TE OGH 2019/10/23 7Ob78/19z

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Veröffentlicht am 23.10.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****G*****, vertreten durch Czernich Haidlen Gast & Partner Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, gegen die beklagte Partei W***** AG *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 6.371,37 EUR sA und Rechnungslegung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Jänner 2019, GZ 1 R 207/18i-13, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 9. Mai 2018, GZ 12 C 22/18z-9, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind im Hinblick auf die Klagseinschränkung in der Rekursbeantwortung zu Pkt 1 des Klagebegehrens im Umfang von 5.370,12 EUR samt darauf entfallender monatlich gestaffelter Zinsen wirkungslos.

II. Im Übrigen wird dem Rekurs Folge gegeben und der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts dahin abgeändert, dass das klagsabweisende erstinstanzliche Urteil, soweit es nicht hinsichlich der Abweisung des Rechnungslegungsbegehrens (Pkt 2 des Klagebegehrens) bereits in Rechtskraft erwachsen ist, im Umfang von 614,13 EUR samt den gestaffelten Zinsen aus den einzelnen monatlichen Prämienzahlungen mit der Einschränkung „abzüglich des per 1. 10. 2018 ausbezahlten Rückkaufwerts in der Höhe von 5.730,12 EUR“ und im Kostenpunkt wiederhergestellt wird.

III. Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei die mit 1.434,87 EUR (darin enthalten 239,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin unterfertigte am 29. 9. 2000 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Antrag auf Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags mit einer Laufzeit von 18 Jahren ab 1. 10. 2000. Bei der Antragstellung erhielt sie eine mehrseitige Broschüre mit „Informationen zu Ihrer Lebensversicherung“ ausgehändigt, deren „Allgemeine Informationen“ auszugsweise lauten:

„10. Rücktrittsrecht nach § 165a Versicherungsvertragsgesetz

Sie sind berechtigt, binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen des Vertrages von diesem zurückzutreten. Für den vorläufigen Sofortschutz verrechnen wir in diesem Fall die seiner Dauer entsprechende Prämie.“

Die Versicherungspolizze wurde ihr am 5. 10. 2000 zugeschickt. Auf Ersuchen der Klägerin wurde der Vertrag per 1. 7. 2016 prämienfrei gestellt, am 1. 1. 2017 automatisch reaktiviert und per 1. 10. 2017 neuerlich prämienfrei gestellt. Die Klägerin hat Prämien in Höhe von 6.371,25 EUR bezahlt. Mit Schreiben vom 21. 11. 2017 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Lebensversicherungsvertrag. Die Beklagte wies diesen Rücktritt mit Schreiben vom 1. 12. 2017 zurück.

Die Klägerin begehrte die Rückzahlung der von ihr bezahlten Prämien (Pkt 1) und die Rechnungslegung über aus den Prämien gezogenen Nutzungen sowie Zahlung des sich daraus ergebenden Betrags (Pkt 2). Für den Fall der Nichtstattgebung des Manifestationsbegehrens in Pkt 2 begehrte sie 4 % Zinsen seit der jeweiligen monatlichen Einzahlung der Prämien. Sie sei von der beklagten Partei vor Vertragsabschluss nicht schriftlich vollständig über das ihr zustehende Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG belehrt worden.

Die Beklagte stellte die Höhe der von der Klägerin bezahlten Prämien außer Streit und bestritt im Übrigen das Klagebegehren. Die Klägerin sei in der Informationsbroschüre zum Versicherungsantrag, deren Erhalt sie im Versicherungsantrag mit ihrer Unterschrift bestätigt habe, gesetzeskonform darüber aufgeklärt worden, dass sie berechtigt sei, binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten. Die Belehrung habe dem Gesetzeswortlaut entsprochen. Darüber hinausgehende Anforderungen an die Rücktrittsbelehrung bestünden nicht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die dem § 165a VersVG wortgleiche Belehrung der Klägerin sei korrekt und das fristauslösende Ereignis für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer in der Zusendung der Polizze als Annahmeerklärung und daher als Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags erkennbar.

Das Berufungsgericht hob die nur in Bezug auf das Zahlungsbegehren und das Eventualbegehren bekämpfte Entscheidung auf. Die Belehrung über das Rücktrittsrecht im Rahmen der Informationsbroschüre entspreche zwar dem Gesetzeswortlaut, sei jedoch insofern fehlerhaft, als sie das fristauslösende Ereignis nicht ausreichend klar angebe. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil Rechtsprechung zur Frage der (richtlinienkonformen) Interpretation des § 165a VersVG zur Beurteilung einer allfälligen Fehlerhaftigkeit der Belehrung über das Rücktrittsrecht durch den Versicherer fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Klagsabweisung. Im Hinblick auf das mittlerweile per 1. 10. 2018 eingetretene vereinbarte Vertragsende sei der Vertragswert in Höhe von 5.730,12 EUR an die Klägerin ausbezahlt worden.

In ihrer Rekursbeantwortung bestätigt die Klägerin dies und schränkt ihr Zahlungsbegehren um diesen Betrag auf 641,13 EUR samt den monatlichen gestaffelten Zinsen (wie Eventualbegehren) „abzüglich der Leistung von 5.730,12 EUR per 1. 10. 2018“ ein. Im Übrigen strebt sie die Zurückweisung des Rekurses an, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben, und weiters hilfsweise, dem Klagebegehren stattzugeben.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.:

Die Klägerin hat nach Erhebung des Rekurses der Beklagten gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss in ihrer Rekursbeantwortung eine zulässige (RS0039644) Klagseinschränkung wie im Spruch ersichtlich vorgenommen. In Ansehung dieses Teilbegehrens hat daher gemäß §§ 513 iVm 483 Abs 3 ZPO analog (RS0081567 [T1]) der Ausspruch zu erfolgen, dass der Beschluss des Gerichts zweiter Instanz und das erstinstanzliche Urteil insoweit als wirkungslos anzusehen sind.

Zu II.:

1. Der Rekurs ist zulässig:

Der durch die Einschränkung des Klagebegehrens verringerte Streitwert des Rekurses an den Obersten Gerichtshof nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO hat auf seine Zulässigkeit keinen Einfluss. Nach § 519 Abs 2 ZPO ist er unter den Voraussetzungen des § 502 ZPO zulässig. Gemäß dessen Abs 2 ist der Wert des Entscheidungsgegenstands, über den das Berufungsgericht zu entscheiden hatte, maßgeblich und nicht der (verbliebene) Streitwert im Revisionsverfahren bzw wie hier im Rekursverfahren (RS0042408). Der Rekurs ist daher nicht jedenfalls unzulässig.

2. Der Rekurs ist auch berechtigt:

Der Oberste Gerichtshof kann gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO über einen Rekurs gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn sie zur Entscheidung reif ist (RS0043853, insbesondere [T7 bis T9]).

3. Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses waren die Zweite Richtlinie des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG, (Zweite Richtlinie Lebensversicherung, 90/619/EWG) und Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung, 92/96/EWG) in Geltung.

Art 15 Abs 1 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung bestimmt:

„Jeder Mitgliedstaat schreibt vor, dass der Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrags […] von dem Zeitpunkt an, zu dem er davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist verfügt, die zwischen 14 und 30 Tagen betragen kann, um von dem Vertrag zurückzutreten.

[…]

Die übrigen rechtlichen Wirkungen des Rücktritts und die dafür erforderlichen Voraussetzungen werden gemäß dem auf den Versicherungsvertrag […] anwendbaren Recht geregelt, insbesondere was die Modalitäten betrifft, nach denen der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist.“

Im 23. Erwägungsgrund der Dritten Richtlinie Lebensversicherung wird ausgeführt, dass Mindestvorschriften zu koordinieren sind, damit der Verbraucher ua klare und genaue Angaben über die wesentlichen Merkmale der ihm angebotenen Produkte erhält.

Art 31 Abs 1 und 4 dieser Richtlinie regeln daher:

„(1) Vor Abschluss des Versicherungsvertrags sind dem Versicherungsnehmer mindestens die in Anhang II Buchstabe A aufgeführten Angaben mitzuteilen.

[…]

(4) Die Durchführungsvorschriften zu diesem Artikel und zu Anhang II werden von dem Mitgliedstaat […] erlassen.“

Anhang II („Informationen für die Versicherungsnehmer“) der Richtlinie normiert:

„Dem Versicherungsnehmer sind die nachfolgenden Informationen entweder (A) vor Abschluss des Vertrages [...] mitzuteilen. Die Informationen sind eindeutig und detailliert schriftlich in einer Amtssprache des Mitgliedstaats der Verpflichtung abzufassen.

A. Vor Abschluss des Vertrages mitzuteilende Informationen

[…]

a. 13 Modalitäten der Ausübung des Widerrufs und Rücktrittsrechts“

4. Zur Zeit des Vertragsabschlusses sah § 9a Abs 1 Z 6 VAG idgF BGBl Nr 447/1996 vor, dass der Versicherungsnehmer vor Abgabe seiner Vertragserklärung unter anderem über die Umstände, unter denen der Versicherungsnehmer den Abschluss des Versicherungsvertrages widerrufen oder von diesem zurücktreten kann, zu informieren war.

§ 165a VersVG idF BGBl I Nr 6/1997, der nach den ErlRV (311 BlgNR 20. GP, 34) Art 15 Abs 1 Zweite Lebensversicherungsrichtlinie idF der Dritten Richtlinie Lebensversicherung umsetzte, lautete in seinem Abs 1:

„Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten. Hat der Versicherer vorläufige Deckung gewährt, so gebührt ihm hiefür die ihrer Dauer entsprechende Prämie.“

5. Mit dieser Regelung erfüllte der Gesetzgeber die aufgezeigten europarechtlichen Vorgaben. Nähere Anforderungen an die Form der Rücktrittserklärung und die Belehrung über das Rücktrittsrecht, insbesondere über die Inkenntnissetzung des Versicherungsnehmers vom Vertragsabschluss, stellte der innerstaatliche Gesetzgeber nicht auf. Auch dies entsprach den europarechtlichen Anforderungen, die die näheren Modalitäten ausdrücklich dem jeweiligen Mitgliedstaat überließen.

6. Die Klägerin wurde daher dem damaligen Gesetzeswortlaut des § 165a VersVG entsprechend über ihr Rücktrittsrecht – binnen zweier Wochen nach Zustandekommen des Vertrags – informiert.

7. Die Klägerin hält dem entgegen, ihr sei der Zeitpunkt des Zustandekommens des Versicherungsvertrags, und damit der Beginn der Rücktrittsfrist, nicht mitgeteilt worden.

7.1. Der Versicherungsvertrag ist grundsätzlich formfrei, er kann auch schlüssig oder mündlich abgeschlossen oder geändert werden (RS0014572). Er kommt – wie Verträge im Allgemeinen – grundsätzlich durch das Anbot und dessen Annahme zustande (§ 861 ABGB; RS0013984; Bollenberger in KBB5 § 861 Rz 1f; Rummel in Rummel/Lukas ABGB4 § 861 Rz 1; Riedler in Schwimann/Kodek ABGB4 § 861 Rz 2ff; uva). Für den Abschlusszeitpunkt von Verträgen kommt es daher regelmäßig auf den Zugang der (Annahme-)Erklärung an (RS0014094 [T1]; RS0014073; vgl auch RS0108978).

7.2. Verwendet die Beklagte ein vom Interessenten an einem ihrer Produkte auszufüllendes und bei ihr einzureichendes Antragsformular, ist dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer (vgl RS0050063; RS0081741; RS0008901) schon nach allgemeinen Grundsätzen verständlich, dass sein Antrag eine Annahme erfordert und dass damit der Vertrag zustandekommt. Dies ergibt sich auch schon allgemein verständlich aus dem Begriff „Antrag“. Ein Antrag kann nicht ohne Annahmeerklärung des Vertragspartners ein Vertrag sein. Für diesen Fall ist der für den Versicherungsnehmer von seinem Empfängerhorizont wahrnehmbare Anknüpfungspunkt für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses jener des Zugangs der Polizze (vgl Schauer in Fenyves/Schauer VersVG § 165a Rz 14). Damit ist für den durchschnittlichen, redlichen und vernünftigen Versicherungsnehmer der Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags und damit der Beginn der Rücktrittsfrist mit Zugang der Annahme seines Anbots durch den Versicherer klar. Der Zugang der Polizze als wirksame Annahme des Versicherungsantrags ist daher gleichzeitig die Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags. In diesem Sinn hat die Klägerin die Belehrung nach den im Rahmen der rechtlichen Beurteilung nachgetragenen Feststellungen ohnedies auch verstanden.

7.3. Die Belehrung des beklagten Versicherers über das Rücktrittsrecht entsprach daher § 165a VersVG in der damals geltenden Fassung und war auch richtlinienkonform.

8. Der Hinweis der Klägerin auf den parlamentarischen Antrag vom 20. 9. 2017, 2319/A BlgNR 25. GP zu § 5c VersVG vermag daran nichts zu ändern. Dort wird ausdrücklich darauf Bezug genommen, dass der Zeitpunkt der Inkenntnissetzung vom Vertragsschluss in Österreich regelmäßig der Tag ist, an dem der Versicherungsnehmer die Versicherungspolizze übersandt erhält. Dass dies mittlerweile in Anl. 1 Abs 2 zu § 5c VersVG („Die Rücktrittsfrist beginnt mit der Verständigung vom Zustandekommen des Versicherungsvertrages [= Zusendung der Polizze bzw. Versicherungsschein]“), ausdrücklich normiert wurde, bedeutet nicht, dass dieser Umstand dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht bereits davor hinreichend klar gewesen ist.

9. Damit kommt es auf die Ausführungen der Klägerin zu den Rechtsfolgen irreführender Belehrung und zur richtlinienkonformen Interpretation des nationalen Rechts bei fehlerhafter Rücktrittsbelehrung nicht an.

10. Da nur eine unterbliebene oder fehlerhafte Belehrung der Beklagten über das Rücktrittsrecht der Klägerin zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht führen kann, dies hier aber nicht vorliegt, besteht das Klagebegehren nicht zu Recht, sodass (soweit aufrecht) die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts samt Kostenentscheidung wiederherzustellen ist. Auf die Frage der Schlüssigkeit des Zinsenbegehrens ist daher nicht weiter einzugehen.

Zu III.:

Die Kostenentscheidung zum Rechtsmittelverfahren ist in den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO begründet.

Textnummer

E126738

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00078.19Z.1023.000

Im RIS seit

04.12.2019

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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