TE Vwgh Beschluss 2019/12/19 Ra 2019/21/0341

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Veröffentlicht am 19.12.2019
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §58 Abs10
BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs2 Z1

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2019/21/0342

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision

1. des S B (auch B alias H) und 2. der K B, beide in W und vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. September 2018 (richtig: 2019), W247 2149768-3/2E und W247 2149764-3/2E, betreffend Zurückweisung von Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 55 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind ukrainische Staatsangehörige und zählen zur Volksgruppe der Jesiden. Sie sind traditionell miteinander verheiratet und haben zwei 2016 und 2017 in Österreich geborene Kinder.

2 Der Erstrevisionswerber reiste im Jänner 2013 mit seinen Eltern in Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.

3 Die Zweitrevisionswerberin reiste im September 2014 in Österreich ein, um zu ihrem langjährigen Freund, dem Erstrevisionswerber, zu kommen. Auch sie stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.

4 Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 17. Februar 2017 wurden die von den revisionswerbenden Parteien und ihrem ersten Kind gestellten Anträge auf internationalen Schutz vollumfänglich abgewiesen; Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 wurden nicht erteilt, und es ergingen gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 FPG Rückkehrentscheidungen; unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Ukraine zulässig sei; eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt, und einer Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

5 Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 24. März 2017 als unbegründet ab.

6 Am 14. Juni 2017 stellten die revisionswerbenden Parteien für sich und ihr erstes Kind Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Diese Anträge wurden mit Bescheiden des BFA vom 1. März 2018 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurückgewiesen. Unter einem wurden Rückkehrentscheidungen nach § 52 Abs. 3 FPG erlassen, und es wurde (neuerlich) festgestellt, dass die Abschiebung in die Ukraine zulässig sei.

7 Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnissen vom 30. Juli 2018 als unbegründet ab. Mittlerweile war auch der vom zweiten Kind gestellte Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen worden. 8 Am 13. Juni 2019 stellten die revisionswerbenden Parteien für sich und beide Kinder abermals Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 55 AsylG 2005. Auch diese Anträge wurden vom BFA - mit Bescheiden vom 2. August 2019, nunmehr ohne Erlassung von Rückkehrentscheidungen - gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurückgewiesen.

9 Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden vom Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis als unbegründet abgewiesen.

10 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass der Erstrevisionswerber Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 habe. Er habe in seinem Herkunftsland eine neunjährige Schulbildung absolviert. In Österreich habe er abgesehen von einem Deutschkurs keine Bildungsangebote in Anspruch genommen. Er sei in Österreich kurzfristig jeweils für wenige Wochen legal erwerbstätig gewesen. Er sei Mitglied eines Vereins für Zuwanderer und helfe beim Roten Kreuz. Er verfüge über einen gewissen Freundes- und Bekanntenkreis, darunter einen engen Freund, in Österreich. Er habe eine mit November 2017 datierte Einstellungszusage als Hilfsarbeiter und eine mit 15. August 2018 datierte Einstellungszusage einer Pizzeria vorgelegt.

11 Die Zweitrevisionswerberin verfüge ebenfalls über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2. Eine Sprachprüfung auf dem Niveau B2 habe sie zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht abgelegt. Sie sei seit längerer Zeit im Verein "für ein soziales Miteinander und eine menschenwürdige Asylpolitik" engagiert und treffe sich darüber hinaus fallweise mit anderen Frauen in der Initiative "Frauenzimmer" in ihrem Wohnort. Sie habe im Bundesgebiet einen gewissen Freundes- und Bekanntenkreis, aber keine engen Freunde. Sie leide an einer Schilddrüsenunterfunktion und nehme Medikamente.

12 Vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts im Asylverfahren stehe fest, dass die revisionswerbenden Parteien nur wegen des als völlig unglaubwürdig erachteten Vorbringens des Erstrevisionswerbers vorübergehend ein Aufenthaltsrecht als Asylwerber gehabt hätten. Im Rahmen dieser Entscheidungen sei auch umfassend dargestellt worden, dass die revisionswerbenden Parteien im Fall der Rückkehr in der Ukraine ihren Lebensunterhalt sichern könnten. An dieser Einschätzung habe sich nichts geändert, zumal der Erstrevisionswerber schildere, arbeitsfähig und arbeitswillig zu sein. Er habe fast bis zur Ausreise aus der Ukraine über viele Jahre gearbeitet, Diskriminierungen auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit seien weiterhin nicht feststellbar.

13 Auf Grund der Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juli 2018 betreffend die Zurückweisung der ersten Anträge auf Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 stehe fest, dass in der sozialen und familiären Situation der revisionswerbenden Parteien sowie hinsichtlich ihrer Integration außer dem bloßen Zeitablauf zwischen den Entscheidungen im Asylverfahren und den erstinstanzlichen Zurückweisungen keine maßgeblichen Änderungen eingetreten seien.

14 Auch hinsichtlich der gegenständlichen Anträge seien bis zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides keine maßgeblichen Änderungen in der privaten oder familiären Situation der revisionswerbenden Parteien seit Erlassung der letzten rechtskräftigen Rückkehrentscheidungen eingetreten, welche eine ergänzende oder neue Abwägung nach Art. 8 EMRK erforderlich machen würden. Es sei zwar davon auszugehen, dass sich die Bindungen der revisionswerbenden Parteien an Österreich weiter verstärkt hätten, allerdings nicht in einem derartigen Ausmaß, das geeignet wäre, nunmehr ein anderes Verfahrensergebnis herbeizuführen. Das gelte umso mehr, als sie trotz rechtskräftiger und durchsetzbarer Rückkehrentscheidungen illegal im Bundesgebiet verblieben seien. Auch hinsichtlich der Verhältnisse im Herkunftsland lägen keine Hinweise auf relevante Änderungen für den Fall der Rückkehr vor. Auch darin, dass die Schwester des Erstrevisionswerbers und deren Familie "Aufenthaltstitel plus" erhalten hätten, liege keine maßgebliche Sachverhaltsänderung im Hinblick auf das Privat- und Familienleben der revisionswerbenden Parteien. Die durch die Schwester und ihre Familie geleistete finanzielle Unterstützung könne auch bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat erfolgen. 15 Von der Durchführung der beantragen mündlichen Verhandlung sah das Bundesverwaltungsgericht "gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG" ab, weil der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt sei.

16 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

17 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

18 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

19 Unter diesem Gesichtspunkt rügt die - nur von den Eltern und nicht auch den beiden Kindern erhobene - Revision, dass das Bundesverwaltungsgericht die beantragte Beschwerdeverhandlung nicht durchgeführt habe. Dies war aber von § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG gedeckt, weil die das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitenden Anträge zurückzuweisen waren; dass sich das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Begründung zur Unterlassung der Beschwerdeverhandlung primär auf § 21 Abs. 7 BFA-VG und nicht auf § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG berufen hat, ändert nichts an der Maßgeblichkeit der zuletzt genannten Bestimmung (vgl. VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0098). Die Revision legt auch nicht dar, auf Grund welcher Umstände die Durchführung einer Verhandlung trotz Erfüllung des Tatbestandes des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG in Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens des Bundesverwaltungsgerichts geboten gewesen wäre (vgl. auch dazu VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0098, mwN). Dass die Schwester des Erstrevisionswerber und deren Familie nunmehr über Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" verfügen, hat das Bundesverwaltungsgericht ohnedies berücksichtigt, daraus aber zu Recht keine maßgebliche Bedeutung für die Situation der revisionswerbenden Parteien abgeleitet. Auch die seit August 2018 erzielten sprachlichen Fortschritte - mögen sie auch mittlerweile das Niveau A2 übersteigen - waren fallbezogen nicht geeignet, eine wesentliche Sachverhaltsänderung im Sinn des § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zu bewirken. Insgesamt war daher nicht nur das Absehen von der Verhandlung, sondern auch die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Anträge mangels maßgeblicher Sachverhaltsänderung zurückzuweisen gewesen seien, jedenfalls nicht unvertretbar.

20 Der weiteren Rüge, dass das Bundesverwaltungsgericht sich damit auseinandersetzen hätte müssen, inwieweit es den revisionswerbenden Parteien überhaupt möglich sei, ohne Reisedokument in die Ukraine zurückzukehren, ist zunächst zu entgegnen, dass im vorliegenden Verfahren nur die Frage zu beurteilen war, ob seit der Erlassung der letzten rechtskräftigen Rückkehrentscheidungen maßgebliche Sachverhaltsänderungen im Hinblick auf die nach § 9 BFA-VG vorzunehmende Interessenabwägung eingetreten waren. Soweit die revisionswerbenden Parteien mit ihrem Vorbringen dem Vorwurf des Bundesverwaltungsgerichts entgegen treten wollen, dass sie trotz rechtskräftiger und durchsetzbarer Rückkehrentscheidungen illegal im Bundesgebiet verblieben seien, legen sie selbst nicht dar, dass sie etwa erfolglose Versuche zur Erlangung von Reisedokumenten unternommen hätten.

21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 19. Dezember 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210341.L00

Im RIS seit

11.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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