Entscheidungsdatum
24.04.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L507 1424348-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RA Dr. Michael Velik, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.08.2017,
Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 68 Abs. 1 AVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung, stellte am 10.01.2012, nachdem er am selben Tag mit seinem Cousin illegal nach Österreich gereist ist, seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der Erstbefragung führte der Beschwerdeführer aus, dass er die Türkei verlassen habe, da er an Demonstrationen und Kundgebungen teilgenommen habe. In Istanbul sei er das erste Mal festgenommen und geschlagen worden und habe dadurch seinen Job verloren. Auch in Tunceli sei der Beschwerdeführer im Zuge von Demonstrationsteilnahmen drei Mal von der Polizei festgenommen, geschlagen und bedroht worden. Vor 12 Tagen habe er an einer Pressekundgebung in Tunceli teilgenommen, anlässlich derer er von der Polizei geschlagen und an der Hand verletzt worden sei. Als Kurde sei der Beschwerdeführer als Mensch zweiter Klasse behandelt, ständig geschlagen und bedroht worden, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sei, weiter in der Türkei zu leben.
Am 18.01.2012 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt niederschriftlich befragt. Im Zuge dieser Befragung wiederholte der Beschwerdeführer seine bisherigen Angaben und führte ergänzend aus, dass er seit dem Jahr 2007 in der Partei DTP tätig gewesen sei und als diese 2008 geschlossen worden sei, in der neu gegründeten Partei BDP Mitglied gewesen sei. Insgesamt sei der Beschwerdeführer vier Mal von der Polizei festgenommen worden. Das erste Mal sei es im Jahr 2007 in Istanbul gewesen. Im Jahr 2009 und 2011 sei der Beschwerdeführer in der Stadt Tunceli und im Jahr 2010 außerhalb der Stadt Tunceli festgenommen worden. Die letzte Festnahme sei am 24.08.2011 in der Stadt Tunceli bzw. am 11.09.2011 in XXXX erfolgt und sei gegen den Beschwerdeführer ein Gerichtsverfahren anhängig, zumal ihm vorgeworfen worden sei, dass er ein Mitglied der KCK sei und als solches illegale Handlungen begangen habe.
Zu seiner Person gab der Beschwerdeführer an, dass er in XXXX geboren worden sei. Er habe mit seiner Familie im Dorf XXXX , Kreis XXXX , in der Provinz Tunceli gelebt und acht Jahre die Grundschule besucht. Das Lyzeum habe er nach einem Jahr abgebrochen und habe in der Folge in der familieneigenen Landwirtschaft gearbeitet.
Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.01.2012, Zl. 12 00.434-BAT, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm
§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 08.10.2013, Zl. E5 424.348-1/2012/25E, gemäß §§ 3, 8 Abs. 1 und
§ 10 Abs. 1 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen.
Begründend wurde vom Asylgerichtshof zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer kein derartiges Interesse der türkischen Sicherheitsbehörden an seiner Person glaubhaft machen habe können, das ihm eine Rückkehr in die Türkei unmöglich machen würde. Im Hinblick auf das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers habe der Asylgerichtshof eine aktuelle und individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers aus einem in der GFK taxativ aufgezählten Grund nicht zu erkennen vermocht, weshalb von keiner Verfolgung im Heimatstaat ausgegangen werden konnte.
Durch Zustellung an die damalige Vertretung des Beschwerdeführers am 14.10.2013 erwuchs dieses Erkenntnis des Asylgerichtshofes in Rechtskraft.
2. Am 07.02.2015 stellte der Beschwerdeführer seinen zweiten, verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.02.2015 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er seine in Österreich aufhältige Verlobte heiraten wolle, da diese mittlerweile volljährig sei.
3. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 11.02.2015 wurde das Verfahren des Beschwerdeführers gemäß § 28 AsylG zugelassen.
4. Mit Aktenvermerk des BFA vom 11.09.2015 wurde das Verfahren des Beschwerdeführers gemäß § 24 Abs. 2 AsylG eingestellt.
5. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 01.06.2017 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er am 13.10.2015 eine österreichische Staatsangehörige geheiratet habe. Das österreichische Bundesgebiet habe der Beschwerdeführer seit seiner illegalen Einreise im Jänner 2012 nicht mehr verlassen. An den im ersten Asylverfahren vorgebrachten Fluchtgründen habe sich nichts geändert. Im Jahr 1994 sei der Bruder seiner Mutter zu den Guerillas gegangen und sei Ende 1994 getötet worden. Seitdem werde der Beschwerdeführer behördlich verfolgt und schikaniert. Der Beschwerdeführer sei zwar an politischen Aktivitäten in der Türkei beteiligt gewesen, wobei es sich aber um erlaubte Aktivitäten gehandelt habe. Der Beschwerdeführer sei mehrmals festgenommen worden; sowohl im Dorf als auch in Istanbul. Ein Jahr später habe es wieder Einsätze im Zuge der Terrorismusbekämpfung im Dorf gegeben, weshalb der Beschwerdeführer das Dorf verlassen habe. Er habe immer seinen Aufenthaltsort wechseln müssen und sei wie ein Verbrecher verfolgt worden. Der Beschwerdeführer sei alevitischer Kurde und sei kein Mitglied bei einer kurdischen Partei. Er habe jedoch kurdische Parteien aktiv unterstützt bzw. für diese Parteien vor Wahlen gearbeitet. In den Dörfern seien zivile Volksräte abgehalten worden, wobei der Beschwerdeführer einer der Gründer dieser sei. Ein Bruder des Beschwerdeführers sei Vorstandsmitglied einer kurdischen Partei. Der Beschwerdeführer halte sich nunmehr seit fünf Jahren in Österreich auf und wisse nicht was seine Familienangehörigen in der Türkei genau machen würden. Der Beschwerdeführer wolle nicht in die Türkei zurückkehren, weil er dann dieselben Probleme wieder erleben müsste. Er dürfe mit den Behörden in der Türkei nicht in Kontakt treten, da er sonst wieder schikaniert und als Zielscheibe behandelt werde. Der Beschwerdeführer sei kein Mitglied einer kurdischen Partei gewesen, habe aber eine Zeit lang an Aktivitäten der Jugendorganisation zwischen 2007 und 2009 mitgewirkt. Nachdem der Beschwerdeführer im Visier der Polizei gewesen sei, habe er mit diesen Aktivitäten aufgehört.
6. Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des BFA vom 23.08.2017,
Zl. XXXX , gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt 1.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm
§ 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer gemäß
§ 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei
(Spruchpunkt 2.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgesprochen, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht bestehe (Spruchpunkt 3.).
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 18.09.2017 zugestellt
7. Gegen diesen Bescheid wurde vom rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers am 25.09.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben.
Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass sich der Sachverhalt im Gegensatz zum ersten Asylverfahren wesentlich geändert habe, da der Beschwerdeführer nunmehr mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei. Zudem habe der Beschwerdeführer in Österreich an antitürkischen Demonstrationen, kurdischen und alevitischen Menschenrechtskundgebungen teilgenommen. Der Beschwerdeführer sei Kurde, gehöre der in Österreich als Religionsgemeinschaft anerkannten alevitischen Religionsgemeinschaft an und habe die türkische Staatsbürgerschaft. Im Erstverfahren vom 10.01.2012 habe der Beschwerdeführer keine konkreten Angaben über seine politische Identität, die politische Vergangenheit seiner Familie sowie seiner Verwandten vorgenommen. Im Zweitverfahren habe der Beschwerdeführer konkrete Angaben über seine offizielle politische Mitgliedschaft in der türkisch-kurdischen Partei während der Zeit von 2007-2009 sowie seinen politisch motivierten Aktivitäten ohne offizielle Mitgliedschaft bei der Partei vorgenommen. Der Beschwerdeführer sei von 2007-2009 als offizielles Mitglied der legal anerkannten prokurdischen Partei in der Türkei politisch tätig gewesen. Der Beschwerdeführer stamme aus einer politisch sehr aktiven Familie. Einer seiner Brüder sei Vorstandsmitglied der pro türkisch-kurdischen Partei. Ein Onkel des Beschwerdeführers habe sich dem kurdischen Freiheitskampf gegen das türkische Militär und der Regierung angeschlossen. Er sei im Jahr 1994 getötet worden. Der Beschwerdeführer selbst sei von 2007-2009 offiziell Mitglied der prokurdischen Jugendpartei gewesen. Während dieser Zeit sei er politisch sehr aktiv gewesen. Er habe bei politischen Veranstaltungen, Demonstrationen, Kundmachungen, Wahlpropaganda sowie kurdisch und alevitisch kulturellen und sozialen Veranstaltungen in seiner Muttersprache kurdisch aktiv teilgenommen. Aufgrund der politischen Herkunft seiner Familie, Verwandten und Freunde, insbesondere seines Bruders und Onkels sowie seiner eigenen politischen Aktivitäten sei er mehrmals grundlos in Untersuchungshaft genommen worden; einzig und allein um ihn einzuschüchtern. Der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner Untersuchungshaften sowie der politischen Aktivitäten bei den Behörden bekannt.
In Österreich lebe der Beschwerdeführer mit seiner Gattin seit dem 13.10.2015 zusammen. Weiters habe der Beschwerdeführer in fast ganz Österreich Verwandte und Cousins. Der Beschwerdeführer habe sich einen breiten Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. Er kenne über seine Freunde und Bekannte viele Unternehmer. Er könne jederzeit nach einer Arbeitserlaubnis eine Beschäftigung im Unternehmen seiner Bekannten aufnehmen und seinen Lebensunterhalt selbst finanzieren. Als erstes wolle er jedoch einen Deutschkurs besuchen und die Sprache erlernen.
Zur Lage in der Türkei wurde vorgebracht, dass die politisch instabile und unzufriedene Lage in der Türkei unter der Führung des Staats- und Parteipräsidenten der politischen Partei AKP Erdogan mittlerweile weltweit bekannt sei. Eine Besserung der Lage sei allgemein bekanntlich nicht in Sicht. Allgemein bekannt sei weiters, die fehlende Unabhängigkeit sowie Glaubwürdigkeit der Justiz in der Türkei. Die türkische Justiz sei nicht mehr unabhängig und sei stark vom Staatspräsidenten sowie der politischen Einstellung der AKP Partei abhängig und beeinflusst. Derzeit seien türkische Gefängnisse voll mit Menschen denen nach Art. 314 türkisches StGB der Prozess gemacht werde. In der Türkei würden Menschen, ohne strafbare Handlungen begangen zu haben, verurteilt werden, weil die türkische Justiz im Interesse der AKP sowie der herrschenden Regierung gegen Andersdenkende, Intellektuelle und Oppositionelle als Instrument eingesetzt werde, um diese Menschen mundtot zu machen, Unliebsame auf dem Weg zu räumen und damit allgemein eine Politik der Angstmache zu schüren.
Die belangte Behörde habe sich mit der Verehelichung sowie den konkreten politischen Angaben des Beschwerdeführers nicht ausreichend auseinandergesetzt und diese ignoriert. Sie habe vielmehr die Entscheidung unbegründet gelassen, indem sie die Angaben des Beschwerdeführers schlichtweg als unglaubwürdig bezeichnet habe.
Weiters habe sich die belangte Behörde mit der Herkunftsregion sowie der historischen Realität sowie der damit verbundenen politischen Konflikte zwischen dem türkischen Militär sowie der Regierung und dem Volk dieser Region nicht auseinandergesetzt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
2. Zu A)
2.1. Zu Spruchpunkt I. - Rechtmäßigkeit der Zurückweisung gemäß § 68
AVG
2.1.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; VwGH 30.05.1995, 93/08/0207; VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).
"Entschiedene Sache" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; VwGH 27.09.2000, 98/12/0057; VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266).
Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; VwGH 23.11.1993, 91/04/0205; VwGH 26.04.1994, 93/08/0212; VwGH 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; VwGH 21.02.1991, 90/09/0162; VwGH 10.06.1991, 89/10/0078; VwGH 04.08.1992, 88/12/0169; VwGH 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; VwGH 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH 24.02.2000, Zl 99/20/0173-6).
Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen. Die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235; 15.10.1999, 96/21/0097). Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235). Nur eine solche Änderung des Sachverhaltes kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH 09.09.1999, 97/21/0913). Die Prüfung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrages wegen geänderten Sachverhaltes darf ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden sind. In der Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid können derartige Gründe nicht neu vorgetragen werden (VwGH 04.04.2001, 98/09/0041; 25.04.2002, 2000/07/0235). Dies bezieht sich auf Sachverhaltsänderungen, welche in der Sphäre des Antragstellers gelegen sind. Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).
"Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, die Rechtsmittelbehörde darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder - falls entschiedene Sache vorliegt - das Rechtsmittel abzuweisen oder - falls dies nicht zutrifft - den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelbehörde darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH 30.05.1995, 93/08/0207).
Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 1 VwGVG ist somit nur die Frage, ob das BFA zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.
2.1.2. Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies:
Erging seitens der Behörde, wie im vorliegenden Fall, eine den Antrag auf internationalen Schutz zurückweisende Entscheidung, so ist "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht die Prüfung der Rechtmäßigkeit der erfolgten Zurückweisung. Dem Bundesverwaltungsgericht ist in derartigen Fällen ein Abspruch in der Sache über den zugrundeliegenden Antrag verwehrt, sondern hat es im Falle der Stattgabe der Beschwerde infolge Rechtswidrigkeit der behördlichen Zurückweisung den angefochtenen Bescheid aufzuheben (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).
In Bezug auf Folgeantragsverfahren hielt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0025, in diesem Zusammenhang desweiteren Folgendes fest:
"Nach § 21 Abs. 3 BFA-VG ist der Beschwerde gegen eine Entscheidung im Zulassungsverfahren vom Bundesverwaltungsgericht stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Ausgehend davon hatte das Bundesverwaltungsgericht auch im vorliegenden Fall zu beurteilen, ob der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft war, dass ohne Durchführung einer Verhandlung die "Sache" des Beschwerdeverfahrens nicht abschließend erledigt werden konnte. Sofern es diese Frage zu bejahen hatte, war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene erstinstanzliche Bescheid zu beheben, wodurch das Asylverfahren zugelassen ist. Diese Zulassung steht allerdings gemäß § 28 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 einer späteren zurückweisenden Entscheidung nicht entgegen.
"Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht war in Bezug auf Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags durch die erstinstanzliche Behörde gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgte. Das Bundesverwaltungsgericht hatte dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahrens keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Dabei entspricht es im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz der ständigen hg. Rechtsprechung, dass die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen hat, dem Asylrelevanz zukommt (vgl. zB VwGH vom 21. März 2006, 2006/01/0028 sowie vom 18. Juni 2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (vgl. VwGH vom 24. Juni 2014, Ra 2014/19/0018, mwN). Abhängig vom Ausgang dieser Prüfung war "Sache" des Beschwerdeverfahrens überdies die Überprüfung der mit Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides vorgenommenen Ausweisung (vgl. § 75 Abs. 20 AsylG 2005)."
2.1.3. Bezogen auf den angefochtenen Bescheid ergibt sich daraus Folgendes:
Als Vergleichsentscheidung (hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) ist im gegenständlichen Fall das rechtskräftige Erkenntnisse des Asylgerichtshofes vom 08.10.2013, Zl. E5 424.348-1/2012/25E, heranzuziehen, mit welchem der erste Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers nicht stattgegeben und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei verfügt worden war.
Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit die Frage, ob das BFA den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz zu Recht gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.
2.1.4. Dies ist aus nachstehenden Gründen nicht der Fall:
Das BFA stellte im angefochtenen Bescheid nur Folgendes fest: Der Beschwerdeführer habe insgesamt keinen neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt vorgebracht.
Das BFA stellte somit im angefochtenen Bescheid - obwohl es dort seitenlang Feststellungen zur aktuellen Lage in der Türkei traf - konkludent fest, dass sich die maßgebliche und den Beschwerdeführer betreffende Lage im Herkunftsland seit dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens im Jahr 2013 nicht geändert habe.
Obwohl sich die politische Lage in der Türkei seit dem Putschversuch im Jahr 2014 massiv verändert hat, was auch Konsequenzen für oppositionelle Parteien oder Gruppierungen nach sich ziehen kann, insbesondere im Hinblick auf Anhänger der Gülen Bewegung oder führende bzw. in exponierter Stellung tätige Politiker verschiedener Oppositionsparteien, ist das BFA im angefochtenen Bescheid darauf überhaupt nicht eingegangen, sondern hat vielmehr lapidar festgestellt, dass sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht verändert habe. Es wäre aber die Aufgabe des BFA gewesen, sich mit der geänderten Lage in der Türkei unter Heranziehung aktueller Feststellungen zur Türkei näher auseinanderzusetzen.
Es liegen somit Anhaltspunkte für eine Änderung des Sachverhalts im Hinblick auf allgemein bekannte Tatsachen vor, die allenfalls von der belangten Behörde von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen wären.
Hinzu kommt, dass die jüngsten in der Entscheidung über den ersten Asylantrag des Beschwerdeführers getroffenen Länderfeststellungen aus den Jahren 2010 bis 2012 datieren. Gerade aktuelle Länderfeststellungen sind aber nach der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts von wesentlicher Bedeutung (vgl. dazu VfGH 21.9.2012, U 883/12; 11.10.2012, U 677/12; 11.10.2012, U 855/12; 6.3.2013, U 1325/12; 13. 3.2013, U 2185/12).
Nachdem bei einer behaupteten Lageänderung in einem Folgeantrag, die - im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren - nicht von vornherein als ungeeignet anzusehen ist, ein anderes Ergebnis zu erzielen, keine Zurückweisung des Bezug habenden Antrages wegen entschiedener Sache stattfinden darf, hätte sohin auf Seiten des BFA eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem neuen Sachverhalt erfolgen müssen.
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die belangte Behörde im gegenständlich angefochtenen Bescheid zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass der Behandlung des neuerlichen Antrages auf internationalen Schutz das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegensteht, weshalb der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben war. Die belangte Behörde hat sich vor dem Hintergrund der sich in der Türkei massiv geänderten Lage inhaltlich mit dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sachverhalt ausführlich auseinander zu setzen.
2.2.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gelangt die Sonderbestimmung des § 21 Abs. 3 BFA-VG für sämtliche Beschwerden im Zulassungsverfahren, wozu auch Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG zählt, zur Anwendung (vgl. VwGH 12.7.2017, Ra 2017/18/0220; 30.5.2017, Ra 2017/19/0017, 0018; 10.12.2015, Ra 2015/20/0040; 13.11.2014, Ra 2014/18/0025; sowie dazu, dass § 21 Abs. 3 BFA-VG (erst) nach Zulassung des Verfahrens nicht mehr zur Anwendung gelangt VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0198).
Fallgegenständlich wurden das Verfahren des Beschwerdeführers durch das BFA mit Verfahrensanordnung am 11.02.2015 zum inhaltlichen Verfahren zugelassen. Gemäß
§ 28 Abs. 1 letzter Satz AsylG steht die Zulassung des Asylverfahrens einer späteren zurückweisenden Entscheidung nicht entgegen. Aufgrund der erfolgten Zulassung des Verfahrens kam jedoch eine Anwendung der Sonderregelung des § 21 Abs. 3 BFA-VG im gegenständlichen Beschwerdeverfahren nicht in Betracht, weshalb im Lichte der höchstgerichtlichen Judikatur, demgemäß Sache des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens die Frage war, ob die Zurückweisung wegen entschiedener Sache zu Recht erfolgt ist, wobei diese Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen hat (vgl. VwGH 24.6.2014, Ra 2014/19/0018), mit einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 VwGVG vorzugehen war. Eine solche Sachentscheidung ist etwa dann zu fällen, wenn das Verwaltungsgericht zum Ergebnis gelangt, entgegen der Ansicht der Verwaltungsbehörde stelle sich anhand des (allenfalls nach ergänzenden Ermittlungen) festgestellten Sachverhaltes eine Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz als nicht dem Gesetz entsprechend dar. Bei einer solcherart die behördliche Antragszurückweisung aufhebenden Entscheidung handelt es sich aus verfahrensrechtlicher Sicht um eine gemäß
§ 28 Abs. 1 VwGVG in Form eines Erkenntnisses zu treffende Entscheidung (vgl. VwGH 5.10.2016, Ra 2016/19/0208, unter Hinweis auf die Rechtsprechung zur Bindung an die die Aufhebung tragenden Gründe einer im asylrechtlichen Zulassungsverfahren ergangenen Berufungsentscheidung im Rahmen der vor Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Rechtsstufe geltenden und in diesem Punkt inhaltlich gleichgelagerten Rechtslage des AsylG 2005; sowie VwGH 19.10.2017, Ra 2017/20/0144).
2.2.2. Aus diesem Grund war spruchgemäß mit einer Behebung der Spruchpunkte I. des in Beschwerde gezogenen Bescheides vorzugehen. Da die übrigen Spruchpunkte des hier angefochtenen Bescheides die zu behebende Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz rechtlich voraussetzen, waren auch sie bereits aus diesem Grund zu beheben.
2.3. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war.
3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Abschiebung, aktuelle Länderfeststellungen, Asylverfahren,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L507.1424348.2.00Zuletzt aktualisiert am
04.10.2019