TE Vwgh Erkenntnis 1998/6/5 96/19/2052

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Veröffentlicht am 05.06.1998
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §2 Abs3 Z4 idF 1995/351;
AufG 1992 §3 Abs1 idF 1995/351;
AufG 1992 §4 Abs1;
AufG 1992 §9 Abs3 idF 1995/351;
B-VG Art130 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, in der Beschwerdesache des 1980 geborenen AK, vertreten durch seinen Vater YK, dieser vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Juni 1996, Zl. 115.220/2-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte, vertreten durch seinen Vater, am 2. August 1994 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Mit Schreiben des Landeshauptmannes von Wien vom 8. Oktober 1994 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, daß die für das Land Wien für 1994 bestimmte Quote von 4.300 Aufenthaltsbewilligungen bereits erschöpft und der Antrag des Beschwerdeführers mit dem Aufenthaltszweck "Familienzusammenführung" daher erst bei Vorliegen der neuen Quote für das Jahr 1995 weiterbehandelt werden könne. Aus einer mit dem Vater des Antragstellers aufgenommenen Niederschrift vom 17. Februar 1995 geht hervor, daß die Mutter des Beschwerdeführers und ein (weiteres) Kind in der Türkei verbleiben wollten, lediglich der Beschwerdeführer solle nach Österreich zu seinem in Österreich lebenden Vater kommen.

Der Landeshauptmann von Wien wies mit Bescheid vom 17. März 1995 den Antrag gemäß § 4 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) ab. Die Behörde erster Instanz stellte fest, daß der Antragsteller den Aufenthaltszweck "Familienzusammenführung mit dem Vater" angegeben habe. Der im § 3 Abs. 1 AufG verankerte Rechtsanspruch (für eheliche Kinder von Fremden, die aufgrund einer Bewilligung seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz im Inland haben) schiene nach dem Selbstverständnis der im Interesse der Herstellung oder weiteren Erhaltung einer Familieneinheit getroffenen Regelung nur auf solche Fälle anwendbar zu sein, wo der bisherige Zustand einer Trennung in einen solchen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens übergeführt werden solle. Im gegenständlichen Fall handle es sich um keine wirkliche Familienzusammenführung, weil sich die Mutter der antragstellenden Partei im Heimatland aufhalte und auch keinen Antrag auf Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gestellt habe. Weil keine echte Familienzusammenführung im Sinne des § 3 Abs. 1 AufG stattfinde, sondern die im Familienverband in ihrem Heimatland zusammenlebenden Fremden auseinandergerissen würden, käme es daher zu einer Familientrennung. Der gegenständliche Antrag sei im Sinne einer teleologischen Auslegung des § 3 Abs. 1 AufG nicht als eine genehmigungsfähige Familienzusammenführung zu bewerten.

Der Beschwerdeführer berief und wies darauf hin, daß ihm ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung auch dann zukomme, wenn nur ein Elternteil seit mehr als zwei Jahren rechtmäßig seinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich habe. Die seitens der erstinstanzlichen Behörde hinsichtlich der Definition des Begriffes "Familie" sowie die daran anknüpfenden "teleologischen Überlegungen" angestellten Bewertungen widersprächen schon aus diesem Grund dem Gesetz.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 10. Juni 1996 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 AufG abgewiesen. Die belangte Behörde stellte fest, daß die Behörde erster Instanz den Antrag des Beschwerdeführers vom 16. August 1994 gemäß § 9 Abs. 3 AufG mit der Begründung abgewiesen habe, daß keine weiteren Bewilligungen erteilt werden dürften, sobald die gemäß § 2 Abs. 1 AufG festgelegte Anzahl erreicht sei. Nach Wiedergabe des Gesetzeswortlautes des § 4 Abs. 1 führte die Behörde aus, die Beachtung der gemäß § 2 AufG erlassenen Verordnungen bedeute, daß die Behörde bei der Erteilung von Erstbewilligungen nicht nur die ihr für das betreffende Jahr eingeräumte Quote nicht überschreiten dürfe, sondern diese derart zu verwalten habe, daß darin solche Fälle einer Aufenthaltsnahme ihre Deckung fänden, die im Sinne des Gesetzes als vorrangig zu betrachten seien. Demnach seien primär Fälle von Familienzusammenführungen bei Vorliegen eines Rechtsanspruches gemäß § 3 AufG sowie Fälle, wo eine ausländerbeschäftigungsrechtliche Bewilligung bestehe, vorrangig zu genehmigen. Der Beschwerdeführer habe bis jetzt bei seiner Mutter in der Türkei gelebt. Eine Integration gerade in seinem Alter sei besonders schwierig, weil er nicht ohne weiteres ins österreichische Schulwesen übernommen werden bzw. eine Lehre beginnen könne, da abgesehen von der gesellschaftlichen Eingewöhnung auch die sprachlichen Barrieren nicht ohne Schwierigkeiten überwunden werden könnten. Überdies sollte der Beschwerdeführer aus der ihm vertrauten Umgebung in seinem Heimatland von einer bis jetzt unmittelbaren Bezugsperson - seiner Mutter - in einen ihm fremden Kulturkreis übersiedeln. Es sei davon auszugehen, daß dies auch große persönliche Probleme mit sich bringe, zumal die Mutter in der Türkei verbleibe. Was die Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse im Lande Wien betrifft, sei festzustellen, daß Wien eines der Bundesländer mit dem höchsten Ausländeranteil sei, was insbesondere auf dem Arbeits- und auf dem Wohnungsmarkt zu wachsenden Problemen führe. Unter diesen Gesichtspunkten habe sich die Behörde nicht entschließen können, den vorliegenden Antrag, auf den keines der obgenannten Kriterien für eine Bevorzugung zugetroffen habe, zu genehmigen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die nunmehr vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

§ 3 Abs. 1 AufG lautete:

"§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten

1.

von österreichischen Staatsbürgern oder

2.

von Fremden, die aufgrund einer Bewilligung, eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerks oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 bis 5 rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben,

ist nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z. 3 und 4 eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt.

§ 4 Abs. 1 AufG lautete:

"§ 4. (1) Eine Bewilligung kann Fremden unter Beachtung der gemäß § 2 erlassenen Verordnungen sowie unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in dem Land des beabsichtigten Aufenthaltes erteilt werden, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5) vorliegt. Auf die Verlängerung von Bewilligungen finden die gemäß § 2 erlassenen Verordnungen keine Anwendung."

Der Beschwerdeführer verfügte nach den Aktenunterlagen und nach seinem eigenen Vorbringen noch nie über eine Aufenthaltsbewilligung, weshalb die belangte Behörde zu Recht vom Vorliegen eines Erstantrages ausging. § 113 Abs. 6 oder 7 des Fremdengesetzes 1997 finden auf den vorliegenden Beschwerdefall daher keine Anwendung.

Vorauszuschicken ist, daß der angefochtene Bescheid, soweit er auf die Begründung des Bescheides der Behörde erster Instanz verweist, aktenwidrig ist, weil sich der Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 17. März 1995 nicht darauf stützte, daß die Quote gemäß § 9 Abs. 3 AufG erschöpft sei und keine weiteren Bewilligungen erteilt werden dürften. Die Behörde erster Instanz verneinte beim vorliegenden Antrag vielmehr den Zweck der Familienzusammenführung, ging davon aus, daß kein Rechtsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG vorlag und traf eine auf § 4 Abs. 1 AufG gestützte Ermessensentscheidung, in der sie zum Ergebnis gelangte, daß im Fall des Beschwerdeführers der Antrag nicht zu genehmigen sei.

Der angefochtene Bescheid befaßt sich nicht mehr mit der Frage, ob im gegenständlichen Fall ein auf § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG gestützter Rechtsanspruch des Beschwerdeführers - unter Maßgabe der gemäß § 2 AufG erlassenen Verordnungen - vorliegt oder nicht, sondern trifft eine auf § 4 Abs. 1 AufG gestützte Ermessensentscheidung, deren Ergebnis vor allem darauf gestützt wird, daß dem (im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides beinahe 16-jährigen) Beschwerdeführer ein Wechsel der Kulturkreise und eine Trennung von seiner unmittelbaren Bezugsperson, seiner Mutter, nicht zumutbar sei.

Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Berufung und in seiner Beschwerde, dem die belangte Behörde weder im Verwaltungsverfahren noch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof entgegengetreten ist, handelt es sich beim Vater des Beschwerdeführers um einen Fremden, der im Zeitpunkt der Bescheiderlassung über zwei Jahre rechtmäßig seinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich hatte. Daß im Fall des Beschwerdeführers ein Versagungsgrund gemäß § 5 Abs. 1 AufG vorliege oder daß es sich um eine unzulässige Inlandsantragstellung handle, wurde von der Behörde weder festgestellt, noch gibt es diesbezüglich Anhaltspunkte im Verwaltungsakt. Es ist daher nicht auszuschließen, daß der Beschwerdeführer als Familienangehöriger eines Fremden, auf den die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG zutreffen, - nach Maßgabe der Verordnung gemäß § 2 leg. cit. - einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung hätte.

Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG und bei Fehlen von Versagungsgründen läge ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vor; diesfalls wäre dem Beschwerdeführer bei offener Quote eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen gewesen. Wäre die Quote (für Familiennachzug) im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides aber bereits erschöpft gewesen, dürfte der Antrag nicht abgewiesen werden, sondern es wäre gemäß § 9 Abs. 3 AufG die Entscheidung über diesen Antrag bis zum Inkrafttreten der neuen Quotenverordnung aufzuschieben gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mit Erkenntnis vom 17. Oktober 1996, Zl. 95/19/0338, ausgesprochen, daß die Behörde nur bei den Fremden, die nicht unter § 3 Abs. 1 AufG fallen, unabhängig von der Erschöpfung der Quote zu einer (negativen) Ermessensentscheidung gemäß § 4 Abs. 1 AufG ermächtigt ist. Eine auf § 4 Abs. 1 AufG gestützte Ermessensentscheidung kommt im Falle des Vorliegens des Tatbestandes des § 3 Abs. 1 AufG überhaupt nicht in Frage. Die in Verkennung der Rechtslage ohne Prüfung des Vorliegens eines Rechtsanspruches getroffene Ermessensentscheidung der belangten Behörde erweist sich daher als rechtswidrig.

Sollte der angefochtene Bescheid aber so zu verstehen sein, daß die belangte Behörde die Begründung des Bescheides erster Instanz übernommen und ebenfalls die Ansicht vertreten hätte, es liege überhaupt keine Familienzusammenführung und damit kein Rechtsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG vor, so wäre auch diese Ansicht rechtswidrig. Die belangte Behörde ist nicht dazu berufen, zu entscheiden, ob für den Beschwerdeführer das Leben in Gemeinschaft mit seiner Mutter in der Türkei jenem in Gemeinschaft mit seinem Vater im Inland im Interesse seines Wohles vorzuziehen ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1997, Zl. 96/19/3352). Der Beschwerdeführer verweist richtig darauf, daß sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Erläuternden Bemerkungen ergibt, daß beide Elternteile eines Familienzusammenführung anstrebenden Kindes im Inland leben und die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG erfüllen müßten. Familienzusammenführung liegt bereits dann vor, wenn ein Angehöriger bei einem Familienangehörigen, der die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AufG erfüllt, Aufenthalt nehmen möchte, und zwar unabhängig davon, ob er einen Familienverband in seiner Heimat verläßt. Es obliegt dem Antragsteller, bei dem im übrigen infolge seines Alters (beinahe 16 Jahre) mangels Vorliegens gegenteiliger Anhaltspunkte auch nicht anzunehmen war, daß eine Übersiedlung in einen ihm fremden Kulturkreis und die Trennung von seiner Mutter "mit großen persönlichen Problemen" verbunden sein wird, zu bestimmen, mit welchem Elternteil er in Zukunft zusammenleben möchte.

Die belangte Behörde belastete dadurch, daß sie das Vorliegen eines Rechtsanspruches gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG nicht prüfte, sondern stattdessen eine Ermessensentscheidung gemäß § 4 Abs. 1 AufG traf, ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996192052.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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