TE Vfgh Erkenntnis 1996/11/25 B2243/96

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Veröffentlicht am 25.11.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
FremdenG §17 Abs1
FremdenG §19

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Ausweisung der Beschwerdeführerin aufgrund Unterlassung der gebotenen Interessenabwägung; bloßes Abstellen auf Rechtswidrigkeit des Aufenthaltes infolge Ablaufs des Sichtvermerkes nicht ausreichend; keine Berücksichtigung der intensiven familiären Bindung aufgrund der Ehe mit österreichischem Staatsbürger und Geburt eines gemeinsamen Kindes

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreter die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bildet ein im Instanzenzug ergangener Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich, mit dem der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, gemäß §17 Abs1 Fremdengesetz, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), ungeachtet dessen ausgewiesen wurde, daß er mit einer österreichischen Staatsbürgerin, seiner langjährigen Lebensgefährtin, verheiratet ist und ihr gemeinsames Kind die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Der bekämpfte Bescheid ist damit begründet, daß der Beschwerdeführer nach rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages im Jahre 1992 und nach Ablauf von Sichtvermerken eine Aufenthaltsbewilligung nicht zu erlangen vermochte, sodaß er sich seit Juni 1993 unrechtmäßig in Österreich aufhalte. In Abwägung der privaten Interessen gelangte die belangte Behörde zur Ansicht, daß der Beschwerdeführer zwar zwischenzeitlich eine österreichische Staatsbürgerin geehelicht habe, doch falle dies "nicht entscheidend ins Gewicht", da er sich zu diesem Zeitpunkt illegal in Österreich aufgehalten habe. Die Unterhaltspflichten für sein Kind könnten auch aus dem Ausland bestritten werden. Die öffentlichen Interesen zur Durchsetzung der im Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung) hätten somit gegen die privaten Interessen überwogen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie ihren Bescheid verteidigt und im wesentlichen darauf hinweist, daß der Beschwerdeführer beinahe drei Jahre illegal in Österreich gelebt habe. Entgegen den Beschwerdeausführungen habe sich die belangte Behörde mit dem Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers auseinander gesetzt und beantrage daher, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid greift in das dem Beschwerdeführer gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicher Weise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988, 11857/1988, 11982/1989, 12919/1991, 13241/1992, 13489/1993).

2. Der Beschwerdefall entspricht in allen entscheidungswesentlichen Belangen jenem, der mit Erkenntnis vom 27. Juni 1996, B1838/94, entschieden wurde, weshalb sich der Verfassungsgerichtshof vornehmlich darauf beschränken kann, auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses hinzuweisen. Die belangte Behörde hätte auch im vorliegenden Fall angesichts der Tatsache, daß ein Eingriff in die durch Art8 EMRK geschützten Rechte vorliegt, eine Abwägung mit jenen Umständen vornehmen müssen, die für den Beschwerdeführer sprechen: Insbesondere blieb in Wahrheit unberücksichtigt, daß der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und Vater eines Kleinkindes ist, das die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt.

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grunde aufzuheben.

III.        Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 3.000,-- enthalten.

IV.                                  Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Fremdenpolizei, Ausweisung, Interessenabwägung, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B2243.1996

Dokumentnummer

JFT_10038875_96B02243_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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