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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung einer Beschwerde auf Grund unzureichender Auseinandersetzung mit dem Beschwerdeverzicht eines Staatsangehörigen der Russischen Föderation gegen die Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz; Unterlassung der Prüfung einer entsprechenden Rechtsberatung vor Abgabe des Rechtsmittelverzichts durch den gesetzlich vorgesehenen RechtsberaterSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Der Beschluss wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und stellte am 23. Februar 2019 nach Einreise in das Bundesgebiet über Italien und Frankreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag – ohne in die Sache einzutreten – als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien zur Prüfung des Antrages zuständig sei. Es wurde die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Italien zulässig sei.
2. Mit Verfahrensanordnung gemäß §52 Abs1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 24/2016, (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG) vom 8. Mai 2019 wurde dem Beschwerdeführer die "ARGE-Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe" als Rechtsberaterin amtswegig zur Seite gestellt. Diese brachte am 22. Mai 2019 im Namen des Beschwerdeführers eine Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ein. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und eine unzureichende Beweiswürdigung durchgeführt worden, und die rechtliche Beurteilung sei unrichtig.
3. Die Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. Mai 2019 als unzulässig zurückgewiesen, da nach Zustellung des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ein wirksamer Beschwerdeverzicht abgegeben worden sei. Der Beschwerdeführer habe am 17. Mai 2019 einen ausdrücklichen schriftlichen Beschwerdeverzicht betreffend den Bescheid über seinen Antrag auf internationalen Schutz unterfertigt und sich mit der Überstellung in den im Rahmen eines Konsultationsverfahrens als zuständig festgestellten Mitgliedstaat Italien einverstanden erklärt. Sein Berater sei eine namentlich genannte Rechtsberaterin gewesen (in dem im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes abgedruckten Text des Rechtsmittelverzichtes ist als Rechtsberaterin der "Verein Menschenrechte Österreich" eingetragen), ein namentlich genannter Dolmetscher sei beigezogen worden. Gegen den angefochtenen Bescheid sei dennoch am 22. Mai 2019 Beschwerde erhoben worden. Allfällige Willensmängel bei der Abgabe des Rechtsmittelverzichtes seien nicht behauptet worden und auch nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer habe nach der Zustellung des angefochtenen Bescheides und im Beisein des für das Asylverfahren bestellten Rechtsberaters und einer sprachkundigen Vertrauensperson schriftlich erklärt, dass er auf die Einbringung einer Beschwerde verzichte und mit der Überstellung nach Italien einverstanden sei. Die Rechtsfolge des Beschwerdeverzichtes, nämlich die Durchsetzung des angefochtenen Bescheides durch Rückkehr der beschwerdeführenden Partei in den für ihren Antrag auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat Italien, sei in der unterschriebenen Erklärung ausdrücklich angeführt, sodass ein Irrtum ausgeschlossen werden könne. Da somit nach Zustellung des angefochtenen Bescheides ein wirksamer Beschwerdeverzicht abgegeben worden sei, welcher auch nicht widerrufen werden könne, sei dieser Bescheid bereits am 17. Mai 2019 in Rechtskraft erwachsen, weshalb die am 22. Mai 2019 dennoch erhobene Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen gewesen sei. Die Revision sei nicht zulässig.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) sowie im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
4.1. Das Bundesverwaltungsgericht habe zutreffend darauf hingewiesen, dass die gesetzlich zwingend vorgesehene Rechtsberatung im Fall eines Rechtsmittelverzichtes nicht durch eine Rückkehrvorbereitung durch den Verein Menschenrechte Österreich ersetzt werden könne. Die im Verwaltungsverfahren bestellte Rechtsberatung beziehe sich nämlich auf die Beratung im Beschwerdeverfahren und sohin auf all jene Rechtshandlungen, die damit zusammenhängende Fragen in irgendeiner Weise endgültig entscheiden, worunter auch ein Rechtsmittelverzicht falle. Es sei auch zutreffend festgestellt worden, dass mittels Verfahrensanordnung vom 8. Mai 2019 dem Beschwerdeführer die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe zur Seite gestellt worden sei.
4.2. Der am 17. Mai 2019 unterschriebene Rechtsmittelverzicht sei nicht im Beisein und unter Einbindung der für das Verwaltungsverfahren bestellten Rechtsberatung ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe unterzeichnet worden, sondern im Beisein einer sprachkundigen Vertrauensperson und einer Beraterin vom Verein Menschenrechte Österreich. Es sei unerfindlich, warum das Bundesverwaltungsgericht feststelle, der Rechtsmittelverzicht sei im Beisein des für das Asylverfahren bestellten Rechtsberaters abgegeben worden. Die für das Verwaltungsverfahren bestellte Rechtsberatung ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe sei bei Abgabe des Rechtsmittelverzichtes nicht anwesend gewesen und in die Abgabe des Rechtsmittelverzichtes nicht eingebunden gewesen. Die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe sei vor Einlangen des nunmehr bekämpften Beschlusses nicht in Kenntnis von der Abgabe eines wie immer gearteten Rechtsmittelverzichtes gewesen. Dies sei für das Bundesverwaltungsgericht – auch aus der Beschwerde vom 22. Mai 2019 – ersichtlich gewesen. Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich zu einer Prüfung veranlasst sehen müssen, ob eine Beratung vor Abgabe des Rechtsmittelverzichtes stattgefunden habe und ob die Rechtsberaterin bei Abgabe des Rechtsmittelverzichtes anwesend gewesen sei. Das Bundesverwaltungsgericht hätte hiezu Ermittlungen anstellen und den Akteninhalt beachten müssen.
4.3. Zudem seien Ermittlungen unterblieben, ob der Rechtsmittelverzicht im Übrigen frei von Willensmängeln erfolgt sei. Das Bundesverwaltungsgericht übergehe die Umstände, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Unterfertigung des Schreibens vom 17. Mai 2019 in der Unterkunft in Fieberbrunn, der Rückkehrberatungseinrichtung des Innenministeriums (BMI) am Tiroler Bürglkopf, untergebracht gewesen sei sowie dass er an psychischen Beeinträchtigungen, nämlich an einer Panikstörung, gelitten habe. Es hätte geprüft und ermittelt werden müssen, ob in Anbetracht der Gesamtheit der individuellen Umstände ein offensichtlicher Willensmangel des Beschwerdeführers bei Unterzeichnung des Schreibens am 17. Mai 2019 vorgelegen habe.
4.4. Ohne irgendwelche weiteren Ermittlungsschritte zu setzen, auf den Akteninhalt Bezug zu nehmen oder eine nachvollziehbare Beweiswürdigung durchzuführen, stelle das Bundesverwaltungsgericht fest, dass allfällige Willensmängel bei der Abgabe des Rechtsmittelverzichtes nicht ersichtlich seien. Dies verletze den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander.
4.5. Gemäß §52 Abs1 BFA-VG habe sich die Rechtsberatung jedenfalls auf all jene Rechtshandlungen zu beziehen, die diese Fragen in irgendeiner Weise endgültig entschieden. Die Abgabe eines Rechtsmittelverzichtes zähle jedenfalls dazu. Im Gegensatz dazu könne einem Fremden in jedem Stadium des Verfahrens Rückkehrberatung gemäß §52a BFA-VG gewährt werden. Diese solle der Abklärung der Perspektiven während und nach Abschluss des Verfahrens dienen. Der Verein Menschenrechte fungiere als eine solche Rückkehrberatungseinrichtung. Eine solche Rückkehrberatung durch den Verein Menschenrechte Österreich könne, dies habe der Verfassungsgerichtshof bereits festgestellt (VfGH 12.3.2014, U1286/2013), die gesetzlich zwingend vorgesehene Rechtsberatung durch den dazu bestellten Rechtsberater nicht ersetzen.
4.6. Am 17. Mai 2019 sei Beraterin des Beschwerdeführers ein Vertreter oder eine Vertreterin des Vereines Menschenrechte Österreich gewesen. Es seien keine Feststellungen getroffen worden, ob auch die bestellte Rechtsberaterin ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe anwesend und in die Entscheidungsfindung einbezogen gewesen sei. Hinweise darauf seien auch dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Da die Rückkehrberatung durch den Verein Menschenrechte Österreich die zwingend vorgesehene Rechtsberatung nicht ersetzen könne, sei der Rechtsmittelverzicht nicht wirksam abgegeben worden. Der Beschwerdeführer sei dadurch, dass das Bundesverwaltungsgericht den Beschluss zurückgewiesen habe, in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen und auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
II. Rechtslage
1. §52 BFA-VG lautet:
"Rechtsberatung vor dem Bundesverwaltungsgericht
§52. (1) Das Bundesamt hat den Fremden oder Asylwerber bei Erlassung einer Entscheidung, ausgenommen Entscheidungen nach §53 BFA-VG und §§76 bis 78 AVG, oder einer Aktenvorlage gemäß §16 Abs2 VwGVG mittels Verfahrensanordnung darüber zu informieren, dass ihm kostenlos ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt wird. Zugleich hat das Bundesamt den bestellten Rechtsberater oder die betraute juristische Person davon in Kenntnis zu setzen.
(2) Rechtsberater unterstützen und beraten Fremde oder Asylwerber jedenfalls beim Einbringen einer Beschwerde und im Beschwerdeverfahren gemäß Abs1 vor dem Bundesverwaltungsgericht, sowie bei der Beischaffung eines Dolmetschers. Rechtsberater haben den Beratenen die Erfolgsaussicht ihrer Beschwerde darzulegen. Auf deren Ersuchen haben sie die betreffenden Fremden oder Asylwerber auch im Verfahren, einschließlich einer mündlichen Verhandlung, zu vertreten.
(3) Der Bundeskanzler verordnet die Höhe der Entschädigung der Rechtsberater für den Zeit- und Arbeitsaufwand. Ist eine juristische Person mit der Rechtsberatung vor dem Bundesverwaltungsgericht betraut, verordnet der Bundeskanzler die Höhe der Entschädigung für den Zeit- und Arbeitsaufwand für die Rechtsberatung einschließlich der Dolmetschkosten in Form von Pauschalbeträgen pro beratenem Fremden oder Asylwerber. Die Entschädigung hat sich am zuvor eingeholten Angebot der betrauten juristischen Person zu orientieren."
2. §52a BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 145/2017, lautet:
"Rückkehrberatung und Rückkehrhilfe
§52a. (1) Einem Fremden kann in jedem Stadium seines Verfahrens Rückkehrberatung gewährt werden. Die Rückkehrberatung umfasst die Abklärung der Perspektiven während und nach Abschluss des Verfahrens. Die Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls die notwendigen Kosten der Rückreise (§12 Abs2 GVG-B 2005).
(2) Wird gegen einen Fremden eine Rückkehrentscheidung erlassen oder einem Asylwerber eine Mitteilung nach §29 Abs3 Z4 bis 6 AsylG 2005 ausgefolgt, ist dieser verpflichtet, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen, sofern dies nicht bereits einmal in diesem Verfahren erfolgt ist. In einem Verfahren nach §27a AsylG 2005 kann eine Rückkehrberatung bereits in einem früheren Verfahrensstadium mit Verfahrensanordnung angeordnet werden. Darüber hinaus sind Rückkehrberatungsstellen ermächtigt, Fremden, gegen die eine – wenn auch nicht rechtskräftige – Rückkehrentscheidung erlassen wurde, weitere Rückkehrberatungsgespräche anzubieten. Fremde sind im Falle eines nachweislich angebotenen Rückkehrberatungsgesprächs verpflichtet, dieses in Anspruch zu nehmen.
(3) Die zuständige Rückkehrberatungsstelle hat auf Nachfrage der zuständigen Landespolizeidirektion im Verwaltungsstrafverfahren nach §120 Abs1b FPG, dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht darüber Auskunft zu geben, ob und mit welchem Ergebnis ein Rückkehrberatungsgespräch stattgefunden hat.
(4) Entschließt sich der Fremde dazu, die ihm angebotene Rückkehrhilfe anzunehmen und auszureisen, kann ihm vor der Ausreise finanzielle Unterstützung gewährt werden (§12 GVG-B 2005). Der Rechtsberater (§49 BFA-VG) ist im Zulassungsverfahren dem abschließenden Gespräch über die Gewährung von Rückkehrhilfe beizuziehen."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass an einen wirksamen Rechtsmittelverzicht strenge Maßstäbe anzulegen sind, um einen Willensmangel bei seiner Abgabe ausschließen zu können (VfSlg 19.843/2014; vgl hiezu auch VfSlg 11.171/1986, 12.605/1991, 13.100/1992). Dieser strenge Beurteilungsmaßstab erfordert eine hinreichende Ermittlung jener Umstände, unter denen der Verzicht abgegeben wurde, um die Wirksamkeit der abgegebenen Erklärung beurteilen zu können (VfSlg 19.843/2014).
3.2. Zudem hat der Verfassungsgerichtshof bereits klargestellt, dass eine – wie immer geartete – "Rückkehrvorbereitung" durch den Verein Menschenrechte Österreich die gesetzlich zwingend vorgesehene Rechtsberatung durch den dazu bestellten Rechtsberater nicht ersetzen kann (VfSlg 19.843/2014; VfGH 12.3.2014, U1286/2013). Zweck der Rechtsberatung ist es, den Asylwerber im Verwaltungsverfahren wie im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zu beraten, was die Beratung darüber einschließt, ob eine Beschwerde an das Verwaltungsgericht erhoben werden soll. Damit hat sich die Rechtsberatung aber jedenfalls auf all jene Rechtshandlungen zu beziehen, die diese Fragen in irgendeiner Weise endgültig entscheiden. Die Abgabe eines Rechtsmittelverzichtes zählt jedenfalls dazu (vgl VfSlg 19.843/2014).
3.3. Im vorliegenden Fall wurde der Rechtsmittelverzicht durch den Beschwerdeführer am 17. Mai 2019 nach Erläuterung des Inhaltes durch eine sprachkundige Vertrauensperson und nach Beratung durch eine Mitarbeiterin des Vereines Menschenrechte Österreich abgegeben. Dies ergibt sich sowohl aus dem im angefochtenen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes abgedruckten Text des Rechtsmittelverzichtes als auch aus den Gerichtsakten. Aus den Gerichtsakten ergibt sich weiterhin, dass der Verein Menschenrechte Österreich dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. April 2019 gemäß §52a BFA-VG zum Zweck eines Rückkehrberatungsgespräches zur Beratung über und Unterstützung bei "Perspektiven einer freiwilligen Rückkehr während und nach Abschluss des Verfahrens" zugewiesen wurde. Zur Rechtsberatung für ein etwaiges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde ihm – auch dies ergibt sich sowohl aus dem angefochtenen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes als auch aus den Gerichtsakten – allerdings gemäß §52 Abs1 BFA-VG mit Verfahrensanordnung vom 8. Mai 2019 die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe amtswegig zur Seite gestellt.
3.4. In die Abgabe des Rechtsmittelverzichtes war also kein Mitarbeiter der zur Rechtsberatung des Beschwerdeführers iSd §52 BFA-VG bestellten ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe eingebunden, sondern eine Mitarbeiterin des zum Zweck einer Rückkehrberatung iSd §52a BFA-VG dem Beschwerdeführer zugewiesenen Vereines Menschenrechte Österreich.
3.5. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesem Umstand keine Bedeutung zugemessen, sondern sogar festgestellt, der Beschwerdeführer habe "im Beisein des für das Asylverfahren bestellten Rechtsberaters" schriftlich erklärt, dass er auf die Einbringung einer Beschwerde verzichte und mit der Überstellung nach Italien einverstanden sei. Das Bundesverwaltungsgericht hat es unterlassen, im Einklang mit der genannten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu prüfen, ob der Beschwerdeführer den Rechtsmittelverzicht nach entsprechender Beratung durch die gemäß §52 BFA-VG bestellte Rechtsberaterin abgegeben hat oder ob nur jene Personen anwesend waren, die zur "Rückkehrvorbereitung" bestellt waren, die nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Rechtsberatung gerade nicht zu ersetzen vermag.
3.6. Indem das Bundesverwaltungsgericht den genannten Umstand, dass vorliegend eine Mitarbeiterin des zur Rückkehrberatung nach §52a BFAVG bestellten Vereines Menschenrechte Österreich und nicht die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, die dem Beschwerdeführer nach §52 BFA-VG zur Rechtsberatung im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zugewiesen war, in die Abgabe der Erklärung am 17. Mai 2019 eingebunden war, außer Acht gelassen und keine weiteren Ermittlungen in diesem entscheidenden Punkt angestellt hat, hat es Willkür geübt. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich schon aus diesem Grund als verfassungswidrig und ist aufzuheben.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Der Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a Abs1 iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Rechtsmittel, Rechtsmittelverzicht, BundesverwaltungsgerichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:E2344.2019Zuletzt aktualisiert am
17.12.2019