TE Bvwg Beschluss 2019/9/20 W241 2210359-2

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Veröffentlicht am 20.09.2019
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Entscheidungsdatum

20.09.2019

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz 2
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §61

Spruch

W241 2210359-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hafner über die Beschwerde des XXXX alias XXXX alias XXXX , geboren am XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit China alias staatenlos alias Indien, vertreten durch XXXX Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.12.2016, Zahl 1131467407/161375487, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Erster Asylantrag:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF) brachte am 05.09.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) einen Antrag gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG), ein.

Zu seiner Person lagen keine EURODAC-Treffermeldungen vor.

2. Das BFA richtete am 19.09.2018 ein Aufnahmegesuch gemäß Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (in der Folge Dublin III-VO), an Deutschland.

Mit Schreiben vom 24.09.2018, beim BFA am selben Tag eingelangt, stimmten die deutschen Behörden diesem Ersuchen gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO ausdrücklich zu.

3. Am 18.10.2018 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF. In Österreich halte sich seine Verlobte auf, die er 2013 kennengelernt habe und mit der er bis März 2015 zusammengelebt habe. Die Verlobte sei im März 2015 ausgereist. Die bei der Einvernahme anwesende Verlobte des BF legte ihr am 22.03.2018 in Österreich ausgestellte Konventionsreisedokument vor. Der BF gab an, dass er nach der Ausreise seiner Verlobten aus dem Herkunftsstaat den Kontakt verloren habe und er erst nach seiner Ausreise nach Nepal Im Februar 2017 erfahren habe, dass sie in Europa sei. Der BF habe sich vom 08.07.2018 bis 04.09.2018 in Deutschland aufgehalten und dort versteckt gelebt. Derzeit lebe der BF im Lager und seine Verlobte wohne mit zwei anderen Mitbewohnerinnen in Wien. Er brachte vor, dass er mit seiner Frau hier leben und nicht nach Deutschland gehen wolle. Jetzt sei seine Verlobte schwanger. Der Behörde wurde der entsprechende Mutter-Kind-Pass vorgelegt, aus dem sich ein voraussichtlicher Geburtstermin am 13.05.2019 ergab.

4. Mit Bescheid vom 05.11.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zuständig sei. Gleichzeitig wurde gegen den BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Deutschland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

5. Der BF wurde am 21.12.2018 nach Deutschland überstellt.

6. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (in der Folge BVwG) vom 18.01.2019 als unbegründet abgewiesen.

Zweiter Asylantrag:

7. Der BF stellte am 18.07.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 19.07.2019 gab der BF im Wesentlichen an, dass seine Frau und sein Kind in Österreich leben würden und er bei ihnen sein wolle. In Österreich und in Deutschland habe er einen negativen Bescheid erhalten.

8. Am 29.07.2019 richtete das BFA ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO an Deutschland.

Mit Schreiben vom 02.08.2019 gaben die zuständigen deutschen Behörden bekannt, dass Deutschland der Wiederaufnahme des BF nach Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO zustimme.

9. Bei der Einvernahme des BF am 27.08.2019 durch das BFA gab dieser an, dass er mit seiner Frau und seinem Kind nicht in einem Haushalt wohne, da es ihm nicht erlaubt sei. Sie würden sich gegenseitig besuchen. Seine Frau sei asylberechtigt. Im Dezember 2018 hätten sie in einem buddhistischen Tempel geheiratet, eine standesamtliche Heirat sei bisher nicht möglich gewesen. In Deutschland habe er eine negative Entscheidung erhalten.

Der BF legte unter anderem eine Geburtsurkunde seiner Tochter vor.

10. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27.08.2019 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Ferner wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung des BF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Deutschland zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zum Familienleben des BF wurde festgestellt, dass dieser mit seiner traditionell angetrauten Gattin und der gemeinsamen Tochter nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Es bestünden keine Abhängigkeiten und auch keine besondere Beziehungsintensität. Es sei daher nicht von einem schützenswerten Familienleben iSd Art. 8 EMRK auszugehen.

Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass der BF an einer ernsten oder lebensbedrohenden Krankheit leide. Aus seinen Angaben hätten keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht werden können, dass er tatsächlich konkrete Gefahr liefe, in Deutschland Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte.

11. Mit Schriftsatz vom 11.09.2019, beim BFA eingelangt am selben Tag, wurde gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde erhoben und die aufschiebende Wirkung der Beschwerde beantragt.

12. Die Beschwerdevorlage an die zuständige Gerichtsabteilung des BVwG iSd § 16 Abs. 4 BFA VG erfolgte am 17.09.2019.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Staatsangehörigkeit des BF ist ungeklärt. Er brachte am 05.09.2018 beim BFA seinen ersten Asylantrag ein. Mit Bescheid vom 05.11.2018 wurde der Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zuständig sei. Gleichzeitig wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Deutschland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 18.01.2019, W192 2210359-1, als unbegründet abgewiesen.

Der BF wurde am 21.12.2018 nach Deutschland überstellt.

1.2. Er stellte am 18.07.2019 einen zweiten, den gegenständlichen Asylantrag.

Am 29.07.2019 richtete das BFA ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO an Deutschland. Mit Schreiben vom 02.08.2019 gaben die zuständigen deutschen Behörden bekannt, dass Deutschland der Wiederaufnahme des BF nach Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO zustimme.

1.3. Der BF ist Vater einer am 13.05.2019 geborenen Tochter. Diese und deren Mutter, mit der der BF laut eigenen Angaben nach buddhistischer Tradition verheiratet ist, sind in Österreich asylberechtigt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen 1.1. und 1.2. ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Die Vaterschaft des BF ergibt sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde. Dass die Tochter des BF und deren Mutter in Österreich asylberechtigt sind, ergibt sich aus einem Auszug des Zentralen Fremdenregisters durch das BVwG. Eine traditionelle oder standesamtliche Heiratsurkunde wurde vom BF nicht in Vorlage gebracht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung des bekämpften Bescheides:

1. Rechtslage:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

...

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:

§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine

Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

§ 21 Abs. 3 BFA-VG lautet:

"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lautet:

§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine

Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. ...

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten:

KAPITEL I

GEGENSTAND UND DEFINITIONEN

[...]

Artikel 2

Definitionen

[...]

f) "Begünstigter internationalen Schutzes" einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dem internationaler Schutz im Sinne von Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 2011/95/EU zuerkannt wurde,

g) "Familienangehörige" die folgenden Mitglieder der Familie des Antragstellers, die sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat:

-

der Ehegatte des Antragstellers oder sein nicht verheirateter Partner, der mit ihm eine dauerhafte Beziehung führt, soweit nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich vergleichbar behandelt werden wie verheiratete Paare,

-

die minderjährigen Kinder des im ersten Gedankenstrich genannten Paares oder des Antragstellers, sofern diese nicht verheiratet sind, gleichgültig, ob es sich nach nationalem Recht um eheliche oder außerehelich geborene oder adoptierte Kinder handelt,

-

bei einem minderjährigen und unverheirateten Antragsteller, der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dem der Erwachsene sich aufhält, für den Minderjährigen verantwortlich ist,

-

bei einem unverheirateten, minderjährigen Begünstigten internationalen Schutz, der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der/die entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dem sich der Begünstigte aufhält, für ihn verantwortlich ist;

KAPITEL II

ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN

Art. 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

KAPITEL III

KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

Art. 7

Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Art. 9

Familienangehörige, die Begünstigte internationalen Schutzes sind

Hat der Antragsteller einen Familienangehörigen - ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat -, der in seiner Eigenschaft als Begünstigter internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt ist, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun.

Art. 13

Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununter-brochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

KAPITEL IV

ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN

Art. 16

Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 17

Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

KAPITEL V

PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATES

Art. 18

Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.

In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

ABSCHNITT VI

Überstellung

Art. 29

Modalitäten und Fristen

(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme - oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.

[...]"

2. Im gegenständlichen Verfahren ging das BFA unter Zugrundelegung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens im Ergebnis zutreffend davon aus, dass in materieller Hinsicht die Zuständigkeit Deutschlands zur Prüfung des in Rede stehenden Antrages auf internationalen Schutz in Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO begründet ist, da der BF bereits einmal aufgrund einer Zuständigkeit Deutschlands nach Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO nach Deutschland überstellt wurde und dort einen Asylantrag gestellt hat. Deutschland hat seine Zuständigkeit auch ausdrücklich anerkannt, Anhaltspunkte dafür, dass im Hinblick auf die eingetretene Zuständigkeit Deutschlands Beendigungsgründe vorliegen, gibt es keine.

Der seit der ersten Asylantragstellung des BF in Österreich am 05.09.2018 eingetretene Umstand, dass die am 13.05.2019 geborene leibliche Tochter des BF als Begünstigte internationalen Schutzes - nämlich als Asylberechtigte - in Österreich aufenthaltsberechtigt ist, führt gemäß Art. 9 Dublin III-VO nicht zur Zuständigkeit Österreichs, da das Personalstatut zum Zeitpunkt der erstmaligen Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz - nämlich am 05.09.2018 in Österreich - ausschlaggebend ist. Ein Familienverhältnis, das erst nach diesem Zeitpunkt entsteht, ist für Art. 9 irrelevant (vgl. hierzu Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, K1 zu Art. 9, Seite 126 unter Hinweis auf Dublin II Kontaktausschuss, 24.-25.04.2007, Minutes, P. 3.5). Im Hinblick darauf, dass das betreffende Familienverhältnis erst nach der ersten Asylantragstellung entstanden ist, ist die in Art. 9 Dublin III-VO normierte (für das Aufnahmeverfahren konzipierte) Zuständigkeitsnorm im Beschwerdefall nicht heranzuziehen.

Der BF ist mit der Mutter seiner Tochter nicht verheiratet, weshalb die Beziehung kein Familienverhältnis iSd Art. 2 lit. g Dublin III-VO darstellt, auch wenn diese schon zum Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung am 05.09.2018 bestanden hat.

Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-VO wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis 15) der Dublin III-VO bestimmt wird. Ungeachtet dessen sieht Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn er nach den Kriterien der Dublin III-VO nicht für die Prüfung zuständig ist.

Da Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt (aus jüngerer Zeit: VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua, mit Hinweis auf Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO, Art. 17 K2).

Auch der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 10.12.2013, Rechtssache C-394/12, Abdullahi, festgehalten, dass Art. 3 Abs. 2 (sogenannte Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 (humanitäre Klausel) der Verordnung Nr. 343/2003 (diese entsprechen nunmehr Art. 17 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Dublin III-VO) "die Prärogativen der Mitgliedstaaten wahren" sollen, "das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein" (vgl. Rn. 57, mwN).

Nach der Rechtsprechung des VfGH (zB VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des VwGH (zB VwGH 18.11.2015, Ra 2014/18/0139; 17.11.2015, Ra 2015/01/0114, 2.12.2014, Ra 2014/18/0100, 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua) macht die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK notwendig und es ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.

Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK (Art. 7 GRC) hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs (seiner Kommunikation). Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Wenn eine aufenthaltsbeendende Maßnahme in den Schutzbereich des Privatlebens oder des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK eingreift, ist zu prüfen, ob sie sich auf eine gesetzliche Bestimmung stützt, was im vorliegenden Fall offensichtlich zutrifft, und ob sie Ziele verfolgt, die mit der EMRK in Einklang stehen, wofür hier insbesondere die Verteidigung der Ordnung im Bereich des Fremden- und Asylwesens sowie das wirtschaftliche Wohl des Landes in Betracht kommen.

Es ist auch zu überprüfen, ob diese Maßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, das heißt durch ein vorrangiges soziales Bedürfnis gerechtfertigt und insbesondere in Bezug auf das verfolgte legitime Ziel verhältnismäßig ist (EGMR 02.08.2001, 54273/00, Boultif, Rn. 46; 18.10.2006, Große Kammer, 46410/99, Üner, Rn. 57f; 16.04.2013, 12020/09, Udeh, Rn. 45; VfGH 29.09.2007, B 1150/07).

Nach dem Regelungssystem des § 9 Abs. 1 BFA-VG ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles eine Interessenabwägung am Maßstab des Art. 8 EMRK durchzuführen. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme darf nur erlassen werden, wenn die dafürsprechenden öffentlichen Interessen schwerer wiegen als die persönlichen Interessen des Drittstaatsangehörigen und seiner Familie an dessen weiterem Verbleib in Österreich. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind nach Abs. 2 BFA-VG insbesondere - wie oben dargestellt - die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war; das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; der Grad der Integration; die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; die strafgerichtliche Unbescholtenheit; Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren; die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, maßgeblich.

Weiters betont der Erwägungsgrund 14 der Dublin III-VO, dass die Achtung des Familienlebens eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten sein soll. Erwägungsgrund 16 erster Satz der Dublin III-VO legt dar: "Um die uneingeschränkte Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und des Wohl des Kindes zu gewährleisten, sollte ein zwischen einem Antragsteller und seinem Kind, einem seiner Geschwister oder einem Elternteil bestehendes Abhängigkeitsverhältnis, das durch Schwangerschaft oder Mutterschaft, durch den Gesundheitszustand oder hohes Alter des Antragstellers begründet ist, als ein verbindliches Zuständigkeitskriterium herangezogen werden." Dementsprechend hält Erwägungsgrund 17 leg. cit. auch fest, dass die Mitgliedstaaten insbesondere aus humanitären Gründen oder in Härtefällen von den Zuständigkeitskriterien abweichen können sollen, um Familienangehörige zusammenzuführen und deren Anträge auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn sie für eine solche Prüfung nach den in der Dublin III-VO festgelegten verbindlichen Zuständigkeitskriterien nicht zuständig sind (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua).

Im gegenständlichen Fall kommt der erst nach der ersten Asylantragstellung geborenen leiblichen Tochter des BF aufgrund der Zuerkennung von asylrechtlichem Schutz ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu. Es handelt sich bei dem Kind um ein nicht selbsterhaltungsfähiges minderjähriges Kleinkind, das seit seiner Geburt im Familienverband lebt und vorrangig von der Mutter betreut wird. Im angefochtenen Bescheid wurde festgehalten, dass der BF mit seiner Tochter bzw. deren Mutter nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebe, keine Abhängigkeiten oder eine besondere Beziehungsintensität bestünde und daher kein Familienleben iSd Art. 8 EMRK vorliege. Begründet wurde diese Beurteilung im Wesentlichen mit der geringen Anzahl an persönlichen Kontakten zwischen dem BF und seiner Lebensgefährtin und ungenauen Angaben des BF zum Datum der traditionellen Eheschließung. Zum Familienleben zwischen dem BF und seiner Tochter wurde keine Ausführungen getroffen.

Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt (vgl. EGMR 21.6.1988, Fall Berrehab, Appl. 10730/84 [Z 21]; 26.5.1994, Fall Keegan, Appl. 16969/90 [Z 44]). Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (EGMR 19.2.1996, Fall Gül, Appl. 23218/94 [Z 32]). Die belangte Behörde verkennt daher im gegenständlichen Fall, dass es für das Bestehen eines Familienlebens zwischen Eltern und Kindern im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung des EGMR nicht darauf ankommt, dass eine ‚über die üblichen Bindungen zwischen Familienangehörigen hinausgehende [...] Nahebeziehung' besteht, sondern darauf, ob jede Verbindung gelöst wurde (EGMR, Fall Boughanemi, Z 35). Davon konnte aber im Fall des BF und seiner Tochter allein auf Basis der Tatsache, dass kein gemeinsamer Haushalt besteht, nicht ausgegangen werden, zumal der BF einer Gebietsbeschränkung unterliegt und sich daher nicht außerhalb des Bezirks BADEN aufhalten darf, wie auch im Bescheid festgehalten wurde (Aktenseite 174). Für die Annahme, dass "jede Verbindung" zwischen dem BF und seiner Tochter gelöst wurde, bestehen besonders angesichts des Alters der Tochter von nur wenigen Monaten keine Anhaltspunkte. Der Beurteilung der Behörde, dass kein Familienleben iSd Art. 8 EMRK vorliege, liegen keine weiteren Ermittlungen zugrunde, weshalb diese Argumentation, welche lediglich auf den getrennten Wohnsitzen und dem Kontakt zwischen dem BF und der Mutter seiner Tochter basiert, nicht haltbar ist.

Im fortgesetzten Verfahren wird die Behörde daher zu prüfen haben, ob die Überstellung des BF nach Deutschland negative Auswirkungen auf das Kindeswohl hätte und ob im Beschwerdefall Umstände vorliegen, wonach der BF und seine Tochter im Falle der Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs und einer Überstellung nach Deutschland einer Verletzung in seinen durch Art. 8 EMRK geschützten Rechten ausgesetzt wären. Unter Umständen wäre zur Vermeidung einer solchen Grundrechtsverletzung vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO zwingend Gebrauch zu machen, weswegen der angefochtene Bescheid gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zu beheben war.

3. Nach § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben (VwGH Ra 2015/19/0212 vom 15.12.2015).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf die jüngst ergangene Rechtsprechung des VwGH stützen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W241.2210359.2.00

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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