TE Vwgh Erkenntnis 1998/5/7 95/20/0457

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Veröffentlicht am 07.05.1998
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Index

24/01 Strafgesetzbuch;
25/02 Strafvollzug;

Norm

StGB §46 Abs1;
StGB §46 Abs2;
StVG §144 Abs2;
StVG §145 Abs2 idF 1987/605;
StVG §145 Abs3 idF 1987/605;
StVG §147 Abs1 idF 1987/605;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des AB in G, vertreten durch Dr. Josef Lindlbauer, Rechtsanwalt in 4470 Enns, Bräuergasse 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 20. Juni 1995, Zl. 423.089/9-V6/1995, betreffend Ausgang gemäß § 147 StVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Justiz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verbüßt seit dem 1. Dezember 1987 Freiheitsstrafen in der Gesamtdauer von mehr als 17 Jahren. Das Strafende fällt unter Berücksichtigung der Amnestie 1995 auf den 24. Februar 2003. Die zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach § 46 Abs. 1 StGB waren am 24. September 1994, diejenigen für eine bedingte Entlassung nach § 46 Abs. 2 StGB wären seit 3. September 1997 erfüllt. Der Beschwerdeführer wurde - nach der vom Berichter bei seinem anwaltlichen Vertreter eingeholten Auskunft - bisher jedoch nicht entlassen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Administrativbeschwerde des Beschwerdeführers gegen die Entscheidung des Leiters der Justizanstalt G. vom 19. Dezember 1994, einem vom Beschwerdeführer am 8. Dezember 1994 gestellten Ansuchen um Ausgang gemäß § 147 StVG in der Dauer von fünf Tagen nicht stattzugeben, gemäß § 121 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG 1991 und §§ 145, 147 Abs. 1 StVG nicht Folge.

In der Begründung dieser Entscheidung führte die belangte Behörde unter anderem aus, der Beschwerdeführer werde seit 1. Dezember 1993 im Entlassungsvollzug angehalten. Seine bedingte Entlassung gemäß § 46 Abs. 1 StGB zum 24. September 1994 sei mit Beschluß des Vollzugsgerichtes vom 31. März 1995 im wesentlichen unter Hinweis auf generalpräventive Bedenken abgelehnt worden. Die zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung gemäß § 46 Abs. 2 StGB werde der Beschwerdeführer (erst) am 3. September 1997 erfüllt haben. Gemäß § 145 StVG beginne der Entlassungsvollzug je nach dem Ausmaß der zu vollziehenden Freiheitsstrafe drei bis zwölf Monate vor der voraussichtlichen Entlassung. Sei der Anstaltsleiter der Auffassung, daß der Strafgefangene voraussichtlich bedingt entlassen werde, so sei der Zeitpunkt der voraussichtlichen bedingten Entlassung maßgebend. Wenn § 147 StVG Ausgänge der vom Beschwerdeführer beantragten Art "während des Entlassungsvollzuges" vorsehe, so werde auf letzteren damit "insofern" abgestellt, als nur in dem Zeitraum - bezogen auf die voraussichtliche Entlassung -, für den der Entlassungsvollzug vorgesehen sei, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen Ausgänge zu gewähren seien.

Hieran anschließend führte die belangte Behörde aus:

"In Anbetracht der, in dem die bedingte Entlassung gemäß § 46 Abs. 1 StGB ablehnenden Beschluß des Landesgerichtes Steyr dargelegten massiven generalpräventiven Bedenken, die gemäß § 46 Abs. 3 StGB bei jeder Entscheidung über eine bedingte Entlassung - sohin auch bei der künftig frühestens am 3.9.1997 zu fällenden Entscheidung nach § 46 Abs. 2 StGB - berücksichtigt werden müssen, ist auch nach Ansicht des Bundesministeriums für Justiz ein möglicher Termin für eine bedingte Entlassung zur Zeit nicht vorhersehbar. Die Entscheidung des Anstaltsleiters, den begehrten Ausgang nicht zu gewähren, war daher zutreffend; dies schon im Hinblick darauf, daß mit einer vorzeitigen Entlassung des Beschwerdeführers allenfalls frühestens ab 3.9.1997 gerechnet werden kann.

Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage war daher auf das übrige Vorbringen und die Beweisanbote des Beschwerdeführers nicht mehr einzugehen."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht im wesentlichen geltend, aus der von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogenen Tatsache, daß er sich im Entlassungsvollzug befinde, ergebe sich, daß die in § 147 Abs. 1 StVG normierte Voraussetzung "während des Entlassungsvollzuges" erfüllt und die Abweisung seines Ansuchens ohne Prüfung der übrigen Voraussetzungen für einen Ausgang nach § 147 Abs. 1 StVG daher rechtswidrig sei.

Dem hält die belangte Behörde in der Gegenschrift unter anderem entgegen, der Beschwerdeführer sei vor dem Inkrafttreten der maßgeblichen Teile der StVG-Novelle 1993, BGBl. Nr. 799, am 1. Jänner 1994 (jedoch, wie hinzuzufügen ist, nach deren Kundmachung am 26. November 1993) in den Entlassungsvollzug überstellt worden, was nach der damaligen Fassung des § 147 StVG noch nicht zur Gewährung von Ausgängen im Sinne dieser Gesetzesstelle habe führen können. Der Beschwerdeführer sei auch nach dem Inkrafttreten der Novelle im Entlassungsvollzug geblieben, "obwohl" nach § 147 StVG in der Fassung dieser Novelle "Ausgänge bereits im Entlassungsvollzug (gemeint: während dessen gesamter Dauer) gewährt werden können". Aus "dieser (formalen) Belassung" im Entlassungsvollzug dürfe der Beschwerdeführer aber nicht das Recht ableiten, "ohne jegliche Berücksichtigung des Zeitpunktes einer zu erwartenden Entlassung Ausgänge nach § 147 StVG n.F."

zu erhalten.

Der belangten Behörde sei bewußt, daß im Entlassungsvollzug gewährte Lockerungen dem Strafgefangenen gemäß § 145 Abs. 3 StVG (in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 605/1987) nicht bloß deshalb, weil die bedingte Entlassung in der Folge abgelehnt worden sei, entzogen werden dürften. "Lediglich Ausgänge nach § 147 StVG n.F." könnten "nach der von der belangten Behörde vorgenommenen Gesetzesauslegung frühestens zwölf Monate vor der voraussichtlichen (allenfalls bedingten) Entlassung gewährt werden". Eine andere Auslegung sei im Hinblick auf die dem Gesetz entnehmbaren Zwecke solcher Ausgänge "wenig sinnvoll". Dem Beschwerdeführer könnte somit "frühestens ab 3. September 1996 Ausgänge nach § 147 StVG n.F. gewährt werden". Da "die zeitlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Ausgängen nach § 147 StVG n.F." beim Beschwerdeführer nicht gegeben seien, sei die belangte Behörde zu Recht auf sein weiteres Vorbringen und seine Beweisanbote nicht eingegangen.

Strittig ist somit die Auslegungsfrage, ob im Falle einer nachträglichen Widerlegung der vom Anstaltsleiter der Überstellung eines Strafgefangenen in den Entlassungsvollzug zugrunde gelegten (günstigen) Einschätzung seiner Aussichten auf eine bedingte Entlassung durch spätere Entscheidungen des Vollzugsgerichtes in bezug auf den Anspruch auf Ausgänge nach § 147 Abs. 1 StVG die gleichen Grundsätze gelten wie nach § 145 Abs. 3 StVG für "Lockerungen". Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit dieser Frage in seinem Erkenntnis vom 11. Dezember 1997, Zl. 96/20/0630, auseinandergesetzt und sie aus den dort dargestellten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, bejaht.

Daraus folgt nicht, wie die belangte Behörde in der Gegenschrift anzunehmen scheint, ein Recht auf Ausgänge "ohne jegliche Berücksichtigung" des Zeitpunktes der (nach dem aktuellen, von demjenigen bei der Überstellung des Strafgefangenen in den Entlassungsvollzug allenfalls abweichenden Wissensstand) zu erwartenden Entlassung. Diese Berücksichtigung hat im Rahmen der Prüfung der mit dem Ausgang verfolgten Zwecke am gesetzlichen Maßstab hiefür ("zur Vorbereitung auf das Leben in Freiheit und zur Ordnung seiner Angelegenheiten") stattzufinden, was nach Lage des Falles auch dazu führen kann, daß der Ausgang trotz Erfüllung der übrigen Voraussetzungen nicht zu gewähren ist. Dabei ist jedoch einerseits zu berücksichtigen, daß der Neuregelung durch die StVG-Novelle 1993, wie im Vorerkenntnis näher dargelegt, die ausdrückliche Absicht zugrunde lag, Ausgänge nach § 147 Abs. 1 StVG schon zu Beginn des Entlassungsvollzuges, also - abgesehen von der Frage einer Fehleinschätzung des Entlassungszeitpunktes bei der Überstellung in den Entlassungsvollzug - bis zu zwölf Monate vor der voraussichtlichen Entlassung und nicht erst bei deren "Bevorstehen" zu ermöglichen. Andererseits wird auf die aus der Regelung für "Lockerungen" in § 145 Abs. 3 StVG ableitbaren Wertungen des Gesetzgebers Bedacht zu nehmen sein, die etwa einem abrupten Abbruch einer im Entlassungsvollzug durch Ausgänge gemäß § 147 Abs. 1 StVG begonnenen Anknüpfung oder Erneuerung sozialer Kontakte zur Vorbereitung auf das Leben in Freiheit nach einer die bedingte Entlassung vorerst ablehnenden Entscheidung des Vollzugsgerichtes in der Regel entgegenstehen werden.

Die belangte Behörde handelte aber jedenfalls rechtswidrig, wenn sie den Sachverhalt nicht unter diesen Gesichtspunkten prüfte, sondern ihrer Entscheidung - wie sie in der Gegenschrift bekräftigt - die Ansicht zugrunde legte, der im Entlassungsvollzug angehaltene Beschwerdeführer erfülle nicht "die zeitlichen Voraussetzungen" für die Gewährung eines Ausganges nach § 147 Abs. 1 StVG.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Da die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtslage nicht erwarten läßt, und Art. 6 Abs. 1 MRK dem nicht entgegensteht, konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1995200457.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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