TE Vwgh Erkenntnis 1960/6/29 0476/58

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Veröffentlicht am 29.06.1960
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
50/01 Gewerbeordnung

Norm

AVG §54
GewO 1859 §25 idF 1957/178

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Werner und die Räte Dr. Hrdlitzka, Dr. Krzizek, Dr. Lehne und Dr. Striebl als Richter, im Beisein des Magistratskommissärs Dr. Liska als Schriftführer, über die Beschwerde des Dr. KF in W gegen den Bescheid des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau vom 12. Dezember 1957, Zl. 143.948 - III - 22/1957, betreffend die Genehmigung einer Betriebsanlage, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Nach der Aktenlage betreibt im Standort Wien, L-straße 37, JV - die mitbeteiligte Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - das Metallschleifer- und Galvaniseurgewerbe. Am 19. Mai 1954 suchte er - offenbar durch verschiedene, dem Magistratischen Bezirksamt für den VI./VII. Wiener Gemeindebezirk zugekommene Beschwerden von Mietern, die im gleichen Hause wohnen, hiezu veranlaßt - bei der genannten Behörde um Genehmigung der der Ausübung des Gewerbes dienenden Betriebsanlage an. Bei der am 5. Juli 1954 stattgefundenen Augenscheinsverhandlung erklärten mehrere Mieter (Anrainer), darunter auch der Beschwerdeführer, daß sie durch Lärm, der von der Betriebsanlage herrührt und mit Erschütterungen verbunden ist, durch üble Gerüche und durch Staubeinwirkung belästigt werden. Besonders belästigend seien, so wurde von ihnen übereinstimmend vorgebracht, ein Säure- und Schwefelgeruch sowie das Einschalten einer Doppelschleifspindel. Bei dieser Verhandlung wurde durch Hörproben, die von der Amtsordnung in der Wohnung des Beschwerdeführers vorgenommen wurden, festgestellt, daß kein das zumutbare Maß übersteigendes Geräusch, Erschütterungen aber überhaupt nicht hätten wahrgenommen werden können. Auch anläßlich eines auf Grund weiterer Beschwerden der Anrainer am 6. Dezember 1954 neuerlich durchgeführten Ortsaugenscheines wurde in der Wohnung des Beschwerdeführers keine übermäßige Lärm- oder Geruchsbelästigung festgestellt. Gleichwohl wurde im Hinblick auf in anderen Wohnungen wahrgenommene, für unzumutbar gehaltene Geräusche und unter Bedachtnahme darauf, daß die Betriebsanlage in als Magazine gewidmeten Räumen untergebracht sei, die von der mitbeteiligten Partei erbetene Genehmigung der Betriebsanlage mit Bescheid des genannten Magistratischen Bezirksamtes vom 6. April 1955 versagt. Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei Berufung. Das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau führte sodann (am 27. Oktober 1955) seinerseits einen Ortsaugenschein in Verbindung mit einer mündlichen Verhandlung durch, bei der der Beschwerdeführer seine Einwendungen wegen Belästigung durch Lärm, Erschütterungen und üble Gerüche wiederholte. Auch andere Anrainer erhoben in Übereinstimmung mit ihrem bisherigen Vorbringen im Verwaltungsverfahren im wesentlichen gleichgeartete Einwendungen. Das Bundesministerium kam jedoch auf Grund der Gutachten der dieser Ortsaugenscheinsverhandlung beigezogen gewesenen Amtssachverständigen zur Überzeugung, daß bei Einhaltung gewisser vorzuschreibender Auflagen eine Gefahr oder eine das erträgliche Maß übersteigende Belästigung der Anrainer nicht zu besorgen sei. Es behob mit seinem Bescheid vom 12. Dezember 1957 gemäß § 66 Abs. 4 AVG den erstinstanzlichen Bescheid und erteilte der mitbeteiligten Partei gemäß §§ 25, 26 und 30 Gewerbeordnung die von ihr erbetene Genehmigung der Betriebsanlage nach Maßgabe der vorgelegten Pläne und der Betriebsbeschreibung, wobei eine Reihe von Auflagen vorgeschrieben wurden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Gerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer fühlt sich dadurch in seinen Rechten verletzt, daß die belangte Behörde "das öffentliche Interesse an der Nichtbelästigung der Nachbarn" durch die Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei nicht beachtet habe und auf seine auf eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens abzielenden Einwendungen sowie seinen Hinweis auf eine widmungsfremde Verwendung der Betriebslokalitäten und auf die besonderen baulichen Verhältnisse nicht eingegangen sei. Er hält den angefochtenen Bescheid aus diesem Grund seinem Inhalt nach, in eventu wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften für rechtswidrig. In Wahrheit machte er damit - abgesehen von dem Einwand der widmungsfremden Benützung der Betriebsräumlichkeiten - eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens infolge Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes geltend.

Was den Einwand anlangt, daß eine widmungsfremde Benützung der der Betriebsanlage dienenden Räume vorliege, also aus diesem Grund die Genehmigung der Betriebsanlage zu versagen gewesen sei, ist dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten, daß die Sorge für die widmungsgemäße Benützung der Räume, die nach den der Baubewilligung zugrunde gelegten Plänen für eine bestimmte Verwendung vorgesehen waren, eine Angelegenheit des Baurechtes ist und in die alleinige Kompetenz der Baubehörden fällt (vgl. zur Abgrenzung der Zuständigkeit der Gewerbebehörden und der der Baubehörden auch das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1956, Slg. Nr. 4080/A). Es kann daher nicht rechtswidrig sein, wenn die belangte Behörde die Frage, welchem Zweck die Betriebsräumlichkeiten nach den der seinerzeit erteilten Baubewilligung zugrunde gelegten Plänen gewidmet waren, als unbeachtlich angesehen hat. Soweit der Beschwerdeführer jedoch mit dem Hinweis auf die widmungsfremde Benützung der Betriebsräumlichkeiten und die "baulichen Verhältnisse" dartun will, daß wegen einer ungünstigen Beschaffenheit der Baulichkeit, in der die Betriebsanlage untergebracht ist, die Genehmigung zu versagen gewesen sei, ist zu sagen, daß es im Zusammenhang mit einer Anrainerbeschwerde nur darauf ankommen konnte, ob aus der Betriebsanlage für die Nachbarschaft unzumutbare Belästigungen oder Gefährdungen entstehen werden. Eine Bedachtnahme auf die Beschaffenheit des Bauwerkes, in dem die Betriebsanlage untergebracht ist, hätte also nur dann von Bedeutung sein können, wenn tatsächlich unzumutbare Belästigungen oder Gefährdungen der Nachbarschaft festgestellt worden wären und deshalb die Frage, auf welche Ursachen diese zurückzuführen seien, hätte erörtert werden müssen. Die belangte Behörde ist aber auf Grund des Ergebnisses des von ihr durchgeführten Ermittlungsverfahrens zu dem Schluß gelangt, daß eine ins Gewicht fallende Belästigung der Nachbarschaft nicht festzustellen sei. Sofern dies richtig ist, bestand für die belangte Behörde aber keine Veranlassung, auf die Frage der Beschaffenheit der Bauanlage einzugehend

Somit bleibt im Sinn des Beschwerdevorbringens zu prüfen, ob das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren ausreichend gewesen ist.

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt, daß bei den während des Augenscheines vom 27. Oktober 1955 vorgenommenen Hörproben in den Wohnungen mehrerer Anrainer, darunter auch in der Wohnung des Beschwerdeführers, die vom Betrieb verschiedener, in der Betriebsanlage zur Verwendung kommender Maschinen, nämlich einer Poliermaschine, einer Scheuertrommel, eines Exhaustors und eines kleinen Umformers herrührenden Geräusche nur eben noch hätten wahrgenommen werden können. Bei Öffnen der Wohnungsfenster habe der von der Betriebsanlage herrührende Lärm von dem Lärm anderer benachbarter Betriebsanlagen nicht mehr unterschieden werden können. Nur in der (an die Wohnung des Beschwerdeführers - I. Stock, Tür 8 - anschließenden) Wohnung einer anderen Wohnpartei (I. Stock, Tür 9) habe beim Betrieb eines großen Umformers eine Lärmentwicklung wahrgenommen werden können, die beim Anlegen des Ohrs an die Wand noch stärker wahrnehmbar gewesen sei. Diese Lärmentwicklung übersteige das zumutbare Ausmaß; sie könne aber durch technische Maßnahmen (der Umformer wäre entsprechend körperschall- und erschütterungsgedämmt zu lagern) auf ein zumutbares Maß vermindert werden. Besondere Geruchs- und Staubbelästigungen seien nicht feststellbar gewesen. Die im Betrieb mit Ausnahme des Chrombades verwendeten kalten galvanischen Bäder verursachten erfahrungsgemäß kaum irgendwelche Gerüche. Das warme Chrombad habe eine Absaugeeinrichtung, die über das Dach ins Freie führe; es könne deshalb gleichfalls kaum zu einer Geruchsbelästigung der Nachbarschaft Anlaß geben. Ebenso sei eine unzumutbare Staubbelästigung der Nachbarschaft nicht zu besorgen, wenn die Absaugeanlage der Schleifmaschinen mit einem entsprechenden Staubabscheider ausgestattet werde. Sonstige Einwirkungen, etwa durch das Einleiten unbrauchbar gewordener Bäder in den Hauskanal seien nicht anzunehmen, sofern diese Bäder vorher mit Wasser bis zur Unschädlichkeit verdünnt würden. Um die Durchführung der erwähnten technischen Maßnahmen sicherzustellen, sind unter Punkt 1, 10, 18, 19 und 20 der im Spruch des angefochtenen Bescheides enthaltenen Betriebsbedingungen entsprechende Auflagen vorgeschrieben worden.

Der Beschwerdeführer bringt hiezu im wesentlichen vor, die belangte Behörde habe zu den in der Begründung des angefochtenen Bescheides wiedergegebenen Feststellungen, die den Tatsachen nicht entsprächen, nur deshalb kommen können, weil sie seine Einwendungen im Verwaltungsverfahren nicht gewürdigt habe. Danach hätte die belangte Behörde auf die von der Gewerbebehörde erster Instanz getroffenen Feststellungen, auf die Aussagen der vom Beschwerdeführer als unbeeinflußte Beobachter geführten Zeugen und vor allem darauf Bedacht nehmen müssen, daß bei dem Lokalaugenschein am 27. Oktober 1955 die mitbeteiligte Partei ebenso wie bei den vorausgegangenen, von der Gewerbebehörde erster Instanz durchgeführten Augenscheinsverhandlungen nicht ihre tatsächlichen Arbeitsvorgänge und ihre volle Kapazität vorgeführt habe. Schon einige Tage vor dem Zeitpunkt der Augenscheinsverhandlung habe der Betrieb nur mit verminderter Kapazität gearbeitet und in nur ganz unbeachtlicher Weise gestört; Haus und Betrieb seien vor dem Lokalaugenschein ausgiebig gelüftet worden. Überdies habe am Tage der Vornahme des Lokalaugenscheines kühles Wetter geherrscht. Der Beschwerdeführer habe auch vorgebracht, daß in den Sommermonaten wegen des jaucheartigen, die Atmungsorgane stark reizenden Gestankes die Fenster immer geschlossen gehalten werden müßten. Die Störungen, die der Betrieb der mitbeteiligten Partei verursache, könnten bei einer Betriebsbesichtigung der üblichen Art überhaupt nicht festgestellt werden. Ein kurzfristiges Verweilen in der Wohnung genüge nicht. Die belangte Behörde hätte sich daher - was der Beschwerdeführer immer wieder vorgebracht habe - zumindestens durch Stichproben außerhalb eines angesagten Lokalaugenscheines von der Richtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers (über die unzumutbaren Belästigungen) überzeugen müssen. Nun ist es richtig, daß ein unangesagter Lokalaugenschein in besonderen Fällen nicht nur ein nützliches, sondern ein durchaus gebotenes Beweismittel sein kann, so etwa, wenn zwischen konkret gehaltenen Anrainerbeschwerden und dem Ergebnis der anläßlich eines angekündigten Lokalaugenscheines getroffenen Feststellungen nicht aufgeklärte Widersprüche bestehen. Im vorliegenden Fall steht fest, daß mehrere Anrainer, darunter auch der Beschwerdeführer, seit Mai 1954 immer wieder die gleichen Beschwerden wegen unzumutbarer Belästigung durch die Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei - diese war nach der Aktenlage im März 1954 in Betrieb gesetzt worden - geführt hatten, bei den stattgefundenen Augenscheinsverhandlungen - von den in einer Wohnung getroffenen Feststellungen abgesehen - aber keine die Beschwerden der Anrainer bestätigenden Wahrnehmungen hatten gemacht werden können. Der Beschwerdeführer und auch andere Anrainer sahen nach den in ihren Eingaben enthaltenen Behauptungen den Grund für diesen Widerspruch zwischen ihren eigenen und den amtlichen Wahrnehmungen im wesentlichen in dem Mangel der Gleichartigkeit der Arbeitsvorgänge, die sich im normalen Betrieb abspielen und jenen, welche jeweils die Grundlage für amtliche Feststellungen gebildet hatten. Der gewerbetechnische Amtssachverständige der belangten Behörde hat zwar diese Behauptungen, soweit sie den von der belangten Behörde vorgenommenen Lokalaugenschein betrafen, nicht für stichhältig gehalten, weil bei diesem Augenschein Werkstücke verschiedener Größe und Härte geschliffen worden seien, andere Lärm verursachende Arbeiten aber kaum in größerem Ausmaß vorkommen könnten. Diese Äußerung des gewerbetechnischen Amtssachverständigen vom 4. Oktober 1957 wurde dem Beschwerdeführer nicht vorgehalten. Es kann nun nicht als ausgeschlossen gelten, daß der Beschwerdeführer, wenn ihm diese Äußerung vorgehalten worden wäre, aus der Kenntnis der tatsächlichen Vorgänge Umstände hätte anführen können, die die belangte Behörde zu einer neuerlichen (unangekündigten) Überprüfung der Auswirkung der Betriebsanlage auf die Nachbarschaft hätte veranlassen können, zumal die Äußerung des gewerbetechnischen Amtssachverständigen - wie sich schon aus der Verwendung des Wortes "kaum" ergibt - keineswegs in apodiktischer Form gehalten ist. Im übrigen hätte auch der Umstand, daß vom Beschwerdeführer geführte Zeugen anläßlich ihrer Einvernahme durch die Gewerbebehörde erster Instanz bei der Ortsaugenscheinsverhandlu ng vom 6. Dezember 1954 die Wahrnehmung von Lärmeinwirkungen, die sie für unerträglich gehalten hatten, bei Besuchen in dessen Wohnung bekundeten, die belangte Behörde zu eingehenderen Erhebungen veranlassen müssen, um über den wahren Sachverhalt ein einwandfreies Bild zu gewinnen. Da dies die belangte Behörde nicht getan hat, ist der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben, weswegen der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z 2 VwGG 1952 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden mußte.

Wien, am 29. Juni 1960

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1960:1958000476.X03

Im RIS seit

08.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

08.10.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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