TE OGH 2019/12/19 6Ob208/19k

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Veröffentlicht am 19.12.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen E*****, geboren am ***** 2016, *****, vertreten durch das Land Niederösterreich (Magistrat der Stadt St. Pölten Jugendhilfe, 3100 St. Pölten, Rathausplatz 1) als Kinder- und Jugendhilfeträger (§ 9 UVG) über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 5. September 2019, GZ 23 R 329/19h-74, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 19. Juni 2019, GZ 1 Pu 120/17a-70, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die Minderjährige ist das Kind von T***** und M*****, die nie miteinander verheiratet waren; sie wird von ihrer Mutter betreut, der Vater ist geldunterhaltspflichtig.

Der Vater ist seit 31. 8. 2018 voll arbeitsfähig und könnte seit 1. 2. 2019 ein monatliches Einkommen von 1.544 EUR erzielen. Nach einer vorübergehenden Tätigkeit von 27. 3. bis 5. 6. 2019 – in dieser Zeit verdiente er insgesamt 3.855,81 EUR netto – bezieht er seit 11. 6. 2019 wieder Notstandshilfe in Höhe von monatlich 907 EUR.

Die Minderjährige begehrt – soweit dies für das Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung ist – die Verpflichtung des Vaters zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags in Höhe von 190 EUR ab 1. 2. 2019; dieser sei nicht nur auf ein Einkommen von 1.544 EUR, sondern auch auf den Bezug des halben Familienbonus Plus gemäß § 33 Abs 3a EStG für seine drei Kinder anzuspannen, also insgesamt auf eine Unterhaltsbemessungsgrundlage von 1.731,50 EUR. Aufgrund seiner weiteren Sorgepflichten stünden ihr hievon 11 % zu.

Die Vorinstanzen setzten die Unterhaltsverpflichtung des Vaters – ausgehend von einem Anspannungseinkommen in Höhe von 1.544 EUR – mit 170 EUR ab 1. 2. 2019 fest und wiesen das Mehrbegehren ab. Das Rekursgericht sprach darüber hinaus aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu „Fragen rund um die Anspannung auf den Familienbonus Plus“. In der Sache selbst verneinte das Rekursgericht eine Anspannung auf den Familienbonus Plus. Die Minderjährige beziehe Unterhaltsvorschüsse, woraus sich ergebe, dass der Vater seine Unterhaltsverpflichtung bislang nicht ausreichend erfülle. Da er einem Arbeitgeber die Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtung nachweisen müsste, damit dieser den Familienbonus Plus berücksichtigen könnte, was er aber gerade nicht könnte, wäre eine Anspannung des Vaters auf den Familienbonus Plus eine unzulässige Fiktion.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Minderjährigen ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

1. Gemäß § 89c Abs 5 Z 1 GOG sind Rechtsanwälte nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet. Ein Verstoß gegen § 89c Abs 5 Z 1 GOG ist wie ein Formmangel zu behandeln, der zu verbessern ist (§ 89c Abs 6 GOG). Für Eingaben eines Rechtsanwalts, die persönlich überreicht und nicht im elektronischen Rechtsverkehr eingebracht werden, ist demnach ein Verbesserungsverfahren durchzuführen. Im Fall der Verbesserung durch Rechtsmitteleinbringung im elektronischen Rechtsverkehr innerhalb zu setzender Frist gilt das Anbringen als zum ursprünglichen Zeitpunkt eingebracht (§ 10 Abs 5 Satz 1 AußStrG). Im Fall des Unterbleibens der fristgerechten Verbesserung ist mit Zurückweisung der Eingabe vorzugehen (RS0128266).

Im vorliegenden Fall hat der die Minderjährige vertretende Kinder- und Jugendhilfeträger (KJHT) den Revisionsrekurs persönlich beim Erstgericht überreicht, sodass zu prüfen ist, ob auch der KJHT der Vorschrift des § 89c GOG unterliegt, ist er doch nach § 6 Abs 3 Satz 2 AußStrG den durch einen Rechtsanwalt vertretenen Parteien gleichzuhalten.

1.1. Zu 10 Ob 28/18t hat der Oberste Gerichtshof zwar im Hinblick auf § 89c GOG die Durchführung eines Verbesserungsverfahrens in einem Fall angeordnet, in dem minderjährige Kinder durch den KJHT vertreten waren und deren Revisionsrekurs persönlich überreicht worden war; allerdings war dort der KJHT seinerseits von Rechtsanwälten vertreten. Diese Entscheidung ist somit nicht einschlägig.

1.2. Eine Konsequenz der Gleichstellung nach § 6 Abs 3 Satz 2 AußStrG ist die Anwendung jener Bestimmungen, die darauf abstellen, dass eine Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, auch auf den Kinder- und Jugendhilfeträger (Rechberger in Rechberger, AußStrG² [2013] § 6 Rz 4; Motal in Schneider/Verweijen, AußStrG [2019] § 6 Rz 20; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² [2020] § 6 Rz 34). Das betrifft insbesondere die beschränkte Anleitungs- und Belehrungspflicht nach § 14 AußStrG (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 26; Fucik/Kloiber, AußStrG [2005] § 6 Rz 5; G. Kodek aaO; Motal aaO), die Bestimmung des § 10 Abs 2 AußStrG (Fucik/Kloiber aaO; G. Kodek aaO; Motal aaO) und die Direktzustellung nach § 112 ZPO (Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 24 Rz 48; Fucik aaO; Rechberger aaO; Motal aaO).

1.3. Nach § 6 Abs 3 Satz 2 AußStrG ist der KJHT den durch einen Rechtsanwalt vertretenen Parteien gleichzuhalten; auch in den unter Punkt 1.2. genannten Bestimmungen ist die Rede von durch einen Rechtsanwalt vertretenen Parteien. Demgegenüber formuliert § 89c Abs 5 Z 1 GOG, dass nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet sind. Daraus lässt sich aber der Schluss ziehen, dass die Pflicht zur Verwendung des elektronischen Rechtsverkehrs nicht an der durch einen Rechtsanwalt vertretenen Partei, sondern am Rechtsanwalt anknüpft. Nur Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind demnach – neben den sonst noch in § 89c Abs 5 GOG genannten Berufsgruppen, Unternehmen und Institutionen – zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet. Auf den KJHT trifft dies nicht zu.

Damit bedurfte es aber hinsichtlich des persönlich überreichten Revisionsrekurses keines Verbesserungsverfahrens.

2. Der Oberste Gerichtshof hat jüngst mit ausführlicher Begründung klargestellt (4 Ob 150/19s), dass es sich beim Familienbonus Plus – so wie beim Unterhaltsabsetzbetrag – um einen echten Steuerabsetzbetrag handelt. Der Gesetzgeber habe den Familienbonus Plus mit der Zielsetzung eingeführt, die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung der Geldunterhaltspflichtigen nunmehr durch die steuergesetzlichen Maßnahmen Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag herbeizuführen. Dadurch finde eine Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht statt, weshalb es der (teilweisen) Anrechnung der Transferleistungen (Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag) auf Geldunterhaltsverpflichtungen nicht mehr bedürfe. Der Familienbonus Plus sei dann aber nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen, solle er doch nach der Zielrichtung des Steuergesetzgebers in generalisierender Betrachtungsweise dazu dienen, das Unterhaltseinkommen nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs steuerfrei zu stellen, welches Ziel nur erreicht werden könne, wenn der entsprechende Betrag dem Unterhaltspflichtigen verbleibt. Der Familienbonus Plus bleibe also – ebenso wie der Unterhaltsabsetzbetrag – unterhaltsrechtlich neutral (ebenso 1 Ob 171/19g; 10 Ob 65/19k; 3 Ob 154/19x uva).

Damit bedarf es aber keiner weiteren Erörterungen mehr, ob – wie der Revisionsrekurs meint – ein unselbstständig erwerbstätiger Geldunterhaltspflichtiger auf den (halben) Familienbonus Plus anzuspannen ist, wenn er tatsächlich kein Erwerbseinkommen, sondern lediglich Notstandshilfe, für die keine Einkommensteuerpflicht und damit auch keine Grundlage für den Bezug des Familienbonus Plus besteht, und nur fiktiv ein Erwerbseinkommen (Anspannungseinkommen) bezieht (bejahend, jedoch ohne weitere Begründung 5 Ob 92/19v; verneinend Gitschthaler, EF-Z 2019/151 [Entscheidungsanmerkung]). Der Geldunterhaltspflichtige ist – entgegen bisheriger Rechtsprechung (5 Ob 236/18v; 5 Ob 92/19v; 4 Ob 139/19y) – infolge dessen unterhaltsrechtlicher Neutralität auf den Bezug des Familienbonus Plus überhaupt nicht anzuspannen.

Dem Revisionsrekurs war somit ein Erfolg zu versagen.

Textnummer

E127454

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00208.19K.1219.000

Im RIS seit

07.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.03.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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