TE Vwgh Erkenntnis 2019/11/5 Ra 2018/01/0188

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Veröffentlicht am 05.11.2019
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Index

19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. März 2018, Zl. W177 1438081-1/26E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: A F in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinen Spruchpunkten A) II., A) III. und A) IV. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 1. Oktober 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte dazu im Wesentlichen vor, er stamme aus Kabul; er habe Afghanistan verlassen, weil er dort keine Zukunft für sich gesehen habe.

2 Mit Bescheid vom 11. September 2013 wies das (damalige) Bundesasylamt den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen (Spruchpunkt II.) ab und wies den Mitbeteiligten aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus (Spruchpunkt III.).

3 Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis vom 12. März 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. ab (Spruchpunkt A) I.), erkannte dem Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt A) II.), erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 12. März 2019 (Spruchpunkt A) III.), behob Spruchpunkt III. des Bescheides ersatzlos (Spruchpunkt A) IV.) und sprach gemäß § 25a VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B)).

4 Das BVwG ging bei der Frage der Zuerkennung von subsidiärem Schutz davon aus, dass der Mitbeteiligte in Kabul als Sicherheitswachmann auf einer Militärbasis für Ausländer tätig gewesen sei. Während seiner Tätigkeit habe es drei Explosionen auf der Militärbasis gegeben. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei regional von Provinz zu Provinz und auch innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedlich, insgesamt jedoch sehr prekär. Die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zur Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung sei häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Die soziale Absicherung liege traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Der Mitbeteiligte sei zwar ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann mit Berufserfahrung, er habe jedoch in den Großstädten Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte.

5 Das (in weiterer Folge zuständige) Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhob gegen dieses Erkenntnis die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens ohne Erstattung einer Revisionsbeantwortung erwogen hat:

6 Die Revision ist im Hinblick auf das im Zulässigkeitsvorbringen dargelegte Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes zum Vorliegen einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK zulässig und auch berechtigt.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits wiederholt mit dem Kriterium nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 einer realen Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung durch eine Rückkehr nach Afghanistan auseinandergesetzt. So hat der Verwaltungsgerichtshof etwa im Erkenntnis vom 30. September 2019, Ra 2018/01/0068, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung in den Rechten nach Art. 3 EMRK nicht ausreichend ist. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum im Einzelfall solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. hierzu weiters etwa VwGH 21.5.2019, Ra 2018/19/0217; 10.9.2018, Ra 2018/19/0312; 25.4.2017, Ra 2017/01/0016, jeweils mwN). Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich ist, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein kann (vgl. wiederum VwGH 30.9.2019, Ra 2018/01/0068).

8 Das BVwG hat zwar die Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation für den Mitbeteiligten im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat in Bezug auf den Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung sowie in Bezug auf eine allgemein sehr prekäre Sicherheitslage festgestellt. Die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinn der obigen Rechtsgrundsätze ergibt sich daraus jedoch nicht und zwar insbesondere deswegen nicht, weil der Mitbeteiligte ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann mit Berufserfahrung ist.

9 Auch die Annahme des BVwG, dem Mitbeteiligten sei eine Rückkehr nach Kabul nicht zumutbar, vermag die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nicht zu rechtfertigen, denn die Zumutbarkeit einer Rückkehr ist bei der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative, nicht aber bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz zu prüfen (vgl. VwGH 13.6.2019, Ra 2019/18/0139). 10 Hinsichtlich der vom BVwG darüber hinaus geprüften und letztlich verneinten innerstaatlichen Fluchtalternativen "wie z.B. Herat, Mazar-e Sharif oder Kunduz" genügt der Hinweis, dass die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK in der Herkunftsregion nicht dargetan wurde und es daher auf die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus diesem Grund nicht ankommt (vgl. hierzu abermals VwGH 30.9.2019, Ra 2018/01/0068).

11 Das BVwG ist somit von der erwähnten hg. Rechtsprechung abgewichen, weshalb das angefochtene Erkenntnis sowohl im Umfang des Spruchpunktes A) II. als auch im Umfang der Spruchpunkte A) III. und A) IV., weil diese mit der Aufhebung des Spruchpunktes A) II. ihre rechtliche Grundlage verlieren, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 5. November 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018010188.L00

Im RIS seit

04.12.2019

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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