Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §9 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des R H, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. April 2019, Zl. W158 1434292- 2/6E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 19. September 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2 Mit Bescheid vom 19. März 2013 wies das Bundesasylamt (BAA) den Antrag auf internationalen Schutz vollumfänglich ab (Spruchpunkte I. und II.) und wies den Revisionswerber aus dem Bundesgebiet nach Afghanistan aus (Spruchpunkt III.). 3 Mit Erkenntnis vom 10. Oktober 2014 stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) das Verfahren hinsichtlich Spruchpunkt I. des Bescheides wegen Zurückziehung der Beschwerde des Revisionswerbers ein (Spruchpunkt A I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt A II.), erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt A III.), gab der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. statt und behob diesen (Spruchpunkt A IV.). Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig (Spruchpunkt B). 4 Begründend führte das BVwG aus, der minderjährige Revisionswerber sei einerseits aufgrund der verschlechterten Sicherheitslage in Kabul, wo seine Familie wohne, einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgesetzt und könne andererseits aufgrund seines geringen Bildungsstandes als Analphabet und Hirte keine Arbeit finden, die ihm ein menschenwürdiges Leben ermögliche. 5 Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde in der Folge mehrfach - zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 8. September 2017 mit Gültigkeit bis zum 10. Oktober 2019 - verlängert.
6 Mit Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 15. Oktober 2018 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt.
7 Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 30. Oktober 2018 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall Suchtmittelgesetz (SMG) unter Anwendung des § 19 Abs. 1 JGG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
8 Mit Bescheid vom 20. Dezember 2018 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.) und entzog ihm die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II.). Zudem erteilte das BFA dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.). Überdies erließ das BFA ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.). 9 Begründend führte das BFA aus, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten lägen nicht mehr vor, nachdem der Revisionswerber nicht mehr minderjährig sowie kein Analphabet mehr sei und über eine Ausbildung als Koch verfüge. Zudem stelle der weitere Aufenthalt des Revisionswerbers aufgrund seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Suchtmittelhandels eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, sodass ein Einreiseverbot zu erlassen sei. 10 Die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG mit Erkenntnis vom 17. April 2019 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Spruchpunkt I. zu lauten habe: "Der Ihnen mit Erkenntnis vom 10.10.2014, Zahl W151 1434292-1/12E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wird Ihnen gemäß § 9 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 idgF, von Amts wegen aberkannt". Das BVwG gab der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. mit der Maßgabe statt, dass die Dauer des Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 1, Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) auf vier Jahre herabgesetzt werde (Spruchpunkt A). Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).
11 In seiner Begründung führte das BVwG zusammengefasst aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorlägen. Die Sicherheitslage sei bereits im Zeitpunkt der Zuerkennung ausreichend sicher gewesen und eine Rückkehr wäre daher nicht ausgeschlossen. Dem Revisionswerber sei bloß wegen der Sicherheitslage in Verbindung mit der Minderjährigkeit, der schlechten Versorgungslage und der fehlenden Fachausbildung subsidiärer Schutz zuerkannt worden. Nunmehr sei der Revisionswerber volljährig, weshalb eine besondere Vulnerabilität nicht mehr erkennbar sei. Vor dem Hintergrund der individuellen Situation des Revisionswerbers, der über eine zumindest teilweise Berufsausbildung und -erfahrung verfüge, sei ihm eine Rückkehr nach Kabul, wo seine Familie wohne, oder alternativ nach Herat oder Mazar-e Sharif möglich und zumutbar.
12 Da sich die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bereits auf § 9 Abs. 1 AsylG 2005 stütze, müsse auf die Verurteilung des Revisionswerbers wegen des Verbrechens des Suchtmittelhandels, ihre Beurteilung nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 und die diesbezüglichen Verfahrensrügen der Beschwerde nicht mehr weiter eingegangen werden.
13 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, die Beurteilung des BVwG sei nicht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und sohin von den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen und Leitlinien zur Begründung abgewichen. Das BVwG hätte darzulegen gehabt, inwiefern sich die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 geändert hätten. Da die rechtliche Beurteilung sich nicht auf entsprechende Feststellungen stütze, liege ein Begründungsmangel vor. Zudem wäre das BVwG verpflichtet gewesen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, weil bereits die Beschwerde den vom BFA festgestellten Sachverhalt substantiiert bestritten habe. 14 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
16 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet.
17 Hinsichtlich des von der Revision vorgebrachten Verstoßes
des BVwG gegen die Verhandlungspflicht ist festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt ist, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 7.8.2019, Ra 2019/18/0250, mwN).
18 Im Revisionsfall trat der Revisionswerber den Feststellungen des BFA, wonach er durch seine nunmehrige Berufsausbildung bzw. -erfahrung bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht mehr gefährdet sei, in seinen nach Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechten verletzt zu werden, in der Beschwerde allerdings insofern substantiiert entgegen, als er darin vorbrachte, dass das BFA sich näher mit der Tatsache auseinandersetzen müsse, dass er in seinem Herkunftsstaat weiterhin keine Arbeit finden könne, die ihm ein Leben ohne unbillige Härten ermögliche, nachdem es in den letzten Jahren zu keinen wesentlichen Änderungen im Herkunftsstaat gekommen sei, sondern sich die Sicherheitslage und die humanitäre Situation sogar verschlechtert hätten. Auch im aktuellen Länderinformationsblatt zu Afghanistan sei explizit festgehalten, dass es zu keinen Verbesserungen in Afghanistan gekommen sei. Bis auf die Erfahrung des Revisionswerbers durch die Bildung bzw. (abgebrochene) Fachausbildung habe das BFA keine Umstände angeführt, inwiefern sich die Voraussetzungen im Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nunmehr wesentlich geändert hätten.
19 Vor dem Hintergrund dieses Vorbringens hätte sich das BVwG bereits durch eine mündliche Verhandlung ein persönliches Bild darüber machen müssen, ob die persönliche Fortentwicklung des Revisionswerbers vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Afghanistan die Annahme einer wesentlichen Änderung erlaubt, welche die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtfertigt (vgl. VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, mit Hinweis auf EuGH 23.5.2019, Bilali, C-720/17).
20 Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Abweisung der Beschwerde gegen die Aberkennung von subsidiärem Schutz und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
21 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 17. Dezember 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180235.L01Im RIS seit
31.01.2020Zuletzt aktualisiert am
31.01.2020