TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/3 W226 2227419-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.02.2020
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Entscheidungsdatum

03.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W226 2227419-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA.:

Russische Föderation, vertreten durch Dr. Franz UNTERASINGER, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.06.2019, Zl., 733691410-190500293, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich folgender Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer reiste im Dezember 2003 im Alter von XXXX Jahren mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in das Bundesgebiet ein. Er stellte - vertreten durch seine Mutter - am 02.12.2003 bei der Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Mutter des damals erst XXXX Jahre alten Beschwerdeführers begründete die Asylantragstellung im Wesentlichen dahingehend, dass sie wegen des Krieges geflohen sei. Nach Asylgewährung an die Mutter des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid vom 19.11.2004 auch diesem Asyl durch Erstreckung gemäß § 11 AsylG 1997 gewährt.

1.2. Der Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge im Bundesgebiet mehrfach straffällig, über ihn scheinen im Strafregister der Republik Österreich sieben strafrechtliche Verurteilungen auf, nämlich:

01) BG XXXX vom XXXX , PAR 127 15 StGB, Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe, Jugendstraftat;

02) BG XXXX vom XXXX , PAR 83/1 StGB, Geldstrafe von 80 Tags zu je 4,00 EUR, Jugendstraftat;

03) BG XXXX vom XXXX , PAR 91/1 (1. Fall) StGB, Freiheitsstrafe 4 Wochen, Junge(r) Erwachsene(r);

04) LG XXXX vom XXXX , PAR 107/1 PAR 15 83/1 StGB, Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt, Junge(r) Erwachsene(r),

05) BG XXXX vom XXXX , § 83 (1) StGB, Freiheitsstrafe 3 Monate

06) BG XXXX vom XXXX , §229 (1) StGB, § 231 (1) StGB, Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt

07) BG XXXX vom XXXX , § 125 StGB, Freiheitsstrafe 3 Monate

1.3. Am 16.05.2019 leitete die belangte Behörde ein Aberkennungsverfahren gegen den Beschwerdeführer ein. Am 13.06.2019 wurde dieser im Verfahren betreffend Aberkennung des Internationalen Schutzes durch die belangte Behörde persönlich einvernommen.

Der Beschwerdeführer führte bei dieser Einvernahme an, ledig zu sein und 2 Kinder zu haben, diese würden bei der Mutter leben. Er gehöre der Volksgruppe der Tschetschenen an und sei muslimischen Glaubens.

Seine Muttersprache sei Tschetschenisch, außerdem spreche er noch Russisch und Deutsch. Er sei gesund, nehme keine Medikamente, er sei auch arbeitsfähig und stehe nicht in ärztlicher Behandlung. Zum persönlichen Lebenslauf gab der BF an, dass er im Alter von 13 bis 14 Jahren ausgereist sei, in Tschetschenien habe er die Pflichtschule gemacht, dies für fünf Jahre, wegen des Krieges habe er nicht länger die Schule besuchen können. Dann sei er mit der Mutter und dem Bruder hierhergekommen. Die Mutter seiner beiden Kinder habe die Rot-Weiß-Rot Karte, er zahle "nur so" Unterhalt für die Kinder, das hätten sie nicht über das Gericht ausgemacht. Er zahle 50 Euro pro Monat pro Kind, wenn er arbeite, dann auch mehr. Hier in Österreich habe er Deutschkurse gemacht, die Hauptschule, nämlich dritte und vierte Klasse besucht. Dann habe er noch eine Schule besucht, ähnlich wie ein Kurs, aber es sei eine Schule gewesen. In seiner Muttersprache, sowie in Russisch und Deutsch könne er lesen und schreiben. Beim Schreiben auf Russisch habe er leichte Probleme, weil er oft die Buchstaben verwechsle.

Zu seiner familiären Situation befragt schilderte der BF im Wesentlichen, dass ein Bruder von ihm noch in Russland lebe, dieser sei der Sohn des gemeinsamen Vaters, dieser Bruder habe aber eine andere Mutter. Den genauen Wohnort kenne er gar nicht, aber es sei in der russischen Föderation, sie würden manchmal telefonieren. Er habe auch noch zwei weitere Brüder und zwei Schwestern, einer der anderen Brüder habe aber einen eigenen Vater, da habe er sich nie eingemischt. In Österreich bekomme er jetzt die Mindestsicherung und wohne in einem Gemeindebau. Er lebe alleine und getrennt von seiner Familie. Kurse, eine Schule, Vereine, etc. besuche er nicht, aber er wolle irgendwann einen Schweißerkurs machen. Er sei in Österreich sechs bis sieben Mal verurteilt worden, habe sich zwei Mal in Haft befunden, befinde sich derzeit auf Bewährung. Er habe in der russischen Föderation noch eine weitere Tante, diese lebe in der Stadt XXXX . Die Mutter habe auch noch zwei Brüder gehabt, die Brüder seines Vaters seien inzwischen alle gestorben. Zu der Familie in Tschetschenien habe er ungefähr zwei Mal im Jahr Kontakt. Zur Mutter seiner Kinder in Österreich führte der BF aus, dass es nicht gepasst habe, sie hätten niemals gemeinsam in der gleichen Wohnung gelebt.

Auf die Frage, welche konkreten Befürchtungen er aktuell für den Fall der Rückkehr in das Heimatland habe, führte der BF aus, dass der Vater einen Mann getötet habe und es würde die Blutrache geben. Weil der Vater bereits gestorben sei, geht die Blutrache auf ihn über. Sonst habe er vor nichts Angst. Diese Blutrache sei schon sehr lange, dies sei schon vor 20 bis 25 Jahren gewesen. Auf die Frage, warum der Vater dann in Tschetschenien haben bleiben können, wenn der Vater von Blutrache bedroht gewesen sei, vermeinte der BF, dass der Vater in Inguschetien einen Mann getötet habe, dann sei der Vater abgehauen nach Tschetschenien. Er könne sich erinnern, dass "die die Steine an die Tür geworfen haben". Er wisse aber nicht, wie der Vater gestorben sei. Auf Vorhalt, dass die eigene Mutter angegeben habe, dass dies durch einen Unfall passiert sei, vermeinte der BF, dass er das nicht gewusst habe. Sonst habe er keine Probleme, aber er habe dort nichts. Er sei hier in Österreich aufgewachsen und wisse nicht, wie er dort leben solle.

Seine Eltern seien getrennt gewesen und die Mutter habe dann eine Wohnung in XXXX gehabt. Der Vater habe ein eigenes Haus gehabt. Er habe auch längere Zeit beim eigenen Vater gelebt, die Mutter habe diesen angefleht, als sie wegen des Krieges geflüchtet sei, dass sie den BF und die anderen Kinder mitnehmen könne. Der Vater sei damals krank gewesen und sie habe Angst gehabt, was aus den Kindern werden würde, wenn dem Vater etwas passiere.

Dem BF wurde vorgehalten, dass sich die allgemeine Lage seit der Asylgewährung geändert habe, eine reale Gefahr für das Leben oder die Gesundheit sei nicht mehr feststellbar. Der BF gab dazu an wie folgt: "Ich verstehe, dass das mit Asyl nicht mehr aktuell ist. Tschetschenien ist aber noch gefährlich. Die Jugend bringt sich gegenseitig um. Die Kriminalität ist hoch und die Menschenrechte werden nicht eingehalten. Wenn ich abgeschoben werde, dann würde ich wieder weggehen. Jetzt ist ein Streit zwischen den Inguschen und Dagestan wegen Grundstückstreitigkeiten und Grenzen ausgebrochen. Ich will nicht in der russischen Föderation leben. Ich bin hier aufgewachsen und will nicht wieder neu anfangen. Ich verstehe mich eher als Österreicher."

Im Verwaltungsakt finden sich Mitteilungen der Landespolizeidirektion Niederösterreich, Grenzpolizei XXXX , wonach die beiden Töchter des BF in Begleitung der Kindesmutter im Sommer 2018 mit Konventionspass in die russische Föderation geflogen sind, um eine kranke Tante zu pflegen, es befinden sich dort Flughafentickets von XXXX betreffend die Kinder des BF.

Im Verwaltungsakt befindet sich weiter die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.03.2014, Zl. W216 1430550-2/3E womit der Beschwerde des Bruders des BF1 XXXX betreffend Asylaberkennung keine Folge gegeben wurde, die damalige Beschwerde des Bruders als unbegründet abgewiesen wurde. Auf diese Entscheidung wird noch im Zuge der Beweiswürdigung einzugehen sein.

1.4. Mit Bescheid vom 17.06.2019, dem Beschwerdeführer zugestellt am 24.06.2019, erkannte das Bundesamt dem Beschwerdeführer den mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.11.2004 rechtskräftig zuerkannten Status des Asylberechtigen gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zu kommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erkannte das Bundesamt dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.). Es erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG (Spruchpunkt IV.). Das Bundesamt stellte fest, dass gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die RUSSISCHE FÖDERATION zulässig ist (Spruchpunkt V.). Unter einem stellte es fest, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.) und erließ gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG ein fünfjähriges Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).

Das Bundesamt stellte die Identität des Beschwerdeführers fest und dass er im Jahr 2003 im Beisein seiner Mutter und seiner Geschwister in das Bundesgebiet eingereist sei. Er habe einen Asylantrag gestellt und ihm sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.11.2004 Asyl zuerkannt worden. Im Bundesgebiet würden die 2 Töchter und Verwandte des Beschwerdeführers leben. Der Beschwerdeführer sei ledig. Er sei gesund und leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung, sei zudem in Österreich straffällig geworden. Die Gründe, welche zur Schutzgewährung geführt haben, würden nicht mehr vorliegen.

Die belangte Behörde führte aus, dass der Beschwerdeführer der Vater seiner beiden Töchter sei, welche bei der Kindesmutter leben würden. Er sei zudem der Sohn seiner namentlich genannten Mutter, welcher am 13.06.2019 der Status der Asylberechtigten rechtskräftig aberkannt worden sei. Auch seinem Bruder sei mit Bescheid vom 25.03.2014 der Status des Asylberechtigten bereits rechtskräftig aberkannt worden. Mehrere Halbgeschwister des BF seien asylberechtigt. Der BF lebe alleine und getrennt von seiner Familie in der eigenen Wohnung und es würden keine Abhängigkeitsverhältnisse bestehen, der BF gehe in Österreich keiner Beschäftigung nach und spreche brauchbar Deutsch.

Im Zuge der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde aus, dass der BF selbst ausgeführt habe, gesund zu sein und in der Lage zu sein, Angaben im Verfahren zu tätigen. Der BF habe zudem selbst angegeben, arbeitsfähig zu sein. Vor dem Hintergrund, dass der BF selbst geschildert habe, im Heimatland aufgewachsen zu sein und dort die Schule besucht zu haben, müsse davon ausgegangen werden, dass der BF die Gebräuche sowie die Gepflogenheit des Heimatlandes kenne und somit eine Rückkehr kein Problem darstellen könne. Aufgrund der mehrfachen kurzweiligen Arbeitstätigkeit in Österreich sei von Berufserfahrung und vor allem Arbeitsfähigkeit auszugehen. Der BF habe Schulbildung im Heimatland sowie drei Jahre lang in Österreich vorzuweisen, es sei daher anzunehmen, dass er in jedem Land der Welt in der Lage sein müsse, eine Beschäftigung zu finden. Der BF habe angegeben, Tschetschenisch, Russisch und Deutsch zu sprechen, der BF verfüge zudem über Verwandte im Heimatland, zu denen auch Kontakt bestehen soll. Ein Bruder soll noch in der russischen Föderation aufhältig sein, außerdem habe der BF von einer Tante mütterlicherseits gesprochen. Selbst wenn der BF den Aufenthaltsort des eigenen Bruders zu verschleiern versucht habe, wäre dieser Aufenthaltsort doch ganz einfach mit einem Anruf abzuklären. Im Falle einer Rückkehr wäre der BF somit nicht auf sich alleine gestellt.

Betreffend die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und zur Situation im Fall der Rückkehr führte die belangte Behörde aus, dass dem BF mit Bescheid vom 19.11.2004 Asyl durch Erstreckung zuerkannt worden sei, weil auch seiner Mutter der Status der Asylberechtigten zugesprochen worden sei. Die Mutter habe in ihrem Verfahren keine persönliche Verfolgung, weder für sich selbst, noch für die Kinder vorgebracht und lediglich geschildert, dass sie wegen des Krieges ausgereist sei. Hätte es eigene Gründe gegeben, hätte die Mutter diese vorgebracht. Das habe die Mutter aber nicht gemacht, weshalb alle von der Mutter erst später vorgebrachten Behauptungen als "entschiedene Sache" zu werten gewesen seien. Der Mutter sei somit mit Bescheid vom 13.06.2019 rechtskräftig der internationale Schutz aberkannt worden, es würden die Gründe, welche zur Schutzgewährung geführt hätten, nicht mehr vorliegen. Die damalige Lage (angemerkt: im Jahr 2004) habe eine Rückkehr der Mutter mit Kindern nicht zugelassen, weshalb dem Antrag auf internationalen Schutz habe stattgegeben werden müssen. In den letzten XXXX Jahren habe sich die Lage jedoch derart geändert, dass nunmehr eine Rückkehr möglich sei und der Schutz aberkannt werden müsse. Dem Bruder des BF sei der internationale Schutz bereits vor mehreren Jahren aberkannt worden.

Die belangte Behörde verwies auf das bereits genannte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.03.2014, worin das Bundesverwaltungsgericht sich umfassend mit der von der Mutter des BF erst später vorgebrachten Problematik einer allfälligen Blutrache auseinandergesetzt hat. In dieser Entscheidung sei ausgeführt worden, dass die Blutrache nicht für glaubhaft erachtet werden könne, vielmehr - nunmehr verkürzt wiedergegeben - der Vater des BF im Jahr XXXX einen Mann ermordet habe und dafür zehn Jahre im Gefängnis gesessen sei. Der Vater müsse somit ungefähr Mitte der 1980er Jahre aus der Haft entlassen worden sein, soll aber bis zu seinem natürlichen Tod im Jahr XXXX , somit insgesamt 20 Jahre, offensichtlich unbehelligt in Inguschetien gelebt haben. Daraus schloss das Bundesverwaltungsgericht, dass die Familie des Getöteten, hätte die Blutrache nach der Entlassung aus dem Gefängnis weiterbestanden, 20 Jahre lang Gelegenheit gehabt hätte, sich am Vater des BF persönlich zu rächen. Dies sei aber offensichtlich nicht geschehen, zumal der Vater des BF eines natürlichen Todes verstorben sei. Dass die Familie des Getöteten nunmehr viele Jahre nach dem Tod des Vaters des Beschwerdeführers Blutrache nehmen würde, obwohl die Familie des Getöteten den Vater jahrelang verschont habe, erscheine überhaupt nicht nachvollziehbar.

Das Bundesverwaltungsgericht verwies weiters darauf, dass selbst unter der hypothetischen Annahme der Gefahr einer Blutrache die Möglichkeit bestünde, dieser Problematik durch einen Umzug in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu entgehen. Den Angaben der Mutter des BF zufolge seien auch die übrigen Familienangehörigen und Verwandten des Vaters "in unterschiedliche Richtungen verzogen", deshalb habe auch die Mutter gemeinsam mit den Kindern Inguschetien nach Tschetschenien verlassen.

Von diesen Ausführungen des BVwG im Erkenntnis betreffend den Bruder XXXX vom 25.03.2014 ausgehend, führte die belangte Behörde aus, dass dem abermaligen Versuch, die Blutrache als Rückkehrhindernis vorzubringen, nicht gefolgt werden könne. Der BF habe selbst ausgeführt, dass sich der älteste Sohn des verstorbenen Vaters nach wie vor in der Russischen Föderation befinden soll. Gerade dieser wäre der erste Nachfahrer des Vaters gewesen und hätte somit die Verantwortung für die Taten des Vaters zu tragen gehabt. Nachdem der Mord bereits im Jahr XXXX gewesen sein soll, der Vater über Jahrzehnte, der ältere Bruder sogar mehr als 40 Jahre in der Russischen Föderation habe verbleiben können, könne kein Grund festgestellt werden, welcher den BF nun an einer Rückkehr hindern solle. Der BF wisse nicht, wer die Familie sei, welche mit Blutrache gedroht habe, noch wo diese Familie überhaupt wohnen würde. Dies wäre, wenn es damals tatsächlich ein Problem gegeben hätte, umgekehrt ebenso der Fall. Zudem habe der BF angegeben, dass es noch Familienangehörige gebe, und würden somit familiäre Anknüpfungspunkte zur Verfügung stehen. Der BF sei volljährig und habe Berufserfahrung in Österreich gesammelt, diese würden ihm in jedem Land der Welt ermöglichen, eine Beschäftigung zu finden.

In rechtlicher Hinsicht stützte die belangte Behörde die Aberkennung gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG darauf, dass die Umstände, aufgrund deren der BF als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht mehr bestehen würden. Die Aberkennung sei auch als mehr nach fünf Jahren nach Schutzgewährung noch möglich, da der BF wie bereits erwähnt mehrfach strafrechtlich verurteilt worden sei. Zur Nichtgewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ausgeführt, dass die Angaben betreffend Gefährdungslage nicht glaubhaft gewesen seien, besondere Abschiebungshindernisse wie etwa das Vorliegen einer lebensbedrohenden Erkrankung oder der Unmöglichkeit, den Lebensunterhalt zu bestreiten, seien nicht behauptet worden.

Die Rückkehrentscheidung wurde von der belangten Behörde dahingehend begründet, dass zu den erwähnten Familienangehörigen (Mutter und Geschwister) kein Abhängigkeitsverhältnis erkannt werden könne, zumal der BF selbsterhaltungsfähig und gesund sei. Zu den beiden Töchtern in Österreich wurde ausgeführt, dass diese bei der Kindesmutter leben sollen, ein bestehendes Familienleben sei hier nicht existent. Der BF würde lediglich 50 Euro pro Monat an die Kindesmutter zahlen, dies wäre auch aus dem Heimatland möglich. Die Kindesmutter habe einen Aufenthaltstitel in Österreich und diese könnte den BF mit den Kindern in der Russischen Föderation besuchen, wenn die Kinder das Bedürfnis danach haben sollten. Im konkreten Fall spreche die mehrfache Verurteilung gegen den BF. Auch im Hinblick auf das Privatleben des BF sei keine andere Beurteilung möglich, der BF gehe in Österreich keiner Arbeit nach, habe keine weiteren Bindungen oder Verfestigungen in der Gesellschaft vorgebracht. Zudem habe der BF mehrere Straftaten begangen, die eine Abwägung der öffentlichen Interessen mit den persönlichen erfordern würden. In Anbetracht der kriminellen Energie lasse sich keine für den BF positive Beurteilung vornehmen. Der BF habe mit den von ihm gesetzten Straftaten mehrmals gezeigt, dass er in keiner Weise Rücksicht auf die in Österreich lebende Bevölkerung zu nehmen gedenke. Die Delikte des Diebstahls, der Körperverletzung, Raufhandel, gefährliche Drohung, versuchte Körperverletzung, Urkundenunterdrückung, Gebrauch fremder Auseise sowie schwere Sachbeschädigung würden klar aufzeigen und deutlich machen, dass der BF eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit darstelle und nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltenden Gesetze zu halten. Das Einreiseverbot wurde zuletzt dahingehend begründet, dass der BF mehrmals rechtskräftig verurteilt worden sei, weshalb der Fall des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG vorliege. Aufgrund dessen, dass die Verurteilungen des BF zum Teil noch als Jugendstraftaten ausgesprochen worden seien, sei vom Höchstmaß von 10 Jahren abzugehen gewesen. Gegen den BF spreche, dass trotz mehrmalig verspürten Haftübels er ganz offensichtlich keine Läuterung erfahren habe und letztmalig am XXXX straffällig geworden sei.

1.5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, die sich primär mit den Straftaten des BF befasst, zwei strafbare Handlungen seien als Jugendstraftaten zu qualifizieren gewesen. Die strafbaren Handlungen seien nicht so gravierend, dass von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgegangen werden müsse. Es müsse berücksichtigt werden, dass der BF unter schwierigsten familiären Verhältnissen aufgewachsen sei, die Eltern seien mit ihm im Alter von XXXX Jahren nach Österreich geflüchtet. Er habe die deutsche Sprache erlernen, sich in das Schul- und Gesellschaftsleben integrieren müssen, was naturgemäß mit Schwierigkeiten verbunden gewesen sei. Das Bundesamt hätte daher nicht von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgehen dürfen und hätte den Asylstatus nicht aberkennen dürfen.

Darüber hinaus wird ausgeführt, dass der BF aus Tschetschenien stamme, einem Teil der Russischen Föderation, in dem jahrzehntelang Krieg geführt werde, wo völlige Rechtlosigkeit herrsche und Blutrache, sodass der BF bei seiner Rückkehr erheblichen Verfolgungen wie Körperverletzungen, Folter und Blutrache ausgesetzt wäre. Daran könnten die Hinweise auf angeblichen Rechtschutz und eine verbesserte Sicherheitslage nicht ändern. "Bei Tschetschenien handle es sich nicht um einen sicheren Drittstaat". Dem BF sei daher zumindest der subsidiäre Schutz zuzuerkennen.

Zuletzt wird noch darauf hingewiesen, dass der BF Vater von zwei minderjährigen Kindern in Österreich ist, die in Österreich leben würden. Seine Mutter komme immer wieder zu Besuch, Halbgeschwister des BF seien in Österreich asylberechtigt. Zu Tschetschenien habe der BF keine entsprechenden Verbindungen, die ihm gesellschaftliche Anknüpfungspunkte bieten würden. Die Behörde hätte daher keine Rückkehrentscheidung treffen dürfen und auch nicht aussprechen dürfen, dass eine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist, "wobei die Frage sei, was damit überhaupt gemeint sei". Auch hätte die Behörde kein Rückkehrverbot aussprechen dürfen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

Die Identität des Beschwerdeführers kann festgestellt werden. Er ist russischer Staatsangehöriger und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe. Es kann nicht festgestellt werden, dass ihm Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Falle der Rückkehr drohen würde. Es kann nicht mehr festgestellt werden, dass ihm im Falle der Rückkehr eine Verfolgung aus asylrelevanten oder ethnischen Gründen aktuell drohen würde.

Der Beschwerdeführer ist muslimischen Glaubens und es kann nicht festgestellt werden, dass er im Verdacht steht, dem fundamentalistischen Islam nahezustehen. Es kann nicht festgestellt werden, dass ihm Verfolgung aus religiösen Gründen drohte oder im Falle der Rückkehr drohen würde.

Er ist weder politisch noch exilpolitisch aktiv. Es kann nicht festgestellt werden, dass ihm Verfolgung aus politischen Gründen drohte oder im Falle der Rückkehr drohen würde. Es kann nicht festgestellt werden, dass ihm im Falle der Rückkehr Verfolgung wegen unterstellter politischer Gesinnung drohen würde.

Er ist XXXX geboren und lebte mit seiner Familie zunächst in Inguschetien, verbrachte seine Kindheit bis zur Ausreise im Jahr 2003 dann in Tschetschenien. Seine Mutter - die bereits bei der Ausreise getrennt vom Vater lebte, begründete im Jahr 2003 die Ausreise mit der Furcht vor Kriegshandlungen in Tschetschenien.

Festgestellt wird weiters, dass der Beschwerdeführer die bereits mehrfach ausgeführten Straftaten im Bundesgebiet begangen hat.

Festgestellt wird, dass der Vater des Beschwerdeführers, im Jahr XXXX verstorben ist (in Inguschetien). Der Vater ist nicht - wie in der Beschwerde angeführt - mit dem BF nach Österreich geflüchtet, sondern ist bis zu seinem natürlichen Tod (Unfall) im Herkunftsstaat geblieben.

Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet der Schulpflicht folgend die Pflichtschule besucht und fallweise gearbeitet, lebte zuletzt von Mindestsicherung. Der Beschwerdeführer ist erkennbar in der Lage, Hilfstätigkeiten auszuüben. Nach eigenen Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde hat dieser darüber hinaus den Wunsch, eine Ausbildung als Schweißer irgendwann zu beginnen und in einem solchen Beruf zu arbeiten, sodass von einer grundsätzlichen Bereitschaft und Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen und durch diesen Beruf auch ein eigenes Einkommen zu erzielen, auszugehen ist.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet in irgendeiner Form in Vereinen oder sonstigen Organisationen teilnimmt, er ist ledig, Vater von 2 Kindern, mit denen kein gemeinsamer Haushalt besteht und für welche er geringe Unterstützung leistet.

Der Beschwerdeführer, der unwidersprochen die im Herkunftsstaat üblichen Landessprachen spricht, ist somit in der Lage, im Falle der Rückkehr nach Tschetschenien oder Inguschetien oder aber auch in anderen Landesteilen Aufenthalt zu nehmen und aus einer eigenen Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Dem Beschwerdeführer droht keine Gefahr als ehemaliger Asylberechtigter oder Angehöriger von Asylberechtigten.

Dem Beschwerdeführer drohen im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation weder die Todesstrafe noch eine Haftstrafe unter unmenschlichen Bedingungen, Folter oder unmenschliche Behandlung.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation niederzulassen und anzumelden, z.B. in Tschetschenien, wo er aufgewachsen ist, oder in einer der Städte in der Russischen Föderation, von denen viele über eine große tschetschenische Diaspora verfügen. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen Russlands bieten bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch Chancen für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der Beschwerdeführer hat auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung.

Der Beschwerdeführer stellt weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Es kann nicht festgestellt werden, dass tatsächlich ein Lebenswandel stattfand.

Die Lage in der Russischen Föderation stellt sich im Allgemeinen dar wie folgt:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt.

Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

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CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin,

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https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

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BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

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Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

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EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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