TE OGH 2019/12/17 10Ob74/19h

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Veröffentlicht am 17.12.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers A*****, vertreten durch Mag. Gerald Leitgeb, Rechtsanwalt in Stallhofen, gegen den Beklagten W*****, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner und Mag. Werner Diebald, Rechtsanwälte in Köflach, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 1. August 2019, GZ 3 R 127/19x-12, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Voitsberg vom 12. Dezember 2018, GZ 3 C 125/18v-7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger ist Alleineigentümer der Liegenschaft EZ 16 Grundbuch *****, bestehend unter anderem aus den Grundstücken 160 (auf dem sich ein Wohnhaus und ein Carport befinden) und 161/1 (Wiese).

Der Beklagte ist Alleineigentümer der benachbarten Liegenschaft EZ 17 Grundbuch *****, bestehend unter anderem aus dem Grundstück 161/2.

Die Streitteile sind verschwägert; seit längerer Zeit ist ihr persönliches Verhältnis stark belastet.

Der Kläger begehrt vom Beklagten, es zu unterlassen, Silvesterraketen vom Grundstück 161/2 auf die Grundstücke 160 und 161/1 abzufeuern.

Der Beklagte bestritt und wendete zusammengefasst ein, das Abfeuern der Raketen bewirke keinen unzulässigen Eigentumseingriff und stelle keine unzumutbare oder ortsunübliche Immission dar. Das Abfeuern von Silvesterraketen zu Silvester sei seit urdenklichen Zeiten ein ortsübliches Brauchtum (Silvesterbrauch). Der Nachbar habe zu dulden, dass Silvesterraketen zufällig auf seinem Grundstück landen. Die Klage stelle eine schikanöse Rechtsausübung dar. Der Kläger habe durch das Abfeuern der Raketen keinen Schaden erlitten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, dass der Sohn des Beklagten in der Silvesternacht 2017/2018 insgesamt rund 20 handelsübliche Silvesterraketen abgeschossen hat. Er steckte die Raketen in Metallrohre und feuerte sie daraus senkrecht in die Luft. Die Reste einer Rakete (Holzstab samt Plastikummantelung) landeten auf dem Carport, die Reste einer weiteren Rakete landeten auf dem Boden des Grundstücks 160. Die auf dem Grundstück 160 gelandeten Raketenreste sammelte der Kläger am 1. 1. 2018 ein und warf sie auf das Grundstück des Beklagten. Die Reste (Holzstäbe und Reste der Plastikummantelung) von acht weiteren Raketen kamen im südlichen Grenzbereich des Grundstücks 161/1 des Klägers (der Wiese) zu liegen. Diese Raktenreste fand der Kläger erst im Juni 2018. Er führt auf der Wiese Grundstück 161/1 regelmäßig Mäharbeiten durch und verwendet das Heu als Pferdefutter. Bleiben im Heu Silvesterraketenteile unbemerkt, besteht die Gefahr, dass der Verdauungstrakt der Pferde des Klägers verletzt wird, wenn diese das Heu samt den Silvesterraketenteilen fressen.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass es sich bei Resten von Silvesterraketen um grob körperliche Einwirkungen (ähnlich Fußbällen, Tennisbällen, Golfbällen etc) handle, die jedenfalls unzulässig und mit Eigentumsfreiheitsklage abwehrbar seien. Rechtsmissbrauch liege nicht vor, weil bei Verfütterung von Heu samt (unbemerkt gebliebenen) Raketenresten an die Pferde des Klägers die Gefahr der Schädigung von inneren Organen dieser Tiere bestehe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Das Eindringen grob körperlicher Stoffe könne vom betroffenen Eigentümer bei Fehlen eines Rechtstitels ohne Rücksicht auf Ortsüblichkeit abgewehrt werden. Dass es sich bei den Resten von Silvesterraketen um grob körperliche Stoffe handle, ergebe sich schon daraus, dass Silvesterraketenreste nicht mit herabfallendem Laub oder Baumnadeln oder mit feinkörperlichen Stoffen wie Staub und Sand zu vergleichen seien. Auch eine geringfügige Beeinträchtigung des Grundeigentums erlaube die Abwehr des Eingriffs durch Ablagerung fester Körper, sofern nicht aus besonderen Gründen eine Duldungspflicht des Grundeigentümers angenommen werden müsse. Eine auf Brauchtum gestützte Duldungspflicht des Klägers, auf seinem Grundstück gelandete Raketenreste hinzunehmen, bestehe nicht. Das Klagebegehren sei auch nicht schikanös, weil die Sorge des Klägers für die Sicherheit von Personen und Sachen gerechtfertigt sei. Nicht auszuschließen sei, dass von zu Boden fallenden Silvesterraketenresten nicht doch eine gewisse Gefahr ausgehe, darüber hinaus habe das Erstgericht eine Gefahr für die Gesundheit der Pferde des Klägers festgestellt. Dass nur einmal im Jahr Silvesterraketen abgeschossen werden, sei nicht maßgeblich, weil die dadurch hervorgerufene konkrete Gefährdung von Personen und Sachen keine „Toleranzgrenzziehung“ zulasse. Dem Beklagten (und seinen Familienmitgliedern) stehe es frei, die Silvesterraketen von einem Standort seiner Liegenschaft eventuell auch unter Verwendung technischer Hilfsmittel dermaßen abzufeuern, dass die Reste der Raketen nicht auf die Grundstücke des Klägers gelangen können. Sollte dies nicht möglich sein, sei das Abfeuern von Silvesterraketen zu unterlassen.

Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und ließ die Revision zur Klärung zu, ob jene Teile der Raketen, die nach dem Abfeuern in die Luft auf das Grundstück des Klägers herabgefallen seien (Holzstäbe und Reste des Plastikmantels), grob körperliche Immissionen darstellten, die vom Eigentümer unabhängig von der Ortsüblichkeit nach den §§ 354, 523 ABGB abgewehrt werden könnten. Zudem habe sich der Oberste Gerichtshof noch nicht damit beschäftigt, ob einer Klage auf Unterlassung des Abfeuerns von Silvesterraketen auf den Nachbargrund erfolgreich der Einwand der Schikane entgegengehalten werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruch ist die Revision nicht zulässig.

1. Nach § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Gewisse mittelbare Einwirkungen im Rahmen des ortsüblichen Ausmaßes, die keine erhebliche Beeinträchtigung der Benützung des Grundstücks hervorrufen, muss der Eigentümer somit dulden. „Unmittelbare Zuleitung“ nach § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB im Sinn eines positiven Tuns ist hingegen immer – ohne die Einschränkungen der Wesentlichkeit und Ortsüblichkeit – unzulässig (Eccher/Riss in KBB5 § 364 Rz 4).

2. Als derartige unmittelbare Zuleitungen gelten auch sogenannte grobkörperliche Immissionen. Nach der Rechtsprechung ist die Größe der eindringenden Stoffe maßgebend. Ist ihr Umfang äußerst gering (herabfallendes Laub oder Nadeln) fallen sie unter § 364 Abs 2 Satz 1 ABGB (RS0010613 [T7], RS0010624 [T2]). Das Eindringen solcher Stoffe ist hinzunehmen, solange das ortsübliche Maß nicht überschritten wird. Handelt es sich aber um – von den sonst in § 364 Abs 2 ABGB angeführten Beeinträchtigungen deutlich unterscheidbare – größere feste Körper, stellen diese grob körperliche Einwirkungen dar, die ohne Einschränkung abgewehrt werden können, wie etwa Fußbälle (4 Ob 579/95, 10 Ob 37/05x), Golfbälle (2 Ob 558/93), Volleybälle (4 Ob 220/13a), Tennisbälle (8 Ob 635/92), gefällte Baumstämme (10 Ob 33/00a), herabfallendes Gestein und Erdreich (5 Ob 23/71), Felsbrocken (2 Ob 13/97v), Glasscherben und Betonstücke (5 Ob 776/81 MietSlg 33.024) oder durch Kinder geworfene Bälle oder sonstige Gegenstände (7 Ob 562/77). Darauf, ob eine größere oder kleinere Teilfläche des Grundstücks durch die Einwirkungen vom Nachbargrund beeinträchtigt wird, kommt es jeweils nicht an.

3. Die Ansicht der Vorinstanzen, dass Überreste von Silvesterraketen (Holzstäbe samt Plastikummantelung) grob körperliche Immissionen darstellen, die weder mit den in § 364 Abs 2 ABGB genannten Einwirkungen noch mit herabfallenden Blättern und Baumnadeln gleichzusetzen sind, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung.

4. Auch die Verneinung der Rechtsmissbräuchlichkeit des Klagebegehrens durch das Berufungsgericht begründet nicht die Zulässigkeit der Revision:

4.1 Der Eigentümer des Grundstücks kann vom Nachbarn jedenfalls zumutbare Vorkehrungen gegen die Einwirkung fester Körper vom Nachbargrund verlangen, ohne dass ein besonderes Maß der Schädigung vorausgesetzt würde (5 Ob 776/81 MietSlg 33.024 mwN; RS0010613 [T4]). Dieser Abwehranspruch findet seine Grenze nur im allgemeinen Schikaneverbot des § 1295 Abs 2 ABGB. Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv oder die lauteren Motive eindeutig übersteigt (RS0010568 [T1], RS0026271 [T20]) oder zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des andern ein ganz krasses Missverhältnis besteht (RS0026265, RS0026271 [T19]).

4.2 Im Nachbarrecht sind sehr strenge Anforderungen an das Vorliegen von Rechtsmissbrauch zu stellen (RS0123269).

4.3 Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls (RS0110900, RS0013207 [T1]) und wirft grundsätzlich keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.

5. Die Ansicht der Vorinstanzen, die Rechtsausübung sei nicht schikanös, weicht von den bereits vorhandenen Leitlinien der Rechtsprechung nicht ab und bedarf keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof (vgl 10 Ob 37/05x).

Wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, wird die Annahme, der einzige Grund der Rechtsausübung bilde die Schädigungsabsicht, jedenfalls von der Sorge des Klägers ausgeschlossen, es bestehe die Gefahr, dass seine Pferde einen gesundheitlichen Schaden erleiden, wenn sich in dem an sie verfütterten Heu unbemerkt gebliebene Plastikreste der Silvesterraketen befinden. Der Umstand, dass die Reste der Raketen nur einmal jährlich auf die Wiese fallen, macht diese Besorgnis nicht unbegründet.

6. Dieses – im vorliegenden Einzelfall gegebene – spezielle Gefahrenpotential ist auch dem weiteren Revisionsvorbringen entgegenzuhalten, selbst bei Nichtvorliegen einer Schikane wäre maximal eine geringfügige Einwirkung auf die Nachbarliegenschaft gegeben, deren Folge kein vernünftiger Mensch als nennenswerten Nachteil ansähe. Der dazu in der Revision zitierte Rechtssatz RS0121625 erging nicht zu grob körperlichen Einwirkungen, sondern zu den Auswirkungen einer willkürlichen Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse von Oberflächenwässern auf das Nachbargrundstück.

7. Auch mit dem Vorbringen, das Abschießen von Silvesterraketen stelle Brauchtum dar, das den Kläger zur Duldung der auf seinen Grundstücken gelandeten Raketenreste verpflichte, wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt:

Das dem Eigentumsschutz dienende Unterlassungsbegehren bezweckt kein Handlungsverbot für den Störer, sondern ein Erfolgsverbot (RS0010566). Der Beklagte hat daher bei Ausübung des Silvesterbrauchtums auf ihm überlassene Art zu vermeiden, dass nach § 364 Abs 2 ABGB unzulässige Einwirkungen auf das Grundstück des Klägers gelangen. Beim Abschießen von Silvesterraketen kann er dieser Verpflichtung durch zumutbare und ausreichende organisatorische Vorkehrungen entsprechen (vgl 2 Ob 558/93 mwN).

8. Auch dem Standpunkt, der nachbarrechtliche Anspruch wäre im Hinblick darauf ausgeschlossen, dass das „gravitations- bzw flugbahnbedingte Zu-Boden-Fallen“ von Raketenresten mit einem Elementarereignis gleichzusetzen wäre, ist nicht zu folgen:

Elementarereignisse sind auf Naturvorgänge zurückzuführen und treten ohne menschliches Zutun ein (RS0107625), was für das Zu-Boden-Fallen der Rückstände von Silvesterraketen nicht zutrifft, weil zuvor deren Zünden und Abschießen nötig ist.

Nach ständiger Rechtsprechung erfordert die (unmittelbare) Zuleitung bzw Einwirkung auf die Nachbarliegenschaft nicht notwendig ein zielgerichtetes Verhalten, sondern setzt nur voraus, dass vom belangten Nachbarn eine Veränderung („Veranstaltung“) geschaffen wurde (RS0117337 [T3], RS0010635 [T26]). Somit kann auch das Argument, der Sohn des Revisionswerbers habe die Raketen nicht absichtlich in Richtung der Liegenschaft des Klägers abgeschossen, sondern die Metallrohre zum Abschuss der Raketen senkrecht in die Erde gesteckt (sodass die Raketen senkrecht in die Höhe starteten), zu keiner anderen Beurteilung führen.

9. Letztlich wird auch mit dem Revisionsvorbringen zur Fassung des Klagebegehrens keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt:

Abgesehen davon, dass bei der Fassung des Unterlassungsgebots immer auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen ist (RS0037734), kann der Ausspruch, der Beklagte habe es „zu unterlassen, Silvesterraketen auf die Grundstücke des Klägers abzufeuern“, im Zusammenhang mit der Begründung der Entscheidung nur so verstanden werden, dass es dem Beklagten untersagt ist, Silvesterraketen auf eine Art und Weise abzufeuern, dass Reste dieser Raketen auf den Grundstücken des Klägers zu liegen kommen. Für die in der Revision begehrte Einschränkung des Klagebegehrens auf Silvesterraketen der Klasse „F2“ besteht kein Anlass, weil nicht ersichtlich ist, dass nicht auch von Silvesterraketen anderer Klassen als „F2“ Abfälle zu Boden fallen.

Die Revision des Beklagten ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E127180

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00074.19H.1217.000

Im RIS seit

30.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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