete Aberkennungsverfahren war nicht geeignet, die Behörde von ihrer Pflicht, sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, zu entbinden. Die letzte persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers erfolgte im Rahmen der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 11.01.2017, wobei diese Befragung lediglich im Rahmen einer Prüfung gemäß § 3 AsylG erfolgte. Wenn auch einzelne Fragen zur Integration des Beschwerdeführers gestellt wurden, kann dies keine Einvernahme des Beschwerdeführers zu seiner aktuellen persönlichen Situation in Österreich und zu seinen Bindungen in den Herkunftsstaat ersetzen. Zudem hat die Behörde aktenwidrig festgestellt, dass der Beschwerdeführer über keinerlei Familienangehörige im Bundesgebiet verfügt und die deutsche Sprache auf einfachem Niveau beherrscht. Beides widerspricht der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

In seiner ständigen Rechtsprechung betont der Verwaltungsgerichtshof, dass die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden kann, sondern der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zukommt (zuletzt Ra 2017/22/0007 vom 27.07.2017 mit Hinweis auf Ra 2014/22/0181 vom 23. Juni 2015). Hinsichtlich der Beurteilung der Rückkehrentscheidung ist daher eine Einvernahme zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im österreichischen Bundesgebiet unerlässlich, zumal sonst die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit der Ausweisung in den Heimatstaat nicht erfolgen kann.

Des Weiteren ist es nicht nachvollziehbar, auf welche Ermittlungen die Behörde ihre Feststellungen stützt, wonach der seinerzeit für die Gewährung des subsidiären Schutzes maßgebliche Grund zwischenzeitlich nicht mehr gegeben und dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuzumuten sei. Die bloße Heranziehung aktueller Länderberichte als Entscheidungsgrundlage, ohne sich mit den Länderfeststellungen zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auseinanderzusetzen, ist jedenfalls nicht geeignet, eine Änderung der Lage in Afghanistan zu begründen. Aus dem angefochtenen Bescheid ergibt sich zudem, dass sich die Aberkennung des subsidiären Schutzes auf die nunmehrige Volljährigkeit des Beschwerdeführers stützt (S. 139: "Durch die zwischenzeitig eingetretene Volljährigkeit und der nunmehrigen Zumutbarkeit einer Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan, sind die damaligen Hinderungsgründe weggefallen und ist Ihnen eine Rückkehr nach Afghanistan, z.B. nach Kabul, Mazare-e- Sharif oder Herat absolut zuzumuten"). Aus dem Bescheid vom 02.02.2016 geht jedoch hervor, dass sich die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht nur auf die Minderjährigkeit gestützt hat (S. 10: "Es konnte jedoch aufgrund Ihres jungen Alters, Ihrer geringen Schulausbildung, Ihrer sozialen Stellung in der afghanischen Gesellschaft und unter Anbetracht der Tatsache, dass Sie in ärmlichen Verhältnissen in Afghanistan aufgewachsen sind nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass Sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht einer besonderen Gefährdungslage in Bezug auf kriminelle Personen-/Gruppen bestehen würde").

Der maßgebliche Sachverhalt stellt sich mangels entsprechender Ermittlungen - auch in Verbindung mit der Beschwerde - als ungeklärt dar. Zentrale Ermittlungsschritte, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind, wären demnach erstmals durch das Verwaltungsgericht zu tätigen.

Es wird seitens des entscheidenden Gerichts explizit darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die allgemeine Lage in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass eine Rückführung per se ausgeschlossen sei (VwGH, 19.06.2017, Ra 2017/19/0095). Es erfordert eine derartige Entscheidung aber ein sorgfältiges Ermittlungsverfahren zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat sowie eine Prüfung der Situation des jeweiligen Antragstellers. Durch eine zielgerichtete Befragung wäre zu ermitteln gewesen, ob für den Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK besteht bzw. ob für ihn dort überhaupt eine ausreichende Lebensgrundlage vorhanden ist. Ebenso hätte die belangte Behörde sich einen persönlichen Eindruck des Beschwerdeführers zu verschaffen gehabt um das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich und den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat beurteilen zu können.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat sohin im Rahmen der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gerade einmal ansatzweise Ermittlungen getätigt. Damit erweist sich der vorliegende Sachverhalt für das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung der Frage, ob die die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten - also die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK bzw. der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention durch Rückführung in den Herkunftsstaat - für den Beschwerdeführer nicht mehr vorliegen, als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich sind.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Beschwerdeführer persönlich einzuvernehmen und in Hinblick auf mögliche reale Gefahren einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ausführlich zu befragen und ebenso Fragen zu seinem Familien- und Privatleben in Österreich zu stellen haben.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Regelung des § 28 Abs. 3 VwGVG erweist sich - vor dem Hintergrund des gegenständlichen Falles - klar und eindeutig. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aberkennungsverfahren, Einvernahme, Ermittlungspflicht, Kassation,
mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W232.2122915.2.00

Zuletzt aktualisiert am

28.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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